Chinesischer Flussdelfin / Baiji
Illustration des Chinesischen Flussdelfins (Baiji) – einst ein charakteristischer Bewohner des Jangtse. Mit seiner langen, schmalen Schnauze und der sichelförmigen Rückenfinne war der Baiji unverwechselbar. Heute gilt die Art als "funktionell ausgestorben". Doc Taxon, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Chinesischer Flussdelfin: Lebt der Baiji noch?

Die letzte bestätigte Sichtung des Baiji, auch bekannt als Chinesischer Flussdelfin, liegt mittlerweile mehr als 20 Jahre zurück. Die IUCN stuft die Art deshalb als „vom Aussterben bedroht (möglicherweise ausgestorben)“ ein. Wissenschaftlich gilt ihr Fortbestehen als äußerst unwahrscheinlich, doch gelegentliche Sichtungsmeldungen und Videoaufnahmen lassen zumindest Raum für Zweifel. Falls es noch überlebende Tiere gibt, dürften es nur sehr wenige sein.

Der Baiji war – oder ist – ein schlanker, grauweiß gefärbter Süßwasserdelfin mit langer, schmaler Schnauze, winzigen Augen und einer kleinen dreieckigen Rückenfinne mit abgerundeter Spitze. Im Gegensatz zu Meeresdelfinen war sein Sehvermögen stark reduziert. Wie andere Zahnwale (Odontoceti) orientierte er sich stattdessen mithilfe von Echoortung. Die Reduktion der Augen ist bei allen Flussdelfinen im Laufe der Evolution entstanden – wahrscheinlich aufgrund der schlechten Sicht in trüben Fluss- und Mündungsgewässern (Zhou et al. 2013).

Der Chinesische Flussdelfin ist eine von nur fünf heute bekannten Delfinarten, die im Süßwasser leben. Obwohl diese nur entfernt miteinander verwandt sind, ähneln sie sich in vielerlei Hinsicht: Sie haben lange, schmale Schnauzen, schlanke Körper und ausgeprägte akustische Fähigkeiten, die ihnen helfen, ihre kleinen Augen und schlechte Sehkraft auszugleichen. Diese Parallelen sind ein Beispiel für konvergente Evolution, also die unabhängige Anpassung verschiedener Arten an vergleichbare Lebensräume.

Über das Verhalten des Baiji, der ausschließlich in einem Abschnitt des chinesischen Flusses Jangtsekiang (kurz: Jangtse) vorkam, ist vergleichsweise wenig bekannt. Die Delfine lebten meist in kleinen Gruppen oder – nachdem sie seltener wurden – als Einzelgänger. Sie ernährten sich nur von Fischen und hielten sich bevorzugt in ruhigen, flachen Flussabschnitten mit langsam fließendem Wasser auf.

Sollte der Baiji tatsächlich ausgestorben sein, wäre er nicht das einzige Meeressäugetier, das in den letzten Jahrhunderten durch menschliche Einflüsse verschwunden ist. Auch andere Arten teilen dieses Schicksal: etwa die riesige Stellersche Seekuh, die 1768 ausgerottet wurde, die Karibische Mönchsrobbe (1950er-Jahre) oder der Japanische Seelöwe (1970er-Jahre). Gemeinsam ist ihnen allen, dass ihr Verschwinden eng mit menschlichem Handeln verknüpft ist.

Der Baiji – Göttin des Jangtse & kulturelles Symbol

Baiji-Briefmarke
Auch weit über Chinas Grenzen hinaus gilt der Baiji als erhaltenswertes Naturerbe: Diese rumänische Briefmarke von 2017 erinnert an den verschwundenen Chinesischen Flussdelfin.
Răzvan Popescu, Public domain, via Wikimedia Commons)

Der Chinesische Flussdelfin war nicht nur biologisch einzigartig, sondern auch tief im kulturellen Bewusstsein der Region verwurzelt. Einer weit verbreiteten Legende zufolge wurde er als Wiedergeburt eines Mädchens verehrt, das sich aus Verzweiflung in den Jangtse stürzte: Ihr gieriger Stiefvater wollte sie auf einem Boot verkaufen, doch als er selbst übergriffig wurde, sprang sie ins Wasser. Ein Sturm zerstörte das Boot – und nach dem Unwetter erschien ein wunderschöner Delfin. Die Menschen sahen in ihm die Seele des Mädchens, wiedergeboren im Fluss. Seither gilt der Baiji als „Göttin des Jangtse“ – ein Symbol für Frieden, Reinheit und Wohlstand (Maderspacher 2007).

Auch jenseits der Mythologie war der Baiji ein bedeutendes Symboltier in der chinesischen Alltagskultur. Sein Bild zierte Briefmarken, Münzen und Werbemotive, sein Name fand sich auf Produkten wie Bier, Cola, Schuhen – sogar Hotels trugen ihn. Bereits Anfang der 1990er-Jahre berichteten Douglas Adams und Mark Carwardine in Die Letzten ihrer Art, dass in China zahlreiche Konsumgüter nach dem Delfin benannt waren. 2024 wurde ein stilisierter Delfin namens „Tún Tún“ als Maskottchen des Kanu-Wettbewerbs Hangzhou Super Cup präsentiert.

Der Baiji stand für Schönheit, Seltenheit und eine enge Verbindung zum Jangtse – für etwas, das man bewahren möchte. Und doch verschwand das echte Tier langsam aus dem Fluss.

Chinesischer Flussdelfin – Steckbrief

alternative BezeichnungenJangtse-Flussdelfin, Jangtse-Delfin, Baiji, Peh Ch’i
wissenschaftlicher NameLipotes vexillifer
englische NamenBaiji, Chinese River dolphin, Yangtze River dolphin, Yangtze dolphin, Changjiang dolphin, Chinese Lake dolphin, Whitefin dolphin, White flag dolphin, White-flag dolphin
ursprüngliches Verbreitungsgebietmittlerer und unterer Jangtsekiang (China)
Zeitpunkt des Aussterbensfrühestens 2002
Ursachen für das AussterbenLebensraumverlust, Gewässerverschmutzung, Kollisionen mit Motorbooten, Beifang in Fischernetzen, Überfischung, Staudämme, Bejagung, Klimawandel
IUCN-Statusvom Aussterben bedroht (möglicherweise ausgestorben)

Die Entdeckung des Chinesischen Flussdelfins

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts erfuhr die westliche Wissenschaft von der Existenz des Baiji. Der US-Amerikaner Charles McCauley Hoy unternahm zu jener Zeit Reisen in unterschiedliche Länder, um Tiere für das United States National Museum (heute: Smithsonian National Museum of Natural History) zu sammeln. So wurde Hoy zum ersten westlichen Forscher, der im Januar 1914 ein Exemplar des Chinesischen Flussdelfins entdeckte – und erlegte, um es dem United States National Museum zu übergeben.

Einige Jahre später, 1918, beschrieb der US-amerikanische Zoologe Gerrit S. Miller Jr. die Art in A New River Dophin from China. Die Erstbeschreibung basierte auf dem von Hoy gesammelten Material: dem Schädel und den Halswirbeln eines Baiji aus dem Dongting-See, etwa 600 Kilometer stromaufwärts des Jangtse. Hoy äußerte sich in mehreren Briefen und Gesprächen über die neu entdeckte Delfinart:

„Obwohl ich mehrere Jahre in China lebte, sah ich dieses Tier nur im Dongting-See und in dessen Mündungsbereich. Die Einheimischen nennen es Peh Ch’i, was (…) ‚weiße Flagge‘ bedeutet, weil die Rückenfinne, die sie mit einer Flagge vergleichen, beim Auftauchen an die Wasseroberfläche besonders auffällig ist. (…) Meines Wissens kommt dieses Tier in großer Zahl nur rund um die Mündung des Dongting-Sees vor. (…) Dann treten sie häufig in Gruppen auf – meist zu dritt oder viert, manchmal auch mit 10 bis 12 Tieren.“

Miller, 1918.
erschossener Baiji
Charles M. Hoy mit einem erlegten Baiji: Der Naturforscher war der erste westliche Wissenschaftler, der ein Exemplar des Chinesischen Flussdelfins dokumentierte. Das Foto zeigt ihn mit dem Tier, das er im Januar 1914 im Dongting-See in China erschoss.
Charles Hoy, Public domain, via Wikimedia Commons)

In seiner Beschreibung stellte Miller klar, dass es sich beim neu entdeckten Flussdelfin aus China keineswegs um eine bekannte Art wie den Chinesischen Weißen Delfin (Sousa chinensis) handelte, sondern um ein Relikt einer fast vollständig verschwundenen Tiergruppe: den Amazonas-Flussdelfinen aus der Familie Iniidae. Diese waren im Miozän und Pliozän weit verbreitet, heute aber fast vollständig ausgestorben. Es haben bis in die Neuzeit nur zwei beziehungsweise drei Arten überlebt: der Amazonasdelfin (Inia geoffrensis), der Bolivianische Amazonasdelfin (Inia boliviensis), der erst seit 2008 als eigenständige Art gilt, und der Chinesische Flussdelfin (Lipotes vexillifer).

Miller machte bereits 1918 deutlich, dass es sich beim Baiji um ein „lebendes Fossil“ handelte – evolutionär eng verwandt mit den südamerikanischen Flussdelfinen, zugleich aber genetisch und geografisch isoliert im Jangtse über Millionen Jahre hinweg erhalten geblieben.

Moderne genetische Analysen bestätigen Millers Vermutung. Eine sogenannte Retroposon-Analyse von Nikaido et al. (2001) ergab, dass sich der Baiji vor etwa 21,5 Millionen Jahren von der gemeinsamen Linie der heutigen südamerikanischen Flussdelfine abgespalten hat. Der Chinesische Flussdelfin ist also mit keiner heute lebenden Delfinart eng verwandt. Mit seinem Aussterben verliert die Welt nicht nur eine Tierart, sondern eine eigenständige, fast 20 Millionen Jahre alte Evolutionslinie.

Baiji: Der einzige Vertreter der Gattung Lipotes

Baiji - Schädelpräparat (Miller Jr. 1918)
Schädel des Chinesischen Flussdelfins: Dieses Exemplar bildete die Grundlage für die Erstbeschreibung. Es ist heute als Holotyp unter der Katalognummer USNM 213293 in der Mammalogischen Sammlung des National Museum of Natural History (Smithsonian Institution, Washington, D.C.) archiviert.
(© Miller, G. S. Jr., in: Smithsonian Miscellaneous Collections 68(5), 1918)

Der Chinesische Flussdelfin ist der einzige bekannte Vertreter der Gattung Lipotes, die 1918 ebenfalls von Miller beschrieben wurde. Miller begründete die Etablierung dieser neuen Gattung mit deutlichen anatomischen Unterschieden zum nächstverwandten Flussdelfin, dem Amazonasdelfin (Inia). In seiner Erstbeschreibung schrieb er:

„In seinen gattungstypischen Merkmalen unterscheidet sich der Schädel des chinesischen Delfins so deutlich von dem der Gattung Inia, dass eine Einordnung in diese Gattung ausgeschlossen ist.“

Miller, 1918.

Miller erläuterte, dass das Rostrum (die schnabelartige Schnauze) beim Baiji im Vergleich zum Amazonasdelfin auffällig länger und schmaler ist. Zudem sind die Zähne kleiner und zahlreicher. Auch die Proportionen des Hirnschädels sowie andere Details der Schädelarchitektur unterscheiden sich deutlich. Besonders markant ist das Foramen infraorbitale, eine Öffnung unter dem Auge – beim Baiji deutlich größer und ausgeprägter als bei anderen Flussdelfinarten.

Aufgrund dieser Kombination einzigartiger anatomischer Merkmale entschied Miller, dem Chinesischen Delfin eine eigene, monotypische Gattung zuzuweisen. Der Name Lipotes entstammt dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „der Zurückgelassene“ – ein Hinweis auf die evolutionär isolierte Stellung dieser Art unter den Flussdelfinen.

Ein Verbreitungsgebiet, das immer weiter schrumpfte

Chinesischer Flussdelfin - Verbreitungsgebiet
Ehemaliges Verbreitungsgebiet des Chinesischen Flussdelfins: Entlang des Jangtsekiang von der Flussmündung bei Shanghai bis zur Großstadt Yichang sowie in den angrenzenden Seen Dongting und Poyang war der Baiji einst heimisch.
(Modifiziert nach: © 蕭漫, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Der Chinesische Flussdelfin war einst ein typischer Bewohner des Jangtsekiang – mit 6.380 Kilometern Länge der größte Fluss Asiens. Sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet erstreckte sich über rund 1.700 Kilometer: vom Mündungsdelta nahe der Industriemetropole Shanghai bis zur Stadt Yichang in der Provinz Hubei. Damit bewohnte der Baiji vor allem die mittleren und unteren Abschnitte des Jangtse.

Gelegentlich wurde er auch in angrenzenden Gewässern gesichtet, darunter der Qiantang-Fluss im Süden, dessen Unterlauf Fuchun-Fluss sowie die beiden großen Binnenseen Dongting und Poyang. Insbesondere der Dongting-See galt lange als wichtiges Rückzugsgebiet. Während der Hochwasserzeiten durchstreifte der Baiji zudem überflutete Auenlandschaften und Seitenarme im weitverzweigten Jangtse-System.

Doch das einst weitläufige Habitat begann sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts enorm zu verkleinern. Der Bau zahlreicher Staudämme zwischen den 1950er- und 1990er-Jahren schnitt die Tiere von vielen ihrer ursprünglichen Wanderwege und Lebensräume ab. In der Folge zog sich der Bestand zunehmend in den mittleren Jangtse zurück – vor allem in den ruhigeren Flussabschnitt zwischen Dongting- und Poyang-See. Aus den genannten Seen sowie den Nebenflüssen Qiantang und Fuchun verschwand der Baiji schließlich ganz (Turvey et al., 2010).

Als der Baiji nach und nach verschwand

Bis in die späten 1970er-Jahre war die wissenschaftliche Erforschung des Chinesischen Flussdelfins in China stark eingeschränkt. Wie der britische Zoologe Samuel T. Turvey in Witness to Extinction: How We Failed to Save the Yangtze River Dolphin (2008) beschreibt, galt biologische Forschung in dieser Zeit als politisch unerwünscht. Die Folgen der Kulturrevolution hatten Forschungseinrichtungen geschwächt, staatliche Kontrolle lähmte wissenschaftliche Initiativen. Der Fokus der chinesischen Regierung lag auf Industrialisierung, Binnenentwicklung und wirtschaftlicher Selbstversorgung. Artenschutz und Biodiversitätsforschung spielten keine Rolle – schon gar nicht für eine wenig bekannte und als unbedeutend geltende Tierart wie den Baiji. Auch ausländische Wissenschaftler erhielten kaum Zugang zum Jangtse, und selbst chinesischen Forschenden fehlten Ressourcen, institutionelle Unterstützung und politische Rückendeckung für kontinuierliche Feldforschung.

baiji größenvergleich mensch
Größenvergleich Chinesischer Flussdelfin und Mensch: Der Baiji kann bis zu 245 Zentimeter lang und 160 Kilogramm schwer werden. Weibchen sind meistens größer als Männchen.
Chris_huh, Public domain, via Wikimedia Commons)

Erst mit der wissenschaftlichen Öffnung Chinas ab Ende der 1970er-Jahre änderte sich die Situation. Forscher wie der Delfinexperte Kaiya Zhou begannen mit ersten systematischen Erhebungen. Zwischen 1979 und 1981 erfolgte laut IUCN die erste belastbare Schätzung zum Bestand des Baiji. Frühere Schätzungen aus den 1950er-Jahren gingen noch von rund 6.000 Tieren im gesamten Jangtse-System aus (Liu, 2019). Doch mit dem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung und der wachsenden Nutzung des Flusses setzte ein massiver Rückgang ein.

Die dokumentierte Bestandsabnahme verlief erschreckend schnell:

  • 1982: Zhou ermittelte einen Bestand von nur noch etwa 400 Tieren
  • 1986: Peixun Chen und Yuanyu Hua (1989) schätzten die Population auf 300 Individuen.
  • 1990: Nur noch etwa 200 Tiere wurden gezählt.
  • 1989–1991: In einem 500 Kilometer langen Abschnitt des Jangtse zwischen Nanjing und Hukou wurden bei mehreren Begehungen maximal 12 Individuen gesichtet.
  • November 1997: Laut dem Institute of Hydrobiology wurden 23 Baijis, darunter ein Kalb, erfasst – Turvey et al. (2007) sprechen hingegen von lediglich 13 sicher bestätigten Sichtungen.
  • 1998: Nur noch sieben Tiere wurden dokumentiert.
  • 2001: Letzte bestätigte Strandung eines weiblichen Baiji.
  • 2002: Letzter sicherer Nachweis eines wild lebenden Baiji – ein Foto. Im selben Jahr starb das letzte in in menschlicher Obhut gehaltene Tier, das Männchen Qi Qi.

Rückblickend schätzen Wissenschaftler, dass die Gesamtpopulation des Chinesischen Flussdelfins bereits in den frühen 1990er-Jahren auf weniger als 100 Individuen geschrumpft war – bei einem historischen Verbreitungsgebiet von rund 1.700 Kilometer Flusslänge.

Qi Qi: Der bekannteste Chinesische Flussdelfin

Am 12. Januar 1980 wurde ein verletzter männlicher Flussdelfin im Dongting-See entdeckt – verfangen in einem Fischernetz und mit mehreren Angelhaken im Körper. Zur Behandlung wurde er an das Hydrobiologische Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Wuhan gebracht – und überlebte. Der Delfin erhielt den Namen Qi Qi und blieb über 22 Jahre lang das einzige dauerhaft gepflegte Exemplar seiner Art in menschlicher Obhut. Am 14. Juli 2002 starb er an Altersschwäche.

Qi Qi - der letzte Baiji
Das Gussmodell von Qi Qi, dem letzten bekannten Chinesischen Flussdelfin in menschlicher Obhut, ist heute in einer Vitrine des 1950 gegründeten Instituts für Hydrobiologie (IHB) in Wuhan, Provinz Hubei, China ausgestellt.
Huangdan2060, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Ein Jahr nach seiner Rettung richtete das Institut ein spezielles Baiji-Delfinarium ein, das 1992 modernisiert wurde. Die Anlage sollte dem Delfin ein ruhigeres Leben fernab von Schiffslärm, Fischereinetzen und Umweltverschmutzung ermöglichen – und zugleich wissenschaftliche Beobachtungen erlauben. Sie umfasste Innen- und Außengehege, ein Wasserfiltersystem, Labore, eine Futterküche, Lagerräume und ein kleines Museum. Auch touristische Einnahmen sollten das Projekt mitfinanzieren. Die Becken waren jedoch relativ klein; für eine dauerhafte Haltung mehrerer Tiere war die Anlage nicht ausgelegt.

Qi Qi wurde zur Symbolfigur des Artenschutzes in China. Internationale Bekanntheit erlangte er durch Douglas Adams und Mark Carwardine, die ihn 1990 im Rahmen ihrer BBC-Serie Last Chance to See besuchten. In ihrem Buch Die Letzten ihrer Art (1991) schilderten sie ihren Besuch in Wuhan.

Die Hoffnung, Qi Qi für ein Zuchtprogramm einsetzen zu können, erfüllte sich jedoch nie: Ein geschlechtsreifes Weibchen, das Ende 1995 eingefangen und in das Tian-e-Zhou-Reservat gebracht worden war, starb bereits nach sieben Monaten infolge einer Überschwemmung. Ein weiteres Tier, das 1998 in der Nähe von Shanghai gefangen wurde, verweigerte die Nahrungsaufnahme und starb nach wenigen Wochen.

Zwar zeigte Qi Qi, dass ein Chinesischer Flussdelfin prinzipiell in menschlicher Obhut überleben kann, doch blieb er der einzige Baiji, dem dies langfristig gelang. Mit seinem Tod endete 2002 auch das letzte Erhaltungszuchtprojekt für die Art.

Dieses Video zeigt historische Aufnahmen von Qi Qi:

Auf der Suche nach dem Chinesischen Flussdelfin

Fast ein Jahrzehnt nach der letzten großen Bestandserhebung im Jahr 1997, bei der lediglich 13 bis 23 Individuen gezählt wurden, initiierte der Schweizer Ökonom August Pfluger, Geschäftsführer der baiji.org Foundation, eine neue, umfassende Suchaktion. Er finanzierte eine sechswöchige Expedition, bei der ein internationales Team nach dem Chinesischen Flussdelfin suchte.

Die Expedition wurde von Samuel T. Turvey geleitet und fand von November bis Dezember 2006 statt. Ziel war es, systematisch das gesamte historische Verbreitungsgebiet des Baiji zwischen Yichang und Shanghai zu untersuchen. Die Suche kombinierte modernste akustische und visuelle Methoden: Zwei Forschungsschiffe durchkämmten parallel die beiden Uferseiten des Jangtse, unterstützt von einem Hydrophon, das kontinuierlich nach den typischen Echoortungslauten des Delfins horchte.

Trotz des hohen Aufwands blieb die Suche erfolglos – kein einziger Baiji wurde gesichtet oder gehört. In ihrem Fachartikel First human-caused extinction of a cetacean species? (2007) kamen die Autoren zu einem ernüchternden Fazit:

„Der Baiji ist nun wahrscheinlich ausgestorben oder zumindest funktional ausgestorben.“

Turvey et al., 2007.

Dabei handelte es sich um den weltweit ersten Vorschlag, die Art als funktional ausgestorben zu betrachten. Selbst wenn noch einzelne Tiere existieren sollten, sei eine reproduktive Population äußerst unwahrscheinlich. Die Forscher schreiben weiter:

„Dies ist das erste weltweite Aussterben eines großen Wirbeltiers seit über 50 Jahren, das vierte Verschwinden einer gesamten Säugetierfamilie seit 1500 n. Chr. und die erste Walart, die durch menschliche Aktivitäten ausgerottet wurde. Sofortige und drastische Maßnahmen könnten erforderlich sein, um das Aussterben anderer gefährdeter Cetaceen zu verhindern, darunter auch der sympatrisch vorkommende Jangtse-Glattschweinswal (…).“

Turvey et al., 2007.

Auch spätere Erhebungen brachten keinen Nachweis für die Existenz überlebender Baijis. Der Hydrobiologe Zhigang Mei und sein Team führten im Jahr 2012 eine umfassende Zählung der Jangtse-Glattschweinswale (Neophocaena asiaeorientalis asiaeorientalis) durch – ebenfalls im Jangtse und seinen angrenzenden Seen. Doch auch hier blieb der Baiji unsichtbar. In The Yangtze finless porpoise: On an accelerating path to extinction? zogen Mei et al. (2014) einen besorgniserregenden Vergleich:

„Der Baiji verschwand, bevor wir vollständig begriffen hatten, wie nahe er dem Aussterben war. Nun folgt der Jangtse-Glattschweinswal einem ähnlichen Verlauf.“

Mei et al., 2014.

Tatsächlich verzeichneten die Forscher zwischen 2006 und 2012 einen jährlichen Rückgang der Glattschweinswal-Population um 13,7 Prozent – eine Parallele zum vorherigen Niedergang des Baiji.

Eine offizielle Neubewertung erfolgte schließlich durch die US-Behörde NOAA/NMFS, die im Rahmen eines 5-Jahres-Reviews (2025) bestätigte, dass seit 2006 weder Sichtungen noch akustische Nachweise oder Totfunde des Baiji dokumentiert wurden.

Chinesischer Flussdelfin im Museum of Hydrobiological Sciences, Wuhan Institute of Hydrobiology of the Chinese Academy of Sciences
Präparat eines adulten Chinesischen Flussdelfins im Museum für Hydrobiologische Wissenschaften am Wuhan-Institut für Hydrobiologie (Chinesische Akademie der Wissenschaften). Über das Einzeltier ist kaum etwas bekannt.
Alneth, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Baiji-Sichtungen: Grund zur Hoffnung?

Seit der erfolglosen Suche nach dem Chinesischen Flussdelfin im Jahr 2006 kursieren immer wieder Berichte über mögliche Beobachtungen. Bisher konnte allerdings keine der Sichtungen wissenschaftlich zweifelsfrei bestätigt werden.

2007: Video aus Tongling

Im August 2007 sorgte eine Videoaufnahme aus dem Tongling-Naturreservat für Süßwasserdelfine in der ostchinesischen Provinz Anhui für weltweite Aufmerksamkeit. Ein Mann hatte ein großes, weißes Tier, das mehrmals aus dem Wasser sprang, in etwa einem Kilometer Entfernung im Jangtse gefilmt. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete über den Vorfall.

Zwar hielten einige Experten vom Institut für Hydrobiologie eine Baiji-Sichtung zunächst für möglich, doch spätere Einschätzungen – unter anderem von Turvey (2008) – deuten eher auf einen Jangtse-Glattschweinswal hin.

2016: Unbestätigte Beobachtungen bei Wuhu

Vergleich: Baiji & Jangtse-Glattschweinswal
Vergleich Chinesischer Flussdelfin und Jangtse-Glattschweinswal: Der Baiji hat eine lange, schlanke Schnauze und eine deutlich sichtbare Rückenfinne. Der Glattschweinswal besitzt dagegen keinen sichtbaren Schnabel und auch keine Rückenfinne.

Im Oktober 2016 meldeten Amateur-Naturschützer, dass sie während einer siebentägigen Expedition auf dem Jangtse bei Wuhu dreimal ein großes, weißes Tier aus dem Wasser auftauchen gesehen haben. Auch einige örtliche Fischer bestätigten unabhängig voneinander, es könne sich um einen Baiji gehandelt haben. Bild- oder Tonmaterial existiert nicht.

Die Beobachtungen wurden unter anderem vom britischen Guardian (2016) aufgegriffen. Der Expeditionsleiter Song Qi sagte gegenüber Medien, kein anderes Tier könne so aus dem Fluss springen – gleichzeitig räumte er aber ein, kein Delfinexperte zu sein. Turvey mahnte in einer E-Mail an den Guardian zur Zurückhaltung: Ohne eindeutige Beweise wie Fotos, DNA-Spuren oder akustische Aufzeichnungen könne man nicht von einer Wiederentdeckung sprechen. Er plädierte vielmehr dafür, den Fokus auf die akut vom Aussterben bedrohten Jangtse-Glattschweinswale zu richten.

2017: Noch ein Video

2017 veröffentlichte die Umweltstiftung CBCGDF (China Biodiversity Conservation and Green Development Foundation) ein Video, das angeblich einen Baiji zeigte. Doch die sichtbaren Merkmale sprechen laut Experten für einen Glattschweinswal: ein gerundeter Rücken, runder Kopf und das Fehlen von Rückenfinne und Schnauze. Der Konsens ist, dass diese Beobachtung mit großer Wahrscheinlichkeit kein Baiji darstellt (Parsons et al., 2025).

2018: Ein Baiji inmitten von Glattschweinswalen?

Baiji-Sichtung?
Mögliche Baiji-Sichtung? Dieses Foto, das gelegentlich mit der 2016er-Sichtung in Verbindung gebracht wird, stammt wahrscheinlich von einer späteren Beobachtung – vermutlich von der dokumentierten Sichtung bei Tongling im Jahr 2018.
Minipopl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Während einer Expedition der CBCGDF im April 2018 beobachteten Flusswächter bei Tongling ein auffallend helles Tier, das gemeinsam mit einer Gruppe von Glattschweinswalen auftauchte. Zwei Fotos zeigen ein Tier mit heller Färbung und langer Schnauze – Merkmale, die an den Baiji erinnern. Die Online-Zeitschrift The World of Chinese berichtete 2019 über die Sichtung, wies jedoch auf die schwierigen Lichtverhältnisse und die große Entfernung beim Fotografieren hin.

Zwar hielten Beteiligte das Tier für einen Flussdelfin und ein anwesender Experte bestätigte die Beobachtung vor Ort, doch Forschende des Instituts für Hydrobiologie blieben zurückhaltend: Die auffällige Schnauze spreche zwar für den Baiji, doch die Rückenfinne sei nicht eindeutig zu erkennen. Man könne daher allenfalls von einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ sprechen.

Dass die Sichtung ausgerechnet im Tongling-Abschnitt erfolgte, überrascht nicht – die Region mit ihren Seitenarmen gilt als eines der letzten Rückzugsgebiete des Baiji. Eine unabhängige Bestätigung steht allerdings bis heute aus.

2024: Aktuelles Video sorgt für Diskussion

Am 14. Mai 2024 veröffentlichte CBCGDF ein neues Video, das angeblich zwei Chinesische Flussdelfine im Jangtse zeigt. Das Team beobachtete zunächst mehrere Glattschweinswale in einem „Baiji-Schutzgebiet“, entdeckte dann jedoch zwei auffällig größere Tiere mit langer Schnauze und sichtbarer Rückenfinne – Merkmale, die für den Baiji typisch sind.

Trotz der Aussage eines Expeditionsberaters, das Video belege eindeutig die Existenz von Baijis, äußerten Fachleute erhebliche Zweifel: Ein Wasserbiologe betonte gegenüber The Paper, dass verwackelte und unscharfe Handyaufnahmen keine verlässliche Artbestimmung ermöglichen. Ein weiterer Experte vermutete, bei den Tieren handle es sich schlicht um Glattschweinswale. Bislang fehlt eine unabhängige Überprüfung.

Vorsicht vor falscher Hoffnung: Unbestätigte Sichtungen des Baiji

Jangtse-Glattschweinswale
Da der Jangtse-Glattschweinswal (Bild) im selben Flusssystem lebt wie der Chinesische Flussdelfin, gehen viele angebliche Baiji-Sichtungen vermutlich auf Verwechslungen mit dieser Art zurück.
Huangdan2060, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Seit der letzten bestätigten Sichtung 2002 gibt es immer wieder Berichte über vermeintliche Baiji-Beobachtungen. Doch bislang konnte keine dieser Meldungen wissenschaftlich verifiziert werden. Die meisten dürften auf Verwechslungen mit dem Jangtse-Glattschweinswal zurückzuführen sein. Selbst wenn einzelne Sichtungen korrekt wären, ist nicht davon auszugehen, dass noch eine überlebensfähige Population existiert.

Sam Turvey, der 2006 die letzte große Suchaktion leitete, warnt vor den Folgen solcher unbelegten Berichte. In einem Interview mit Emily Osterloff (2022) betont er: Unkritisch verbreitete Sichtungsmeldungen wecken falsche Hoffnungen und lenken von der ökologischen Krise im Jangtse ab. Medienberichte über angebliche Baiji-Sichtungen seien bislang nie durch Belege gestützt worden, obwohl der Fluss regelmäßig wissenschaftlich überwacht wird, etwa im Rahmen von Schutzprogrammen für den Glattschweinswal.

Für Turvey steht fest: Wenn ein so großer Säuger trotz intensiver Suche nicht auffindbar ist, spricht vieles dafür, dass er tatsächlich verschwunden ist. Dennoch bleibt eine wissenschaftliche Restunsicherheit. Auch Turvey räumt ein: „Ist das Fehlen von Beweisen wirklich ein Beweis für das Fehlen?“ Solange belastbare Nachweise fehlen, gilt der Chinesische Flussdelfin daher weiterhin als „vom Aussterben bedroht (möglicherweise ausgestorben)“. Doch die Hoffnung, dass der Baiji überlebt hat, ist nur noch schwach und sollte den Blick auf notwendige Schutzmaßnahmen für andere Arten nicht verstellen.

Die Industrialisierung Chinas & das Verschwinden des Baiji

Der Jangtse, Chinas längster Fluss, war über Jahrtausende hinweg eine Lebensader für Mensch und Tier. Mit der rasanten Industrialisierung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wandelte er sich jedoch zunehmend zu einem Schauplatz ökologischer Krisen. Rund zwölf Prozent der Weltbevölkerung leben und arbeiten im Einzugsgebiet des Jangtse, was das Gleichgewicht des Flusssystems enorm veränderte (Braulik et al. 2005).

Für den Chinesischen Flussdelfin, der einst weite Abschnitte des Flusses durchstreifte, bedeutete dies einen schleichenden Verlust seines Lebensraums. Der Baiji war auf ausgedehnte, zusammenhängende und vergleichsweise ruhige Flussbereiche mit klarem Wasser und stabilem Fischbestand angewiesen. Doch durch die Vielzahl an großflächigen Eingriffen – etwa Staudämme, Uferbefestigungen, Kanalisierungen, intensive Schifffahrt und Industrialisierung – verschwanden seine Rückzugsräume nach und nach.

Der Lebensraumverlust äußerte sich auf unterschiedliche Weise: durch die direkte Zerstörung von Flussabschnitten, durch akustische und chemische Belastungen sowie durch die Fragmentierung des Flusses in isolierte Teilräume, die der Baiji nicht mehr erreichen konnte. So wurde aus einem ursprünglich vielfältigen und dynamischen Lebensraum ein zunehmend lebensfeindliches Umfeld.

Staudämme als Barrieren für die Artenvielfalt

Bereits in den 1950er-Jahren begann China mit dem großflächigen Ausbau von Wasserkraftanlagen. Der Xinan-Damm (1957–1977) in der Provinz Zhejiang war einer der ersten Großdämme des Landes. Seine Errichtung trug maßgeblich zum Verschwinden des Baiji aus dem Qiantang- und Fuchun-Flusssystem bei – die Verbindung zum Hauptstrom des Jangtse war gekappt, der Lebensraum unbewohnbar geworden.

Durch den Bau des Wanan-Damms (1981–1990) wurde der Gan-Fluss vom Poyang-See abgeschnitten – einem der letzten Rückzugsgebiete des Baiji. Der See, einst ein bedeutender Lebensraum, verlor durch die Umleitung des Zuflusses seine ökologische Dynamik und der Delfin verschwand auch dort.

Drei-Schluchten-Damm in China
Der Drei-Schluchten-Damm bei Yichang gilt als das größte Wasserkraftwerk der Welt. Sein Aufstau veränderte das Ökosystem des Jangtse: Flusslebensräume, darunter Rückzugsgebiete des Baiji, gingen verloren. Die veränderte Strömungsdynamik, der reduzierte Sedimenttransport und sinkende Sauerstoffwerte beeinträchtigen zahlreiche Arten. Selbst im Mündungsgebiet zeigen sich ökologische Folgen – etwa durch steigenden Salzgehalt und die Ausbreitung invasiver Quallenarten.
Tomasz Dunn from Lodnon/Durham, UK, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)

Den wohl größten Einschnitt bedeutete jedoch die Errichtung des Gezhouba-Damms bei Yichang (1960–1989) am Hauptlauf des Jangtse. Durch ihn verlor der Baiji nicht nur den Zugang zu flussaufwärts gelegenen Habitaten, sondern auch mehr als 400 Kilometer wertvollen Lebensraum flussabwärts – etwa durch veränderte Sedimentführung, Schiffbarmachung und Wasserstandsregulierungen. Der Bau der Gezhouba-Talsperre hatte nicht nur Auswirkungen auf den Baiji, sondern war auch maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass der Schwertstör zwischen 2005 und 2010 ausstarb.

Als der Bau des Drei-Schluchten-Staudamms ab 1997 begann, war der Baiji-Bestand bereits stark dezimiert. Die ökologische Umgestaltung, die das Projekt mit sich brachte, traf die Art besonders hart: veränderte Strömungsverhältnisse, eingeschränkte Sichtverhältnisse durch Sedimentstau, vielerorts ein Rückgang typischer Beutefische – all das erschwerte dem Delfin die Nahrungssuche und Navigation.

Der Ausbau der Wasserkraft am Jangtse war eine der Hauptursachen für den Rückgang des Chinesischen Flussdelfins. Staudämme zerschneiden nicht nur Fließgewässer und verhindern Wanderbewegungen von Fischen, sie verändern auch Strömung, Wassertemperatur, Sauerstoffgehalt und Nahrungsketten.

Neben diesen ökologischen Folgen bergen wasserbauliche Infrastrukturen auch unmittelbare technische Risiken: So starb 1979 ein in einer Schleusenkammer eingeschlossener Baiji im Guganhe-Fluss (Jiangsu) – ein Vorfall, der das Verletzungs- und Sterberisiko für Flusstiere verdeutlicht (Parsons et al. 2025). Für eine ohnehin stark dezimierte Art wie den Baiji bedeuteten Staudämme nicht nur Habitatverlust, sondern auch den Zusammenbruch ihrer ökologischen Lebensgrundlage.

Wasserverschmutzung im Jangtse

Jangtse Wasserverschmutzung
Eine Industrieanlage am Ufer des Jangtse: Ungereinigte Abwässer aus Fabriken zählen zu den Hauptursachen für die Verschmutzung des Flusses. Schadstoffe wie Schwermetalle, Pestizide und organische Verbindungen gelangen so in das Ökosystem – mit teils verheerenden Folgen für die Süßwasserbiodiversität.
High Contrast, CC BY 2.0 DE, via Wikimedia Commons)

Der Jangtse zählt heute zu den am stärksten verschmutzten Flüssen der Welt. Zwar berichtete Welt Online 2007 über eine Untersuchung des schweizerischen Wasserforschungsinstituts Eawag und des Hydrobiologischen Instituts Wuhan, wonach die Wasserqualität durch die enorme Verdünnungskraft des Flusses besser sei als zunächst angenommen, doch der ökologische Schaden ist unübersehbar. Vor allem in den letzten Jahrzehnten führten ungefilterte Industrieabfälle, landwirtschaftliche Rückstände und Haushaltsabwässer zu einem besorgniserregenden Anstieg toxischer Belastungen im Fluss.

Eine 2012 im Fachjournal Science veröffentlichte Analyse (Yang et al.) betont die zunehmende Verschmutzung als zentrale Ursache für den Rückgang vieler endemischer Arten. Besonders betroffen ist der Jangtse-Glattschweinswal, dessen Population jährlich um mehr als fünf Prozent schrumpft. Auch andere Arten, darunter der inzwischen in der Wildnis ausgestorbene Jangtse-Stör (Acipenser dabryanus), der China-Alligator (Alligator sinensis) und die stark bedrohte Jangtse-Riesenweichschildkröte (Rafetus swinhoei), von der weltweit vermutlich nur noch zwei männliche Tiere übrig sind, dürften zu den Verlierern der Flussverschmutzung zählen.

Laut Parsons et al. (2025) gehörte die Wasserverschmutzung zu den wichtigsten Auslösern für das Verschwinden des Baiji. Besonders gravierend wirkten dabei:

  • Nährstoffeinträge: Mehrere Millionen Tonnen Stickstoff und Phosphor aus Kunstdünger gelangen jährlich in den Jangtse. Die Folge: Sauerstoffmangel und Eutrophierung – mit fatalen Auswirkungen auf die Fischfauna und damit auch auf die Nahrung des Baiji.
  • Persistente organische Schadstoffe (POPs): Stoffe wie DDT, PCB oder Rückstände aus der Pharmaindustrie reichern sich im Fettgewebe von Meeressäugern an. Sie beeinträchtigen das Immunsystem, die Fortpflanzung und die Entwicklung – oft noch Jahrzehnte, nachdem ihre Verwendung verboten wurde.
  • Schwermetalle: Quecksilber, Blei und Cadmium stammen aus der Metallverarbeitung, Kohlekraftwerken und der Landwirtschaft. In Glattschweinswalen wurden hohe Konzentrationen in Leber, Niere und sogar in den Eierstöcken nachgewiesen – ein Indiz für reduzierte Fortpflanzungsfähigkeit.
  • Plastikmüll: Der Jangtse gilt als einer der größten Eintragsquellen von Plastik in die Meere. Mikroplastik kann die Verdauung stören, Schadstoffe freisetzen und das Immunsystem schwächen; größere Teile verursachen Verletzungen oder führen zu tödlichem Verheddern.

Im Stausee des Drei-Schluchten-Damms sammeln sich viele dieser Schadstoffe an und verstärken die ökologische Krise zusätzlich. Zwar wurden punktuell Kläranlagen gebaut und Altlasten saniert, doch der anhaltende Eintrag aus Industrie, Landwirtschaft und maroden Deponien übersteigt bislang alle Gegenmaßnahmen.

Insgesamt trug diese Mischung aus Altlasten, Industriechemikalien und wachsendem Plastikmüll maßgeblich zum Verschwinden des Baiji bei. Selbst wenn Schutzmaßnahmen gegriffen hätten, die Umweltbedingungen im Lebensraum des Flussdelfins waren in den letzten Jahrzehnten alles andere als artgerecht. „Der Jangtse sei für Millionen Jahre unverschmutzt geblieben“, die Wasserqualität habe sich jedoch seit den 1980er-Jahren so „dramatisch verschlechtert, und den Delfinen sei keine Zeit geblieben, sich umzugewöhnen,“ zitieren Douglas Adams und Mark Carwardine (1991) den chinesischen Baiji-Experten Kaiya Zhou.

Auch strukturelle Eingriffe in das Flusssystem verschlimmerten die Situation: Zwischen 1950 und 2010 verschwanden etwa zwei Drittel der Seen im mittleren und unteren Jangtse-Becken – ein Rückgang um das Volumen von 20 Millionen olympischen Schwimmbecken (Parsons et al. 2025). Entwässerung, Trockenlegung und Dämme trennten viele dieser Seen vom Fluss ab. Sie verloren ihre Fähigkeit, Wasser zu speichern oder Überschwemmungen abzupuffern – und mit ihnen verschwanden weitere Rückzugsräume für Süßwasserarten.

Schiffsverkehr: Lärm & Kollisionen

„Die chinesische Infrastruktur ist eher bescheiden. Es gibt Bahnlinien, aber da diese nirgendwo hinführen, ist der Yangtse (…) die Hauptverkehrsader des Landes. Er ist und war schon immer vollgestopft mit Schiffen – nur dass es früher Segelboote waren. Heute wird der Fluss ununterbrochen von den Motoren rostiger alter Dampfboote, Frachtschiffe, riesiger Fähren, Passagierdampfer und Barkassen aufgewühlt.“

Adams & Carwardine, 1991.

Der rapide anwachsende Schiffsverkehr auf dem Jangtse zählt laut Parsons et al. (2025) zu den zentralen Gefährdungsfaktoren für den Chinesischen Flussdelfin. Zwischen 2005 und 2019 hat sich das Frachtaufkommen im Fluss nahezu verdreifacht. Allein bei einer Erhebung im Jahr 2006 wurden fast 20.000 größere Schiffe auf dem Abschnitt zwischen Yichang und Shanghai gezählt.

Schiffsverkehr auf dem Jangtse
Frachtschiffe auf dem Jangtse bei Nanjing. Der zunehmende Schiffsverkehr zählt zu den größten Bedrohungen für Flusstiere wie den Chinesischen Flussdelfin – durch Kollisionen und anhaltenden Unterwasserlärm.
Ryu, Cheol, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Für den Baiji bedeutete diese Verkehrsdichte eine doppelte Bedrohung: Einerseits kam es regelmäßig zu Kollisionen mit Schiffsrümpfen oder Schiffsschrauben. Zwischen 1978 und 1985 sind mindestens zehn dokumentierte Todesfälle durch direkte Zusammenstöße belegt, weitere dürften unentdeckt geblieben sein. Auch Jangtse-Glattschweinswale sind nachweislich betroffen. Fischergemeinschaften berichten, dass Schiffsunfälle womöglich häufiger tödlich endeten als unbeabsichtigter Beifang.

Andererseits stellt der stetige Unterwasserlärm ein gravierendes Problem dar. Der Baiji ist auf sein Gehör angewiesen: Als Flussbewohner mit eingeschränktem Sehvermögen nutzt er Echoortung, um Beute zu finden, Hindernisse zu orten und sich zu orientieren. Doch der Lärmpegel auf dem Jangtse ist vielerorts so hoch, dass er die Echopeilung erheblich stört.

„Normalerweise findet der Delfin mit Hilfe seiner Echopeilung einen kleinen Ring auf dem Meeresboden, also muss die Lage schon ziemlich ernst sein, wenn er nicht mal mehr merkt, dass er kurz davor steht, ein Boot über den Schädel gezogen zu kriegen.“

Adams & Carwardine, 1991.

Moderne akustische Untersuchungen zeigen: In bis zu 72 Prozent der untersuchten Flussabschnitte liegen die Lärmpegel oberhalb der Schwelle für einen vorübergehenden Hörverlust beim Glattschweinswal – in acht Prozent sogar im Bereich permanenter Hörschäden (Parsons et al., 2025). Diese Zahlen lassen vermuten, dass auch der Baiji unter chronischem akustischen Stress litt.

Die gute Nachricht: Neue Schiffstechnologien, leisere Motoren und gesetzliche Regelungen wie das Yangtze River Protection Law von 2020 könnten zur Lärmreduktion beitragen. Es erlaubt den Behörden unter anderem, die Zahl der Schiffe zu begrenzen. Ob solche Maßnahmen allerdings noch rechtzeitig greifen, um verbleibende Arten wie den Glattschweinswal zu schützen, bleibt offen – für den Baiji kommen sie vermutlich zu spät.

Auswirkungen des Klimawandels auf den Jangtse-Fluss

Der Klimawandel hat in den letzten Jahrzehnten, so Parsons et al. 2025, spürbare Auswirkungen auf das Jangtse-Becken gezeigt. Dürren und Extremregenereignisse treten häufiger und intensiver auf – mit direkten Folgen für den ohnehin geschwächten Lebensraum des Baiji.

Während anhaltende Trockenperioden Flachwasserzonen und Nebengewässer austrocknen lassen, können Überschwemmungen Tiere aus vertrauten Bereichen verdrängen und in sauerstoffarme oder schadstoffbelastete Zonen treiben. Besonders betroffen sind die mittleren und unteren Flussabschnitte (der Lebensraum des Baiji), die im Einflussbereich des asiatischen Monsuns liegen. 2020 kam es infolge außergewöhnlich starker Regenfälle zu schweren Überschwemmungen; 2022 folgte eine historische Dürre: In der Monsunzeit fielen bis zu 80 Prozent weniger Niederschlag als üblich. Die Wasserstände in Jangtse, Dongting- und Poyang-See erreichten Tiefstwerte seit Beginn der Aufzeichnungen – mit einem Rückgang des Wasserspiegels im Poyang-See um bis zu zwölf Meter.

Langfristige Messreihen belegen einen Temperaturanstieg von 1,4 °C zwischen 1956 und 2018. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten die Temperaturen laut Modellrechnungen um weitere 1,0 bis 6,1 °C steigen, begleitet von einer Zunahme der jährlichen Niederschläge um bis zu 22 Prozent. Die daraus resultierenden Schwankungen der Wasserstände, Veränderungen in der Fließdynamik sowie der Rückgang von Fischpopulationen wirken sich direkt auf empfindliche Arten wie den Baiji aus. Wie Parsons et al. (2025) betonen, wird der Lebensraum des Chinesischen Flussdelfins durch den Klimawandel zunehmend unberechenbar und ökologisch instabil. Selbst bei stabilen Beständen hätte die Art erhebliche Schwierigkeiten gehabt, sich unter diesen Bedingungen langfristig zu behaupten.

Zhou et al. (2013) zeigen, dass die Populationsentwicklung des Baiji schon in der Vergangenheit eng mit klimatischen Schwankungen verknüpft war: In den letzten 100.000 Jahren schrumpfte der Bestand zunächst stetig, erreichte während der letzten Eiszeit einen Tiefpunkt und erholte sich nach dem Anstieg des Meeresspiegels wieder teilweise. Der rasante, menschengemachte Wandel der letzten Jahrzehnte ließ dem Flussdelfin allerdings kaum Zeit zur Anpassung.

Baiji – Genutzt für Fleisch, Öl & Leder

Qi Qi: Chinesischer Flussdelfin (Baiji)
Qi Qi: Er wurde 1980 verletzt aus dem Dongting-See gerettet und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2002 im Institut für Hydrobiologie.
Institute of Hydrobiology, Chinese Academy of Sciences, Public domain, via Wikimedia Commons)

Der Chinesische Flussdelfin wurde über Jahrhunderte von Menschen genutzt – für Fleisch, Öl und Leder. Bereits vor rund 1.000 Jahren warnten chinesische Chronisten vor einem Rückgang der Bestände (Parsons et al., 2025). Besonders gravierend dürfte die Bejagung während der Großen Hungersnot (1959–1961) gewesen sein, als jedes verfügbare Nahrungsmittel genutzt wurde. Obwohl die Jagd in den 1970er-Jahren offiziell verboten wurde, belegen Berichte vereinzelte illegale Tötungen bis in die 1980er-Jahre – teils sogar aus repräsentativen Gründen.

Auch für Forschungs- und Bildungszwecke wurden Baijis gefangen. Bekanntestes Beispiel ist das Männchen Qi Qi, das 1980 verletzt aus dem Dongting-See geborgen wurde und über zwei Jahrzehnte im Institut für Hydrobiologie lebte. Andere Tiere überlebten die Gefangenschaft hingegen nur wenige Tage oder Wochen. Versuche zur Zucht und späteren Auswilderung scheiterten – auch aufgrund unzureichender Haltungsbedingungen und fehlender Partner.

Im Rückblick betont die IUCN, dass die Entnahme einzelner Tiere aus einer ohnehin stark geschrumpften Population wahrscheinlich mehr geschadet als geholfen hat. Selbst gut gemeinte Projekte können zum Verschwinden einer Art beitragen, wenn sie isoliert stattfinden und nicht in ein professionell betreutes Schutzprogramm eingebettet sind.

Fischerei: Todesfalle & schrumpfende Nahrungsgrundlage

Über Jahrzehnte hinweg stellte die intensive und teils illegale Fischerei eine der größten Bedrohungen für den Chinesischen Flussdelfin dar. Fangmethoden wie Stellnetze, Reusen, Rolling Hooks sowie der Einsatz von Dynamit oder Strom führten zu zahlreichen Todesfällen. In den 1970er- und 1980er-Jahren wiesen mehr als die Hälfte aller tot aufgefundenen Baijis Verletzungen durch Fanggeräte auf. Allein durch Sprengungen starben zwischen 1978 und 1986 mindestens sechs Tiere (Parsons et al., 2025).

Fischerei in China
Ein kleines chinesisches Fischerboot mit Stellnetzen – traditionelle Fangmethoden wie diese wurden im Jangtse jahrzehntelang eingesetzt, trugen jedoch maßgeblich zum Rückgang des Baiji bei.
David Castor, CC0, via Wikimedia Commons)

Als besonders fatal galt die illegale Elektrofischerei. Dabei wird mit Gleichstrom ein Stromfeld erzeugt, das Fische lähmt, doch auch Flussdelfine wie der Baiji wurden betäubt und ertranken. Der Wildtierfotograf Zou Qian erklärte im Interview mit Hatty Liu (2019), dass diese Methode vermutlich für rund 40 Prozent der Todesfälle in den 1990er-Jahren verantwortlich war. Hinzu kam der unbeabsichtigte Beifang: Delfine verfingen sich in Netzen und konnten nicht mehr auftauchen.

Neben der direkten Gefährdung führte die jahrzehntelange Überfischung zu einem drastischen Rückgang der Fischbestände – fatal für den Baijis, die sich ausschließlich von Fischen ernähren. Heute gelten mehr als 30 Prozent der Fischarten im Jangtse als nahezu ausgestorben, darunter auch wichtige Beutetiere des Delfins. Selbst ehemals häufige Arten wie Karpfen haben über 90 Prozent ihrer Laichgebiete verloren.

Einen Wendepunkt markierte das Yangtze River Protection Law (2020): Ein umfassendes, zehnjähriges Fischereiverbot im Jangtse und seinen Hauptzuflüssen trat in Kraft. Über 230.000 Fischer wurden entschädigt, umgeschult oder beim beruflichen Neuanfang unterstützt. Ob die Maßnahme langfristig greift, hängt laut Parsons et al. (2025) entscheidend von der Kontrolle ab, denn illegale Elektrofischerei bleibt weiterhin ein Problem. Ob sich die Fischpopulationen und damit die Nahrungsgrundlage für Flussdelfine nachhaltig erholen können, bleibt offen.

Langsame Fortpflanzung als Überlebensrisiko

Sicherlich war auch die geringe Reproduktionsrate des Baiji ein entscheidender Risikofaktor für den Bestandserhalt. Nach einer Tragzeit von zehn bis elf Monaten wurde jeweils nur ein einziges Kalb geboren. Die Geburten lagen meist zwei Jahre auseinander, da die Jungtiere bis zu 20 Monate gesäugt wurden. Weibchen erreichten die Geschlechtsreife erst mit etwa sechs Jahren, Männchen mit vier. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei rund 24 Jahren.

Solche Fortpflanzungsparameter sind bei Zahnwalen nicht ungewöhnlich, doch im stark belasteten Jangtse-Ökosystem wurden sie zum Problem: Umweltstressoren wie Lärm, Wasserverschmutzung, Nahrungsmangel und direkte Todesursachen führten zu höheren Sterberaten – vor allem bei erwachsenen Weibchen. Die geringe Nachwuchsrate reichte unter diesen Bedingungen nicht aus, um die Verluste auszugleichen. Damit verschärfte die Biologie des Baiji den Abwärtstrend seiner ohnehin schrumpfenden Population.

Geringe genetische Vielfalt

Genetische Analysen des chinesischen Zoologen Xuming Zhou und seines Teams aus dem Jahr 2013 zeigen, dass der Baiji über eine außergewöhnlich geringe genetische Diversität verfügte – deutlich niedriger als bei vergleichbaren Säugetierarten. Die genetischen Unterschiede zwischen den Individuen waren minimal, was auf einen seit Langem bestehenden Mangel an genetischer Variation hindeutet.

Ursache dafür war vermutlich ein genetischer Flaschenhals am Ende der letzten Eiszeit: In dieser Phase schrumpfte die Population auf wenige überlebende Tiere zusammen, wodurch ein großer Teil des ursprünglichen Erbguts verloren ging. Diese genetische Verarmung setzte sich über Jahrtausende fort.

Chinesischer Flussdelfin Fötus
Fötus eines Chinesischen Flussdelfins im Museum für Hydrobiologische Wissenschaften in Wuhan. Das Tier wurde nach der Obduktion einer trächtigen Delfinkuh geborgen, die vermutlich im Januar 1974 bei einer Sprengung zur Schiffahrtsräumung im Jangtse ums Leben kam.
Calliston3, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Diese geringe genetische Vielfalt hatte weitreichende Folgen: Eine niedrige genetische Vielfalt schränkt die Anpassungsfähigkeit gegenüber Umweltveränderungen, neuen Krankheitserregern und Stressfaktoren ein. Gleichzeitig steigt das Risiko von Inzucht und der Anhäufung schädlicher Mutationen. Der Baiji fehlte es gewissermaßen an „evolutionärer Rohmasse“, um auf die rasanten ökologischen Umbrüche im Jangtse reagieren zu können.

In einem bereits stark degradierten Lebensraum wurde diese genetische Schwäche zum entscheidenden Nachteil: Selbst wenn einige Individuen überlebt hätten, wäre ihre Fähigkeit zur Regeneration und Anpassung vermutlich stark eingeschränkt gewesen. Die genetische Verarmung machte die Art in Kombination mit den massiven Umweltbelastungen im Jangtse-Ökosystem hochgradig verwundbar.

Schutzmaßnahmen für den Chinesischen Flussdelfin

Bereits in den 1970er-Jahren erkannte die chinesische Regierung den dramatischen Rückgang des Chinesischen Flussdelfins. Die gezielte Tötung wurde verboten, zerstörerische Fangmethoden wie Elektrofischerei und Rollhaken untersagt, erste Schutzgebiete entlang des Jangtse eingerichtet. 1978 folgte die Gründung eines Forschungszentrums für Süßwasserdelfine unter dem Dach des Hydrobiologischen Instituts in Wuhan, 1983 wurde der Baiji unter nationalen Schutz gestellt.

Schutzgebiete-Karte Chinesischer Flussdelfin
Karte der wichtigsten Schutzgebiete und Schutzstationen für den Chinesischen Flussdelfin entlang des Jangtsekiang. Zu sehen sind unter anderem das Shishou National Baiji Reserve, das Tian-e-Zhou-Oxbow-Schutzgebiet, mehrere Provinz- und Nationalschutzgebiete sowie der Drei-Schluchten-Staudamm (Three Gorges Dam), der einen erheblichen Einfluss auf das Ökosystem des Flusses hatte.
Chris_huh, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Trotz dieser Maßnahmen verschlechterte sich die Situation weiter. Die wirtschaftliche Entwicklung Chinas überholte jede Form von Umweltgesetzgebung, und Schutzvorgaben wurden in der Praxis kaum kontrolliert. Zwischen 1986 und 1993 wurden fünf offizielle Schutzgebiete entlang des Jangtse ausgewiesen – darunter nationale Reservate bei Shishou und Xin-Luo sowie das Tian-e-Zhou-Oxbow-Reservat, ein isolierter Altarm bei Shishou. Weitere Stationen mit Booten und Beobachtern sollten illegale Fischerei dokumentieren. Doch in vielen dieser Schutzgebiete wurden laut Parsons et al. (2025) auch weiterhin verbotene Methoden wie Elektrofischerei angewendet. Schadstoffe gelangten ungehindert flussabwärts, und der dichte Schiffsverkehr blieb bestehen. Ein trauriges Beispiel: Das einzige in ein Reservat umgesiedelte Delfinweibchen starb bereits nach sieben Monaten, verheddert in einem Netz.

Man versuchte zudem, einzelne Delfine in sogenannte halbnatürliche Reservate umzusiedeln, etwa in das Tian-e-Zhou-Reservat. Ziel war ein Zuchtprogramm mit späterer Rückführung in den Hauptstrom. Doch zwischen Planung und Umsetzung verging zu viel Zeit.

Ein grundlegendes Problem war die mangelnde Eignung fester Schutzgebiete. Wie Osterloff (2022) betont, war der Baiji kein ortstreuer Meeressäuger, sondern folgte wandernd den Fischbeständen im Fluss. Starre Schutzareale konnten seinem Verhalten kaum gerecht werden. Zudem gelangten Schadstoffe aus Industrie und Landwirtschaft weiterhin flussabwärts durch die Reservate, und Schiffe mussten nach wie vor die Binnenhäfen passieren. Schutzgebiete allein reichten also nicht aus, um das Überleben der Art zu sichern.

1989 wurde der Baiji auch unter dem US-amerikanischen Endangered Species Act als bedroht gelistet. 2001 verabschiedete China den Conservation Action Plan for Cetaceans of the Yangtze River, der Schutzgebiete, Aufklärung und Forschung vorsah. och auch dieses ambitionierte Programm scheiterte – an fehlenden finanziellen Mitteln, mangelnder internationaler Unterstützung und ausbleibender staatlicher Investitionsbereitschaft. Rund eine Million US-Dollar wären laut Schätzungen notwendig gewesen, um ein wirksames Schutzkonzept umzusetzen.

Während der Baiji in den Schutzgebieten verschwand, zeigte sich beim ebenfalls bedrohten Jangtse-Glattschweinswal ein anderes Bild: In den halbnatürlichen Reservaten wie Tian-e-Zhou konnten sich einige Populationen stabilisieren – ein Hoffnungsschimmer für künftige Schutzprojekte im Jangtse-System.

Jangtse-Glattschweinswal & Chinesischer Flussdelfin
Ausstellungsstücke zweier Süßwassersäuger aus dem Jangtse im National Zoological Museum of China: Der helle, größere Delfin mit langer Schnauze und Rückenfinne ist ein Chinesischer Flussdelfin, der kleinere, dunkle Wal ohne Finne ein Jangtse-Glattschweinswal.
FlyingBatt, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)

Fortschritte durch das Yangtze River Protection Law (2020)

In China hat sich der gesetzliche Rahmen zum Schutz der Süßwasserbiodiversität in den letzten Jahren deutlich verbessert. So besteht seit 2020 mit dem Yangtze River Protection Law ein umfassender gesetzlicher Rahmen zum Schutz des Flusses. Das Gesetz enthält zahlreiche Bestimmungen, die auch dem Baiji zugutekommen könnten, darunter:

  • ein zehnjähriges Fischereiverbot im gesamten Jangtse und seinen großen Nebenflüssen,
  • ein Verbot illegaler Fangmethoden wie Elektrofischerei und Sprengstoffeinsatz,
  • strengere Kontrollen von Umweltverschmutzung (unter anderem Pestizide, Plastik und Industrieabwässer),
  • die Förderung von Forschung, Schutzgebieten und Renaturierungsmaßnahmen
  • sowie Einschränkungen von Schifffahrt und Aquakultur bei Bedarf.

Zudem können Bürger und Organisationen erstmals Umweltschäden anzeigen; sogar Behördenvertreter können zur Rechenschaft gezogen werden. Ob das Gesetz tatsächlich wirksam umgesetzt wird, bleibt laut Parsons et al. (2025) abzuwarten. Frühere Schutzbemühungen scheiterten häufig an der mangelhaften Durchsetzung.

Chinesischer Flussdelfin: Aktueller Status und Bedrohungslage

Wie bereits im letzten 5-Jahres-Review von 2017 räumen die Autoren des aktuellen Reviews (Parsons et al., 2025) die Möglichkeit ein, dass einzelne Individuen noch existieren könnten. Doch es gibt keine gesicherten Nachweise, weshalb der Chinesische Flussdelfin weiterhin als akut vom Aussterben bedroht gilt – aufgrund folgender zentraler Faktoren:

  • Lebensraumverlust durch den Bau zahlreicher Staudämme zwischen 1950 und 1990,
  • Austrocknung, Verschmutzung und zunehmende Dürren,
  • frühere Bejagung für Fleisch, Öl, Leder und Zurschaustellung,
  • Beifang durch illegale Fangmethoden,
  • Kollisionen mit Schiffen und Lärmbelastung durch Binnenschifffahrt
  • sowie die unzureichende Umsetzung früherer Schutzmaßnahmen und Verbote.

Mit dem Yangtze River Protection Law besteht nun erstmals ein gesetzlicher Rahmen, der gezielte Eingriffe erlaubt. Die aktuelle Bewertung von Parsons et al. (2025) bestätigt die Beibehaltung des IUCN-Status: Der Chinesische Flussdelfin gilt weiterhin als akut vom Aussterben bedroht. Zwar gibt es gelegentlich unbestätigte Sichtungsmeldungen – insbesondere aus der Region Tongling –, doch bislang fehlt es an richtigen Nachweisen wie Fotos, Videoaufzeichnungen oder akustischen Signalen. Solange solche Belege ausbleiben und weitere gezielte Suchkampagnen ausstehen, kann der Baiji formal nicht als ausgestorben eingestuft werden.

Der Baiji war kein Einzelfall

Auch andere Walverwandte stehen heute am Rande des Aussterbens. Besonders besorgniserregend ist die Lage der Vaquita (Phocoena sinus), eines kleinen Schweinswals, der nur im nördlichen Golf von Kalifornien lebt. 2023 wurden noch zehn bis 13 Tiere gezählt, 2024 nur noch sechs bis acht. Zwar fließen große Summen in den Schutz der Art, und die mexikanische Regierung hat das Fischen im gesamten Verbreitungsgebiet verboten, doch die Zeit drängt. Im Juni 2024 gelangen seltene Videoaufnahmen der extrem seltenen Meeressäuger durch die Umweltschutzorganisation Sea Shepherd.

Vaquita
Falls der Baiji tatsächlich ausgestorben ist, dürfte die Vaquita derzeit der am stärksten bedrohte Meeressäuger der Welt sein. Die IUCN listet sie als „vom Aussterben bedroht“.
Paula Olson, NOAA, Public domain, via Wikimedia Commons)

Ebenfalls gefährdet ist der Jangtse-Glattschweinswal, der sich den Lebensraum mit dem Baiji teilt. Die IUCN listet ihn als „vom Aussterben bedroht“, da der Bestand in den letzten 40 Jahren stark geschrumpft ist: In den 1990er-Jahren lebten noch rund 3.600 Tiere im Jangtse, 2017 waren es nur noch knapp über 1.000. Dennoch hat der Jangtse-Glattschweinswal mehr Glück als der Baiji, denn er steht deutlich mehr im Fokus des Artenschutzes als dies beim Chinesischen Flussdelfin jemals möglich war. Es gibt sogar Ex-situ-Populationen, also Bestände und Zuchtprogramme außerhalb ihres natürlichen Lebensraums.

Dank der Schutzmaßnahmen und des seit 2020 geltenden zehnjährigen Fischereiverbots konnte der Bestand zuletzt auf etwa 1.250 Tiere stabilisiert werden. Dennoch bleibt das Aussterberisiko hoch. Eine chinesische Studie aus dem Jahr 2012 bewertete die Wahrscheinlichkeit, dass der Jangtse-Glattschweinswal in den nächsten 100 Jahren ausstirbt, als hoch ein.

Auch andere Fluss- und Meeressäuger sind bedroht: Der Atlantische Nordkaper (Eubalaena glacialis) zählt laut IUCN nur noch etwa 200 bis 250 adulte Tiere – vergleichbar mit dem Baiji-Bestand in den 1990er-Jahren. Und 2022 wurde der Dugong (Dugong dugon) in chinesischen Gewässern offiziell für „funktionell ausgestorben“ erklärt – wahrscheinlich aufgrund des Rückgangs von Seegraswiesen und Fischerei.

Nicht nur Meeressäuger sind betroffen: Der Schwertstör, einer der größten Süßwasserfische der Welt, verschwand zwischen 2005 und 2010. Der Bau eines riesigen Staudamms im Jangtse hatte ihm den Zugang zu seinen Laichplätzen flussaufwärts abgeschnitten.

Ein Problem vieler dieser Arten: Sie leben unter Wasser – und damit oft außerhalb unserer Wahrnehmung. Ihr Rückgang bleibt lange unbemerkt, bis es zu spät ist. Dabei erfüllen sie zentrale Funktionen in ihren Ökosystemen. Wale, Delfine und Schweinswale gehören zu den Schlüsselarten: Sie regulieren Beutepopulationen, transportieren Nährstoffe und tragen zur Stabilität des Nahrungsnetzes bei. Manche Großwale fördern durch ihre Ausscheidungen sogar das Wachstum von Phytoplankton – jenem Mikroalgenplankton, das etwa die Hälfte des globalen Sauerstoffs produziert.

Wenn solche Arten verschwinden, geraten ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht – mit kaum abschätzbaren Folgen. Die Geschichte des Baiji lehrt uns: Artenschutz darf nicht erst beginnen, wenn eine Art am Rand des Aussterbens steht. Rechtzeitiges Handeln ist entscheidend. Sonst wiederholt sich seine Geschichte immer wieder.


Quellen

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