Pseudophilautus temporalis
P. temporalis war gelblich bis hellbraun mit kleinen braunen Flecken gefärbt. Die weiblichen Frösche maßen ungefähr drei und die Männchen zwei Zentimeter Körperlänge. Das spitz zulaufende Maul unterschied P. temporalis von anderen Ruderfröschen auf Sri Lanka. Albert Charles Lewis Günther (1830-1914), Public domain, via Wikimedia Commons)

Pseudophilautus temporalis (Ruderfrosch)

Kein Lebenszeichen seit 1864

Die zur Familie der Ruderfrösche (Rhacophoridae) gehörige Froschart Pseudophilautus temporalis ist nur von der sich im Indischen Ozean befindlichen Insel Sri Lanka bekannt, wobei das genaue Verbreitungsgebiet unklar ist. In der wissenschaftlichen Erstbeschreibung der Art aus dem Jahr 1864 gibt der deutsche Zoologe Albert Günther den Herkunftsort lediglich mit „Ceylon“ an, dem früheren Namen Sri Lankas.

Bekannt ist P. temporalis nur von sechs Exemplaren (Lectotypus und Typusserie), die Günther 1864 in Sri Lanka kaufte und als Ixalus temporalis beschrieb. Das lateinische Artepitheton temporalis verweist auf die Temporalregion (Schläfe) des Frosches, wo sich ein dunkler Streifen befindet, der vom Auge durch das Tympanon bis zu den Vorderbeinen verläuft. Nach Günthers Beschreibung konnten trotz intensiver Felduntersuchungen zur Amphibienfauna Sri Lankas keine weiteren Individuen dieser Art ausfindig gemacht werden, weshalb die IUCN P. temporalis seit 2004 als ausgestorbene Spezies listet.

Im Gegensatz zu anderen Gattungen der Ruderfrösche pflanzen sich Pseudophilautus-Arten – so auch P. temporalis – durch direkte Entwicklung fort. Sie bringen also keine Kaulquappen hervor, sondern legen Eier an feuchten Plätzen an Land ab, in denen sich die Larvalentwicklung vollzieht. Am Ende schlüpfen voll entwickelte Jungfrösche aus den Eiern.

P. temporalis lebte in erster Linie auf Bäumen, was ihm durch die großen Haftscheiben an den Finger- und Zehenenden möglich war, da diese das Klettern erleichtern. Er besaß wie auch Laubfrösche zwischen dem vorletzten und letzten Finger- und Zehenglied jeweils einen Zwischenknorpel, der das Pressen der Haftscheiben auf den Untergrund erleichtert. Sein Oberkiefer war mit feinen spitzen Zähnen versehen, die ihm zum Beutefang dienten.

Pseudophilautus temporalis – Steckbrief
wissenschaftliche NamenPseudophilautus temporalis, Philautus temporalis, Ixalus temporalis, Rhacophorus temporalis, Rana temporalis, Kirtixalus temporalis, Ixalus leucorhinus var. temporalis
englische NamenStriped-snouted Shrub Frog, Spurless Pygmy Tree Frog
ursprüngliches VerbreitungsgebietSri Lanka (Indischer Ozean)
Zeitpunkt des Aussterbens1864
Ursachen für das Aussterbenunklar, möglicherweise Lebensraumverlust

Warum ist Pseudophilautus temporalis ausgestorben?

Die Amphibienfauna Sri Lankas umfasst 120 Arten und besteht aus fünf Familien: Bufonidae (Kröten), Dicroglossidae (Frösche aus dem tropischen und subtropischen Asien und Afrika), Rhacophoridae (Ruderfrösche), Ichthyophiidae (Fischwühlen beziehungsweise Schleichenlurche) und Microhylidae (Engmaulfrösche). Viele der Amphibienarten sind gefährdet, vor allem aber die Ruderfrösche und Kröten, und mindestens 18 Arten sind bereits ausgestorben, wie zum Beispiel Günthers Zwergfrosch, der Sri-Lanka-Bubble-Nest-Frosch, der Leopard-Bubble-Nest-Frosch oder der Maia-Bubble-Nest-Frosch. Die meisten Froscharten Sri Lankas sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwunden.

Indien Sri Lanka Karte
Indien (grün) und Sri Lanka (orange). Sri Lanka und die Westghats in Indien gelten als globale Hotspots für Biodiversität. (© The original uploader was Bazonka at English Wikipedia., CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Der Taxonom Sudesh Batuwita von der Society for the Biodiversity Conservation Sri Lanka und andere Wissenschaftler heben in A review of amphibian fauna of Sri Lanka (2019) hervor, dass rund 90 Prozent der Amphibien der Insel in den bevölkerungsreichsten Regionen leben. Für die Frösche, Kröten und Schleichenlurche bedeutet das in erster Linie den Verlust von natürlichem Lebensraum etwa zu Gunsten von landwirtschaftlichen Flächen oder Behausungen. Als weitere Bedrohungen nennen die Forscher anthropogene Einflüsse, invasive Arten, den Klimawandel und Umweltverschmutzung, was wiederum die Entstehung von Missbildungen, Parasitenbefall oder Krankheiten begünstigen würde.

Was P. temporalis betrifft, gibt die Weltnaturschutzorganisation IUCN an, dass die Ursachen für sein Aussterben nicht bekannt sind, der Verlust von Lebensraum aber vermutlich eine Rolle spielte. Auch Batuwita zieht die massive Entwaldung Sri Lankas während der Kolonialzeit als Ursache in Betracht. Nachdem Sri Lanka ab 1818 endgültig unter britischer Herrschaft stand, wurde die Infrastruktur der Insel ausgebaut und der Anbau von Kaffee und Tee auf Plantagen vermehrt gefördert. Diese Veränderungen setzten die Abholzung von Wäldern voraus, was zur Fragmentierung und dem Verlust von Lebensräumen führte. Weiterhin habe eine verminderte Waldbedeckung das Austrocknen von Bächen in Wäldern oder an Waldgrenzen zur Folge, was die Verbreitung und Fortpflanzung von Amphibien stark einschränkt, so Batuwita.

Die meisten Pseudophilautus-Frösche kommen auf Sri Lanka vor

Auf Sri Lanka leben vier Gattungen von Ruderfröschen, von denen die meisten Arten endemisch sind. Die sri-lankischen Ruderfrösche sind kaum erforscht, denn viele der Arten sind nur von Typusexemplaren und wenigen anderen Individuen bekannt. Zudem ist es teils schwierig, sie allein anhand morphologischer Merkmale auseinanderzuhalten. So lässt sich auch die ursprüngliche Annahme erklären, nach der sich das Verbreitungsgebiet von P. temporalis nicht nur auf Sri Lanka beschränkt, sondern bis zu den Westghats, einem Gebirge im Westen Indiens, erstreckt. Dies stellte sich als Irrtum heraus, da die dort gefundenen Frösche nämlich einer anderen Art angehören: Pseudophilautus wynaadensis. Auch die Herpetologen Sushil Kumar Dutta und Kelum Manamendra-Arachchi machen 1996 in The Amphibian Fauna of Sri Lanka deutlich, dass sich Pseudophilautus-Frösche nur schwer auseinanderhalten lassen. So würden sich P. temporalis und der ebenfalls wahrscheinlich ausgestorbene P. nasutus nur durch einen kleinen Sporn (Calcar) an der Ferse unterscheiden, der bei P. temporalis fehlt.

Pseudophilautu wynadensis
Ursprünglich dachten Wissenschaftler, es würde sich bei P. temporalis und dem in Indien endemischen P. wynaadensis (Bild) um ein und dieselbe Art handeln. (© Uajith, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Der belgisch-britische Zoologe George Albert Boulenger behandelte Philautus temporalis Ende des 19. Jahrhunderts als ein Juniorsynonym von Philautus leucorhinus. Das bedeutet, Boulenger nahm an, dass es sich bei P. temporalis und P. leucorhinus, einer ebenfalls ausgestorbenen sri-lankischen Froschart, um dieselbe Art handelt. Auch nachdem der deutsche Herpetologe Ernst Ahl 1931 und der belgische Herpetologe Raymond Laurent 1943 basierend auf Knochencharakteristika darauf verweisen, dass es sich um zwei unterschiedliche Arten handelt, vertraten die meisten nachfolgenden Autoren lange Zeit Boulengers Ansicht.

Mithilfe molekulargenetischer Untersuchungen konnte der Herpetologe Sathayabhama D. Biju 2010 nachweisen, dass eine Einteilung der Ruderfrösche in zwei Kladen Sinn ergibt. Die erste Klade enthält in erster Linie Arten aus Sri Lanka, die andere Arten der Gattung Raorchestes, die von Südindien bis China und Vietnam vorkommen. Diese Einteilung konnten die Wissenschaftler der Studie Diversification of Shrub Frogs in Sri Lanka 2019 untermauern, indem sie die stammesgeschichtliche Entwicklung der Ruderfrösche erforscht haben. Die Frösche der Gattung Pseudophilautus seien nämlich gegen Ende des Eozäns über eine Landbrücke von Indien nach Sri Lanka gelangt. Auf der Insel kam es aufgrund des Klimawandels ab dem Oligozän zur adaptiven Radiation der Gattung, sodass sich nach und nach bis ins späte Miozän neue Arten herausbilden konnten.

Derzeit sind 80 Pseudophilautus-Arten beschrieben, von denen die meisten auf Sri Lanka endemisch sind. Mit Aufkommen des jährlichen Monsunregens vor etwa 8,8 Millionen Jahren konnte einige Arten auf den indischen Subkontinent zurückkehren, allerdings war eine so starke Diversifizierung wie auf Sri Lanka dort nicht möglich. Der Grund dafür waren wahrscheinlich die dort zu diesem Zeitpunkt bereits weit verbreiteten Raorchestes-Arten.

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