Wiederentdeckung unwahrscheinlich: Pelzralle
Die Pelzralle wurde seit 1890 nicht mehr wissenschaftlich dokumentiert, weshalb eine neue Studie davon ausgeht, dass die Chancen auf eine Wiederentdeckung dieser Vogelart äußerst gering sind. Vassil, CC0, via Wikimedia Commons)

Studie: Bei welchen verschollenen Arten gelingt die Wiederentdeckung?

Der De Wintons Goldmull, der Attenborough-Langschnabeligel, der Ohrlose Graslanddrache und die Fagilde-Falltürspinne haben eines gemeinsam: Sie galten als ausgestorben und wurden im vergangenen Jahr nach gezielter Suche wiederentdeckt. Eine im Januar 2024 veröffentlichte Studie im Journal Global Change Biology möchte nun einen wissenschaftlichen Ansatz in die Suche nach verschollenen Arten bringen. Studienleiter Thomas Evans und sein Team haben dafür einen umfassenden Katalog von weltweiten Tetrapoden – eine Gruppe, die Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere einschließt – erstellt, die verloren gegangen sind und von denen einige später wiederentdeckt werden konnten.

Verlorene Arten sind solche, die nicht durch fotografische, akustische oder genetische Informationen bestätigt werden können und für die es keine Ex-situ-Population in menschlicher Obhut gibt.

856 Tetrapoden-Arten gelten derzeit als verschollen

Gemäß des Katalogs gelten aktuell 856 Säugetier-, Vogel-, Amphibien- und Reptilienarten als vermisst. Dabei gilt, dass Tetrapoden schneller verloren gehen, als sie wiederentdeckt werden können. Das ist insbesondere bei Reptilien der Fall, aber auch bei Amphibien und Vögeln. Und das, obwohl Forscher Tiere mithilfe immer ausgefallenerer Technologien finden, darunter Systeme, die eDNA-Spuren von Tieren erkennen, Software, die die Geräusche verschiedener Arten entschlüsselt, oder Techniken, um mikroskopische Spuren seltener Tiere im Magen anderer Tiere zu erkennen. Die Untersuchung legt auch nahe, dass vermutlich ein Viertel der verloren geglaubten Arten tatsächlich bereits ausgestorben ist.

Charismatische Arten werden eher wiederentdeckt

Kaum eine Chance auf Wiederentdeckung? - Tasmanischer Tiger / Beutelwolf
Auch die Chancen, den Beutelwolf wiederzuentdecken, sind gemäß der Studie nicht sonderlich hoch. (© Dr. David H. Fleay, Public domain, via Wikimedia Commons)

Die Studie zeigt, dass viele wiederentdeckte Arten ein bestimmtes Profil aufweisen: Es handelt sich um große, charismatische Säugetiere oder Vögel, die tendenziell in einer Vielzahl von Lebensräumen leben, oft in der Nähe von Menschen und in wohlhabenderen Ländern. Das heißt aber auch, dass ein Tier, das diese Merkmale erfüllt und das Forscher nach langen Suchen nicht aufgespürt haben, wohl für immer verloren ist. So wie der Tasmanische Tiger oder Beutelwolf: Seitdem der letzte seiner Art 1936 im Zoo von Hobart starb, hat der Beutelsäuger in ganz Australien enorme kulturelle Bedeutung erlangt und Menschen zu jahrzehntelangen Suchen inspiriert. Die Wissenschaftler der Studie argumentieren, dass gerade der Beutelwolf ein perfekter Kandidat für eine Wiederentdeckung sei, aber die Tatsache, dass er weiterhin verschollen ist, deute stark darauf hin, dass er tatsächlich ausgestorben ist. Das gleiche gilt für mehr als 200 weitere verlorene Arten, nach denen Forscher in der Vergangenheit ebenfalls gründlich gesucht haben.

Verschollene Tiere, die nicht dem Profil für eine einfache Wiederentdeckung entsprechen. könnten hingegen immer noch vorhanden sein, doch niemand sucht nach ihnen. Vor allem Reptilien erhalten tendenziell weniger Aufmerksamkeit als Säugetiere, möglicherweise weil sie als weniger charismatisch angesehen werden. Zudem sind sie auch oft schwerer zu finden. So sind etwa 45 Prozent der verlorenen Reptilienarten Schlangenschleichen (Dibamidae) und Skinke (Scincidae), die einen Großteil ihrer Zeit unterirdisch verbringen. Auch knapp zehn Prozent der verlorenen Säugetierarten sind Goldmulle oder Tenreks (Afrosoricida), die nachtaktiv sind und meist unterirdisch leben; auch diese lassen sich nur schwer aufspüren.

Wie Lebensräumen die Wiederentdeckung von Arten beeinflussen

Die Art des Lebensraums, in dem die verschollene Spezies vorkommt, wirkt sich auf den Schwierigkeitsgrad der Suche nach der verlorenen Art aus. Suchen nach Vögeln sind wohl einfacher in Grasländern, Strauchländern und künstlichen terrestrischen Lebensräumen als etwa in Wäldern, und Suchen nach Säugetieren sind möglicherweise einfacher in Grasländern und Wäldern als in Feuchtgebieten. Das bedeutet, Suchen nach verschwundenen Arten sind in zugänglichen Lebensräumen erfolgreicher, weshalb einige verlorene Arten auf ihre Wiederentdeckung in anspruchsvolleren Umgebungen warten.

Zum Beispiel lebt(e) Miss Waldrons Roter Stummelaffe (Piliocolobus waldronae), der zuletzt 1978 gesichtet wurde, in den Schlammwäldern und Sümpfen der südöstlichen Elfenbeinküste. Aufgrund der Präsenz von Schlangen und Krokodilen dort zögern Forscher bislang, die Primatenart zu suchen – und vielleicht wiederzuentdecken. Auch den seit 2002 in Kolumbien nicht mehr gesehenen El Tambo-Harlekinfrosch (Atelopus longibrachius) haben Wissenschaftler in letzter Zeit nicht mehr gesucht, weil er eine Region bewohnt, die von zivilen Unruhen betroffen ist.

Wahrscheinlichkeitsanalysen zu verlorenen Arten zeigen Muster

Im Rahmen der Studie durchgeführte Wahrscheinlichkeitsanalysen haben einige, teils wenig erfreuliche Regelmäßigkeiten für verschiedene Klassifikationen verlorener Arten aufgedeckt: Säugetiere, die ausschließlich auf einer Insel endemisch sind und als verloren gelten, wie die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte, die 2009 verschwand, sind überproportional häufig tatsächlich ausgestorben, verglichen mit Säugetieren in anderen Umgebungen.

Die Wissenschaftler machen zudem einen optimalen Zeitpunkt für die Wiederentdeckung von Vögeln nach ihrem Verlust aus: durchschnittlich 66 Jahre. Die Zeitspanne ist lang genug, um Interesse an Suchexpeditionen zu wecken, aber nicht so lang, dass die Tiere mit großer Wahrscheinlichkeit als ausgestorben gelten. Die Chancen stehen also nicht mehr so gut für diejenigen Vogelarten, die vor über einem Jahrhundert verschollen sind, wie beispielsweise der Annakleidervogel, der Brillenkormoran oder der Riesenalk.

Studienergebnisse erhöhen Chancen auf Wiederentdeckung

Die Ergebnisse zeigen, dass Arten in manchen Regionen und unter bestimmten Bedingungen eine höhere Chance haben, wiederentdeckt zu werden, was für zukünftige Schutzmaßnahmen von großer Bedeutung ist. Die Forscher der Studie hoffen daher, dass Details darüber, welche Arten möglicherweise einfach ungesehen sind im Vergleich zu denen, die wahrscheinlich ausgestorben sind, Naturschützern eine Orientierung geben werden, Geld und Zeit ausschließlich in erfolgsversprechende Suchen zu stecken. Ein Beispiel ist die seit 2017 existierende Liste der 25 meistgesuchten Arten von Re:wild. Die gemeinnützige Naturschutzorganisation verwendet derzeit die Ergebnisse der Studie, um die Suchliste für 2024 zu aktualisieren, heißt es auf Scientific American.

Wiederentdeckt: Ohrloser Graslanddrache
Der in Australien beheimatete Ohrlose Graslanddrache galt seit 1969 als verschollen und konnte wiederentdeckt werden. (Michael Mulvaney, CC BY 3.0 AU, via Wikimedia Commons)

Bei der Erstellung des Katalogs fiel den Wissenschaftlern auf, dass viel zu wenige Tetrapode als ausgestorben klassifiziert werden, obwohl sie dies sehr wahrscheinlich sind. Tatsächlich wurden 202 der 856 verlorenen Arten, das entspricht 24 Prozent, mit einem hohen oder sehr hohen Wiederentdeckungsaufwand eingestuft, trotzdem diese Arten in der Roten Liste der IUCN weder als „wahrscheinlich ausgestorben“ noch als „ausgestorben“ gelistet sind. Dazu gehört beispielsweise die Pelzralle (Gallirallus lafresnayanus), die seit 1890 nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Die Forscher schlagen deshalb vor, dass die Bewertungen aus der Roten Liste für solche Arten überprüft und gegebenenfalls geändert werden sollten, um ihren Bedrohungsstatus genauer widerzuspiegeln. So ließe sich verhindern, dass keine Suchen nach Arten unternommen werden, die höchstwahrscheinlich nicht mehr existieren. Da die Ressourcen für den Naturschutz begrenzt sind, könnte es notwendig sein, einen pragmatischen Ansatz zu wählen, der Suchen nach Arten priorisiert, die am wahrscheinlichsten noch existieren.

Wiederentdeckte Arten machen Hoffnung

Die Studie betont außerdem, dass der Verlust von Arten nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein emotionales Thema ist. Viele der verlorenen Arten haben eine tiefe kulturelle Bedeutung, und ihr Verschwinden hinterlässt eine Lücke, die weit über die Ökologie hinausgeht. Die Wiederentdeckung einer Art kann daher als ein Symbol der Hoffnung dienen und die Wichtigkeit des Naturschutzes in der öffentlichen Wahrnehmung stärken.

Einige verlorene Arten wurden bereits wiederentdeckt, darunter viele Tetrapoden-Arten – mindestens 150 Vogelarten und jeweils 100 Arten von Amphibien und Säugetieren. Diese wiederentdeckten Arten, manchmal als Lazarus-Arten bezeichnet, ziehen ein erhebliches öffentliches Interesse auf sich und bieten Inspiration für zukünftige Naturschutzmaßnahmen, was die Hoffnung auf Erhaltung und Wiederentdeckung weiter stärkt.

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