Eine aktuelle internationale Studie um die Biologen Gerardo Ceballos und Paul Ehrlich in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) zeigt, dass das Aussterben nicht nur einzelne Arten, sondern gleich ganze Gattungen betrifft. Die Forschenden sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Verstümmelung des Lebensbaums“.
Für die Analyse hat das Team von Wissenschaftlern 5.400 Gattungen und 34.600 Arten von Landwirbeltieren genauer unter die Lupe genommen. Das Ergebnis zeigt, dass insgesamt zwei Ordnungen, zehn Familien und 73 Gattungen seit dem Jahr 1500 ausgestorben sind.
Artensterben: Vor allem Vogel-Gattungen betroffen
Gattungen sind in allen Wirbeltierklassen verschwunden. Von den 73 Gattungen sind 44 allein den Vögeln zuzuordnen, gefolgt von den Säugetieren mit 21 Gattungen, den Amphibien mit fünf Gattungen und schließlich den Reptilien mit drei Gattungen. Bei den beiden ausgestorbenen Ordnungen handelt es sich um die Elefantenvögel von Madagaskar und die Moas aus Neuseeland (etwa Nordinsel-Riesenmoa und Kleiner Moa).
Die zehn ausgestorbenen Familien umfassen sechs Säugetier-Familien wie etwa die Faultierlemuren, zu denen auch der Riesenlemur Palaeopropithecus ingens aus Madagaskar gehört, sowie vier Vogelfamilien wie beispielsweise die Mohoidae, zu der unter anderem der ausgestorbene Schuppenkehlmoho und der Schmalfedermoho zählen.
Die Forscher der Studie nehmen – trotz spärlicher Datenlage – an, dass die meisten Verluste von Gattungen in den letzten zwei Jahrhunderten zu verzeichnen sind. Zwar verschwanden viele Gattungen auch schon früher, wie beispielsweise Stellers Seekuh 1768, die meisten aber sind erst seit dem Beginn der modernen Wissenschaft ausgestorben. Dazu gehören etwa der Beutelwolf 1936, die Wandertaube 1914 oder der Chinesische Flussdelfin 2002 (bei diesen Beispielen handelt es sich um monotypische Gattungen).
35-fache Beschleunigung des Aussterbens
Basierend auf historischen Aussterberaten bei Säugetieren schätzt das Forschungsteam, dass die gegenwärtige Geschwindigkeit des Aussterbens von Wirbeltiergattungen etwa 35-mal höher ist als die natürliche Rate der letzten Million Jahre. Das bedeutet, dass die Erde, ohne den Einfluss der Menschen, in dieser Zeit möglicherweise lediglich zwei Gattungen verloren hätte. Allein in den letzten fünf Jahrhunderten sind jedoch genauso viele Gattungen aufgrund menschlicher Aktivitäten ausgestorben wie es in 18.000 Jahren ohne anthropogenen Einfluss der Fall war.
Die Autoren der Studie geben weiterhin zu bedenken, dass der Verlust einer weit verbreiteten Gattung Auswirkungen auf ein ganzes Ökosystem haben kann. So grenzte etwa die Ausrottung der Wandertaube die menschlichen Ernährungsgewohnheiten im Nordosten Nordamerikas ein und veränderte die Struktur des Ökosystems über weite Gebiete hinweg.
Durch das Verschwinden der Wandertaube, verloren die Weißfußmäuse ihren Nahrungskonkurrenten und die Mäusepopulationen nahmen zu. Dazu beigetragen hat der Populationsrückgang bei Raubtieren wie Wölfen oder Pumas. Das Ergebnis: Weißfußmäuse gelten als Hauptüberträger der durch Zecken übertragenen Lyme-Borreliose, die nun immer häufiger bei Menschen auftritt.
Das Wegfallen von Gattungen führt zur „Verstümmelung des Lebensbaums“
Das Aussterben von Gattungen ist in vielerlei Hinsicht schlimmer als das Aussterben von Arten, so die Studienergebnisse: Stirbt eine Art aus, sind andere Arten derselben Gattung teilweise in der Lage, die Rolle der verschwundenen Art im Ökosystem zu übernehmen. Das liegt daran, dass die verbliebenen Spezies viel genetisches Material ihrer ausgestorbenen Verwandten in sich tragen. Auf diese Weise kann die entstandene Lücke im Ökosystem mehr oder weniger befüllt werden, sodass die Biodiversität längerfristig stabil bleibt.
Fallen hingegen ganze Äste im Lebensbaum weg, bleibt eine Lücke. Diesen Verlust dann auszugleichen, dauert Dutzende von Millionen Jahren. Da die Menschheit bzw. die Stabilität unserer Zivilisation stark von den Leistungen, die die biologischen Vielfalt der Erde erbringt, abhängt, stelle das Aussterben von Gattungen eine Bedrohung für die Menschheit dar, so die Studie.
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