Ectophylla alba
Die Gelbohr- oder Weiße Fledermaus (Ectophylla alba) gehört zu den wenigen heute bekannten Fledermausarten mit weißem Fell. Sie weist ähnliche Verhaltensweisen wie Borys Weiße Fledermaus auf. Charlie Jackson, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)

Borys Weiße Fledermaus

„Kleine weiße Fledermäuse“ suchen Schutz in Palmenblättern

Der französische Naturforscher und Botaniker Jean Baptiste Bory de Saint-Vincent erkundete im November 1801 die Mündung des Rivière du Mât in der heutigen Gemeinde Saint-Joseph im Süden der Insel La Réunion. Er studierte gerade dort wachsende Rote Latanpalmen (Latania lontaroides), als er etwas entdeckte: „Kleine weiße Fledermäuse (…) suchen tagsüber zwischen den Blattstielen Schutz“ in den Palmen. Und als Bory einige Tage später den Sandstrand der Gemeinde L’Étang-Salé entlang lief, bemerkte er „ein paar Latanpalmen, spindeldürr und vom Wind zerzaust, die einzigen Bäume, die ich hier gesehen habe. (…) Die kleinen weißen Fledermäuse kommen, um Schutz gegen die Hitze des Tages zu suchen, in den zerrissenen Blättern dieser Bäume“.

Rote Latanpalme
In den Blättern der Roten Latanpalme verbrachte Borys Weiße Fledermaus tagsüber ihre Zeit schlafend. (© Krzysztof Ziarnek, Kenraiz, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Bory verbrachte zwischen 1801 und 1802 einige Zeit auf der Maskarenen-Insel La Réunion. Die Begegnung mit den kleinen weißen Fledermäusen hielt er in seinem 1804 veröffentlichten zweiten Band seines Reiseberichts Voyage dans les Quatre Principales Iles des Mers d’Afrique fest. Es handelt sich hierbei um den einzigen historischen Beleg für diese Fledermausart, die erst im Jahr 2000 den Namen Borys Weiße Fledermaus erhielt.

Borys Beschreibung der weißen Fledermaus ist zwar skizzenhaft, doch dass er sie mit einer anderen auf Réunion heimischen Art verwechselte, ist ausgeschlossen. Dieser Auffassung ist zumindest der französische Geologe und Paläontologe Pierre Brial 2000 in einem Artikel über die von Bory beschriebene Fledermaus.

Andere auf der Insel existierende Arten sind die schwarzbraune Réunion-Mastino-Fledermaus (Mormopterus francoismoutoui), die an der Oberseite olivbraune und an der Unterseite weißgelbe Réunion-Hausfledermaus (Scotophilus borbonicus) und die graubraune Mauritius-Grabfledermaus (Taphozous mauritianus), die einen weißen Bauch hat. Bory beschrieb die Mauritius-Grabfledermaus in seinem Reisebericht recht detailliert.

Borys Weiße Fledermaus – Steckbrief
wissenschaftlicher NameBoryptera alba
englischer NameBory’s White Bat
ursprüngliches VerbreitungsgebietRéunion (Indischer Ozean)
Zeitpunkt des Aussterbens1801 oder später
Ursachen für das Aussterbenvermutlich auf Insel eingeschleppte Tiere, Lebensraumverlust

Warum starb die kleine weiße Fledermaus aus?

Réunion: von Bory gemaltes Relief der Insel
Ein von Bory 1802 gezeichnetes Relief der Insel La Réunion. Réunion liegt rund 700 Kilometer östlich von Madagaskar und gehört zusammen mit den Inseln Mauritius und Rodrigues zu den Maskarenen. (©Bory De Saint-Vincent, (Jean Baptiste Geneviève Marcellin), Public domain, via Wikimedia Commons)

Weshalb Borys Weiße Fledermausart ausgestorben ist, kann nur vermutet werden. Brial nimmt an, dass der Rückgang der Roten Latanpalme, die der Spezies als Unterschlupf diente, ein Grund für das Verschwinden der Fledermaus gewesen sein könnte. Weiterhin hält er es für wahrscheinlich, dass auf die Insel Réunion eingeschleppte Ratten den weißen Fledermäusen nachstellten.

Borys Weiße Fledermaus wäre nicht die erste Tierart, die aufgrund von auf Réunion eingeführten Säugern ausgestorben ist. Invasive Ratten und Katzen trugen unter anderem auch zum Verschwinden des Réunion-Ibis um 1710 sowie der Réunion-Taube Ende des 17. Jahrhunderts bei.

Neben Borys Weißer Fledermaus, die zuletzt und ausschließlich 1801 oder 1802 gesichtet wurde, gilt auch der Rauchgraue Flughund, der auf den Inseln Réunion und Mauritius heimisch war, seit Mitte des 19. Jahrhunderts als ausgestorben. Die Réunion-Hausfledermaus wurde zuletzt im späten 19. Jahrhundert auf Réunion gesehen. Experten gehen deshalb davon aus, dass die Art aufgrund des Verlustes ihres natürlichen Lebensraums ebenfalls ausgestorben ist.

Borys Weiße Fledermaus – Eine hypothetische Art

Brial verlieh Borys Weißer Fledermaus rund 200 Jahre nach ihrer Entdeckung Im Jahr 2000 ihren wissenschaftlichen Namen Boryptera alba. Die Grundlage seiner wissenschaftlichen Beschreibung bildet Borys Reisebericht. Die Beschreibung der Fledermaus durch Bory ist indes nicht detailliert genug, um die systematische Position der Art zu bestimmen.

Bei Boryptera alba handelt es sich um eine incertae sedis, denn es ist unklar, welcher Gattung oder Familie die Fledermausart angehört. Zudem spricht man bei Borys Weißer Fledermaus von einer hypothetischen Art, da es außer Borys Bericht bislang keine weiteren Beweise für ihre Existenz gibt.

Der Biologe Anthony Cheke und der Paläontologe Julian P. Hume halten es in Lost Land of the Dodo (2008) für möglich, dass Borys Weiße Fledermaus zur Gattung der auf Madagaskar endemischen Haftscheibenfledermäuse (Myzopoda) gehört.

Borys Weiße Fledermaus – Nicht die einzige, die in Pflanzenblättern schläft

Weiße Fledermäuse (Ectophylla alba) in ihrem Schlafplatz
Vier Weiße Fledermäuse tagsüber beim Schlafen in einem Helikonienblatt. Die Weiße Fledermaus bewohnt ausschließlich Regenwälder, in denen Helikonien wachsen. (© Leyo, CC BY-SA 2.5 CH, via Wikimedia Commons)

Brial zufolge gibt es zwei Fledermausarten Madagaskars, die ein ähnliches Verhalten wie Borys Weiße Fledermaus aufweisen: die Bananen-Zwergfledermaus (Pipistrellus nanus), die sich gelegentlich in Bananenblättern versteckt, und die Madagassische Haftscheibenfledermaus (Myzopoda aurita), die in den gerollten Blättern vom Baum der Reisenden (Ravenala madagascariensis) schläft.

Borys Weiße Fledermaus ist nicht die einzige Fledermaus mit weißem Fell. Etwa in Mittelamerika lebt die Weiße Fledermaus (Ectophylla alba), die sich zum Schlafen in den Blättern von Helikonien (Heliconia) versteckt. Die Weiße Fledermaus trennt sogar die Seitenadern des Blattes entlang der Mittelrippe, sodass sich das Blatt wie ein Zelt nach unten faltet. Fressfeinden bleiben die schlafenden Tiere so tagsüber verborgen.

Brial stellt die Vermutung auf, dass die weiße Fellfarbe von Borys Weißer Fledermaus tagsüber als Tarnung diente. Wenn die Tiere am Tage geschützt in den durch die Sonne angestrahlten Blättern der Roten Latanpalme verharrten, wurde möglicherweise die grüne Farbe der Blätter vom weißen Fell der Fledermäuse widergespiegelt.

Albinismus bei Fledermäusen

Diclidurus albus
Die Weiße Gespenstfledermaus (Diclidurus albus) besitzt gänzlich weißes Fell. Auch ihre Flughaut ist unpigmentiert, erscheint jedoch rosa aufgrund der Blutgefäße. (© Michael Autumn, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Zwar ist Albinismus bei vielen Gruppen von Wirbeltieren dokumentiert, bei Fledermäusen aber ist die angeborene Störung der Farbstoff-Biosynthese eher selten. Laut eines Berichts (2014) des Biologen Beza Ramasindrazana über eine Bulldoggfledermaus (Molossidae) mit Albinismus aus der Südwest-Region des Indischen Ozeans existieren 43 Fledermausarten in 24 Ländern, bei denen Albino-Individuen nachgewiesen werden konnten.

Ramasindrazana berichtet nun von einer Bulldoggfledermaus mit Albinismus von der Insel La Réunion. Zuerst beobachtet wurde sie im Dezember 2012; im Februar 2013 konnte das Tier gefangen werden. Es hatte komplett weißes, langes Fell und rote oder pinke Augen. Da die weiße Fledermaus innerhalb einer Kolonie von Réunion-Mastino-Fledermäusen lebte und diesen morphologisch bis auf die Fell- und Augenfarbe auch gleicht, geht Ramasindrazana davon aus, dass es ein Albino der Réunion-Mastino-Fledermaus ist und nicht etwa eine eigene Art.

Neben Ramasindrazana berichtete nur Bory von weißen Fledermäusen auf Réunion. Dass es sich bei Borys Weißer Fledermaus lediglich um Réunion-Mastino- Fledermäuse mit Albinismus handelte, ist nahezu ausgeschlossen. Bory beschrieb eine kleine Kolonie weißer Fledermäuse, während weiße Réunion-Mastino-Fledermäuse eher die Ausnahme darstellen und nur vereinzelt vorkommen. Weiterhin hat die Réunion-Mastino-Fledermaus ihre Quartiere vor allem in Felshöhlen und Spalten mit Koloniegrößen von bis zu 65.000 Tieren. Es ist zudem nicht bekannt, dass sie Palmenblätter als Schlafplatz aufsucht.

Nicht jede weiße Fledermaus ist eine Albino-Fledermaus

Die wenig erforschte Gattung der in Zentral- und Südamerika lebenden Amerikanischen Gespenstfledermäuse (Diclidurus) umfasst vier Arten, die alle hellgraues bis weißes Fell aufweisen. Neben diesen ist nur eine weitere, in Südamerika endemische Art, die Weiße oder Gelbohr-Fledermaus (Ectophylla alba), mit weißem Fell bekannt. Die Augen der Amerikanischen Gespenstfledermäuse und der Weißen Fledermäuse sind dunkel und nicht etwa rot, wie es bei der von Ramasindrazana untersuchten Réunion-Mastino-Fledermaus mit Albinismus der Fall war.

Beim Albinismus handelt es sich um ein angeborenes Phänomen, bei dem die Melanin-Bildung gestört ist, was sich in einer helleren Haut-, Haar- und Augenfarbe zeigt. Augen können, wenn die Iris fast pigmentlos ist, manchmal fast rot erscheinen, da die Blutgefäße durchscheinen. Auch die Defekt-Mutation Leuzismus führt dazu, dass die Haut von Tieren rosa und das Fell oder die Federn weiß sind. Leuzistische Tiere haben keine roten Augen.

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