Ein ausschließlich in Höhlen vorkommender Skorpion ohne Augen
Die Ajalon-Höhle (auch Ayyalon), die zwischen Tel Aviv und Jerusalem liegt und mit mehr als 2,7 Kilometern Länge die zweitgrößte Kalksteinhöhle Israels ist, wurde erst 2006 entdeckt. Wissenschaftler fanden im Salzwasser der Höhle verschiedene neuartige Bakterien, Einzeller und vier Krebstierarten. Im trockenen Bereich der Höhle entdeckten sie den Pseudoskorpion Ayyalonia dimentmani und Überreste des blinden Skorpions Akrav israchanani. Der israelische Biologe und Arachnologe Gershom Levy beschrieb Akrav israchanani 2007 erstmals wissenschaftlich.
Levy stellte die neu entdeckte Skorpionart aufgrund ihrer Morphologie in eine neue Gattung namens Akrav (hebräisch für Skorpion). In der Ajalon-Höhle fanden Wissenschaftler ungefähr 20 ausgehöhlte Exoskelette von Akrav israchanani, die an den Felsen am Ufer eines Höhlensees klebten. Beim Ablösen der Skorpionskelette zerfielen diese oft in mehrere Teile, doch waren die Tiere im guten Zustand. Dies ist auf die Bedingungen innerhalb der Ajalon-Höhle zurückzuführen; dort herrscht eine Luftfeuchtigkeit von fast 100 Prozent, die Temperaturen sind hoch und die Atmosphäre weist einen hohen Schwefelwasserstoffgehalt auf. Die Überreste der gefundenen Skorpione befinden sich heute in der Hebräischen Universität von Jerusalem.
Der Biologe Victor Fet und seine Kollegen veröffentlichen 2011 in der amerikanischen Fachzeitschrift Euscorpius eine Revision der Gattung Akrav. Fet und sein Team untersuchten die gesammelten Überreste des augenlosen Höhlenskorpions erneut und fanden heraus, dass Levy ein paar morphologische Merkmale falsch gedeutet hat. Fet ist unter anderem der Ansicht, dass Akrav israchanani zu keiner neuen und einzigartigen Familie gehört. Stattdessen sehen sie den Höhlenskorpion innerhalb der Familie der Typhlochactinae, der troglomorphe Skorpione aus dem Osten Mexikos angehören. Im Großen und Ganzen bestätigen die Arachnologen aber Levys Erstbeschreibung.
Akrav israchanani – Steckbrief
wissenschaftlicher Name | Akrav israchanani |
ursprüngliches Verbreitungsgebiet | Ajalon- und Levana-Höhle, Israel |
Zeitpunkt des Aussterbens | zwischen 1960 und 1991 |
Ursachen für das Aussterben | unklar |
Akrav israchanani: Erster troglobionter Skorpion Israels
In Höhlen lebende Skorpione sind auf der ganzen Welt selten. Ende der 1960er-Jahren fand man in Höhlen Mexikos die ersten Skorpione, die ausschließlich in Höhlen leben. Seither wurden diverse andere troglobionte Skorpionarten beschrieben.
Die meisten von ihnen leben in tropischen Regionen, in Malaysia, Mexiko, Brasilien, Ecuador, Indonesien oder auf der Weihnachtsinsel. Bei Akrav israchanani handelt es sich um den ersten bekannten troglobionten Skorpion außerhalb der Tropen. Manche Biologen vermuten, dass es sich bei den in der Ajalon-Höhle gefundenen Organismen um eine Reliktfauna aus der Zeit des tropischen Ozeans Tethys handelt. Wiederum andere erklären die Existenz dieser Skorpione in Israel so, dass die Ajalon-Höhle ein eigenständig entwickeltes unterirdisches Ökosystem ist. Und eine dritte Theorie besagt, dass die Skorpione später in die Höhle gelangten und dort eingeschlossen wurden.
Morphologische Anpassungen an das Leben in der Höhle
Der rund fünf Zentimeter große Skorpion Akrav israchanani war an das dauerhafte Höhlenleben angepasst. Wie viele andere troglomorphe Tiere auch, war er blind und wies auch keine Anlagen für Augen auf. Er orientierte sich mithilfe eines Bewegungssensororgans in seinem Bauch.
Ein anderes troglomorphes und bereits ausgestorbenes Tier ist Perrins Höhlentauchkäfer. Der augenlose Schwimmkäfer wurde als Teil der Grundwasserfauna in einem tiefen Brunnen in Südfrankreich entdeckt. Er besaß Tasthaare an seinen Flügeln und im Brustbereich, die die Augen ersetzten. Wahrscheinlich starb Perrins Höhlentauchkäfer 1945 aus. Auch der blinde, im Grundwasser lebende Blanco-Brunnenmolch aus Texas konnte nach 1951 nicht mehr nachgewiesen werden.
Ein auffälliges Merkmal von Akrav israchanani waren seine hakenförmig gebogenen Spitzen der Scheren (Chelae). Diese Art der Scheren ist bei Skorpionen bisher nicht bekannt: Die Spitzen der geschlossenen Scheren greifen bei Akrav israchanani aneinander vorbei; die gezähnten Kanten der Scheren bilden dabei einen Spalt. Fet und sein Team sehen in den einzigartigen Scheren eine mögliche Anpassung an den Fang im Wasser lebender Krebstiere.
Da die Überreste von Akrav israchanani ausschließlich in Wassernähe gefunden wurden, liegt die Vermutung nahe, dass auch der Beutefang dort stattfand. Der blinde Höhlenkrebs Typhlocaris ayyaloni, der ebenfalls 2006 in der Ajalon-Höhle entdeckt wurde, könnte auf dem Speiseplan von Akrav israchanani gestanden haben. Es existieren nur wenige amphibische Skorpionarten, die ihr Dasein sowohl im Wasser als auch an Land fristen – Akrav israchanani war wohl eine davon.
Wann ist der Skorpion Akrav israchanani ausgestorben?
Die untersuchten Überreste von Akrav israchanani weisen darauf hin, dass es sich nicht etwa um Fossilien, sondern um neuzeitlich ausgestorbene Skorpione handelt. Forscher unternahmen intensive Suchen in der Ajalon-Höhle, konnten aber keine lebenden Exemplare von Akrav israchanani aufspüren.
Die klimatischen Bedingungen in der Ajalon-Höhle verhinderten die Zersetzung des Chitin-Panzers der Skorpione durch Pilze oder Bakterien, weshalb es schwierig ist, den genauen Todeszeitpunkt zu bestimmen. Die gefundenen Tiere wiesen keinerlei Anzeichen von Fossilisation auf.
Eine 2011 von Israel Naaman veröffentlichte Studie zur Entstehungsgeschichte und Ökologie der Ajalon-Höhle ermöglicht die Eingrenzung des Aussterbezeitpunktes. Naaman rekonstruierte wie sich der Grundwasserspiegel seit 1951 aufgrund menschlicher Einflüsse innerhalb der Höhle veränderte. Anhand der Fundstellen der vertrockneten Höhlenskorpione am Ufer des unterirdischen Sees und den von Naaman ermittelten Wasserständen lässt sich feststellen, dass Akrav israchanani zwischen 1960 und 1991 ausgestorben ist.
Gründe für das Verschwinden des augenlosen Höhlenskorpions
Levy vermutete in seiner Erstbeschreibung von Akrav israchanani noch, die Art sei aufgrund von Nahrungsmangel ausgestorben, denn zunächst fanden Wissenschaftler keine geeigneten Beutetiere. Gegen diese Theorie spricht jedoch, dass die gefundenen Skorpionhüllen keinerlei Bissspuren oder andere Verletzungen aufwiesen. Da Skorpione bei Nahrungsmangel zu Kannibalismus neigen, hätten zumindest einige Überreste Bissspuren aufweisen müssen.
Weiterhin ist auch kein in der Ajalon-Höhle lebendes Tier bekannt, dem Akrav israchanani zum Opfer hätte fallen können. In Höhlen lebende Skorpione stehen in ihrem Ökosystem stets an der Spitze der Nahrungskette.
Alle in der Ajalon-Höhle gefundenen Skorpione waren entweder ausgewachsen oder etwas jünger, aber Jugendstadien wiesen keine der toten Tiere auf. Bis auf eine Ausnahme: Ein Embryo in einer der Hüllen. Fet und seine Kollegen sprechen sich dafür aus, dass die Skorpion-Populationen einen plötzlichen Tod erlitt und nicht über Generationen hinweg ausgestorben ist. Solch ein plötzliches katastrophales Ereignis könnte die Freisetzung einer großen Menge an Schwefelwasserstoff aus dem Höhlensee gewesen sein. Dass andere dort lebende Organismen eine solche Katastrophe überlebt haben, könnte daran liegen, dass die Skorpion-Population besonders klein war.
Ofry Ilani vermutet 2007 in einem Artikel über die Ajalon-Höhle in der israelischen Tageszeitung Haaretz, dass das Aussterben von Akrav israchanani auf den im Laufe der Jahre um mehr als zwölf Meter gesunkenen Wasserspiegel im Höhlensee zurückzuführen ist. Die Wasserentnahme Israels übersteigt die Grundwasserneubildung deutlich, sodass der Grundwasserspiegel seit den 1950er-Jahren stetig weiter sinkt. Wegen der geringeren Wassermenge kommt es zu einem Anstieg des Salzgehalts im Grundwasser.
Durch das Abpumpen von Grundwasser reduzierte sich die Fläche des Ajalon-Höhlensees von 4.000 auf 400 Quadratmeter. Ein kleinerer Lebensraum führt zu einer geringeren Produktion von Biomasse, was vor allem für Organismen, die am Ende der Nahrungskette stehen (wie Akrav israchanani), bedrohlich ist.
2015: Weitere Exemplare von Akrav israchanani entdeckt
Im Dezember 2015 entdeckten Wissenschaftler fünf weitere tote Exemplare von Akrav israchanani, allerdings in einer anderen Höhle: in der 493 Meter langen Levana-Höhle, die 350 Meter östlich von der Ajalon-Höhle entfernt liegt. Victor Fet und sein Team studierten auch die neu entdeckten toten Skorpione und fassten ihre Ergebnisse für das Fachmagazin Euscorpius 2017 zusammen. Sie kamen zu dem Schluss, dass es sich definitiv um dieselbe Spezies handelt.
Der Fund zeigt, Akrav israchanani ist oder war nicht auf eine Höhle als Lebensraum beschränkt. Auch in der Levana-Höhle konnten keine lebenden Individuum gefunden werden. Der Fund zeigt aber, dass Populationen der augenlosen Höhlenskorpione in anderen bislang unbekannten Höhlen in dieser Region überlebt haben könnte oder dass zumindest Überreste der Art noch woanders zu finden sind.
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