Mehr als ein halbes Jahrhundert lang galt sie als verschollen – nun ist sie wieder aufgetaucht: Ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, Turkmenistan und Usbekistan unter Leitung des Museums für Naturkunde Berlin hat in der Karakum-Wüste erstmals seit 55 Jahren wieder ein Turkestan-Langohr (Plecotus turkmenicus) nachgewiesen. Die Wüstenfledermaus war bisher nur von wenigen alten Museumspräparaten bekannt. Jetzt liegen zum ersten Mal Foto- und Videoaufnahmen lebender Tiere vor, wie das Museum am 4. November 2025 mitteilte.
Letzter Nachweis: 1970
Wissenschaftlich beschrieben wurde das Turkestan-Langohr 1988 vom russischen Zoologen Pjotr Petrowitsch Strelkov, basierend auf wenigen in Turkmenistan gesammelten Exemplaren. Zum Zeitpunkt dieser Erstbeschreibung war die Art bereits seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr beobachtet worden – der letzte bestätigte Nachweis datiert auf 1970. Über die Lebensweise dieser Fledermaus lagen damals keine gesicherten Informationen vor.
Strelkov betrachtete das Turkestan-Langohr zunächst als Unterart des Grauen Langohrs (Plecotus austriacus turkmenicus). Erst 2006 belegten genetische Analysen, dass es sich tatsächlich um eine eigenständige Art handelt.
Die Wiederentdeckung im Oktober 2025

Die Art bewohnt Halbwüsten und Steppen am Rand der Karakum-Wüste. Bisher lagen bestätigte Nachweise nur aus Turkmenistan und Kasachstan vor. Der jüngste Fund nahe der usbekischen Grenze deutet jedoch darauf hin, dass das Turkestan-Langohr auch in Usbekistan vorkommt.
(modifiziert nach © A proietti, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)
Seit 1970 galt das Turkestan-Langohr als verschollen – bis die aktuelle Wiederentdeckung erstmals wieder lebende Tiere dokumentierte. Im Zuge einer systematischen Überprüfung der turkmenischen Fledermausfauna zur Aktualisierung der Roten Liste erhielt die Art höchste Priorität. Da ihr Lebensraum – die Karakum-Wüste im Grenzgebiet von Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan – zunehmend austrocknet, befürchteten Fachleute, dass sie äußerst selten oder bereits sogar ausgestorben sein könnte.
Im Oktober dieses Jahres begab sich ein internationales Expeditionsteam zu den historischen Fundorten und weiteren geeigneten Regionen der Karakum-Wüste. In einer Felsspalte entdeckten die Forschenden zunächst ein junges Weibchen, wenig später – rund 87 Kilometer entfernt – ein erwachsenes Männchen in einer Lößhöhle nahe der usbekischen Grenze. Damit stand fest: Das Turkestan-Langohr lebt noch.
Erstmals konnten genetische Proben sowie Ton-, Foto- und Videoaufnahmen gewonnen werden, die nun wichtige Einblicke in die Evolution der zentralasiatischen Fledermäuse ermöglichen sollen.
Über das Turkestan-Langohr
Zur Gattung Plecotus, den Langohrfledermäusen, gehören rund 20 Arten, die in Eurasien und Nordafrika verbreitet sind. Charakteristisch für sie sind die außergewöhnlich langen Ohren, die vorn durch eine Hautfalte miteinander verbunden sind. Anders als die meisten Fledermäuse können Langohrfledermäuse ihre Ortungsrufe auch durch die Nase aussenden – eine Besonderheit, die ihnen eine besonders präzise akustische Orientierung ermöglicht.

(© Christian Dietz, mit freundlicher Genehmigung des Museums für Naturkunde Berlin)
Wie viele ihrer Verwandten ruht auch das Turkestan-Langohr tagsüber in Höhlen und Brunnen. Es bewohnt trockene Gebiete mit gemäßigtem Wüsten- und Halbwüstenklima, vor allem in Turkmenistan und Südwest-Kasachstan.
Die Art ernährt sich überwiegend von mittelgroßen Nachtfaltern, nimmt aber auch kleinere Schmetterlinge, Käfer, Wanzen und andere Insekten auf, deren Körperhülle nicht zu hart ist. Sie jagt teils im Flug in niedriger bis mittlerer Vegetation, nutzt jedoch auch das sogenannte Gleaning-Verhalten: Dabei liest sie Beute direkt von Oberflächen wie Steinen oder Pflanzen auf – eine Strategie, die sich in der spärlich bewachsenen Wüste bewährt.
Wie andere Vertreter der Gattung ist das Turkestan-Langohr nachtaktiv. Über Fortpflanzung und Sozialverhalten liegen bislang kaum gesicherte Informationen vor. Die gesammelten genetischen Proben und die neuen Beobachtungen der Tiere könnten bald neue Einblicke in die Biologie dieser anpassungsfähigen Wüstenfledermaus liefern.
Bedrohungen und Schutzmaßnahmen
Die größte Bedrohung für das Turkestan-Langohr ist der Klimawandel. Steigende Temperaturen und die fortschreitende Austrocknung der Wüsten lassen die Vegetation weiter zurückgehen – und damit auch den ohnehin begrenzten Lebensraum der Art schrumpfen. Wie eine aktuelle Analyse zeigt, gefährdet die Erderwärmung bereits Tausende Tierarten weltweit.
Als direkte Folge der Wiederentdeckung plant die turkmenische Regierung die Ausweisung eines neuen Schutzgebietes von über 50.000 Hektar in der Karakum-Wüste. Davon könnten nicht nur das Turkestan-Langohr, sondern auch andere bedrohte Arten profitieren – etwa Kropfgazellen (Gazella subgutturosa) und Wildesel (Equus hemionus), die zu den letzten großen Huftieren der winterkalten Wüsten Zentralasiens zählen.
Da eines der wiederentdeckten Tiere nahe der usbekischen Grenze gefangen wurde, halten Forschende ein bislang unentdecktes Vorkommen in Usbekistan für möglich. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Museum für Naturkunde Berlin, dem turkmenischen Umweltministerium, der Schutzgebietsverwaltung und der Usbekischen Akademie der Wissenschaften soll fortgesetzt werden, um die Fledermausfauna Zentralasiens künftig noch gezielter zu erforschen und zu schützen.
Quellen
- Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung. (2025, 4. November). Verschollenes Turkestan-Langohr wiederentdeckt. https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/museum/medien/presse/verschollenes-turkestan-langohr-wiederentdeckt
- Wilson, D. E., & Mittermeier, R. A. (2019, 31. Oktober). Plecotus turkmenicus Strelkov 1988. Lynx Edicions. https://doi.org/10.5281/zenodo.6403602
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