Gejagt wegen des Fleisches, des Fetts und der Jungtiere
Der französische Amateur-Naturforscher Jean Baptiste Francois de la Nux schrieb 1772 im Letter on Rousettes and Rougettes über ein Tier namens Rauchgrauer Flughund: „Als ich hier ankam, waren diese Tiere häufig, sogar in den Gegenden, in denen sie heute selten geworden sind. Sie werden wegen ihres Fleisches, ihres Fetts, ihrer Jungtiere den ganzen Sommer, den ganzen Herbst und teilweise im Winter gejagt, von Weißen mit Waffen, von Schwarzen mit Netzen.“
Vieles, was wir heute über Rauchgraue Flughunde wissen, die unter frühen Reisenden als Rougettes oder Rousettes bekannt waren, kann man Aufzeichnungen von la Nux entnehmen. So rezitieren Anthony Cheke und Julian P. Hume in Lost Land of the Dodo den Naturforscher weiter:
„Ich möchte hier nur das Wenige nennen, was ich über Rougettes weiß. Man sieht sie nie am Tage fliegen. Sie leben in Gemeinschaften in großen Höhlen alter Bäume; in manchen Fällen sogar mehr als 400 Tiere. Sie verlassen ihren Unterschlupf erst, wenn die Dunkelheit hereinbricht und kehren vor dem Morgengrauen zurück. (…) Ganz gleich, aus wie vielen Individuen so eine Gemeinschaft besteht, es gibt immer nur ein Männchen.“
Der Rauchgraue Flughund, der häufig auch als Kleiner Maskarenen-Flughund bezeichnet wird, war also streng nachtaktiv und neben einem besonders dichtem Fell besaß er eine Fettschicht, die ihn zur beliebten Jagdbeute im späteren 18. Jahrhundert machte. Experten vermuten aufgrund des Fells und der ausgeprägten Fettschicht, dass der Rauchgraue Flughund an kühle Temperaturen in großen Höhen angepasst war – im Gegensatz zum verwandten, heute noch auf den Inseln Réunion und Mauritius heimischen Maskarenen-Flughund (Pteropus niger).
Rauchgrauer Flughund – Steckbrief
alternative Bezeichnung | Kleiner Maskarenen-Flughund |
wissenschaftliche Namen | Pteropus subniger, Pteropus rubricollis |
englische Namen | Small Mauritian Flying Fox, Dark Flying Fox, Rougette, Rousette, Lesser Mascarene Flying-Fox |
ursprüngliches Verbreitungsgebiet | Réunion, Mauritius (Indischer Ozean) |
Zeitpunkt des Aussterbens | zwischen 1864 und 1873 |
Ursachen für das Aussterben | Überjagung, Lebensraumverlust |
Rauchgrauer Flughund: Sein Aussterben verlief unbemerkt
Unklar ist, warum der Rauchgraue Flughund ausgestorben ist, noch unklarer ist, wann dies geschah. Im 1981 veröffentlichten Artikel The Status of Bats on western Indian Ocean Islands, with special reference to Pteropus befassen sich A. Cheke und J. F. Dahl mit diesen Fragen.
Als Gründe für das Aussterben vermuten sie die Abholzung der Wälder und damit das Verschwinden ihrer Schlafplätze. Sowie die Angewohnheit der Rauchgrauen Flughunde, in großer Zahl in Bäumen oder Höhlen aufzutreten, sodass Jäger die Chance hatten, viele Tiere auf einmal zu erlegen.
Während Befragungen auf Mauritius durch Cheke und Dahl herrschte im Großen und Ganzen Einigkeit darüber, es gebe nur eine Flughund-Art. Auch berichtete niemand von großen Flughund-Schlafplätzen in hohlen Bäumen oder Felsspalten, die eigentlich, Aufzeichnungen des 18. Jahrhunderts zufolge, charakteristisch für den Rauchgrauen Flughund waren.
Wenn der Rauchgraue Flughund zum Zeitpunkt der Befragung von Cheke und Dahl noch existiert hätte (zumindest in den Gedächtnissen der Menschen), so hätten wenigstens Waldarbeiter die Tierart wahrnehmen müssen.
Die Wissenschaftler kommen daher zu dem Schluss, dass die Flughund-Art auf Mauritius und Réunion seit mehr als 100 Jahren ausgestorben sein muss. Der letzte Zeitzeugenbericht zu Rauchgrauen Flughunden stammt vom Naturforscher George Clark im 1859 veröffentlichten The Mauritius Register. Cheke und Dahl vermuten als Aussterbezeitpunkt den Zeitraum zwischen 1864 und 1873.
Verwunderlich ist auch, dass das Aussterben des Rauchgrauen Flughundes quasi unbemerkt verlief und kein lokaler Naturforscher es bemerkte. So referierte der Biologe Donald d’Emmerez de Charmoy in Mauritius Illustrated über den Rauchgrauen Flughund Anfang des 20. Jahrhunderts so, als würden dieser noch existieren. Und sogar 1972 ging der Zoologe C. Michel noch davon, dass die Art noch lebt.
Der erste Hinweis darauf, dass der Rauchgraue Flughund ausgestorben sein könnte, erschien übrigens erst im Jahre 1874 im Buch Wildlife in Mauritius vom amerikanischen Biologen Stanley A. Temple.
Um 1720 noch häufig anzutreffen – Rauchgraue Flughunde
Die Gattung Pteropodidae steht mit Flughunden den Fledermäusen (Microchirpotera) gegenüber. Beide Gattungen gehören zur Ordnung der Fledertiere (Chiroptera), aber die Flughunde (im Englischen megabats) stellen die größten Fledertier-Arten dar. So kann etwa der in Südostasien beheimatete Kalong-Flughund (Pteropus vampyrus) eine Flügelspannweite von bis zu 170 Zentimetern erreichen. Der Rauchgraue Flughund war viel kleiner; George Clark beschrieb die Art als etwa so groß wie eine Ratte. Sie besaß eine Flügelspannweite von rund 60 Zentimetern.
Matt Stanfield schreibt 2017 im Blog Remembrance Day for lost Species, 1720 sei der Rauchgraue Flughund auf Mauritius noch häufig anzutreffen gewesen. Das war zu jener Zeit, als die Franzosen begannen, Mauritius zu besiedeln. Tausende versklavter Afrikaner, Madagassen und Asiaten wurden auf die Insel gebracht, um für die Zuckerindustrie zu arbeiten. Mauritius wurde für mehr als 100 Jahre zu einer Sklavenkolonie. Unter französischer Herrschaft wurden auch viele Wälder abgeholzt, um Platz für Plantagen zu schaffen oder die Zuckerindustrie anzutreiben.
Stanfield weist zudem darauf hin, dass die Sklaven nicht ausreichend mit Nahrung versorgt wurden, sodass diese zusätzlich auf Jagd gingen, um ihr Überleben sicherzustellen – dabei fielen natürlich auch Rauchgraue Flughunde zum Opfer, die, wie oben erwähnt, eine leichte Beute darstellten.
Neben den Rauchgrauen Flughunden verschwanden durch Menschenhand noch viele weitere Tierarten von Mauritius und Réunion, wie zum Beispiel die Réunion-Riesenschildkröte, der Mauritius-Riesenskink, die Réunion-Taube, der Dodo oder der Réunion-Ibis.
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