Wie sich städtische Tiere anpassen: Miesmuscheln am Schiff
Anpassung an die Stadt: Miesmuscheln besiedeln den Rumpf eines alten Schiffs. Diese robuste Art trotzt Umweltveränderungen und zeigt, wie marine Organismen in von Menschen geprägten Lebensräumen überleben können. Christian Ferrer, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Leben zwischen Beton & Lärm: Zur Anpassungsfähigkeit städtischer Tiere

Die moderne Stadt ist ein unbarmherziger Lebensraum: Lärm, Lichtverschmutzung, veränderte Temperaturen und Umweltgifte setzen ihren Bewohnern zu. Dennoch gelingt es vielen Tierarten, nicht nur zu überleben, sondern sich aktiv an diese Herausforderungen anzupassen. Eine neue Studie von Elizabeta Briski et al. (2025), veröffentlicht in Ecology Letters, zeigt, dass städtische Tiere widerstandsfähiger gegenüber Umweltveränderungen sind als ihre Artgenossen aus natürlichen Lebensräumen. Diese Erkenntnis ist für den Artenschutz im Klimawandel von großer Bedeutung.

Wie Umweltstress die Widerstandskraft beeinflusst

Die Studie untersuchte Miesmuscheln (Mytilus edulis) sowie Flohkrebse (Gammarus locusta und Gammarus salinus) aus der Ostsee. Die Forscher verglichen Populationen aus der Kieler Förde, einem stark vom Menschen geprägten Gebiet, mit Populationen aus dem geschützten Naturschutzgebiet Schleimünde. Über einen Zeitraum von 30 Tagen beobachteten sie die Tiere unter verschiedenen Umweltbedingungen.

Das Ergebnis: Tiere aus urbanen Lebensräumen waren weniger empfindlich gegenüber Schwankungen in Temperatur, Salzgehalt und Kohlendioxidkonzentration als jene aus unberührteren Lebensräumen. Je stärker eine Population bereits Umweltstress ausgesetzt war, desto besser konnte sie mit weiteren Veränderungen umgehen.

Nicht jede Stadt ist gleich – Die Rolle der Belastungsintensität

Kieler Förde
Kieler Förde – ein urbanes Ökosystem: Die stark vom Menschen geprägte Förde ist Heimat widerstandsfähiger Muscheln und Flohkrebse, die sich an veränderte Umweltbedingungen angepasst haben.
Klaas Ole Kürtz (Drbashir117), CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons)

Interessanterweise zeigte die Untersuchung, dass die Widerstandsfähigkeit nicht nur zwischen städtischen und natürlichen Lebensräumen variiert, sondern auch innerhalb urbaner Gebiete Unterschiede bestehen. In der Kieler Förde waren Populationen aus stark belasteten Bereichen robuster als jene aus weniger belasteten Stadtgebieten.

So waren Muscheln und Flohkrebse aus der Innenstadt von Kiel – einem Gebiet mit hoher Umweltbelastung durch Schiffsverkehr, Schadstoffeintrag und Lärm – deutlich widerstandsfähiger als ihre Artgenossen vom Falckensteiner Strand, einem weniger stark veränderten Küstenabschnitt. Dies zeigt: Nicht jede Stadt ist gleich „stressig“, und die Intensität der Belastung spielt eine entscheidende Rolle für die Anpassungsfähigkeit der Tiere.

Sessile vs. mobile Arten – Wer passt sich besser an?

Die Forscher stellten außerdem fest, dass die Art der Fortbewegung eine wesentliche Rolle bei der Anpassungsfähigkeit spielt.

  • Sessile (festsitzende) Arten wie Muscheln haben keine Möglichkeit, ungünstigen Umweltbedingungen auszuweichen. Sie entwickeln daher oft eine besonders hohe Toleranz gegenüber Umweltveränderungen.
  • Mobile Arten wie Flohkrebse hingegen können aktiv in weniger belastete Gebiete ausweichen, was möglicherweise dazu führt, dass sie nicht dieselbe Widerstandsfähigkeit gegenüber extremen Bedingungen entwickeln müssen.

Ein ähnliches Phänomen könnte auch bei anderen sessilen Organismen wie Makroalgen oder Seegras auftreten.

Kreuztoleranz: Anpassung an einen Stressfaktor stärkt gegen andere

Gammarus locusta
Der Flohkrebs Gammarus locusta hat sich an veränderte Umweltbedingungen in der Kieler Förde angepasst und zeigt eine erhöhte Toleranz gegenüber Umweltstressoren wie Temperaturschwankungen und veränderten Salzgehalten.
(© Hans Hillewaert)

Ein wichtiger Umweltfaktor, den die Studie untersuchte, ist der Partialdruck von Kohlendioxid (pCO₂). Dieser Wert beschreibt die Konzentration von CO₂ im Wasser oder in der Atmosphäre und ist ein zentraler Faktor für die Ozeanversauerung. Erhöhte CO₂-Werte können Muscheln und Krebstiere beeinträchtigen, indem sie deren Kalkschalenbildung erschweren.

Die Ergebnisse legen nahe, dass Tiere aus städtischen Gebieten möglicherweise besser an solche Veränderungen angepasst sind. Ein bemerkenswerter Mechanismus dabei ist die Kreuztoleranz: Wer bereits an hohe Temperaturschwankungen oder veränderte Salzgehalte gewöhnt ist, kann oft auch Umweltgifte oder Sauerstoffmangel besser überstehen.

Zusätzlich zu den getesteten Faktoren könnte auch Lärm- und Lichtverschmutzung eine Rolle bei der urbanen Anpassung spielen – ein Aspekt, der bislang noch wenig erforscht ist.

Von Kiel bis Kanada – Parallelen in anderen urbanen Ökosystemen

Die beobachteten Anpassungsstrategien beschränken sich nicht nur auf die Kieler Förde, sondern wurden auch in anderen stark urbanisierten Küstenregionen wie der Mündung des Saint-Lorenz-Stroms in Kanada und der Chesapeake Bay in den USA dokumentiert. Dort lebende Organismen sind ebenfalls hohen Umweltbelastungen ausgesetzt – darunter Schiffsverkehr, Schadstoffeinträge und Temperaturschwankungen. So haben Austern in der Chesapeake Bay eine erhöhte Toleranz gegenüber Schwermetallen entwickelt, ähnlich wie die Muscheln und Flohkrebse in der Kieler Förde. Auch in den Gewässern von New York City gibt es Fischpopulationen, die resistent gegen giftige Chemikalien wie PCB geworden sind.

An Land lassen sich vergleichbare Muster erkennen. Der urbane Wärmeinseleffekt sorgt dafür, dass Städte deutlich wärmer sind als ihr Umland, was die Verbreitung vieler Arten beeinflusst. Gleichzeitig begünstigen Schadstoffe in urbanen Lebensräumen resistente Populationen. Bestimmte Pflanzen und Tiere können sich an Feinstaub, Pestizide oder Industrieabfälle anpassen, während empfindlichere Arten aus diesen Gebieten verschwinden.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich urbane Lebensräume weltweit auf ähnliche Weise auf die Evolution von Tieren und Pflanzen auswirken. Trotz regionaler Unterschiede zeigt sich überall, dass Arten unter starkem Umweltstress gezwungen sind, sich genetisch oder verhaltensbiologisch anzupassen – sei es im Wasser oder an Land.

Urbane Populationen als Rettung für gefährdete Arten?

Ein spannender Aspekt der Studie ist die Möglichkeit, dass urbane Populationen als genetische „Rettungspopulationen“ genutzt werden könnten. Ihre hohe Widerstandsfähigkeit könnte dazu beitragen, bedrohte Populationen zu stabilisieren – ein Konzept, das bereits in der Landwirtschaft erfolgreich angewendet wurde.

Ein Beispiel hierfür ist die Züchtung trockenheitsresistenter Nutzpflanzen. Landwirte greifen zunehmend auf Wildsorten von Weizen oder Mais zurück, die in extremen Klimazonen vorkommen, da diese eine höhere Toleranz gegenüber Dürre und nährstoffarmen Böden aufweisen. Durch gezielte Kreuzungen mit konventionellen Sorten können Pflanzen entstehen, die sowohl hohe Erträge liefern als auch widerstandsfähiger gegen Klimaveränderungen sind. Ähnlich könnte das Prinzip auf Tiere übertragen werden: Urbane Populationen, die bereits an starke Umweltveränderungen angepasst sind, könnten Gene weitergeben, die anderen Populationen helfen, sich an neue Bedingungen anzupassen.

Allerdings warnen Forscher davor, dass widerstandsfähige Stadtpopulationen in neuen Gebieten als invasive Arten problematisch werden könnten. Besonders in urbanen Häfen und Industriegebieten, die als Drehscheiben für den globalen Handel dienen, besteht die Gefahr, dass sich widerstandsfähige Arten unkontrolliert ausbreiten und heimische Ökosysteme verdrängen. Dies zeigt sich beispielsweise bei bestimmten resistenten Unkrautarten in der Landwirtschaft, die durch den intensiven Einsatz von Herbiziden eine hohe Anpassungsfähigkeit entwickelt haben. Ähnliche Mechanismen könnten auch bei städtischen Tierpopulationen greifen, wenn sie in neue Lebensräume eingeführt werden.

Evolution durch Menschenhand – ein weltweites Phänomen

Hain-Bänderschneckev
Die Hain-Bänderschnecke – ein Beispiel für urbane Evolution. In städtischen Gebieten entwickeln diese Schnecken häufiger blassgelbe Gehäuse, um sich besser vor Überhitzung durch den Wärmeinseleffekt zu schützen – eine direkte Anpassung an das Stadtklima. (© Cepaea_nemoralis_(Mad_Max).jpg: Mad Maxderivative work: Papa Lima Whiskey 2, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Die Anpassung von Tieren an urbane Umwelten ist kein Einzelfall. Auch viele andere Arten zeigen evolutionäre Reaktionen auf menschliche Einflüsse. So entwickeln Elefanten in Regionen mit intensiver Wilderei zunehmend kleinere oder gar keine Stoßzähne, da Tiere mit großen Stoßzähnen häufiger getötet werden. Schwalben, die in straßenreichen Gebieten leben, weisen kürzere Flügel auf, wodurch sie Hindernissen schneller ausweichen und ihre Überlebenschancen verbessern können. Ein weiteres Beispiel ist die Hain-Bänderschnecke (Cepaea nemoralis), deren Gehäusefarbe sich in Städten verändert. Blassgelbe Gehäuse reflektieren mehr Sonnenstrahlung und schützen so besser vor Überhitzung – eine direkte Anpassung an den städtischen Wärmeinseleffekt.

Genau wie die untersuchten Muscheln und Flohkrebse in der Kieler Förde zeigen diese Beispiele, dass Anpassung oft nicht aus evolutionärer Freiheit geschieht, sondern aus einem Überlebenszwang heraus. Während die Fähigkeit zur Anpassung faszinierend ist, sollte sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Veränderungen meist die Folge menschlicher Eingriffe sind. Die Tatsache, dass Tiere gezwungen sind, sich an neue, oft unwirtliche Bedingungen anzupassen, verdeutlicht, wie tiefgreifend der menschliche Einfluss auf die Natur bereits ist – mit ungewissen langfristigen Folgen für ganze Ökosysteme.

Städte als Experimentierfeld der Evolution

Die aktuelle Studie von Briski liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, wie Tiere in urbanen Lebensräumen Umweltveränderungen bewältigen. Die hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber multiplen Stressfaktoren könnte erklären, warum städtische Tiere besser mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommen.

Weitere Forschung ist notwendig, um herauszufinden, ob diese Anpassungen auf genetischen Veränderungen basieren oder durch Umweltfaktoren gesteuert werden. Zudem könnten urbane Ökosysteme als „Experimentierfeld“ dienen, um Anpassungsprozesse an zukünftige globale Umweltveränderungen besser zu verstehen. Die Forschung zeigt: Städte sind für viele Tiere nicht nur Lebensraum, sondern auch ein Prüfstein für ihre Anpassungsfähigkeit – mit weitreichenden Folgen für die Evolution.

Quelle

  • Briski, E., & Pansch, C. (2025). Urban habitats promote increased tolerance to multiple stressors: Implications for conservation and invasion biology. Ecology Letters, 28(3), 456–468. https://doi.org/10.1111/ele.70074
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