Ein uraltes schwimmendes Fossil im Jangtsekiang – der Schwertstör
Der Schwertstör und seine Verwandten schwammen bereits vor mehr als 100 Millionen Jahre durch die Gewässer der Erde. Der Süßwasserraubfisch, der eine Länge von sieben Metern und ein Gewicht von mehreren tausend Pfund erreicht haben soll, überlebte das Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren. Viele Pflanzen- und fast alle Tiergruppen, darunter Dinosaurier und Meeresreptilien, verschwanden damals für immer. Die primitive Löffelstörart lebte schon vor der Menschwerdung im Jangtsekiang, dem längsten Fluss Chinas, der als wasserreichster und größter Fluss die Sichuan-Provinz durchquert. Zwischen 2005 und 2010 verschwand der uralte Schwertstör dann. Die Ursachen für sein Aussterben: Bauprojekte auf dem Jangtse, Überfischung, Wasserverschmutzung, wachsender Schiffsverkehr, Lebensraumverlust – kurzum: der Mensch.
In den letzten Jahrzehnten konnten aufgrund der abnehmenden Zahl der Schwertstöre nur begrenzt Untersuchungen zu seiner Größe vorgenommen werden. Maßangaben von sieben Metern und mehreren tausend Pfund Gewicht werden von Biologen bisweilen jedoch angezweifelt. Allgemein unter Wissenschaftlern akzeptiert wird heute eine Maximalgröße von drei Metern und ein Gewicht von rund 300 Kilogramm. Es handelt sich dennoch um einen der größten Süßwasserfische der Welt.
Der Schwertstör gehört zur Familie der Löffelstöre (Polyodontidae), der nur zwei Gattungen mit je einer Art angehören: Der Schwertstör aus dem Jangtsekiang in China und sein nächster Verwandter, der im Mississippi River endemische Amerikanische Löffelstör (Polyodon spathula). Während der Chinesische Löffelstör bereits ausgestorben ist, steht der bis zu zwei Meter lange Amerikanische Löffelstör kurz davor.
Fische aus der Gattung der Löffelstöre gelten als primitive Fische, da sie sich seit der Unterkreide vor 120 bis 125 Millionen Jahren, so zeigen es Fossilienfunde dieser Zeit, morphologisch kaum verändert haben. Neben dem Amerikanischen und dem Chinesischen Löffelstör sind heute noch vier weitere fossile Löffelstörarten bekannt.
Auch die großen, glänzenden Ganoidschuppen am oberen Teil der Schwanzflosse des Schwertstörs weisen auf seine Urtümlichkeit hin. Heute existiert die Schuppenart, die man sonst nur von fossilen Fischen kennt, nur noch bei sehr wenigen Gattungen der Knorpelganoiden (Chondrostei), deren Knorpelskelett kaum verknöchert ist. Dazu gehören etwa die Löffelstöre und die Echten Störe (Acipenseridae). Bei Knochenfischen verkleinerten sich die Ganoidschuppen dagegen im Laufe der Evolution stark.
Schwertstör – Steckbrief
alternative Bezeichnungen | Chinesischer Schwertfisch, Chinesischer Löffelstör |
wissenschaftliche Namen | Psephurus gladius, Polyodon gladius, Spatularia (Polyodon) angustifolium, Polyodon angustifolium |
englische Namen | Chinese paddlefish, Chinese swordfish, Elephant fish |
ursprüngliches Verbreitungsgebiet | Jangtsekiang (China) |
Zeitpunkt des Aussterbens | zwischen 2005 und 2010 |
Ursachen für das Aussterben | Lebensraumfragmentierung, Lebensraumverlust, Überfischung, langsame Reproduktionsrate, Wasserverschmutzung, Schiffsverkehr |
Parallelen zwischen Chinesischem Löffelstör und Axolotl
Das Wasser des Jangtse ist stets trüb, weshalb der Schwertstör nur sehr kleine Augen mit schlechtem Sehvermögen besaß. Das jedoch charakteristischste Merkmal der Löffelstöre ist ihre sehr lange Stirnpartie. Sie macht fast ein Drittel der Gesamtlänge der Fische aus. Während das breite Rostrum, der schnabelartige Knorpelvorsprung am Schädel, des Amerikanischen Löffelstörs einem Paddel gleicht, war der schmale Schnauzenfortsatz des Chinesischen Löffelstörs schwertartig.
Der Biologe Lon A. Wilkens untersuchte 2007 das Rostrum des Amerikanischen Löffelstörs. Er fand heraus, dass Elektrorezeptoren auf dem Stirnfortsatz zur elektrischen Orientierung beim Beutefang dienen. Auch die Schnauze des Schwertstörs enthielt Zellen, die elektrische Aktivität im Körper von Beutetieren aufspüren konnten. Einen elektrischen Orientierungssinn findet man bei vielen Haien und Rochen.
In einer osteologischen Studie über Löffelstöre (1991) schreiben Lance Grande und William E. Bemis, dass die Morphologie des Schwertstörs trotz seiner Größe einen „unreifen“ Eindruck mache. Dieser werde durch seine weißliche Färbung, die nackte Haut, die kurzen Flossen, den breiten Kiemendeckelsaum und die geringe Verknöcherung des Knorpelskeletts hervorgerufen. Die beiden Evolutionsbiologen vergleichen den Schwertstör sogar mit einem „pädomorphen Axolotl“. So wie beim Axolotl die Individualentwicklung nicht abgeschlossen erscheint und er Zeit seines Lebens als kiemenatmende Dauerlarve im Wasser lebt, erwecken auch die Merkmale des Schwertstörs den Eindruck, er sei „unreif“ oder unfertig.
Von Laichgründen abgeschnitten – der Chinesische Löffelstör
Die Anzahl der Schwertstöre nahm zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert stetig ab, doch ab 1985 sank sie dramatisch. Der Grund lag in der Errichtung der Gezhouba-Talsperre zwischen 1970 und 1988 am Mittellauf des Jangtse. Dies hatte enorme Auswirkungen auf den Schwertstör, der zu den anadromen Wanderfischen zählt. Der Chinesische Schwertfisch verbrachte nämlich einen Teil seines Lebens im Meer und während der Frühjahrshochwasser im März und April wanderte er flussaufwärts in den Oberlauf des Jangtse, denn dort lagen seine Laichplätze.
Die Gezhouba-Talsperre machte den Schwertstören die Wanderung in den Oberlauf des Flusses unmöglich, um sich fortzupflanzen oder flussabwärts, um nach Nahrung zu suchen. Im Oberlauf des Jangtse wurden 1995 die letzten Jungfische gefangen.
Die Talsperre besitzt keine Fischtreppe oder anderweitige Umgehungsmöglichkeiten, die dem Schwertstör hätten ermöglichen können, zu seinen Laichgründen stromaufwärts zu gelangen. Wissenschaftler fanden zu spät heraus, dass das Überleben des Chinesischen Löffelstörs davon abhängt, dass er in den Oberlauf des Flusses und wieder zurück gelangt. Dass die Fischart nur im Oberlauf laicht, weiß man erst seit Ende der 1970er-Jahre.
Lange Zeit fiel auch gar nicht auf, welchen Einfluss der Bau der Talsperre auf die Schwertstör-Population nahm. Doch 1993 stellten Forscher plötzlich fest, dass der Chinesische Schwertfisch schon längst funktional ausgestorben ist. Es gab nicht mehr genügend Exemplare, die sich fortpflanzen konnten.
Der Schwertstör nutzte verschiedene Habitate im Jangtsekiang
Der Schwertstör war im Unter-, Mittel- und Oberlauf des Jangtsekiang und in weiten Teilen seines Stromgebiets bis hin zu seiner Mündung in das Ostchinesische Meer verbreitet. Es existieren zudem Aufzeichnungen darüber, dass der Chinesische Schwertfisch in historischer Zeit auch im Becken des Gelben Flusses sowie seiner Mündung ins Gelbe Meer vorkam. Der Gelbe Fluss ist über den Kaiserkanal mit dem Jangtsekiang verbunden.
Sich entwickelnde befruchtete Eizellen (Zygoten) und Jungfische fand man ausschließlich im Oberlauf in der Nähe der Stadt Luzhou in der Sichuan-Provinz. Die Schwertstöre legten ihre Eier im offenen Wasser in einer Tiefe von bis zu zehn Metern im schlammigen, felsigen oder sandigen Boden ab. Die ausgewachsenen Elterntiere bewachten den Laich nicht, sondern kehrten zurück in den Unterlauf des Jangtse.
Ausgewachsene Chinesische Schwertfische waren größtenteils Einzelgänger, die sich vor allem in den unteren und mittleren Bereichen des Wassers aufhielten und manchmal auch in große Seen schwammen. Sie hielten sich außerhalb der Laichzeit in den Küstengewässern des Ostchinesischen und Gelben Meeres sowie auch im Brackwasser der Mündung am Unterlauf des Jangtse auf. Der Schwertstör als Süßwasserfisch war demnach salzwassertolerant.
Überfischung, Habitattrennung und späte Geschlechtsreife
Der Hauptgrund für das Verschwinden des Schwertstörs war sicherlich die Errichtung des Gezhouba-Staudamms, der nicht nur die Fische von ihren Wanderungen und damit vom Laichen abhielt, sondern auch ihren Lebensraum und die Population aufspaltete. Die Zahl der Schwertstöre ging im letzten Jahrhundert auch durch die Überfischung des Jangtse zurück. Der Chinesische Schwertfisch, der vor allem wegen seines schmackhaften Kaviars beliebt war, galt als einer der wertvollsten Fische Chinas. Der Fischfang dieser Art ist über mehrere Jahrhunderte dokumentiert.
Die Ichthyologen Chenhan Liu und Yongjun Zen geben in Notes on the Chinese Paddlefish (1988) an, dass trotz seiner großen kommerziellen Bedeutung relativ wenige Schwertstöre gefangen wurden. Vor 1976 seien es im gesamten Jangtse „nur“ etwa 25.000 Kilogramm Schwertstör jährlich gewesen. Dies entspräche weniger als ein Prozent des gesamten, alle Arten umfassenden Fangs im Jangtse. Insbesondere die Schulen bildenden Jungfische des Chinesischen Löffelstörs gingen leicht in traditionelle chinesische Fischernetze, was zusätzlich die Nachhaltigkeit lebensfähiger Populationen verringerte.
Neben Wasserverschmutzung und tödlichen Verletzungen durch den stetig wachsenden Schiffsverkehr auf dem Jangtse dürfte auch der lange Lebenszyklus des Schwertstörs zu seinem Verschwinden beigetragen haben. Männliche Tiere erreichten die Geschlechtsreife im Alter von fünf bis zehn Jahren, Weibchen teils sogar erst mit 15 Jahren. Populationen großer und erst spät geschlechtsreif werdender Tiere erholen sich von Ausbeutung und Schwund nur sehr langsam – oder eben gar nicht.
Schwertstör 2019 für ausgestorben erklärt
Der chinesische Fischbiologe Wei Qiwei, der den Chinesischen Löffelstör jahrzehntelang erforschte, durchsuchte mit seinen Kollegen zwischen 2006 und 2008 einen 500 Kilometer langen Bereich im Oberlauf des Jangtse – ohne auch nur einen Schwertstör aufzuspüren. Der Earth News-Reporter Jody Bourton schrieb 2009 in Giant fish ‚verges of extinction‘ über diese dreijährige Suchexpedition. Die Wissenschaftler hätten sich auch der hydroakustischen Suche bedient. Mittels Wasserschall konnten so zwei mögliche Schwertstöre ausgemacht werden, was sich allerdings nicht bestätigen ließ.
Nachdem während weiterer ausgedehnter Suchen im Jangtsekiang zwischen 2017 und 2018 abermals kein einziger Schwertstör gefunden wurde, erklärt Wei Qiwei die Fischart schließlich in seiner 2019 erschienenen Studie des Yangtze River Fisheries Research Institute für ausgestorben. Der Wissenschaftler vermutet, dass die Art irgendwann zwischen 2005 und 2010 verschwunden ist.
Im Becken des Gelben Flusses und in dessen Mündung wurden die letzten Schwertstöre bereits in den 1960er-Jahren verzeichnet. Im Jangtse war ebenfalls ein Rückgang der Chinesischen Löffelstöre bemerkbar, dennoch fing man in den 1970er-Jahren weiterhin 25 Tonnen Schwertstör pro Jahr. Nur ein Jahrzehnt später nahm die Zahl der Fische rapide ab. So wurden 1985 lediglich 32 Schwertstöre gefangen.
Nur zwei bestätigte Sichtungen seit der Jahrtausendwende
Ab den 1990er-Jahren listete die Weltnaturschutzorganisation IUCN den Chinesischen Schwertfisch als stark gefährdet. Seit 2000 gab es nur zwei bestätigte Sichtungen lebender Schwertstöre im Jangtse. Ein 3,3 Meter langer und 117 Kilogramm schwerer weiblicher Schwertstör wurde 2002 bei Nanjing gefangen. Versuche, den Fisch zu retten, scheiterten und er starb kurz darauf. Ein weiteres weibliches Tier mit einer Länge von 3,52 Metern und einem Gewicht von 160 Kilogramm ging einem Fischer in der Sichuan-Provinz im Januar 2003 versehentlich ins Netz. Der Schwertstör wurde mit einem Peilsender ausgestattet und wieder freigelassen, doch nach nur zwölf Stunden endete die Übertragung des Funksignals.
Einige Exemplare des Chinesischen Schwertfisches fingen Wissenschaftler im Rahmen eines Zuchtprogramms. Die letzten in Gefangenschaft gehaltenen Tiere starben 2004. Sämtliche Versuche, Chinesische Löffelstöre in menschlicher Obhut zu züchten, schlugen fehl.
Der Schwertstör ist nicht die einzige in letzter Zeit im Jangtsekiang ausgestorbene Tierart. Auch der Chinesische Flussdelfin verschwand 2002. Die Jangtse-Riesenweichschildkröte (Rafetus swinhoei) steht kurz vor der Ausrottung: 2016 sollen nur noch drei Exemplare dieser Art existiert haben; Ende 2020 fand man noch ein Weibchen. Zudem ist der im Jangtse lebende Chinesische Stör (Acipenser sinensis) akut vom Aussterben bedroht. Am 1. Januar 2020 verhängte die chinesische Regierung ein zehnjähriges Fischfangverbot für den Jangtse-Fluss.
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