Madeira-Ringeltaube übertraf kontinentale Form an Lebhaftigkeit der Färbung
Viktor von Tschusi zu Schmidhoffen war ein österreichischer Ornithologe und fasziniert von der paläarktischen Avifauna – also der Vogelwelt Europas, Asiens und Nordafrikas. So sammelte er Serien, die jeweils eine Vogelart abbildeten, wobei die Exemplare aus unterschiedlichen Verbreitungsgebieten stammten. Beim Vergleich der artgleichen Tiere untereinander bemerkte er schnell Unterschiede: Sie variierten etwa in Farbe, Größe, Schnabelform oder Brutplatzwahl. So kam es, dass Tschusi zahlreiche Unterarten von Vögeln wissenschaftlich beschrieb. Eine davon war die Madeira-Ringeltaube, eine Unterart der uns allseits bekannten Ringeltaube (Columba palumbus).
Im Ornithologischen Jahrbuch (Band 15), dessen Herausgeber Tschusi war, beschrieb er 1904 im Abschnitt Über palaearktische Formen (VIII.) die neue Ringeltauben-Unterart als Columba palumbus maderensis.
Tschusi vergleicht die Unterart mit der auf dem europäischen Festland weit verbreiteten Ringeltaube: „Die Madeirenser Ringeltaube bildet eine sehr leicht kenntliche geogr. Form, welche unsere kontinentale an Lebhaftigkeit der Färbung übertrifft, wie das bei verschiedenen Formen Madeiras der Fall ist. Unsere Ringeltaube, ihr gegenüber gehalten, macht den Eindruck von verblaßten Stücken.“
Die Federn der Madeira-Ringeltaube waren etwas dunkler, vor allem in der Bauchgegend und unter den Flügeln. Auch der weinrote Bereich an Brust und Kehle war intensiver gefärbt. Die Weibchen waren zwar etwas blasser, aber immer noch intensiver gefärbt als die kontinentale Variante.
Neben der Madeira-Ringeltaube gibt es noch andere Unterarten: Die nur auf den Azoren vorkommende Azoren-Ringeltaube (C. p. azorica), die im Südosten Irans, in Afghanistan und im Himalaya lebende Asiatische Ringeltaube (C. p. casiotis) sowie die Iranische Ringeltaube (C. p. iranica), die im Iran (außer im Südosten) und im angrenzenden Teil Turkmenistans heimisch ist. Die Nominatform C. p. palumbus ist die Europäische Ringeltaube.
Madeira-Ringeltaube – Steckbrief
alternative Bezeichnung | Madeirenser Ringeltaube |
wissenschaftlicher Name | Columba palumbus maderensis |
englischer Name | Madeiran Wood Pigeon |
ursprüngliches Verbreitungsgebiet | Madeira (Atlantischer Ozean, Portugal) |
Zeitpunkt des Aussterbens | frühestens 1904 |
Ursachen für das Aussterben | unklar, vermutlich Lebensraumverlust, auf Insel eingeschleppte Ratten |
Wann verschwand die Ringeltaube von Madeira?
Die Madeira-Ringeltaube war bereits in den Jahren von 1896 bis 1906 sehr selten. Dies lässt sich dem Beitrag Die Vögel Madeiras des deutschen Ornithologen Ernst Schmitz, erschienen im Ornithologischen Jahrbuch (Band 10) 1899, entnehmen. Schmitz lebte in dieser Zeit auf Madeira. Trotz großer Anstrengungen konnte der Vogelkundler dort nur wenige Ringeltauben sowie ihre Eier ausfindig machen.
Aus dem Bericht May in Madeira (1925 veröffentlicht in der Zeitschrift IBIS) des britischen Offiziers und Naturforschers Richard Meinertzhagen geht hervor, dass im Mai 1924 keine Madeira-Ringeltaube gesichtet werden konnte. Auch für die Jahre danach existieren keine (bestätigten) Sichtungen; auch nicht von einheimischen Taubenjägern.
Es lässt sich also ungefähr eingrenzen, wann die Madeira-Ringeltaube verschwand. Im Jahr 1904 sammelte Schmitz auf jeden Fall noch mindestens ein weibliches Tier. Warum die Vogelart ausgestorben ist, lässt sich auch nur vage beantworten.
Auch die einst auf Madeira endemische Schmetterlingsart Madeira-Kohlweißling – möglicherweise eine Unterart des Großen Kohlweißlings (Pieris brassicae) – gilt seit den späten 1970er-Jahren als ausgestorben.
Der Laurisilva von Madeira: Die Heimat der Madeira-Ringeltaube
Aus Aufzeichnungen geht hervor, dass die Madeira-Ringeltaube im Lorbeerwald der portugiesischen Insel lebte; ein immergrüner und stets feuchter Bergwald. Der Laurisilva auf Madeira bedeckt heute nur noch etwa 20 Prozent der Inselfläche, was etwa 150 Quadratkilometer entspricht.
Die IUCN sieht auf Madeira einen historischen Zusammenhang zwischen dem Artensterben und Sinken von Bestandszahlen und der Zerstörung der Lorbeerwälder zum Holzgewinn und zur Schaffung von Acker-, Weide- und Wohnflächen. So verringerte sich etwa der Bestand der auf Madeira endemischen und heute noch existenten Silberhalstaube oder Madeirataube (Columba trocaz) mit dem Rückgang der Lorbeerwälder deutlich. Heute hat er sich wieder erholt und die IUCN stuft die Vogelart nun als nicht gefährdet ein.
Als eine weitere Bedrohung für die Vogelart verweist die Weltnaturschutzorganisation auf die ab dem 15. Jahrhundert mit der Besiedlung Madeiras eingeschleppten und heutzutage überall vorkommenden Hausratten (Rattus rattus). Diese stellen für einheimische Vogelarten eine Gefahr dar, weil sie unter anderem deren Nester plündern.
Da die Silberhalstaube nicht nur im Lorbeerwald, sondern auch außerhalb diesem vorkommt, mögen ihre Überlebenschancen besser gewesen sein als die der Madeira-Ringeltaube. Die Faktoren, die zur Gefährdung der Silberhalstaube geführt haben, führten vielleicht zum Aussterben der Madeira-Ringeltaube: der Verlust des natürlichen Lebensraums, dem Lorbeerwald, sowie die Bedrohung durch invasive Ratten.
Und wer weiß schon so genau, ob nicht die eine oder andere ausgestorben geglaubte Tier- oder Pflanzenart noch lebt, denn bei 90 Prozent des noch existierenden Lorbeerwaldes auf Madeira handelt es sich um Primärwald. Dieser ist teils unzugänglich und frei von menschlichem Einfluss. Heute steht er unter Naturschutz und ist Teil des 1982 gegründeten Naturparks Madeira.
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