Schomburgk-Hirsch-Foto
Eine der wenigen Fotografien des ausgestorbenen Schomburgk-Hirsches. Das Bild wurde 1911 von Lothar Schlawe im Zoologischen Garten in Berlin aufgenommen. Lothar Schlawe, Public domain, via Wikimedia Commons)

Der Schomburgk-Hirsch – Existiert er vielleicht doch noch?

Das Rätsel um den Schomburgk-Hirsch

„Niemand scheint dieses Tier jemals gesehen zu haben; alles, was wir darüber zu wissen glauben, ist die Existenz seiner Geweihe“, notierte Phya Jolamark Bhicharana 1932 über den Schomburgk-Hirsch. Auch der amerikanische Biologe Francis Harper schrieb 1945, dass dieser Hirsch, den kein Europäer jemals lebend in freier Wildbahn erblickt hatte, außerhalb von Siam, dem heutigen Thailand, kaum bekannt war.

Heute gilt der Schomburgk-Hirsch offiziell als ausgestorben. Bis 1932 soll er noch durch die Überschwemmungsgebiete Zentral-Thailands gestreift sein. Dann wurde der letzte bekannte Bock von einem Offizier der thailändischen Polizei nahe Sai Yoke und Kwae Yai erschossen. Das letzte lebende Exemplar in menschlicher Obhut starb 1938 in einem Tempel in Samut Sakhon – getötet von einem betrunkenen Einheimischen. Es handelte sich um einen zahmen Hirsch, der dort offenbar als Haustier gehalten wurde.

Seit 1994 führt die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) den Schomburgk-Hirsch auf der Liste der ausgestorbenen Arten. Doch ein Fund aus Laos Anfang der 1990er-Jahre nährte Zweifel an diesem endgültigen Urteil – und weckt bis heute die Vorstellung, dass irgendwo in den Dschungeln Südostasiens eine kleine, verborgene Restpopulation überlebt haben könnte.

Es war ein Lastwagenfahrer, der in Laos zufällig auf zwei lose Geweihe, vermutlich ein Paar, stieß. Sie landeten schließlich in einem chinesischen Medizinladen in der Provinz Phongsali im äußersten Norden von Laos. Dort entdeckte sie im Februar 1991 der UN-Agronom Laurent Chazée. Er hielt diesen Fund für das Geweih eines Schomburgk-Hirschs und machte mehrere Fotos von den kunstvoll verzweigten Stangen.

Gerard B. Schroering griff diese Spur 1995 in seinem Bericht Swamp Deer Resurfaces auf. Der Ladenbesitzer habe ihm erzählt, der Hirsch sei erst ein Jahr zuvor in der Nähe erlegt worden. Schroering wertete den Fund deshalb als Hinweis darauf, dass Schomburgk-Hirsche vielleicht bis in die 1990er-Jahre überlebt haben könnten und dass sie tatsächlich auch in Laos vorgekommen seien. Die Zoologen Ross D. E. MacPhee und Clare Flemming (1999) sahen darin sogar einen hinreichenden Beleg dafür, dass die Art nie ausgestorben war.

Doch wie belastbar sind diese Hinweise wirklich? Könnte es sein, dass der Schomburgk-Hirsch tatsächlich mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem vermeintlichen Verschwinden noch existierte? Oder waren die Geweihe lediglich ein Relikt aus alten Jagdzeiten, das nach jahrzehntelangem Umlauf auf den Märkten von Indochina erneut aufgetaucht war?

Schomburgk-Hirsch – Steckbrief

alternative Bezeichnungsa-man
wissenschaftliche NamenRucervus schomburgki, Cervus schomburgki, Cervus duvaucelii schomburgki, Thaocervus schomburgki
englischer NameSchomburgk’s deer
ursprüngliches VerbreitungsgebietThailand
Zeitpunkt des Aussterbens1938
Ursachen für das AussterbenLebensraumverlust, Bejagung
IUCN-Statusausgestorben

Zweifel der IUCN – Kein Beweis für ein Überleben

Schomburgk-Hirsch Geweih
Der männliche Schomburgk-Hirsch hatte ein sehr verzweigtes Geweih, das in seiner Form an einen Korb erinnert.
(© Originalbild aus On Cervus schomburgki aus den Proceedings of the Zoological Society of London 1876)

Die IUCN betrachtet den Fund der Geweihe von 1991 in Laos mit großer Skepsis. Trotz dieser spektakulären Entdeckung sieht sie keinen Hinweis darauf, dass der Schomburgk-Hirsch zu diesem Zeitpunkt noch existierte. Schon 1941 hatte Leigh Williams in seinem Buch Green Prison. Twenty Years in Thailand geschrieben, dass Schomburgk-Geweihe regelmäßig gemeinsam mit gewöhnlichen Hirschgeweihen aus Paknampo und Korat nach Bangkok gebracht wurden – Hörner, die vermutlich schon damals viele Jahrzehnte alt waren. Auch der Bericht Wildlife trade in Lao P.D.R. and between Lao P.D.R. and Thailand von 1992 belegt, dass Geweihe des Schomburgk-Hirsches weiterhin in thailändischen Märkten kursierten.

Auch die Tochter des Ladenbesitzers, in dessen Geschäft die Geweihe 1991 entdeckt wurden, erklärte später, ihr Vater sei lediglich ein Zwischenhändler für Wildtierprodukte aus ganz Indochina gewesen. Für die IUCN sind das klare Indizien dafür, dass die in Laos gefundenen Geweihe nicht von einer noch lebenden Population stammen, sondern Überbleibsel eines regen Handels mit Hirschgeweihen sind. Hinzu kommt, dass der Ladenbesitzer, der 1991 zunächst behauptet hatte, das Geweih stamme von einem frisch getöteten Tier, bei einer erneuten Befragung 1996 laut des Wildlife in Lao PDR: 1999 Status Report jegliche Kenntnis über die Herkunft des Geweihs bestritt.

Laut IUCN wurde der Hinweis auf eine mögliche Restpopulation des Schomburgk-Hirsches von mehreren Forschern unabhängig voneinander weiterverfolgt, die in der Phongsali-Provinz sowohl Feldstudien als auch Interviews durchführten. Dabei konnten sie jedoch keinen neuen Hinweis auf das Vorkommen der Art finden und auch nicht klären, woher das Anfang der 1990er-Jahre entdeckte Geweih tatsächlich stammte.

Doch auch wenn die IUCN allen Spekulationen eine Absage erteilt, lässt eine neue Analyse von 2019 das Rätsel wieder aufleben. Diese Untersuchung bringt spannende Details ans Licht, die nahelegen, dass der Schomburgk-Hirsch womöglich länger überlebte als bisher angenommen.

Neue Hinweise – Das Rätsel lebt weiter

2019 wagten Gerard B. Schroering und der Biowissenschaftler Gary J. Galbreath einen erneuten Blick auf die Fotos, die Laurent Chazée 1991 von den beiden Geweihen in Laos gemacht hatte. Ihre Analyse bestätigte Chazées ursprüngliche Einschätzung: Die auffällig korbartige, stark verzweigte Struktur dieser Geweihe ist einzigartig unter den asiatischen Hirschen – sie gehört zweifellos zum Schomburgk-Hirsch.

Rucervus schomburgki im MNHN Paris
Der Schomburgk-Hirsch zeichnete sich durch braunes Fell aus, erreichte eine Kopfrumpflänge von 180 Zentimetern und eine Schulterhöhe von etwa 104 Zentimetern. Das Gewicht männlicher Tiere lag zwischen 100 und 120 Kilogramm.
(© Doreen Fräßdorf, Muséum national d’histoire naturelle in Paris, 2024)

Doch die bloße Form allein ist kein Beweis dafür, dass dieser Hirsch in den 1990er-Jahren tatsächlich noch lebte. Vielleicht stammten die Geweihe von Tieren, die schon vor Jahrzehnten gestorben waren. Schroering und Galbreath wollten es genauer wissen. Sie suchten nach Hinweisen, die ein jüngeres Alter belegen könnten. Und tatsächlich entdeckten sie auf den Fotos Details, die stutzig machten: Das Knochenmark wirkte erstaunlich frisch, und das Blut an den Geweihen war noch nicht vollständig getrocknet. Normalerweise wird Blut mit der Zeit schwarz, hier jedoch zeigte es sich noch in einem rötlich-braunen Farbton – ein Zeichen dafür, dass das Geweih nicht alt sein konnte.

Galbreath erklärte außerdem, dass Geweihe in den feuchten Tropen höchstens einige Monate so frisch bleiben würden, bevor das Blut schwarz und das Knochenmark spröde würde. Zudem ließ die saubere Schnittstelle darauf schließen, dass das Geweih direkt vom Kopf eines frisch getöteten Hirsches stammte.

Für Schroering und Galbreath waren all diese Indizien ein starkes Signal: Der Schomburgk-Hirsch könnte Anfang der 1990er-Jahre tatsächlich noch gelebt haben – und vielleicht sogar noch immer existieren. Manche Fachleute vermuten heute, dass die bisherigen Suchexpeditionen nach der Art in den falschen Regionen stattfanden. Und so bleibt das Rätsel um den Schomburgk-Hirsch weiter bestehen.

Als der Schomburgk-Hirsch selten wurde

Ende des 19. Jahrhunderts waren die Schomburgk-Hirsche noch ein vertrauter Anblick in den weiten Überschwemmungsgebieten Zentralthailands. Ganze Herden zogen zwischen 1900 und 1910 durch die Sümpfe rund um die Stadt Rangsit, berichtete Francis Harper 1945 in Extinct and Vanishing Mammals of the Old World. Doch kaum zwei Jahrzehnte später war der Schomburgk-Hirsch plötzlich fast verschwunden.

Die IUCN weist heute darauf hin, dass europäische Beobachter wie Arthur S. Vernay, die eigens nach diesen Hirschen suchten, sie in freier Wildbahn nie zu Gesicht bekamen. Das lag jedoch weniger daran, dass die Tiere tatsächlich unsichtbar oder nicht da waren, sondern daran, dass Begegnungen selten dokumentiert wurden. Ingenieure und Arbeiter, die beim Bau der Paknampo-Eisenbahn halfen, dürften den Hirsch durchaus gekannt haben – gejagt wurde er wohl auch, doch Berichte darüber fehlen. So bleibt vieles im Dunkeln und erschwert es bis heute, das ursprüngliche Verbreitungsgebiet dieser Art lückenlos zu rekonstruieren.

Phya Jolamark Bhicharana, ein thailändischer Gelehrter, war einer der wenigen, die sich ab 1914 systematisch auf die Spur des Schomburgk-Hirsches machten. In seinem Bericht Notes on the Schomburgk deer von 1932 schilderte er, wie er zunächst herausfinden musste, welchen Namen die Einheimischen dem Hirsch gaben – „sa-man“. Dann wandte er sich an alte Landvermesser, die ihm von Herden berichteten, die sie in großer Zahl gesehen hatten – vor allem in der Gegend zwischen den Flüssen Suphan und Menam Noi.

1926 schickte Bhicharana Suchtrupps in diese Region, doch die Rückmeldungen waren ernüchternd: Aus dem einst dichten Bambusdschungel waren Reisfelder geworden, die Tiere schienen verschwunden. Zwei Jahre später hörte er von einem einzelnen überlebenden Hirsch, doch auch dieser war 1930 nicht mehr aufzufinden.

Bhicharana sammelte jedoch Spuren: deformierte Geweihe, die tief im Dschungel gefunden wurden, Schomburgk-Geweihe in den Häusern von Anwohnern und Aussagen von Bezirksvorstehern, die bestätigten, dass die Art einst hier gelebt hatte. Ein Vorsteher zeigte ihm sogar Geweihe eines Hirsches, der erst drei Jahre zuvor erlegt worden war.

All diese Indizien führten Bhicharana zu einem interessanten Fazit: Vielleicht, so schrieb er, gab es in den entlegenen Regionen zwischen Mae Nam Suphan und Mae Nam Mae Klong oder im Gebiet von Aranya Pradesa noch ein paar letzte Schomburgk-Hirsche. Sein Bericht ist bis heute eine wertvolle Quelle – nicht nur, weil er die letzten Spuren dieser Art festhält, sondern auch, weil er zeigt, wie sehr menschliche Eingriffe ihren Lebensraum zerstörten – und wie lange dennoch die Hoffnung überlebte, irgendwo könnte es die Hirsche noch geben.

1931 schließlich empfahl die Siam Society offiziell, den Schomburgk-Hirsch unter vollständigen Schutz zu stellen. Doch dafür war es längst zu spät.

Warum der Schomburgk-Hirsch ausstarb

Einst durchstreiften die Schomburgk-Hirsche die weiten, sumpfigen Ebenen Zentralthailands, besonders die Flussniederungen des Chao-Phraya nahe Bangkok. Sie waren nachtaktive Tiere, die sich in kleinen Herden bewegten: ein erwachsenes Männchen, einige Weibchen, dazu der Nachwuchs. Dichtere Vegetation mieden sie offenbar – vermutlich, um mit ihren mächtigen Geweihen nicht stecken zu bleiben.

Schomburgk-Hirsch
Das verzweigte Geweih des Schomburgk-Hirsches ist charakteristisch für diese Art. Es war nicht nur eindrucksvoll anzusehen, sondern auch in der traditionellen Medizin Südostasiens hoch begehrt.
Internet Archive Book Images, No restrictions, via Wikimedia Commons)

Doch im späten 19. Jahrhundert veränderte sich diese Landschaft unwiderruflich. Thailand begann, die sumpfigen Grasländer in riesige Reisfelder zu verwandeln. Bewässerungskanäle durchzogen bald die einst unberührten Überschwemmungsflächen, Eisenbahnlinien schnitten durch die Feuchtgebiete. Wo früher dichte Grasinseln die Hirsche verbargen, wuchsen nun Reispflanzen in schnurgeraden Reihen. Der Lebensraum der Schomburgk-Hirsche wurde immer kleiner und immer häufiger von Menschen betreten.

Mit dem Schwinden ihres Lebensraums wuchs die intensive Bejagung. Besonders während der Regenzeit, wenn das Hochwasser die Tiere auf wenige trockene Inseln drängte, wurden sie zu leichten Opfern. In Booten näherten sich die Jäger, trieben die Hirsche zusammen und erlegten sie mit Speeren, so schilderten es Zeitzeugen.

Doch es war nicht nur die Jagd zur Nahrungsversorgung. Das Geweih des Schomburgk-Hirsches wurde auch wegen seiner angeblichen Heilkräfte hochgeschätzt – vor allem in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Francis Harper vermutete später, dass diese Geweihe noch begehrter waren als die von Sambar-Hirschen (Rusa unicolor) oder Leierhirschen (Rucervus eldii). Überlieferte Aufzeichnungen fehlen, welche Wirkung dem Horn des Schomburgk-Hirsches konkret zugeschrieben wurde. Doch von anderen Hirscharten weiß man, dass ihr Horn als Stärkungsmittel für Blut, Lebenskraft und Ausdauer gilt – und auf dem Schwarzmarkt in China, Laos, Vietnam, Kambodscha und Japan heiß begehrt ist.

Die Nachfrage nach Heilmitteln aus Wildtierprodukten ist bis heute ungebrochen: Schätzungsweise 1.500 Tier- und 5.000 Pflanzenarten werden in der traditionellen Medizin genutzt. Seepferdchen sollen angeblich Impotenz heilen, Hirsche, Schlangen und Bären die Potenz steigern, Nashornhorn Krämpfe und Schlaflosigkeit vertreiben. Auch der Kouprey und das Vietnamesische Nashorn fielen in Südostasien dieser Gier nach „natürlicher Medizin“ zum Opfer – beide Arten sind heute ausgestorben.

So wurde der Schomburgk-Hirsch letztlich zu einem weiteren Opfer von Lebensraumzerstörung, intensiver Bejagung und einer ungebremsten Nachfrage nach Wildtierprodukten.

Zum Verbreitungsgebiet des Schomburgk-Hirsches

Über viele Jahrzehnte war es eine Gewissheit: Der Schomburgk-Hirsch war eine rein thailändische Art, fest verankert in den Überschwemmungsebenen der zentralen Ebene Thailands. Dort lebte er inmitten von Grasinseln und Flussarmen – und nirgends sonst. So lautete zumindest der Konsens der Zoologen.

Doch dann, in den frühen 1990er-Jahren, tauchten in Laos überraschend zwei Geweihe auf. Ein Fund, der für Aufsehen sorgte – und für Spekulationen: Könnte es sein, dass diese Hirsche entgegen aller Erwartungen in entlegenen laotischen Wäldern überlebt hatten? Oder handelte es sich einfach nur um Überbleibsel eines jahrhundertealten Handels mit Hirschgeweihen, der weit über Thailands Grenzen hinausreichte?

Die IUCN bleibt bei ihrer vorsichtigen Einschätzung. Sie betont: Es gibt keine stichhaltigen Beweise dafür, dass der Schomburgk-Hirsch je außerhalb Thailands heimisch war. Er gilt daher als endemisch für das Königreich – und dort als sicher ausgestorben.

Thailand-Leierhirsch
Mögliche Sichtungen von Schomburgk-Hirschen könnten auf Verwechslungen mit dem Thailand-Leierhirsch (Bild) zurückzuführen sein.
Kongkham6211, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Schon Francis Harper berichtete 1945 in Extinct and Vanishing Mammals of the Old World von vereinzelten, aber kaum belastbaren Hinweisen auf Vorkommen in Yunnan, den Shan-Staaten (heutiges Myanmar) oder Indochina. Solche Berichte basierten meist auf mündlichen Überlieferungen, die sich nie eindeutig verifizieren ließen. Harper selbst urteilte, dass die Hinweise „höchst ungenau“ oder gar „falsch“ seien.

Auch Jahrzehnte später, 2008, bestätigte der Zoologe Gary Galbreath diese Zweifel in einer Neubewertung für die IUCN. Er vermutete, dass viele dieser Geschichten schlicht auf Verwechslungen mit dem ähnlichen Thailand-Leierhirsch (Rucervus eldii siamensis) zurückzuführen sein könnten. So blieb – trotz all der Gerüchte – nur die zentrale thailändische Ebene als gesicherter Lebensraum des Schomburgk-Hirsches.

Trotzdem ließen die Forscher nicht locker. Hinweise von Schroering (1995), MacPhee und Flemming (1999) und anderen wurden erneut überprüft. Teams wie das von J. W. Duckworth reisten in entlegene Provinzen wie Phongsali in Laos, führten Interviews und durchkämmten die Wälder. Doch ihre Mühe brachte keine neuen Belege, keine lebenden Hirsche, keine eindeutigen Spuren.

Angesichts der Tatsache, dass diese Überschwemmungsflächen in den letzten 150 Jahren fast vollständig in Ackerland umgewandelt wurden, hält die IUCN ein Überleben des Schomburgk-Hirsches für äußerst unwahrscheinlich. Dennoch mahnt sie zur Wachsamkeit: Jeder neue Hinweis, so klein er auch sein mag, sollte mit größter Sorgfalt geprüft werden. Und sollte sich eines Tages doch herausstellen, dass irgendwo ein letzter Schomburgk-Hirsch lebt, wäre klar – dann müsste alles darangesetzt werden, ihn und seine Art zu schützen.

Schomburgk-Hirsch: Entdeckung, Herkunft und Taxonomie

Der Zoologe Edward Blyth studierte 1863 einige Geweihe, die aus dem fernen Siam – dem heutigen Thailand – nach London gelangt waren. Einst von einer siamesischen Delegation Königin Victoria überreicht, fanden diese Geweihe schließlich ihren Platz im South Kensington Museum. Blyth erkannte darin eine bislang unbekannte Hirschart und beschrieb sie wissenschaftlich. Er gab ihr den Namen Schomburgk-Hirsch, zu Ehren des deutschen Forschungsreisenden Robert Hermann Schomburgk, der von 1857 bis 1864 als britischer Generalkonsul in Bangkok tätig war.

Doch die Herkunft und die Stellung dieses Hirsches beschäftigten die Zoologen noch lange danach. 1937 veröffentlichte Francis H. Giles einen Beitrag mit dem vielsagenden Titel The Riddle of Cervus Schomburgki. Darin ging er der Frage nach, wie eng dieser Hirsch mit dem indischen Barasingha (Rucervus duvaucelii) verwandt war. Berichte von Alfred Brehm hatten einst für Verwirrung gesorgt: Brehm hielt die nach Europa gelangten Schomburgk-Hirsche zunächst ebenfalls für Barasinghas. Auch andere Zoologen folgten dieser Vermutung und meinten, dass es sich lediglich um eine lokale Variante handelte – angepasst an die Feuchtgebiete Siams, aber keine eigenständige Art.

Barasingha-Hirsche
Barasingha-Hirsche: Lange vermutete man, der Schomburgk-Hirsch sei lediglich eine lokale Variante oder eine Unterart des Barasingha. Heute jedoch gelten sie als zwei verschiedene Arten aus der Gattung der Zackenhirsche.
Davidvraju, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Giles stützte sich vor allem auf die Ähnlichkeit im Geweihbau. Unterschiede in der Verzweigung oder in der Zahl der Enden seien keine festen Merkmale, argumentierte er, denn solche Unterschiede könnten auch innerhalb einer Art natürlich entstehen. In dieser Sichtweise wäre der Schomburgk-Hirsch keine eigene Art, sondern eine regionale Ausprägung des bekannten Barasingha-Hirsches.

Doch Giles ging noch weiter und entwickelte eine Theorie, wie der Schomburgk-Hirsch überhaupt nach Siam gekommen sein könnte: Er vermutete, dass indische Kolonisten oder Fürsten diese Tiere als Prestigeobjekte oder Haustiere mitgebracht hätten. Über Generationen hinweg hätten sich die Hirsche dann an die sumpfigen Landschaften Siams angepasst und schließlich eine stabile Population gebildet. Historische Spuren indischer Siedlungen in den Tälern des Mekong- und Bassac-Flusses untermauern diese Vorstellung – Regionen, die später als Lebensraum des Schomburgk-Hirsches bekannt wurden.

Nicht alle teilten diese Sichtweise. In Grzimeks Tierleben (1967-72) wurde der Schomburgk-Hirsch als Unterart des Barasingha eingeordnet – eine Annahme, die aufgrund der abweichenden Fundorte und der deutlich erkennbaren Unterschiede im Körperbau nun eher als fraglich gilt. Stattdessen setzen viele Zoologen den Schomburgk-Hirsch heute in die Gattung der Zackenhirsche (Rucervus), zu der auch der Barasingha gehört. Der britische Zoologe Reginald Innes Pocock ging 1943 sogar so weit, ihn in eine eigene monotypische Gattung – Thaocervus – zu stellen.

In der Fachliteratur zwischen 1945 und 2015 fand sich jedoch meist eine andere Einordnung: Der Schomburgk-Hirsch wurde der Gattung der Edelhirsche (Cervus) zugeschrieben – eine Sichtweise, die für lange Zeit als Maßstab galt. Heute jedoch hat sich weitgehend die Einordnung in die Gattung Rucervus durchgesetzt, in der er als naher Verwandter des Barasingha seinen Platz gefunden hat.

Der Schomburgk-Hirsch in Zoos und Museen

Das einzige vollständig erhaltene Präparat des ausgestorbenen Schomburgk-Hirsches.
Das ist das einzige erhaltene vollständige Präparat eines Schomburgk-Hirsches. Es wird im Naturhistorischen Museum in Paris aufbewahrt. Dieses Männchen lebte bis 1868 im Pariser Zoo und wurde nach seinem Tod präpariert.
(© Doreen Fräßdorf, Muséum national d’histoire naturelle in Paris, 2024)

Obwohl der Schomburgk-Hirsch einst in Thailand weit verbreitet war, zeugt heute lediglich ein einziges vollständig erhaltenes Präparat von der Existenz dieser Art: Es steht in der Grande Galerie de l’Évolution im Muséum national d’histoire naturelle in Paris. Dieses männliche Exemplar, vermutlich ein Geschenk des siamesischen Königs, wurde bereits 1862 nach Paris gebracht und lebte dort bis 1868 im Zoo Jardin des Plantes.

Der Zoologe Jean Dorst berichtete 1952 in seinem Werk Notice sur les spécimens naturalisés de Mammifères éteints existant dans les collections du Muséum, dass es in Paris einst noch ein weiteres Präparat gegeben haben soll. Dieses stammte aus dem Londoner Zoologischen Garten und wurde 1880 nach Paris überführt, wo es bis zu seinem Tod am 12. Oktober 1883 in der Ménagerie des Jardin des Plantes lebte. Das Tier war als „Cervus schomburgki“ etikettiert, zeigte aber Geweihe, die weniger entwickelt waren und eher an die des Barasingha erinnerten. Wahrscheinlich handelte es sich tatsächlich um einen Barasingha, weshalb heute stets nur von einem einzigen erhaltenen Präparat des Schomburgk-Hirsches die Rede ist.

Neben diesem einen Präparat existieren in Museen und Privatsammlungen weltweit noch etwa 300 bis 400 Geweihe, Schädel und einige wenige Knochen. Über die weiblichen Tiere ist kaum etwas bekannt – nur so viel, dass sie kein Geweih trugen. Während die Geweihe der Männchen als begehrte Trophäen galten, dürfte man weibliche Tiere zumindest gelegentlich als Fleischquelle gejagt haben.

Besonders spannend ist ein kurioser Glaube, der sich einst unter der einheimischen Bevölkerung verbreitete: Weibliche Schomburgk-Hirsche sollen dem Thailand-Leierhirsch so sehr geähnelt haben, dass man meinte, es gebe gar keine weiblichen Schomburgk-Hirsche. Stattdessen glaubte man, dass sich die Männchen mit den weiblichen Leierhirschen paarten und der Nachwuchs entweder ein Schomburgk- oder ein Leierhirsch wurde.

Von einem Schomburgk-Hirsch, der zwischen 1899 und 1911 im Zoologischen Garten Berlin lebte, haben sich zudem mindestens sieben Fotografien erhalten – sie zeigen das letzte bekannte Tier dieser Art in einem Zoo. Tatsächlich wurde der Schomburgk-Hirsch nur in europäischen Zoos gehalten: in Berlin, Hamburg, Köln, Paris und London. In Nordamerika hingegen war er nie zu sehen.

Da alle Hinweise, Spuren in Museen, in alten Berichten und in Sammlungen bislang nicht ausreichen, um ein Überleben des Schomburgk-Hirsches zu bestätigen, bleibt das Rätsel um sein mögliches Fortbestehen bestehen. Vielleicht gibt es irgendwo in den abgelegenen Wäldern Südostasiens noch eine kleine, verborgene Herde oder vielleicht ist der Schomburgk-Hirsch tatsächlich für immer verloren.

Quellen

  • Bhicharana, P. J. (1932). Notes on the Schomburgk Deer. Journal of the Siam Society of Natural History, 8, 311–313.
  • Day, D. (1981). The Doomsday Book of Animals. London: Ebury Press.
  • Dorst, J. (1952). Notice sur les spécimens naturalisés de Mammifères éteints existant dans les collections du Muséum. Bulletin du Muséum National d’Histoire Naturelle, 2° Série, 24(1), 63–78.
  • Duckworth, J. W., Salter, R. E., & Khounboline, K. (1999). Wildlife in Lao PDR: 1999 status report. Vientiane: IUCN.
  • Giles, F. H. (1937). The riddle of Cervus schomburgki. Journal of the Siam Society of Natural History, 11(1), 1–34.
  • Harper, F. (1945). Extinct and Vanishing Mammals of the Old World. New York: American Committee for International Wildlife Protection.
  • Irving, M. (2019, September 9). Fresh antlers suggest “extinct” deer species lived on. New Atlas.
    https://newatlas.com/science/antlers-extinct-deer-species-alive/
  • MacPhee, R. D. E., & Flemming, C. (1999). Requiem aeternam: The last five hundred years of mammalian extinctions. In R. D. E. MacPhee (Ed.), Extinctions in Near Time (pp. 333–371). New York: Springer.
  • Morris, A. (2019, September 6). Evidence suggests rare deer lived 50 years beyond ‘extinction’. Northwestern Now. https://news.northwestern.edu/stories/2019/09/evidence-suggests-rare-deer-lived-50-years-beyond-extinction/
  • Schroering, G. B. (1995). Swamp deer resurfaces. Wildlife Conservation, 98(6), 22.
  • Schroering, G. B., & Galbreath, G. J. (2019). Evidence of late survival of Schomburgk’s deer (Rucervus schomburgki) in Central Laos. Journal of the Bombay Natural History Society, 116, 49–50.
  • Srikosamatara, S., Siripholdej, B., & Suteethorn, V. (1992). Wildlife trade in Lao P. D. R. and between Lao P. D. R. and Thailand. Natural History Bulletin of the Siam Society, 40, 1–47.
  • Williams, L. (1941). Green Prison: Twenty Years in Thailand. London: Jarrolds Publishers.

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