Polarfuchs - Rettung nach Verlust genetischer Vielfalt
Eine neue Studie belegt, dass der Verlust genetischer Vielfalt weit verbreitet ist und selbst vermeintlich stabile Arten zunehmend bedroht. Erik F. Brandsborg from Oslo, Norway, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons)

Warum der Verlust genetischer Vielfalt das Artensterben beschleunigt

Wenn wir über das Artensterben sprechen, denken wir oft an den Verlust ganzer Tier- oder Pflanzenarten. Doch eine weniger sichtbare, aber ebenso besorgniserregende Entwicklung findet innerhalb der Arten selbst statt: der Verlust genetischer Vielfalt. Eine neue, im Fachjournal Nature veröffentlichte Langzeitstudie zeigt, dass dieser Prozess weltweit und unabhängig vom Bedrohungsstatus der Arten voranschreitet – mit gravierenden Folgen für Natur und Artenschutz.

Warum ist genetische Vielfalt so wichtig?

Genetische Vielfalt ist die Grundlage für das Überleben einer Art. Sie bestimmt, wie gut sich Populationen an neue Umweltbedingungen anpassen können. Ein hoher Genpool erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Individuen widerstandsfähig gegen Krankheiten oder Klimaveränderungen sind. Fehlt diese Vielfalt, steigt das Risiko für Inzucht, Krankheiten und langfristige Populationsrückgänge.

Ergebnisse der Studie

Eine internationale Forschergruppe untersuchte über 30 Jahre – von 1985 bis 2019 – insgesamt 628 Arten aus verschiedenen terrestrischen und marinen Ökosystemen. Das Ergebnis: Zwei Drittel (66,6 %) der analysierten Populationen verlieren genetische Vielfalt – unabhängig davon, ob sie als gefährdet gelten oder nicht. Besonders betroffen sind Vögel und Säugetiere, während einige Insekten- und Fischarten eine relativ stabile genetische Vielfalt beibehielten.

Schwarzschwanz-Präriehunde
Schwarzschwanz-Präriehunde gelten laut IUCN als „nicht gefährdet“. Dennoch zeigt die Studie, dass viele Populationen unter genetischer Verarmung leiden.
Musicaline, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Obwohl Schwarzschwanz-Präriehunde (Cynomys ludovicianus) laut IUCN Roter Liste als „nicht gefährdet“ eingestuft werden, zeigt die Studie, dass viele Populationen unter genetischer Verarmung leiden. Dies verringert ihre Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen und gefährdet langfristig ihr Überleben.

Ein weiteres besorgniserregendes Ergebnis der Studie ist, dass weniger als die Hälfte der betroffenen Populationen aktive Schutzmaßnahmen erhält. Dies bedeutet, dass viele Arten, selbst wenn sie genetische Verluste erleiden, kaum von gezielten Maßnahmen profitieren, die ihre genetische Vielfalt erhalten oder wiederherstellen könnten.

Langfristig könnten bereits zehn Prozent der genetischen Vielfalt vieler Pflanzen- und Tierarten verloren gegangen sein. Dieser Rückgang könnte das Risiko für Inzucht, Krankheiten und letztlich das Aussterben vieler Arten drastisch erhöhen.

Genetischer Verlust unabhängig vom Gefährdungsstatus

Die Studie zeigt, dass der Verlust genetischer Vielfalt unabhängig vom IUCN-Bedrohungsstatus auftritt. Selbst Arten, die als „nicht gefährdet“ eingestuft sind, können genetische Verluste erleiden. Gemäß der Analyse, gelten 39,3 Prozent der untersuchten Arten als „nicht gefährdet“ (LC), 6,1 Prozent als „potenziell gefährdet“ (NT), während 7,3 Prozent als „gefährdet“ (VU), 6,7 Prozent als „stark gefährdet“ (EN) und 4,9 Prozent als „vom Aussterben bedroht“ (CR) gelistet sind. Zudem wurden 0,2 Prozent der Arten als bereits ausgestorben eingestuft.

Zusammenhang zwischen genetischer Vielfalt und Artverlust

Der Verlust genetischer Vielfalt spielte in der Vergangenheit eine entscheidende Rolle beim Aussterben mehrerer Arten. Ein bekanntes Beispiel ist der Beutelwolf, dessen geringe genetische Variabilität ihn besonders anfällig für Krankheiten und Umweltveränderungen machte. Ein ähnliches Schicksal ereilte das Quagga, eine Unterart des Steppenzebras, die durch Bejagung und genetische Verarmung verschwand.

Auch das Heidehuhn zeigt, wie kritisch der genetische Zustand einer Population sein kann. Die Art, einst weit in Nordamerika verbreitet, wurde durch Lebensraumzerstörung und Bejagung stark dezimiert. Die wenigen verbliebenen Individuen litten unter extremer Inzucht, wodurch ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Umweltveränderungen stark sank. Dies führte letztlich zum vollständigen Aussterben der Art.

Ein weiteres Beispiel ist der Sizilianische Wolf. Als isolierte Inselpopulation hatte er kaum genetischen Austausch mit anderen Wölfen, wodurch die genetische Vielfalt stark eingeschränkt wurde. Diese Verarmung machte die Art besonders anfällig für Krankheiten und Umweltveränderungen. Doch erst durch zusätzliche Faktoren wie Bejagung, Lebensraumverlust und Nahrungsknappheit wurde der Genpool so stark reduziert, dass sich die Population nicht mehr erholen konnte.

Diese Beispiele unterstreichen, dass genetische Vielfalt nicht nur für die Anpassungsfähigkeit von Arten entscheidend ist, sondern oft darüber bestimmt, ob eine Spezies langfristig überleben kann.

Ein aktuelles Beispiel: Der Sibirische Tiger

Sibirischer Tiger
Der Sibirische-Tiger-Subpopulation in Southwest Primorye leidet unter genetischer Verarmung. Isolation und Lebensraumverlust erschweren den genetischen Austausch mit anderen Populationen.
Albinfo, CC0, via Wikimedia Commons)

Eine kürzlich in den Scientific Reports veröffentlichte Studie von Dezember 2024 über die Population der Sibirischen Tiger (Panthera tigris altaica) in Southwest Primorye, Russland, zeigt, dass trotz erfolgreicher Schutzmaßnahmen die Population weiterhin genetisch verarmt ist. Die geringe genetische Variation und Anzeichen von Inzucht könnten langfristig die Überlebensfähigkeit der Art gefährden. Forscher empfehlen die Schaffung ökologischer Korridore, um den Genfluss mit benachbarten Populationen zu fördern.

Die genetische Verarmung dieser Population ist die Folge historischer Dezimierung durch Jagd, Lebensraumverlust und Fragmentierung. Die einst weit verbreitete Population wurde durch intensive Bejagung stark reduziert, sodass sich nur wenige Individuen fortpflanzen konnten. Zusätzlich wurde das Verbreitungsgebiet der Sibirischen Tiger durch menschliche Siedlungen und Infrastrukturprojekte zerschnitten, wodurch der genetische Austausch zwischen Populationen verhindert wurde. Die heute isolierte Subpopulation weist daher eine geringe genetische Vielfalt auf und ist besonders anfällig für Inzucht. Eine Wiederherstellung der Verbindung zur Hauptpopulation in Sikhote-Alin ist entscheidend, um eine weitere genetische Verarmung zu verhindern.

Die Ursache des genetischen Verlusts: Der Mensch

Der Rückgang der genetischen Vielfalt ist das Ergebnis verschiedener Faktoren, die oft in Kombination auftreten und die Überlebensfähigkeit von Arten erheblich beeinträchtigen. Einer der Hauptgründe ist der Lebensraumverlust, der durch menschliche Eingriffe wie Abholzung, landwirtschaftliche Expansion und Urbanisierung verursacht wird. Wenn Populationen auf kleine, isolierte Gebiete beschränkt werden, sinkt die genetische Durchmischung, was zu einer schleichenden genetischen Verarmung führt.

Ein weiterer wesentlicher Faktor sind Krankheiten, die durch eingeschleppte Tiere oder Umweltveränderungen in neue Regionen gelangen und dort ganze Populationen dezimieren können. In genetisch vielfältigen Populationen besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass einige Individuen eine natürliche Resistenz entwickeln. Fehlt diese Vielfalt, breiten sich Krankheiten ungehindert aus und bedrohen das Überleben der Art.

Naturkatastrophen wie Waldbrände, Überschwemmungen und klimabedingte Veränderungen können ebenfalls den genetischen Pool einer Art beeinträchtigen. Solche Ereignisse zerstören oft große Teile von Populationen, wodurch nur ein kleiner, genetisch eingeschränkter Teil übrig bleibt.

Menschliche Eingriffe wie übermäßige Bejagung und das Einbringen invasiver Arten verstärken den genetischen Verlust zusätzlich. Während invasive Arten durch Konkurrenz oder direkte Beutegreifer einheimische Populationen reduzieren, führt übermäßige Bejagung dazu, dass vor allem die widerstandsfähigsten oder stärksten Individuen verschwinden, was die genetische Vielfalt weiter ausdünnt.

Schließlich spielt die genetische Verarmung durch Fragmentierung und Populationsrückgänge eine entscheidende Rolle. Wenn Populationen isoliert werden, sei es durch Straßen, Landwirtschaft oder Urbanisierung, wird der genetische Austausch zwischen Gruppen unterbrochen. Dies führt langfristig zu Inzucht und einer geringeren Anpassungsfähigkeit gegenüber Umweltveränderungen.

Schutzmaßnahmen und Erfolgsgeschichten

Supplementierungsprogramme, also das gezielte Hinzufügen neuer Individuen zu bestehenden Populationen, haben sich als besonders effektive Methode zur Erhaltung genetischer Vielfalt erwiesen. Sie verhindern, dass Inzucht die genetische Stabilität einer Population gefährdet, und erhöhen gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen.

Präriehühner
Dank gezielter Schutzmaßnahmen konnten Präriehühner in den USA wieder vernetzte Populationen bilden, wodurch der genetische Austausch und die Artenvielfalt gesichert wurden.
USFWS Midwest Region from Midwest Region, United States, Public domain, via Wikimedia Commons)

Trotz der alarmierenden Zahlen gibt es auch Hoffnung. Die Studie zeigt, dass gezielte Schutzmaßnahmen den Verlust genetischer Vielfalt bremsen oder sogar umkehren können. Ein Beispiel hierfür ist der Goldene Kurznasenbeutler (Isoodon auratus), dessen Population in Westaustralien durch Umsiedlungsprogramme stabilisiert wurde. Durch die gezielte Wiederansiedlung in geeigneten Schutzgebieten konnte der genetische Austausch zwischen isolierten Gruppen wiederhergestellt und das Risiko von Inzucht deutlich reduziert werden.

Auch der Polarfuchs (Vulpes lagopus) profitiert von Schutzmaßnahmen. Lange Zeit durch Lebensraumverluste und Bejagung gefährdet, wurde seine Population durch Fütterungsprogramme und gezielte genetische Auffrischung stabilisiert. Diese Maßnahmen halfen, die Bestände zu vergrößern und die genetische Vielfalt der Art zu bewahren.

Ein weiteres Erfolgsbeispiel sind die Präriehühner (Tympanuchus cupido pinnatus), nahe Verwandte des ausgestorbenen Heidehuhns. In den USA ermöglichten gezielte Habitat-Renaturierungen und Umsiedlungen die Vernetzung zuvor isolierter Populationen. Dadurch wurde der genetische Austausch verbessert und die langfristige Stabilität der Art gesichert.

Was muss getan werden?

Um den Verlust genetischer Vielfalt zu stoppen, sind gezielte Maßnahmen nötig. Die Vernetzung isolierter Populationen durch Wildkorridore und die Renaturierung von Lebensräumen sind entscheidende Schritte. Regelmäßiges genetisches Monitoring kann gefährdete Populationen frühzeitig identifizieren, sodass Schutzprogramme rechtzeitig greifen.

Zusätzlich sind strengere Naturschutzgesetze, internationale Kooperationen und Bildungsinitiativen nötig, um das Bewusstsein für die Bedeutung genetischer Vielfalt zu schärfen. Eine gezielte genetische Auffrischung – das Einbringen neuer Individuen in verarmte Populationen – hat sich als effektive Methode erwiesen, um den genetischen Kollaps kleiner Populationen zu verhindern.

Der Verlust genetischer Vielfalt ist eine unsichtbare, aber existenzielle Bedrohung für viele Arten. Auch nicht direkt bedrohte Spezies sind betroffen – Artenschutz muss deshalb frühzeitig ansetzen. Die neue Studie zeigt: Ohne gezielte Maßnahmen wird die Anpassungsfähigkeit vieler Arten enorm sinken. Doch es gibt Lösungen – sie müssen nur rechtzeitig umgesetzt werden.

Quellen

  • Jeong, D., Hyun, J.Y., Marchenkova, T. et al. Genetic insights and conservation strategies for Amur tigers in Southwest Primorye Russia. Sci Rep 14, 29985 (2024). https://doi.org/10.1038/s41598-024-79970-3
  • Shaw, R.E., Farquharson, K.A., Bruford, M.W. et al. Global meta-analysis shows action is needed to halt genetic diversity loss. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-024-08458-x
Bisherige Seitenaufrufe: 56

Unterstütze diesen Blog! Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, ziehe bitte eine kleine Spende in Betracht. Jeder Beitrag, egal wie klein, macht einen Unterschied. Deine Spende ermöglicht es mir, den Blog werbefrei zu halten und auf Bezahlschranken zu verzichten, damit alle Leser freien Zugang zu den Inhalten haben. Du kannst ganz einfach über den Spendenbutton spenden oder mir ein Buch aus meiner Amazon Wunschliste schenken. Jeder Betrag zählt und wird sehr geschätzt! Vielen Dank für deine Unterstützung!