Das Große Präriehuhn steht sinnbildlich für den Rückgang nordamerikanischer Vogelarten.
Das Große Präriehuhn leidet unter massivem Lebensraumverlust, Störungen durch Infrastruktur und erhöhter Prädation. Die aktuelle Studie zeigt: Die stärksten Rückgänge erfolgen dort, wo die Art einst am häufigsten war. USFWS Midwest Region from Midwest Region, United States, Public domain, via Wikimedia Commons)

Studie zeigt: 75 % der untersuchten Vogelarten in Nordamerika im Rückgang – besonders in ihren Kernlebensräumen

Am 1. Mai 2025 wurde im Fachjournal Science eine umfassende Studie zur Entwicklung nordamerikanischer Vogelbestände veröffentlicht. Sie zeigt: Die stärksten Rückgänge betreffen ausgerechnet jene Regionen, in denen die Arten bislang am häufigsten vorkamen – ihre angestammten Kernlebensräume. Grundlage der Analyse sind mehr als 36 Millionen Vogelbeobachtungen aus dem Citizen-Science-Projekt eBird, das Daten aus ganz Amerika bündelt.

Vogelsterben im Detail sichtbar gemacht

Ein Forschungsteam des Cornell Lab of Ornithology analysierte die Bestandsentwicklung von 495 Vogelarten in Nord- und Mittelamerika sowie der Karibik – basierend auf Daten aus dem Zeitraum 2007 bis 2021. Die Studie bietet eine bislang unerreichte räumliche Auflösung: In Rasterzellen von 27 × 27 Kilometern konnten die Forschenden erstmals präzise erfassen, in welchen Regionen Vogelbestände zunehmen oder zurückgehen. Eine derart kleinflächige Analyse über einen gesamten Kontinent hinweg wurde laut den Autoren bislang nicht durchgeführt.

Frühere Monitoring-Programme konnten Trends meist nur großräumig – etwa auf Ebene ganzer Regionen oder Bundesstaaten – abbilden. Durch technische Fortschritte, insbesondere im maschinellen Lernen, und die enorme Datengrundlage aus Citizen Science lassen sich nun auch feine regionale Unterschiede erkennen. Das Ziel der Studie war dabei nicht nur zu messen, ob eine Art zu- oder abnimmt, sondern vor allem, wo genau diese Veränderungen stattfinden.

Die Ergebnisse der Studie

Die neue Untersuchung zeigt: 75 Prozent der 495 untersuchten Vogelarten in Nordamerika verzeichnen rückläufige Bestände, bei rund zwei Dritteln davon sind die Rückgänge besonders stark.

Kiefernsaftlecker: Einer der bedrohtesten Vögel in Nordamerika
Der Kiefernsaftlecker ist die am seltensten verbreitete Art seiner Gattung, gilt laut IUCN aber nicht als gefährdet. Bestandsrückgänge in Teilen seines Verbreitungsgebiets stehen vermutlich im Zusammenhang mit Forstwirtschaft und der Unterdrückung natürlicher Waldbrände.
Bill Bouton, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons)

Besonders betroffen sind Grasländer, Trockengebiete und Teile der Arktis – Lebensräume, die als sehr empfindlich gelten und bereits stark unter dem Klimawandel leiden. In einigen Regionen schrumpfen die Bestände einzelner Arten um mehr als zehn Prozent pro Jahr – ein deutliches Anzeichen für tiefgreifende ökologische Veränderungen.

Zu den betroffenen Arten zählen unter anderem:

  • Der Lerchenstärling (Sturnella magna), ein typischer Vogel der nordamerikanischen Prärie.
  • Das Große Präriehuhn (Tympanuchus cupido), eine sogenannte „Tipping-Point Species“, deren Rückgang weitreichende Folgen für das gesamte Ökosystem haben könnte.
  • Der Sandregenpfeifer (Charadrius melodus), eine Küstenart mit zunehmend bedrohten Brutplätzen.
  • Der Kiefernsaftlecker (Sphyrapicus thyroideus), bei dem in über der Hälfte der Brutgebiete Bestandsrückgänge festgestellt wurden.
  • Die Schneeeule (Bubo scandiacus), deren weltweite Population deutlich kleiner ist als lange angenommen.

Bemerkenswert ist, dass 97 % der Arten sowohl Rückgänge als auch Zunahmen zeigen – je nach Region. Das deutet auf komplexe räumliche Dynamiken hin: Während manche Vögel lokal profitieren – etwa durch erfolgreichen Schutz oder günstige Umweltbedingungen –, verlieren sie in anderen Gebieten massiv an Boden. Der Gesamttrend bleibt jedoch eindeutig negativ.

Besonders auffällig: 83 % der Arten verlieren dort am stärksten an Bestand, wo sie bislang am häufigsten vorkamen – also in ihren traditionellen Verbreitungsschwerpunkten („Strongholds“). Dieses Muster widerspricht bisherigen Annahmen und verweist auf grundlegende Veränderungen in ehemals stabilen Lebensräumen.

Hoffnung machen Regionen wie die Appalachen oder westliche Gebirgszüge, in denen die Forschenden stabile oder sogar wachsende Bestände beobachten konnten. Solche Gebiete könnten wichtige Rückzugsräume darstellen – oder Hinweise liefern, unter welchen Bedingungen eine Erholung gelingen kann.

Frühere Studien bestätigen den Trend

Die neue Untersuchung knüpft an frühere Befunde an: Bereits die Vorgängerstudie von 2019 hatte einen Verlust von fast drei Milliarden Vögeln in den USA und Kanada seit 1970 dokumentiert. Auch der State of the Birds Report 2025, veröffentlicht im März dieses Jahres, zeigte einen umfassenden Rückgang von Vogelarten in nahezu allen Lebensräumen der USA – darunter Grasländer, Feuchtgebiete, Wälder und Küstenregionen. Positive Entwicklungen waren dabei seltene Ausnahmen.

Die aktuelle Studie ergänzt diese bisherigen Erkenntnisse nun um hochaufgelöste Karten, die sichtbar machen, wo genau die Rückgänge besonders stark sind. Sie liefert damit eine wichtige Grundlage für gezieltere Schutzmaßnahmen.

Ursachen unklar, Handlungsbedarf eindeutig

Lerchenstärling
Der Lerchenstärling verliert durch Habitatverlust zunehmend an Boden. Späte Mahd und grasbewachsene Feldränder können helfen, seinen Rückgang zu stoppen.
gary_leavens, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons)

Die Studie versteht sich als umfassende Bestandsaufnahme – eine direkte Ursachenanalyse liefert sie nicht. Dennoch nennen die Autoren mögliche Einflussfaktoren: Klimawandel, intensive Landwirtschaft, Urbanisierung und der Verlust von Lebensräumen und Nahrungsgrundlagen. Oft wirken mehrere dieser Faktoren zusammen.

Unabhängig von der Ursache ist die Botschaft eindeutig: Es braucht gezielte Schutzmaßnahmen – und zwar dort, wo die Rückgänge am stärksten sind. Die hochaufgelösten Daten machen es erstmals möglich, solche Regionen klar zu identifizieren und lokale Maßnahmen gezielt zu verstärken.

Umgekehrt lassen sich auch positive Ausnahmen erkennen – Gebiete, in denen Vogelarten stabil bleiben oder sich erholen. Diese sogenannten „Hoffnungsinseln“ könnten zeigen, welche Umweltbedingungen oder Schutzmaßnahmen tatsächlich wirksam sind – und als Modell für andere Regionen dienen.

Die Studie liefert damit mehr als Zahlen: Sie stellt ein neues Werkzeug für strategischen Artenschutz bereit – ein Instrument, um Rückgänge frühzeitig zu erkennen, Ursachen gezielt zu untersuchen und Schutzmaßnahmen effektiv zu steuern.

Bürgerwissenschaft macht’s möglich

Schneeeule
Die Schneeeule leidet unter dem Rückgang ihrer Hauptnahrung – Lemminge – sowie unter Lebensraumverlust, Klimawandel und menschlichen Störungen. Neue Schätzungen gehen weltweit nur noch von 14.000 bis 28.000 fortpflanzungsfähigen Paaren aus – deutlich weniger als lange angenommen.
Alan D. Wilson, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Ohne das Engagement zahlloser Vogelbeobachter wäre diese Studie nicht denkbar gewesen. eBird, 2002 ins Leben gerufen, ist heute die weltweit größte Plattform für Vogelbeobachtungen – und eine zentrale Säule für wissenschaftliche Analysen im Artenmonitoring.

In der aktuellen Studie wurden diese umfangreichen Beobachtungsdaten mit Umweltvariablen aus Satellitenbildern und modernen statistischen Verfahren kombiniert. So konnten die Forschenden hochpräzise Modelle zur Bestandsentwicklung erstellen.

Um die Datenqualität sicherzustellen, führten sie über 500.000 Simulationen durch – das entspricht mehr als sechs Millionen Rechenstunden und würde auf einem normalen Laptop rund 85 Jahre dauern. Zum Einsatz kamen dabei sogenannte kausale Machine-Learning-Modelle, die Verzerrungen ausgleichen, etwa durch Unterschiede in der Beobachtungsintensität oder regionale Schwerpunkte bei eBird-Nutzern.

Diese aufwendige Modellierung zeigt: Citizen Science kann – kombiniert mit moderner Technologie – zu einer tragenden Säule für den Naturschutz werden.

Datengrundlage für wirksamen Schutz

Die Studie macht deutlich: Für erfolgreichen Vogelschutz braucht es präzise, kleinräumige Daten – nicht bloß Durchschnittswerte auf nationaler Ebene. Nur so lassen sich Schutzmaßnahmen gezielt dort ansetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Im Gegensatz zu vielen früheren Erhebungen liefert die aktuelle Untersuchung nicht nur eine Diagnose, sondern auch ein konkretes Instrument für strategischen Artenschutz. Für Nord- und Mittelamerika sowie die Karibik stehen nun erstmals hochaufgelöste Karten zur Verfügung, die klar zeigen, wo Vogelbestände besonders stark zurückgehen – und wo sie sich stabilisieren oder sogar erholen.

Ein Blick über den Kontinent hinaus verdeutlicht: Der Rückgang der Vogelarten ist ein globales Phänomen – auch in Europa, Asien und anderen Regionen. Die Dringlichkeit ist hoch, und der Handlungsbedarf eindeutig. Eine Vorgehensweise wie die kleinflächige Kartierung von Bestandsentwicklungen könnte auch in anderen Weltregionen entscheidend dazu beitragen, Schutzmaßnahmen gezielter und wirksamer umzusetzen.

Die wissenschaftlichen Grundlagen sind da. Jetzt kommt es darauf an, wie entschlossen Politik, Naturschutzorganisationen und Gesellschaft handeln. Denn je genauer wir wissen, wo Arten verschwinden, desto gezielter – und wirkungsvoller – können wir sie schützen.

Quellen

  • Cornell University (1. Mai 2025): North American bird populations suffering severe decline. Bericht von Kathi Borgmann im Cornell Chronicle. Online verfügbar
  • Johnston, A. et al. (2025): High-resolution trends in bird populations across North America. Science, Band 380, Ausgabe 6650, Seiten 388–393. DOI: 10.1126/science.adn4381
  • The Guardian (1. Mai 2025): Collapsing bird numbers in North America prompt fears of ecological crisis – research. Artikel von Patrick Greenfield. Online verfügbar
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