Die tragische Geschichte des Stephenschlüpfers
Wie der Dodo zählt auch der Stephenschlüpfer zu den bekanntesten Beispielen für das Aussterben von Vogelarten, da die Umstände seines Verschwindens gleichermaßen eindringlich wie tragisch sind. Die Geschichte des Stephenschlüpfers wird oft in dramatischer Einfachheit erzählt: Eine Katze, die von einem Leuchtturmwärter auf die bis dahin unbewohnte Insel Stephens Island gebracht wurde, soll im Alleingang den einzigen flugunfähigen Singvogel der Welt, den Stephenschlüpfer, entdeckt und kurz darauf ausgerottet haben.
Die Canterbury Press veröffentlichte 1895 eine Darstellung des Vorfalls, der als klassisches Beispiel für das Aussterben einer Inselart gilt – einer Art, die keine natürlichen Abwehrmechanismen gegen neu eingeführte Säugetier-Raubtiere entwickelt hatte. In dieser Darstellung hieß es:
„Dies ist wahrscheinlich eine Rekordleistung in Sachen Ausrottung. Die englische Wissenschaftswelt wird fast zeitgleich von seiner Entdeckung und seinem Verschwinden hören, bevor überhaupt etwas über seine Lebensweise oder seine Gewohnheiten bekannt wird (…). Und wir sind sicherlich der Meinung, dass das Marine Department, wenn es Leuchtturmwärter auf isolierte Inseln schickt (…), darauf achten sollte, dass sie keine Katzen mitnehmen dürfen, auch wenn Mäusefallen auf Kosten des Staates bereitgestellt werden müssen.“
The Doomsday Book of Animals. 1981. S. 118. D. Day
Stephenschlüpfer – Steckbrief
wissenschaftliche Namen | Traversia lyalli, Xenicus lyalli, Xenicus lyalli lyalli, Xenicus insularis, Traversia insularis |
englische Namen | Stephens Island wren, Stephens Island rock wren, Stephens Island rockwren, Steven Island wren, Lyall’s wren, Lyalls wren |
ursprüngliches Verbreitungsgebiet | Stephens Island (Neuseeland) |
Zeitpunkt des Aussterbens | spätestens 1899 |
Ursachen für das Aussterben | auf Insel eingeschleppte Tiere |
IUCN-Status | ausgestorben |
Entdeckung und Beschreibung einer neuen Vogelart
Die Geschichte des Stephenschlüpfers begann im April 1892, als Arbeiter auf die unberührte Insel Stephens Island kamen, um den Bau eines Leuchtturms, der die westlichen Zugänge zur Cook-Straße sichern sollte, und der zugehörigen Einrichtungen zu beginnen. Sie fanden eine große Vielfalt an Vogelarten vor; einer der Arbeiter, F. W. Ingram, beschrieb die Vogelfauna der Insel:
„Sattelvögel, einheimische Drosseln, einheimische Krähen, Rotkehlchen, zwei Arten von Kuckucks, einer mit langem Schwanz und einer mit gestreifter Brust, auch Kakas, Tauben, Neuseeland-Kuckuckskauze, zwei Arten von Zaunkönige [Stephenschlüpfer und Südinsel-Grünstummelschwanz Acanthisitta chloris chloris] (sehr kleine Vögel), und ich habe auch eine Landralle gesehen. Dort gab es Hunderte von Sittichen und Tuis (oder Tuihonigfresser), auch den Moke Moke (oder Maorihonigfresser)…“
Extinct Birds. 2017. S. 253. J. P. Hume
Bis zu diesem Zeitpunkt war die Insel kaum betreten worden und blieb weitgehend unberührt. Der Buschwald war noch intakt, und es gab keine eingeführten Säugetiere. Stephens Island war wahrscheinlich über Millionen von Jahren frei von menschlichem Einfluss geblieben; selbst wenn die Maori die Insel jemals betreten haben, hinterließen sie keine Spuren.
Der Leuchtturm wurde Anfang 1894 fertiggestellt, und eine Besatzung von Leuchtturmwärtern zog mit ihren Familien auf die Insel. Neben Schafen und Rindern wurde im Februar desselben Jahres auch mindestens eine trächtige Katze auf die Insel gebracht. Eine Katze – möglicherweise war ihr Name Tibbles – begann im Juni 1894 damit, kleine Vögel zu fangen und sie dem Leuchtturmwärter David Lyall zu bringen.
Da Lyall ornithologisch interessiert war und diese Art nicht kannte, bewahrte er die gefangenen Vögel auf und ließ sie präparieren. Als das Versorgungsschiff Hinemoa die Insel ansteuerte, gab Lyall einen der Bälge einem Ingenieur namens A. W. Bethune, der ihn nach Wellington brachte, wo Walter Buller, Neuseelands führender Ornithologe, ihn sofort als neue Art erkannte und stellte sie bei einem Treffen der Wellington Philosophical Society im Juli 1894 vor. Buller plante, eine detaillierte Beschreibung des Vogels in der Fachzeitschrift Ibis zu veröffentlichen und ließ das Exemplar nach London schicken, um eine Illustration anfertigen zu lassen.
Die Nachricht über die neu entdeckte Vogelart verbreitete sich jedoch rasch, und Henry Travers, ein erfahrener Sammler, der ebenfalls Exemplare von Lyall erhalten hatte, erkannte die Chance, diese an den britischen Ornithologen Walter Rothschild zu verkaufen, der war dafür bekannt, seltene Arten für sein privates Museum zu erwerben. Travers verkaufte insgesamt neun Präparate des Vogels, die er von Lyall erhalten hatte, an Rothschild. Dieser veröffentlichte daraufhin eine hastig verfasste Beschreibung der neuen Art unter dem Titel Description of a New Genus and Species of Bird from New Zealand (1894) und gab dem Vogel den Namen Traversia lyalli. Damit kam er Buller zuvor, der geplant hatte, die Art unter dem Namen Xenicus insularis zu beschreiben. Über Jahre hinweg führten Rothschild und Buller einen Disput über die Entdeckung und Benennung des Stephenschlüpfers.
Der wissenschaftliche Name des Vogels, Traversia lyalli, ehrt den Leuchtturmwärter David Lyall, der den Vogel erstmals der Wissenschaft bekannt machte. Die Gattung wurde nach dem Naturforscher und Kuriositätenhändler Henry H. Travers benannt, der zahlreiche Exemplare von Lyall erhielt.
War eine einzige Katze für das Aussterben des Stephenschlüpfers verantwortlich?
Trotz der berechtigten Bedenken über die negativen Auswirkungen verwilderter Katzen (Felis catus) auf Ökosysteme ist vieles von dem, was wir über das Aussterben des Stephenschlüpfers zu wissen glauben, falsch oder missverstanden. Der Ursprung dieser Vorstellung liegt in einem Essay von Walter Rothschild aus dem Jahr 1905, in dem er behauptete, eine einzige Katze habe alle Exemplare des Stephenschlüpfers auf der kleinen Insel Stephens Island getötet. In seinem Buch Extinct Birds von 1907 wiederholt Rothschild das Gesagte:
„Alle Exemplare, die mir bekannt sind, (…) wurden von der Katze des Leuchtturmwärters gebracht. Offensichtlich war dieser katzenartige Entdecker gleichzeitig der Auslöscher von Traversa lyalli, und viele von ihnen könnten von dieser einzigartigen Katze verdaut worden sein, denn in Briefen, die ich von Mr. Travers erhielt, wurde mir mitgeteilt, dass keine weiteren Exemplare mehr beschafft werden konnten (…).“
Extinct Birds. 1907. S. 24f. W. Rothschild
Die Vorstellung, dass eine einzelne Katze für das Aussterben der Art verantwortlich war, fand in den darauffolgenden Jahren weite Verbreitung. Rothschilds Quelle, Henry Travers, schien jedoch anderer Meinung zu sein. In seinen Notizen über Native Birds of New Zealand, vermutlich in den 1920er-Jahren verfasst, schrieb Travers:
„Eine Katze [machte] als erstes auf die Vögel aufmerksam, nachdem sie einen vor die Tür eines Leuchtturmwärters legte, der ein Enthusiast für einheimische Vögel war. Die Katzen jedoch machten bald kurzen Prozess mit dem Rest.“
Travers’ Manuskript, MSY 3430, Royal Forest & Bird Protection Society Records, Alexander Turnbull Library, Wellington
Neben Travers erwähnten auch andere frühe Berichte „die Katzen“, die den Stephenschlüpfer ausgerottet hätten, und nicht nur eine einzelne Katze. Auch eine Schilderung von Travers aus dem Jahr 1898 weist darauf hin, dass eine größere Katzenpopulation die Insel besiedelte:
„Ich war vor etwa vier Jahren auf Stephens Island und die (…) Vögel [Piopio], Sattelvögel beider Arten, Rotkehlchen und andere Vögel waren häufig, insbesondere erstere, da sie in Hunderten vorhanden waren. Jetzt gibt es keinen der ersteren oder zweiten und nur sehr wenige der anderen, alles aufgrund der Tatsache, dass eine Katze, die schwer trächtig war, aus dem French Pass in einem Sack vom Besitzer mit der Absicht mitgenommen wurde, sie während der Überfahrt über Bord zu werfen. Aber als schlechtes Wetter aufkam, wurde die Katze vergessen, bis die Insel erreicht wurde, und bei der Hektik des Anlandens wurde der Sack mit der Katze darin an Land gebracht, und einer der Männer, ohne groß nachzudenken, schnitt den Sack auf und ließ die Katze frei. Jetzt wimmelt es auf der Insel von Katzen.“
Travers an Hector, 27. Dezember 1898, IA1 1898/251, Archives New Zealand, Wellington
Es bleibt ungewiss, ob die trächtige Katze die einzige war, die auf die Insel gebracht wurde. Ebenso ist nicht klar, ob sie diejenige war, die später Vögel vor die Tür des Leuchtturmwärters legte, oder ob weitere Katzen auf die Insel gelangten und sich zu einer großen, verwilderten Population entwickelten.
Anhand einer Untersuchung von Archiv- und Museumsaufzeichnungen konnte der Historiker Ross A. Galbreath in The Tale of the Lighthouse-keeper’s Cat (2004) die Darstellung, dass das Aussterben des Stephenschlüpfers allein auf eine Katze zurückzuführen sei, widerlegen. Wahrscheinlich gelangten Katzen ab 1894 auf die Insel. Sie verwilderten schnell und vermehrten sich stark.
Eine Studie aus dem Jahr 2011 untersuchte die Auswirkungen verwilderter Katzen auf einheimische Inselwirbeltiere und ergab, dass sie für mindestens 14 Prozent aller globalen Aussterbeereignisse bei Vögeln, Säugetieren und Reptilien verantwortlich sind. Zudem haben Katzen den Rückgang von mindestens acht Prozent der gefährdeten Arten in diesen Gruppen maßgeblich beeinflusst.
Laut den Autoren der Studie wurden Katzen auf weltweit etwa 179.000 Inseln eingeführt. Da Inseln einen unverhältnismäßig hohen Anteil an der weltweiten terrestrischen Biodiversität ausmachen, können invasive Katzen dort drastische Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben. Besonders betroffen sind Inselarten, die keine Abwehrmechanismen gegen diese generalistischen Raubtiere entwickelt haben – darunter auch viele flugunfähige Vogelarten, die deutlich häufiger vom Aussterben bedroht sind als flugfähige Arten.
Die rapide Vermehrung einer Katzenpopulation ab 1894 auf Stephens Island war vermutlich der Hauptfaktor für das Aussterben des Stephenschlüpfers, doch es war wohl nicht allein eine einzelne Katze verantwortlich. In den frühen 1890er-Jahren, als die Insel noch dicht bewaldet und frei von eingeführten Säugetieren war, gab es dort 25 verschiedene neuseeländische Landvogelarten. Mit der Ankunft der Katzen verschwanden neben dem Stephenschlüpfer auch weitere Arten, wie der heute ausgestorbene Stephens-Island-Pirol (Turnagra capensis minor).
Wann starb der Stephenschlüpfer wirklich aus?
Häufig wird berichtet, dass der Stephenschlüpfer nur ein Jahr nach seiner Entdeckung im Jahr 1894 verschwunden sei. Auch im März 1895 veröffentlichte Berichte in neuseeländischen Zeitungen vermuteten, dass der Vogel aufgrund der auf die Insel gebrachten Katzen ausgestorben war.
Der Historiker Galbreath weist jedoch darauf hin, dass die Aufzeichnungen von Buller und Travers darauf hindeuten, dass der Aussterbeprozess länger andauerte als oft angenommen. Nachdem die ersten Vögel 1894 gesammelt wurden, setzten sowohl Buller als auch Travers ihre Bemühungen fort, weitere Exemplare zu beschaffen.
Es gibt Hinweise darauf, dass zwischen 1896 und 1899 noch Exemplare des Stephenschlüpfers gesammelt wurden. In einer Veröffentlichung von 1905 gibt Buller an, drei Exemplare des Vogels in seiner und in der Sammlung seines Sohnes zu besitzen, die auf das Jahr 1899 datiert sind. Travers berichtet zudem in einem Brief vom November 1895 an Rothschild, dass Lyall seit einiger Zeit keine weiteren Vögel mehr gesehen habe und vermutete, dass die Art ausgestorben sei. Gleichzeitig erwähnt er jedoch, dass er zwei in Alkohol eingelegte Exemplare besitze.
Zwar brachte eine Katze offenbar im Jahr 1894 zehn Exemplare zur Strecke, doch es wurden in den Folgejahren noch mindestens zwei bis vier Exemplare im Jahr 1895 und möglicherweise weitere bis 1899 gesammelt. Diese Berichte lassen darauf schließen, dass die Population nicht sofort nach der Entdeckung zusammenbrach, sondern schrittweise über mehrere Jahre hinweg abnahm. Auch der Verkauf eines Exemplars an das Otago Museum durch Travers im Jahr 1898 deutet darauf hin, dass noch nach 1895 Vögel gesammelt wurden.
Die Aufzeichnungen von Buller und Travers legen also nahe, dass der Stephenschlüpfer nicht unmittelbar nach seiner Entdeckung 1894 ausgestorben ist. Stattdessen scheint die Population über mehrere Jahre hinweg zurückgegangen zu sein, bevor die Art um 1899 endgültig erlosch.
Andere Aussterbegründe: Sind allein die Katzen Schuld?
Es wurde vielfach diskutiert, ob tatsächlich ausschließlich die auf Stephens Island eingeführten Katzen für das Aussterben des Stephenschlüpfers verantwortlich waren oder ob – wie so oft – ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren zum Verschwinden der Art führte. David Quammen bemerkt in Der Gesang des Dodo (2001), dass der Stephenschlüpfer ohnehin keine guten Voraussetzungen hatte: Er war „selbst in guten Zeiten (…) riskant selten“. Darüber hinaus litt die Art wahrscheinlich an ökologischer Naivität, was sie zutraulicher und damit anfälliger für Gefahren machte. Dieter Luther weist in Die ausgestorbenen Vögel der Welt (1986) ebenfalls darauf hin, dass „die Population (…) bereits zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung extrem klein gewesen sein“ müsse.
Aussterben durch Sammelleidenschaft?
Eine Theorie besagt, dass die ohnehin kleine Population des Stephenschlüpfers nicht in erster Linie durch die Anwesenheit von Katzen auf Stephens Island, sondern vielmehr durch das Sammeln von Exemplaren für die Wissenschaft ausgerottet wurde. Diese Sichtweise vertritt auch David Day in The Doomsday Book of Animals (1981). Er verweist auf widersprüchliche Berichte von Rothschild und Buller über die Anzahl der gesammelten Exemplare, was Verdachtsmomente gegenüber dem Sammler Henry Travers aufkommen lassen könnte. Rothschild schrieb, dass Travers ihm mitgeteilt habe, dass er alle elf Exemplare des Stephenschlüpfers besitze, abgesehen von einem, das Buller für seine wissenschaftliche Beschreibung genutzt habe. Buller kommentierte dies wie folgt:
„Ich denke, Herr Rothschild unterliegt einem Missverständnis, wenn er annimmt, dass er alle bekannten Exemplare besitzt, abgesehen von dem von mir in der ‚Ibis‘ beschriebenen. Neben einem Paar in der Sammlung meines Sohnes habe ich ein Exemplar von Herrn Henry Travers für (…) Tristram gekauft, und der besagte Herr hat mir seitdem zwei weitere Exemplare zum Verkauf angeboten.“
The Doomsday Book of Animals. 1981. S. 118. D. Day
Damit wird klar, dass Travers mindestens 16 Exemplare besaß und nicht nur elf. Laut Day werfe besonders der Erwerb der letzten Exemplare Fragen auf, denn es ist nicht das erste Mal, dass gefährdete Arten durch exzessives Sammeln vom Aussterben bedroht wurden. Buller selbst verteidigte Travers und schrieb, dass dieser keine Schuld am Aussterben der Art trage und die Schuld vielmehr bei der Katze liege:
„Ich kann nicht erkennen, dass Herrn Travers irgendeine Schuld trifft (…). Es wird anerkannt, dass die betreffende Katze sie alle gefressen hätte, wenn der Beauftragte von Herrn Travers nicht dort gewesen wäre, um einige für die Wissenschaft zu retten.“
The Doomsday Book of Animals. 1981. S. 118. D. Day
Interessanterweise wurde nach dem Aussterben des Stephenschlüpfers in der Canterbury Press ein Aufsatz veröffentlicht, der sich gegen Naturkundesammler wandte. Darin wurde gefordert, dass die Regierung ebenso schnell gegen diese vorgehen solle, wie gegen Robbenwilderer:
„Wenn die Regierung ebenso schnell handeln würde, um Plünderer, gemeinhin als Naturkundesammler bekannt, daran zu hindern, die abgelegenen Inseln zu besuchen und Hunderte von Tuataras und seltenen Vögeln zu entwenden, wie sie es im letzten Jahr bei den Robbenwilderern auf den südlichen Inseln tat, würde sie sich den Dank der Wissenschaft und künftiger Generationen verdienen.“
The Doomsday Book of Animals. 1981. S. 118. D. Day
Obwohl der Verdacht besteht, dass das Sammeln zur Dezimierung der Population beigetragen haben könnte, gibt es keine konkreten Hinweise darauf, dass es die Hauptursache für das Aussterben des Stephenschlüpfers war. Vielmehr deuten alle Berichte darauf hin, dass die meisten gesammelten Exemplare von der Katze des Leuchtturmwärters Lyall gefangen wurden. Angesichts des Verhaltens des Stephenschlüpfers, einem kleinen, mausähnlichen, halbnachtaktiven und flugunfähigen Vogel, ist es viel wahrscheinlicher, dass Katzen eine weitaus größere Bedrohung darstellten als menschliche Sammler.
Sowohl Buller als auch Travers handelten zwar mit den gesammelten Exemplaren – Travers verkaufte diese zu hohen Preisen an Rothschild und erhöhte später die Preise, als die Art als ausgestorben galt. Buller sammelte ebenfalls für seine eigene Sammlung und verkaufte einige Exemplare an andere Ornithologen. Insgesamt wurden zwischen 1894 und 1899 etwa 15 bis 20 Exemplare des Stephenschlüpfers gesammelt und an Museen weltweit verteilt.
Travers, der erhebliche Anstrengungen unternahm, um Exemplare des Vogels zu finden, segelte mindestens zweimal nach Stephens Island, um nach Stephenschlüpfer zu suchen. Aus seinen Berichten an Rothschild geht hervor, dass er keine Vögel fand, was glaubwürdig erscheint, da keine Belege vorliegen, die seine Aussagen in Zweifel ziehen würden.
Letztlich setzte das Interesse der Sammler erst ein, nachdem die Art durch die Katzen bereits stark dezimiert war. Die zeitliche Übereinstimmung zwischen den Berichten über die Aktivitäten der Katzen und dem raschen Rückgang der Population spricht eher für Katzen als Hauptursache des Aussterbens als für das Sammeln durch Wissenschaftler.
Zerstörung des Lebensraums auf Stephens Island
Ein weiterer möglicher Faktor für das Verschwinden des Stephenschlüpfers könnte der Verlust seines Lebensraums durch die Abholzung auf Stephens Island gewesen sein. Doch Belege zeigen, dass dieser Prozess erst nach 1894 in größerem Umfang einsetzte, was ihn als Hauptursache für den Rückgang der Art unwahrscheinlich macht.
Galbreath entdeckte, dass die Abholzung des Inselwaldes bereits 1879 in kleinem Maßstab begann, um einen Pfad zum geplanten Leuchtturm zu schaffen. Weitere Rodungen erfolgten während des Leuchtturmbaus von 1892 bis 1893 sowie danach, um Platz für die dazugehörigen Gebäude zu schaffen. Trotz dieser Eingriffe zeigte sich aus historischen Berichten, dass die Insel noch 1898 als dicht bewaldet beschrieben wurde, abgesehen von den gerodeten Flächen rund um den Leuchtturm.
Da die großflächige Abholzung des Waldes erst Ende 1903 begann – zu einer Zeit, als der Stephenschlüpfer bereits ausgestorben war – sind sich die meisten Wissenschaftler einig, dass der Lebensraumverlust im Vergleich zur Bedrohung durch die verwilderten Katzen eine untergeordnete Rolle spielte.
Die IUCN führt das Aussterben des Stephenschlüpfers allerdings auf eine Kombination aus Lebensraumverlust und der Nachstellung durch eingeführte Katzen zurück. Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen dieser Faktoren auf die Inselökologie ist das Schicksal des Stephens-Island-Laufkäfers, der um 1931 vermutlich aufgrund von Lebensraumverlust ausstarb.
Interessant ist, dass der Hauptleuchtturmwärter, nachdem Lyall 1896 die Insel verlassen hatte, 1897 Waffen beantragte, um die stetig wachsende Population verwilderter Katzen zu dezimieren. Es dauerte jedoch bis 1925, bis die letzten Katzen auf Stephens Island ausgerottet waren. In dieser Zeit waren die meisten Vögel bereits verschwunden. Heute ist Stephens Island katzenfrei und ein streng geschütztes Naturschutzgebiet, das seltene und gefährdete Arten wie die Brückenechse (Sphenodon punctatus) beherbergt.
Stephenschlüpfer: Verhalten und Ökologie
Der Stephenschlüpfer ist ein kleiner Sperlingsvogel aus der Familie der Stummelschwänze (Acanthisittidae). Einst war diese Familie im Holozän durch sieben Arten in vier bis fünf Gattungen vertreten, doch seit der Ankunft des Menschen in Neuseeland überleben nur noch zwei Arten in zwei Gattungen.
Da nur wenige Jahre zwischen der Entdeckung des Stephenschlüpfers und seinem Aussterben lagen, ist unser Wissen über sein Verhalten und seine Ökologie äußerst begrenzt. Die meisten Berichte stammen von Personen, die lediglich tote Exemplare gesehen haben. Wahrscheinlich war der Leuchtturmwärter David Lyall der einzige, der lebende Stephenschlüpfer beobachtet hat, und das auch nur zweimal. Diese wenigen Beobachtungen führten zu Spekulationen über die Gewohnheiten und insbesondere die Flugfähigkeit des Vogels.
In seiner Erstbeschreibung On a new species of Xenicus from an island off the coast of New Zealand (1895) erwähnte Buller, dass der Stephenschlüpfer halbnachtaktiv sei, basierend auf den Informationen eines Korrespondenten. Etwas detaillierter äußerte sich Henry Travers in einem Brief an Rothschild über das Verhalten der Art:
„Mir wurde gesagt (…) dass die wahrscheinlichste Zeit, ihn zu finden, der Winter war, da die Katze in dieser Zeit die meisten Exemplare ins Haus brachte. Lebende Exemplare wurden nur zweimal gesehen, und bei beiden Gelegenheiten hatte die Person, die sie sah, keine Waffe dabei; er erklärte, dass der Vogel wie eine Maus um die Felsen lief und so schnell in seinen Bewegungen war, dass er nicht nahe genug herankam, um ihn mit einem Stock oder Stein zu treffen.“
Travers an Rothschild, 7. März 1895, Rothschild-Papiere, Natural History Museum, London
Dieses Zitat legt nahe, dass der Stephenschlüpfer ein bodenbewohnender Vogel war, der sich flink zwischen Felsen bewegte, ähnlich wie eine Maus. Der Umstand, dass man versuchte, ihn mit einem Stock oder Stein zu fangen, anstatt ihn zu schießen, deutet stark darauf hin, dass er flugunfähig war.
Worthy und Holdaway analysierten das Skelett des Stephenschlüpfers in ihrem Werk The Lost World of the Moa (2002) und kamen zu dem Schluss, dass der eigenartig abgeflachte Schädel, der flache, breite Schnabel und die markanten Beinknochen darauf hindeuten, dass der Vogel an eine spezialisierte, aber noch unbestimmte ökologische Nische angepasst war.
Die Familie der Stummelschwänze, früher auch bekannt als Neuseelandschlüpfer oder Maorischlüpfer, besteht aus lebhaften kleinen Vögeln, die oft zwischen Felsen, im dichten Unterholz oder am Boden nach Nahrung suchen. Sie ernähren sich hauptsächlich von Insekten und Insektenlarven. Wahrscheinlich baute der Stephenschlüpfer sein Nest in Bodennähe, was ihn besonders anfällig für eingeführte Raubtiere wie Katzen machte.
Der einzige Sperlingsvogel, der nicht fliegen kann
Im Jahr 1895 stellte Rothschild in seiner Arbeit Note on the Stephens Island rockwren Traversia lyalli fest, dass der Stephenschlüpfer „überhaupt nicht flog“. Später, in Extinct Birds (1907), verwies er auf die „schwache Beschaffenheit des Flügels, die auf Flugunfähigkeit hinweist“. Diese Einschätzung stieß zunächst auf Skepsis. Einige Wissenschaftler bezweifelten Rothschilds Schlussfolgerung, da keine eindeutigen Beweise vorlagen, oder vermuteten, der Vogel sei lediglich nicht beim Fliegen beobachtet worden.
Da es bisher keine klare Bestätigung für Flugunfähigkeit bei Sperlingsvögeln (Passeriformes) gab, setzte sich der neuseeländische Paläoornithologe Philip Ross Millener das Ziel, Lyalls knappe Beobachtungen durch morphologische und funktionale Analysen zu ergänzen. Sein Ziel war es, den Nachweis zu erbringen, dass der Stephenschlüpfer tatsächlich flugunfähig war. Bis dahin war dies nicht möglich gewesen, da von den erhaltenen Exemplaren keines ein vollständiges Rumpfskelett mit Brustbein, Rabenbein und Oberarmknochen aufwies. Im August 1988 jedoch entdeckten Wissenschaftler mehrere fast vollständige Skelette auf dem neuseeländischen Festland, die erstmals intakte Brustbeine aufwiesen.
Milleners Studie der subfossilen Überreste, veröffentlicht im Jahr 1989, zeigte, dass die Flügel des Stephenschlüpfers im Verhältnis zu seinem Körpergewicht kürzer waren als bei anderen Vertretern der Stummelschwänze. Darüber hinaus ähnelten die Flügelfedern denen anderer flugunfähiger Vögel, und das Brustbein war stark reduziert, sodass es als Ansatz für Flugmuskulatur unbrauchbar war. Diese Ergebnisse bestätigen, dass der Stephenschlüpfer das einzige bekannte vollständig flugunfähige Mitglied der Sperlingsvögel war.
Das Verbreitungsgebiet des Stephenschlüpfers
Historischen Berichten zufolge war der Stephenschlüpfer ausschließlich auf der kleinen Insel Stephens Island, etwa 3,2 Kilometer vom neuseeländischen Festland entfernt, heimisch. Rothschild vermutete jedoch in Extinct Birds (1907), dass es sich bei diesem Vogel um eine Reliktart handelte, die einst auch auf dem Festland Neuseelands verbreitet war:
„Es ist fast unmöglich, dass dieser Vogel [der Stephenschlüpfer] nur auf Stephen Island existierte. Er muss auf D’Urville Island oder auf dem „Festland“ übersehen worden sein, wo er wahrscheinlich ausgestorben ist – durch Ratten und Katzen, und ähnliche Schädlinge – vor langer Zeit.“
Extinct Birds. 1907. S. 25. W. Rothschild
Neben der Flugunfähigkeit des Stephenschlüpfers konnte Millener mithilfe von in Höhlen gefundenen subfossilen Materials auch diese Vermutung Rothschilds bestätigen. Die ersten Überreste der Art wurden 1976 auf dem neuseeländischen Festland identifiziert. Im Jahr 1993 entdeckten die Ornithologen Trevor H. Worthy und Richard N. Holdaway weitere Knochen des Stephenschlüpfers auf beiden Hauptinseln Neuseelands. Diese stammten aus Höhlen und Ablagerungen, die auf Gewölle des um 1914 ausgestorbenen Weißwangenkauzes (Sceloglaux albifacies) zurückzuführen sind.
Vor der Besiedlung Neuseelands durch die Māori war der Stephenschlüpfer vermutlich weit verbreitet. Wahrscheinlich führte aber die Einführung der Pazifischen Ratte (Rattus exulans) im 13. Jahrhundert durch die indigene Bevölkerung zu seinem Verschwinden auf dem Festland. Während der letzten Eiszeit war Stephens Island noch mit dem Festland verbunden, was es dem flugunfähigen Stephenschlüpfer ermöglichte, dorthin zu gelangen.
Der Vogel verschwand vom Festland, bevor die Europäer ab den 1870er-Jahren Neuseeland besiedelten, und überlebte nur noch auf Stephens Island. Dies deutet darauf hin, dass ein Rückgang der Population bereits ohne das Zutun von Katzen begonnen hatte und die Art auf der abgelegenen Insel Zuflucht fand.
Peter P. Marra und Chris Santella räumen in ihrem Buch Cat Wars: The Devastating Consequences of a Cuddly Killer (2017) – und auch Errol Fuller in Extinct Birds (2000) – die Möglichkeit ein, dass die fossilen Beweise vom Festland nicht zwangsläufig vom Stephenschlüpfer stammen müssen. Genetische oder morphologische Unterschiede, die ihn von ähnlichen Arten unterscheiden könnten, sind bisher nicht nachweisbar. Sie halten es zudem für plausibel, dass die Funde von verschiedenen, ähnlichen Arten stammen, die über Millionen Jahre hinweg isoliert lebten.
Museumsexemplare des Stephenschlüpfers
Die Anzahl der bekannten Museumsexemplare des Stephenschlüpfers variiert je nach Quelle zwischen 16 und 18, abgesehen von subfossilen Überresten. Diese Exemplare wurden auf Stephens Island gesammelt beziehungsweise von dort ansässigen Katzen erbeutet. Rothschild besaß neun Exemplare, die alle zwischen Juli und Oktober 1894 gesammelt wurden. Davon befinden sich drei im Natural History Museum in London, vier im American Museum of Natural History in New York, eines in der Academy of Natural Sciences in Philadelphia und ein weiteres im Harvard Museum of Comparative Zoology in Cambridge, Massachusetts.
Die von Buller gesammelten Exemplare stammen aus den Jahren 1894 bis 1899. Ein weiblicher Vogel, datiert auf 1894, befindet sich heute im Carnegie Museum in Pittsburgh. Ein weiteres Paar, das sich in der Sammlung von Bullers Sohn befindet und auf 1899 datiert ist, möglicherweise jedoch früher erworben wurde, ist im Canterbury Museum in Christchurch, Neuseeland, zu finden.
Ein weiteres Exemplar wurde von Buller für den englischen Ornithologen Henry Baker Tristram erworben und 1898 an das World Museum in Liverpool verkauft. Im Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa in Wellington gibt es zudem ein präpariertes Exemplar ohne genaue Herkunftsdaten, das möglicherweise ebenfalls von Travers stammt. Darüber hinaus besitzt auch das Otago Museum in Dunedin ein Exemplar des Stephenschlüpfers.
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