Ciridops anna
Annakleidervogel im Buch Birds of the Sandwich Islands (1890-1899) von F. W. Frohawk. Frederick William Frohawk, Public domain, via Wikimedia Commons)

Annakleidervogel

Die Hawaii-Inselkette beherbergte einst 57 Arten von Kleidervögeln

Kleidervögel (Drepanidini), eine Tribus aus der Familie der Finken (Fringillidae), kommen nur auf der Inselkette Hawaii vor. Die Kleidervögel sind als Schwesterart eng mit den Karmingimpeln (Carpodacus) verwandt, viele Arten haben aber dennoch Merkmale entwickelt, die sich von denen der Finken unterscheiden. Kleidervögel weisen eine große morphologische Vielfalt auf – das Ergebnis adaptiver Radiation in einer Inselumgebung.

Aus einem Bericht über die Artenbildung bei hawaiianischen Kleidervögeln (2011) geht hervor, dass ihre Vorfahren aus Asien stammten und sich vor rund 7,2 Millionen Jahren von den Karmingimpeln trennten. Die Biologin Heather R. L. Lerner und andere Wissenschaftler vermuten, dass die Vorfahren der Kleidervögel vor etwa 5,2 bis 7,2 Millionen Jahren auf den Hawaii-Inseln landeten. Aus den Karmingimpeln haben sich auf den einzelnen Inseln schließlich verschiedene Abstammungslinien und Gattungen von Kleidervögeln zu unterschiedlichen Zeiten entwickelt.

annakleidervogel
Annakleidervogel aus Walter Rothschilds Extinct Birds (1907). Die Kopfseiten, Stirn, Schnabel, Kehle, Brust, Flügel und Schwanz des Vogels waren schwarz, der Rücken bräunlich und die Flügeldecken, Bauch und Bürzel waren rot. (© John Gerrard Keulemans, Public domain, via Wikimedia Commons)

Wie so oft bei Inselvögeln, wird gerade die Spezialisierung, die ihnen ermöglicht in großer Zahl und in unterschiedlichen Formen auf begrenztem Raum zu überleben, zur Schwachstelle, wenn Bedrohungen oder Konkurrenten auftauchen. David Day schreibt in The Doomsday Book of Animals 1981 dazu, dass die Kleidervögel mit dem größten Verbreitungsgebiet und ohne signifikante regionale Variationen am besten überleben konnten.

Heute unterscheidet man 24 Gattungen von Kleidervögeln mit rund 57 Arten sowie einigen Unterarten. Ungefähr 18 Arten sind in prähistorischer Zeit ausgestorben, 21 Arten verschwanden wahrscheinlich in jüngerer Zeit. Alle anderen Arten sind stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Der Annakleidervogel gehört als monotypische Art zu den ausgestorbenen Kleidervögeln.

Auf Hawaii sind nicht nur eine Menge Vogelarten ausgestorben, sondern auch viele Insekten und Schnecken. So verschwanden zum Beispiel die zweitgrößte endemische Mottenart, der Kona-Riesenspanner, die Koolau-Spornflügel-Langbeinfliege oder die Baumschnecken Achatinella buddii und Achatinella apexfulva im frühen 20. Jahrhundert.

Annakleidervogel – Steckbrief
alternative BezeichnungKohala-Kleidervogel
wissenschaftliche NamenCiridops anna, Fringilla anna
englische NamenʻUla-ʻai-hāwane, Ula-ai-hawane
ursprüngliches VerbreitungsgebietBig Island (Hawaii)
Zeitpunkt des Aussterbens1892
Ursachen für das AussterbenLebensraumverlust, auf Inseln eingeschleppte Tiere, Verlust der Futterpflanzen, eingeschleppte Krankheiten

Unterschiedliche Schnabelformen: Es gibt Nektarfresser und Samenfresser

Kleidervögel (Drepadinidae) Schnäbel
Die verschiedenen Schnäbel der Kleidervögel aus W. Rothschilds The Avifauna of Laysan and the neighbouring Islands (1893). (© John Gerrard Keulemans, via Wikimedia Commons)

Durch adaptive Radiation haben sich im Laufe der Evolution Kleidervogel-Arten mit unterschiedlichen Schnabelformen entwickeln können. Mit verschieden geformten Schnäbeln und Zungen ist eine Spezialisierung der Vögel auf unterschiedliche Pflanzen beziehungsweise Nahrung möglich, sodass sie eine große Anzahl ökologischer Nischen füllen. Spitze Schnäbel etwa weisen darauf hin, dass die Vögel sich von Insekten und/oder Nektar ernähren, lange nach unten gebogene Schnäbel dienen meist zur Beschaffung von Nektar aus Blüten, zangenartige Schnäbel deuten möglicherweise eine Spezialisierung auf Schnecken als Nahrung an.

Der Annakleidervogel besaß einen dicken und kurzen Schnabel. Er ernährte sich von den Samen und dem Blütennektar des Hawane-Baumes (Pritchardia). Darauf deutet auch sein Name hin, denn der Annakleidervogel wird von den Hawaiianern als Ula-Ai-Hawane bezeichnet, was so viel heißt wie „der rote Vogel, der sich von der Hawane-Beere ernährt“. Mit seiner röhrenförmigen Zunge konnte er den Nektar aus den Blüten des Baumes saugen.

Der deutsche Trivialname Annakleidervogel beziehungsweise das Artepitheton anna geht auf Anna Cate Dole zurück. Sie war die Frau des Juristen und späteren hawaiianischen Gouverneurs Sanford Dole, der den Annakleidervogel 1859 entdeckte und 1879 beschrieb.

Ein Vogel „von ungestümem Wesen“

Annakleidervogel Bishop Museum
Annakleidervogel im Bishop Museum, Honolulu – eines von fünf bekannten Museumsexemplaren. Der einem Finken ähnelnde Vogel erreichte eine Länge von rund zwölf Zentimetern. (© Wmpearl, CC0, via Wikimedia Commons)

Der Annakleidervogel bewohnte Wälder im Hügel- und Bergland auf Big Island, der Hauptinsel Hawaiis. Er ist aus den Distrikten Kona und Hilo bekannt und er hielt sich im Gebiet des erloschenen Vulkans Kohala auf. Schon bei seiner Entdeckung galt der Annakleidervogel als selten.

Bei Kleidervögeln unterscheidet man gemeinhin Nektar- und Samenfresser. Der Annakleidervogel gehörte zu den Nektarfressern, die meistens schwarz-rot gefärbt sind. Über die Lebens- und Verhaltensweisen des Annakleidervogels fehlen jegliche Angaben. Nur der britische Ornithologe Robert Cyril Layton Perkins, der vor allem die Fauna Hawaiis erforschte, merkte 1903 in Fauna Hawaiiensis an, dass es sich beim Annakleidervogel um einen scheuen und und schwer zu erbeutenden Vogel „von ungestümem Wesen“ handele.

Bereits seit Ankunft der ersten Menschen auf den Hawaii-Inseln ab dem späten 1. Jahrtausend nach Christus nahm die Zahl der Kleidervögel stetig ab. In den zwei Jahrhunderten nach der Entdeckung des Inselarchipels durch die Europäer im Jahr 1778 verschwanden schließlich noch mehr Kleidervogel-Arten.

Der letzte Nachweis des Annakleidervogels stammt vom 20. Februar 1892. Der Vogelsammler Henry C. Palmer, der im Auftrag des britischen Bankiers und Zoologen Walter Rothschild arbeitete, erschoss den Vogel in den sumpfigen Bergwäldern auf dem Mount Kohala auf Big Island.

Der Ornithologe George Campbell Munro will 1937 im gleichen Gebiet noch einen Vogel gesehen haben, der die charakteristische Färbung des Annakleidervogels aufwies. Er war sich später dann aber nicht mehr sicher, ob es sich tatsächlich um diese Art gehandelt hat. So schreibt Munro 1960 in Birds of Hawaii über die Begegnung:

„Der schwarze Kopf und graue Hals sind ein auffallendes Merkmal (…) die flüchtige Beobachtung eines Vogelkopfes und -halses, die diese charakteristische Färbung zeigten, läßt mich als fast sicher annehmen, daß ich 1937 einen sah (…). Es ist unwahrscheinlich, daß ich diesen Vogel sah, dennoch ist es möglich.“

Aussterbeursachen: Entwaldung, invasive Arten, Krankheiten, Pflanzensterben

Pritchardia affinis
Unter anderem die Früchte und der Blütennektar der Fächerpalme Pritchardia affinis dienten dem Annakleidervogel als Nahrung. Die IUCN stuft die Art als stark gefährdet ein, denn auf Big Island eingeschleppte Ratten und Schweine beschädigen die Pflanzen und fressen ihre Samen, bevor sie keimen können. (© Photo by David J. Stang, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Als Hauptursache für das Verschwinden des Annakleidervogels vermutet die IUCN die Entwaldung Big Islands, etwa zur Umwandlung natürlicher Landschaft in landwirtschaftliche Nutzflächen. Dies könne auch zu einer besonders hohen Zahl an Ratten geführt haben, denen die Annakleidervogel-Population ausgesetzt gewesen war. Baumratten sind zudem dafür bekannt, Eier von Vögeln zu stehlen. Auch andere auf Big Island gehaltene Tiere zerstörten den Lebensraum der endemischen Tierwelt vor allem in den Bergen, wo die eingeschleppten Nutztiere grasten (etwa Kühe, Schweine, Ziegen oder Rotwild).

Weiterhin führt die Weltnaturschutzorganisation das Auftreten von Vogelmalaria als Aussterbeursache an, eine parasitäre Vogelerkrankung, die durch einzellige Blutparasiten (Plasmodien) verursacht wird. Meistens übertragen Stechmücken die Parasiten auf die Vögel. Die Studie Avian Malaria in Hawaiian Forest Birds (2015) untersucht den Einfluss der Vogelmalaria auf die Vögel Hawaiis und findet Beweise dafür, dass die eingeschleppte Vogelmalaria zum Rückgang und Aussterben vieler endemischer Waldvögel geführt hat. Neben der Vogelmalaria gelten die Vogelpocken, eine hochansteckende und oft tödliche Viruserkrankung, als eine der Krankheiten, die mit nicht endemischen Vögeln auf die Inseln Hawaiis gelangte.

Einige Wissenschaftler nehmen an, dass sich der Annakleidervogel in erster Linie von den unreifen Früchten der auf Big Island endemischen Pritchardia-Arten ernährte. Die Vögel wurden nämlich häufig in der Nähe dieser Fächerpalmen beobachtet, sodass sie möglicherweise von ihnen abhängig waren. Etliche Fächerpalmen der Gattung Pritchardia, die bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich auf den Hawaii-Inseln vorkommen, sind heute sehr selten, gefährdet oder seit Jahren verschollen. Forscher vermuten daher, das allmähliche Verschwinden der Palmen könnte zum Aussterben des Annakleidervogels mit beigetragen haben.

David Day zieht noch die direkte Verfolgung durch den Menschen als eine Ursache für das Verschwinden der Kleidervögel in Betracht. Einige Vögel dieser Tribus wurden nämlich wegen ihrer schönen Federn gejagt – und je seltener die Vögel wurden, desto begehrter waren ihre Federn für Vogelsammler. So starb auch der Mamo oder Königskleidervogel (Drepanis pacifica) aus. Seine gelben Federn dienten zur Herstellung royaler Hüte und Mäntel.

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