Von Kaninchenkängurus, Rattenkängurus und Echten Kängurus
Das australische Breitkopfkänguru ist kein Känguru (Macropodidae), wie wir es kennen, sondern auf Familienebene ein Rattenkänguru (Potoroidae) und auf Gattungsebene ein Kaninchenkänguru (Potorous). Es ist nah mit den Eigentlichen Kängurus verwandt, unterscheidet sich aber in einigen Aspekten von diesen. Die Familie der Rattenkängurus umfasst vier Gattungen mit zwölf Arten, von denen vier in der Neuzeit ausgestorben sind: das Breitkopfkänguru, das Nacktbrustkänguru, das Nullarbor-Bürstenkänguru (Bettongia pusilla) und das Wüsten-Bürstenrattenkänguru (Bettongia anhydra).
Das Breitkopfkänguru ähnelte in seinem Körperbau mit den langen Hinter- und den kurzen Vorderbeinen zwar dem Eigentlichen Känguru, war aber kaum größer als ein Meerschweinchen und damit viel kleiner als die meisten Echten Kängurus: Die Kopf-Rumpf-Länge des Beuteltiers lag bei rund 30 Zentimetern, dazu kam ein Schwanz mit knapp 18 Zentimetern Länge. Sein Gewicht betrug gerade einmal etwa 800 Gramm.
Der englische Ornithologe John Gould schreibt 1844 in der wissenschaftlichen Erstbeschreibung über Hypsiprymnus platyops, dass sein Schädel „extrem breit“ sei. Diesem Umstand hat das Breitkopfkänguru seinen Trivialnamen zu verdanken. Auch die kurze und stumpfe Nase ist ungewöhnlich für die Gattung der Kaninchenkängurus und wird sonst eher mit dem Roten Rattenkänguru (Aepyprymnus rufescens) und dem ausgestorbenen Wüsten-Bürstenrattenkänguru assoziiert.
Breitkopfkänguru – Steckbrief
alternative Bezeichnungen | Moda, Mor-da, Warrack , Moort, Mort |
wissenschaftliche Namen | Potorous platyops, Hypsiprymnus platyops, Potorous morgani, Potorous platyops morgani |
englische Namen | Broad-faced Potoroo, Broad-faced Rat-kangaroo, Broad-toothed Potoroo |
ursprüngliches Verbreitungsgebiet | Australien |
Zeitpunkt des Aussterbens | 1875 |
Ursachen für das Aussterben | Lebensraumverlust, fehlende Brandrodungen der Aborigines, eingeschleppte Tiere, Tierseuchen |
Von der Entdeckung des Breitkopfkängurus
Über das Leben des vermutlich englischen, zwischen 1810 und 1815 geborenen Naturforschers John Gilbert war lange kaum etwas bekannt. Erst als 1938 im Nachlass des deutschen Zoologen und Botanikers Ludwig Leichhardt mehrere Briefe und Tagebücher auftauchten, konnte man sich ein Bild von Gilbert machen.
Als Gilbert bei der Zoological Society of London als Präparator arbeitete, lernte er den etwas älteren John Gould kennen, woraufhin diese sich 1838 zunächst gemeinsam als Forschungsreisende nach Australien begaben. Gilbert sammelte in den Folgejahren für Goulds Publikationen naturkundliche Studienobjekte und machte unzählige und teils einmalige Aufzeichnungen zu Vögeln. Er gilt auch als der erste westliche Forscher, der Beobachtungen zum 1928 ausgestorbenen Paradiessittich (Psephotus pulcherrimus) machen konnte.
Bis zu seinem Tod durch einen fliegenden Aborigines-Speer im Jahr 1845 sammelte Gilbert 432 Vogelbälge und 318 Säugetierexemplare; unter diesen befanden sich 36 neue Vogel- und 22 neue Säugetierarten – viele davon beschrieb Gould wissenschaftlich. Das Breitkopfkänguru gehörte dazu: Gilbert sammelte den Holotypus des Breitkopfkängurus 1842 an der australischen Südwestküste des Bundesstaates Western Australia nahe der Bucht King George Sound beziehungsweise im Dickicht rund um den Lake Walymouring. Zwei Jahre später beschrieb Gould das neue Taxon.
Breitkopfkängurus: Schon bei ihrer Entdeckung selten
Schon in den meisten frühen Berichten zum Breitkopfkänguru heißt es, dass es sich um eine seltene Spezies handele. Diese Bemerkung passt auch zu der geringen Anzahl an Exemplaren in heutigen Säugetiersammlungen in Museen. Zudem fand der im 19. Jahrhundert in Australien aktive englische Zoologe George Masters in den 1860er-Jahren lediglich fünf Breitkopfkängurus, was verglichen mit anderen von ihm gesammelten Spezies ziemlich wenig ist. Es heißt, zwischen 1874 und 1875 wurden die letzten fünf Breitkopfkängurus erlegt und an das National Museum in Victoria verkauft. Auch die Weltnaturschutzorganisation IUCN nennt 1875 als das Jahr, an dem die Art zuletzt nachgewiesen wurde.
Anfang des 20. Jahrhunderts keimte noch einmal kurz die Hoffnung auf, dass Breitkopfkängurus noch existieren könnten, als der Londoner Zoo 1908 ein vermeintliches Exemplar aus der Region vom Margaret River erwarb. Schnell stellte sich allerdings heraus, dass es sich lediglich um ein junges Quokka oder Kurzschwanzkänguru (Setonix brachyurus) handelte.
Warum ist das Breitkopfkänguru ausgestorben?
Wie auch beim Östlichen Hasenkänguru, das um 1890 verschwand und im Südosten Australiens endemisch war, dürften beim Breitkopfkänguru viele Aspekte zum Aussterben der Spezies geführt haben. Auch die IUCN nennt gleich fünf Ursachen, die in Wechselwirkung agiert haben sollen: verwilderte Katzen, eine exotische Krankheit, unkontrollierte Brandrodungen, Lebensraumverschlechterung durch die Beweidung des Graslandes durch Nutzvieh sowie auch Lebensraumverlust und -fragmentierung.
Verschiedene Wissenschaftler sind unterschiedlicher Ansicht, was letztendlich als Hauptursache anzusehen ist. Der Mammaloge Guy C. Shortridge geht in seinem 1910 veröffentlichten Aufsatz in den Proceedings of the Zoological Society of London davon aus, dass streunende Katzen und und ökologische Veränderungen wie Buschbrände den Niedergang des Breitkopfkängurus verursacht haben. Was streunende Katzen angeht, so weisen diverse Studien darauf hin, dass diese im gesamten Verbreitungsgebiet des Breitkopfkängurus anzutreffen waren. Es wäre nicht die erste Spezies Australiens deren Population durch Katzen oder andere invasive Arten, die es auf kleinere und mittelgroße Säugetiere abgesehen haben, dezimiert wurde. Ihr langer Schwanz der Breitkopfkängurus wirkte zudem sicherlich besonders faszinierend auf Katzen.
Der Biologe Ian Abbott geht in Historical Perspectives of the Ecology of some conspicuous vertebrate Species in south-west Western Australia (2008) davon aus, dass das Breitkopfkänguru vor allem wegen einer Tierseuche, die in seinen Lebensraum eindrang, verschwunden ist. Bernhard Kegel vermutet in Ausgestorbene Tiere (2021) „Jagd, invasive Arten (Katzen), Lebensraumzerstörung“ als Hauptursachen. Und die australischen Ureinwohner sollen, so David Day in The Doomsday Book of Animals (1983) den streunenden Katzen und den Buschfeuern durch Kolonisten die Schuld am Aussterben der Spezies gegeben haben.
Vermutungen dahingehend, dass in Australien eingeschleppte Rotfüchse (Vulpes vulpes) oder europäische Kaninchen das Breitkopfkänguru ausgerottet haben könnten, zweifeln die meisten Wissenschaftler an. Gemäß IUCN sei das Beuteltier bereits ausgestorben gewesen, als der Rotfuchs nach Western Australia kam, und als die Kaninchen das einsteige Verbreitungsgebiet der Breitkopfkängurus erreicht haben, seien die Bestandszahlen bereits rückläufig gewesen, so der Biologe Andrew W. Claridge in Bettongs, Potoroos, and the Musky Rat-kangaroo (2007).
Kaum etwas bekannt zur Lebensweise
Lebende Breitkopfkängurus fanden Naturforscher Mitte des 19. Jahrhunderts allesamt im Südwesten des Bundesstaates Western Australia. Subfossile Überreste deuten jedoch darauf hin, so eine australische Studie (2012) des Paläontologen Matthew C. McDowell, dass die Art einst ein viel größeres Verbreitungsgebiet gehabt haben muss. Dieses reichte vom südlichen Rand der Nullarbor-Wüste in Western Australia über die Känguru-Insel in South Australia bis hin zum Unterlauf des Murray River im Südosten Australiens. Das Breitkopfkänguru war ursprünglich also in den semiariden Küstengebieten im Südwesten von Australien verbreitet.
Die Aborigines im Gebiet des Margaret Rivers, die das Breitkopfkänguru Mor-da oder Warrack nannten, beschrieben die Beuteltiere als sich langsam bewegend und leicht zu fangen. Ansonsten ist über die Lebensgewohnheiten des Breitkopfkängurus ist so gut wie nichts bekannt. Man kann jedoch davon ausgehen, dass sie mit denen anderer Rattenkängurus übereinstimmen. Sie dürften im Gegensatz zu den sich von Pflanzen ernährenden Eigentlichen Kängurus Allesfresser gewesen sein. Das bedeutet, sie fraßen in erster Linie wohl Pilze, Insekten und Wurzeln.
Zum Lebensraum des Breitkopfkängurus gibt es auch nur spärliche Aufzeichnungen. Ein Informant berichtete John Gilbert etwa, dass die Beuteltierart in einem der Salzlagunen umgebenden Dickicht im Landesinneren aufgespürt werden konnte.
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