Brachflächen in der Stadt: Hotspot für Wildbienen
Städtische Brachflächen wie dieses ehemalige Industriegelände bieten überraschend vielfältige Lebensräume für Wildbienen. Eine aktuelle Studie zeigt: Hier sind Bestäuber oft zahlreicher und effektiver als in klassischen Schutzgebieten.

Überraschende Biodiversität: Was Stadtbrachen für den Insektenschutz leisten

Städtische Brachflächen werden häufig als ungenutzte Restflächen oder gar als städtebauliche Makel wahrgenommen – für Insekten hingegen sind sie wertvolle Rückzugsorte. Eine aktuelle Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigt nun: Auf diesen unscheinbaren Flächen leben mehr Wildbienen als in ausgewiesenen europäischen Schutzgebieten. Auch die Bestäubungsleistung fällt dort oft höher aus.

Im Fokus der Studie standen 18 blütenreiche Standorte in Sachsen-Anhalt: neun davon lagen in Natura 2000-Gebieten, die anderen neun auf städtischen Brachflächen – etwa auf überwucherten Parkplätzen oder ehemaligen Industriearealen. Allen Flächen gemeinsam war eine naturnahe Vegetation aus Gräsern und Wildkräutern. Verglichen wurden die Vielfalt und Häufigkeit der Bestäuber, die Zusammensetzung der Blütenpflanzen sowie die Effizienz der Bestäubung.

Was ist Natura 2000?
Natura 2000 ist das weltweit größte Netz an Schutzgebieten. Es umfasst rund 18 Prozent der Fläche der EU und soll dem grenzüberschreitenden Erhalt bedrohter Tier- und Pflanzenarten sowie ihrer Lebensräume dienen. Grundlage sind die europäische Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie.

Trotz ihrer Größe zeigen Studien, dass viele dieser Flächen beim Schutz von Insekten nicht effektiv genug sind. Unter anderem, weil sie selten explizit für Bestäuber ausgewiesen wurden.

So wurde geforscht

Um die Artenvielfalt und Bestäubungsleistung der Insekten in den untersuchten Flächen zu erfassen, nutzte das Forschungsteam drei Methoden:

1. Insektenfallen zur Erfassung der Biomasse
Zunächst kamen sogenannte Pfannenfallen zum Einsatz – mit Seifenwasser gefüllte Schalen, die standardisiert in blütenreichen Bereichen aufgestellt wurden. Die darin gefangenen Insekten wurden anschließend getrocknet, gezählt und gewogen, um Rückschlüsse auf Biomasse und Gesamtzahl zu ziehen.

2. Transektbegehungen zur Beobachtung von Blütenbesuchern
Zusätzlich führten die Wissenschaftler systematische Begehungen entlang festgelegter Transekte durch. Dabei wurden alle blütenbesuchenden Insekten innerhalb eines definierten Zeitrahmens erfasst.

3. Versuchspflanzen zur Messung der Bestäubungsleistung
Um die Wirksamkeit der Bestäubung zu messen, wurden im Gewächshaus vorgezogene Pflanzen – zunächst ohne Kontakt zu Insekten – in die Untersuchungsflächen eingebracht. Nach einiger Zeit wurde gezählt, wie viele Samen sie gebildet hatten – ein direktes Maß für die Bestäubungsleistung durch die ansässigen Insektenarten.

Mehr Blüten, mehr Bienen, mehr Samen

Die Gesamtbiomasse der Insekten lag mit rund 200 Gramm in beiden Lebensraumtypen auf ähnlichem Niveau. Auch die Anzahl der blütenbesuchenden Insekten war vergleichbar. Doch ein genauer Blick auf die Zusammensetzung der Insektengemeinschaften offenbarte deutliche Unterschiede:

Wildbiene auf Kornblume
Eine Wildbiene auf einer Kornblume (Centaurea cyanus): Artenreiche, wenig gestörte Stadtbrachen bieten Bestäubern wie ihr Nahrung, Nistplätze und wertvolle Rückzugsräume mitten in der urbanen Landschaft.
Muehlenbernd, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Während die Zahl der Honigbienen an beiden Standorten ähnlich war, fanden sich in den Stadtbrachen deutlich mehr Wildbienenarten. Besonders häufig waren bodennistende und sogenannte polylektische Arten, die Pollen von vielen verschiedenen Pflanzen nutzen. Auch oligolektische Bienen – hoch spezialisierte Arten, die nur wenige Pflanzenarten als Pollenquelle nutzen – traten in den urbanen Flächen häufiger auf. Diese spezialisierten Wildbienen gelten als besonders störungsanfällig und sind oft gefährdet.

Hinzu kamen mehr oberirdisch nistende Wildbienen, was auf das reiche Angebot an Nistplätzen in Städten schließen lässt – etwa in Mauerspalten, Totholz oder offenen Bodenstellen. Stadtbrachen bieten damit eine erstaunliche Vielfalt an ökologischen Nischen für verschiedenste Bienenarten.

Eine Ausnahme bildeten die Schmetterlinge: Sie waren in den Natura 2000-Gebieten deutlich häufiger anzutreffen – vermutlich, weil diese Flächen stabilere Bedingungen und ein größeres Angebot an Futterpflanzen für Raupen bieten.

Die pflanzliche Vielfalt – gemessen an der Anzahl unterschiedlicher Arten – war in beiden Flächentypen ähnlich. Deutlich war jedoch: In den Stadtbrachen blühte es intensiver. Besonders häufig waren dort Arten wie Wilde Möhre (Daucus carota), Gewöhnlicher Natternkopf (Echium vulgare) und Luzerne (Medicago sativa). In den Schutzgebieten dominierten hingegen Arten wie Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea) und Gelbe Skabiose (Scabiosa ochroleuca).

Ein besonders aufschlussreiches Ergebnis lieferte der Test mit Versuchspflanzen: Sowohl Borretsch (Borago officinalis) als auch Rotklee (Trifolium pratense) bildeten in den Stadtbrachen deutlich mehr Samen aus als in den Schutzgebieten. Das bedeutet: Die Bestäubung funktionierte in den urbanen Flächen effizienter – nicht aufgrund der schieren Anzahl an Insekten, sondern wegen der höheren Qualität der Bestäuberbesuche, insbesondere durch Wildbienen und Hummeln.

Vielfalt und Struktur: Unterschiede zwischen den Flächentypen

Die Zusammensetzung der Bienenarten war in den Schutzgebieten deutlich variabler als in den Stadtbrachen. Dort ähnelten sich die Artengemeinschaften stärker, während die Schutzgebiete von Standort zu Standort eine größere Heterogenität aufwiesen. Ein ähnliches Muster zeigte sich bei den Blütenpflanzen: Auch hier war die floristische Vielfalt innerhalb der Schutzgebiete insgesamt höher.

Trotz dieser Unterschiede blieb die Struktur der Blütenbesuchsnetzwerke – also die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten – in beiden Lebensräumen überraschend konstant. Die Spezialisierungsgrade von Bestäubern und Blütenpflanzen, ein Maß für ökologische Feinabstimmung, unterschieden sich nicht signifikant. Vermutlich liegt das daran, dass in beiden Flächentypen eine ähnlich hohe Vielfalt an Blütenpflanzen zur Verfügung stand – und damit vergleichbare ökologische Möglichkeiten für Interaktionen zwischen Pflanzen und Bestäubern.

Schutzgebiete in der Kritik

Natura 2000-Fläche in Kroatien
Natura 2000-Fläche in Kroatien: Das Schutzgebietsnetz erstreckt sich über rund 18 % der EU-Landfläche. Doch Studien zeigen, dass viele dieser Gebiete beim Schutz von Insekten noch Nachholbedarf haben – insbesondere im Vergleich zu urbanen Brachen.
Goran Molnar, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Die Ergebnisse der Studie werfen ein Schlaglicht auf die Schwächen des aktuellen Naturschutzsystems: Natura 2000 gilt zwar als Herzstück des europäischen Artenschutzes – mit rund 27.000 Schutzgebieten auf knapp einem Fünftel der EU-Fläche ist es das größte koordinierte Schutzgebietsnetz der Welt. Doch trotz dieser beachtlichen Fläche schreitet der Verlust der Artenvielfalt ungebremst voran.

Ein Grund dafür: Nur wenige dieser Flächen sind speziell auf die Bedürfnisse von Insekten ausgerichtet. Zwar profitieren manche Arten indirekt – etwa durch den sogenannten „Umbrella Effect“, bei dem der Schutz bestimmter Lebensräume auch anderen Arten zugutekommt. Doch Bestäuber wie Wildbienen, Hummeln oder Schwebfliegen bleiben oft außen vor. Die Krefelder Studie (2017) dokumentiert einen dramatischen Rückgang von über 75 Prozent der Insektenbiomasse innerhalb von 27 Jahren – selbst in Schutzgebieten wie Natura 2000.

Eine Übersichtsstudie (2023) bestätigt dieses Bild: In nur 4 von 44 untersuchten Fällen wurden innerhalb von Schutzgebieten tatsächlich mehr Insektenarten nachgewiesen als außerhalb. Besonders auffällig: Gruppen wie Schmetterlinge und Käfer scheinen von den bisherigen Schutzmaßnahmen kaum zu profitieren.

Demgegenüber schneiden städtische Brachflächen überraschend gut ab. Sie bieten oft eine hohe Blütendichte, Strukturvielfalt und geringe Störung – ideale Bedingungen für viele Bestäuberarten. Dennoch werden sie in klassischen Schutzstrategien bislang kaum berücksichtigt.

Die aktuelle Studie aus Sachsen-Anhalt macht deutlich: Das ungenutzte Potenzial urbaner Brachflächen ist erheblich – und Schutzgebiete wie Natura 2000 müssen dringend weiterentwickelt werden, um auch den Bedürfnissen von Insekten gerecht zu werden.

Schutzgebiete sind wichtig – aber nicht genug

Hornklee-Widderchen (Zygaena lonicerae) auf einer Skabiose
Ein Hornklee-Widderchen (Zygaena lonicerae) auf einer Skabiose: Besonders Schmetterlinge profitieren von stabilen Lebensräumen wie in Natura 2000-Gebieten – dort finden sie geeignete Futterpflanzen für Raupen und Blüten für die Nektarsuche.
Uoaei1, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Die Studie zeigt deutlich: Wer das Insektensterben wirksam bekämpfen will, muss auch dort hinschauen, wo bislang kaum jemand Schutzpotenzial vermutet hat – mitten in unseren Städten. Stadtbrachen sind keine nutzlosen Flächen, sondern ökologisch wertvolle Lebensräume. Schutzgebiete wie Natura 2000 bleiben essenziell, reichen aber allein nicht aus. Der Erhalt und die gezielte Förderung urbaner Brachflächen sollten fester Bestandteil zukünftiger Naturschutzstrategien sein.

Mit Blick auf die EU-Biodiversitätsstrategie und die geplante Ausweitung der Schutzgebiete bis 2030 wird klar: Wildbienen müssen stärker in den Fokus rücken – sowohl im städtischen Raum als auch auf dem Land. Auch empfindlichere Arten wie Schmetterlinge brauchen naturnahe Rückzugsorte, die außerhalb intensiv genutzter Kulturlandschaften erhalten und entwickelt werden.

Während Schutzgebiete wie Natura 2000 vor allem für Tagfalter geeignete Bedingungen bieten, sind es gerade die städtischen Brachflächen, die sich für Wildbienen als besonders wertvoll erweisen – oft sogar wertvoller als offiziell geschützte Flächen. Sie bieten spezialisierten und gefährdeten Arten Nahrung, Nistplätze und stabile Mikrohabitate. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass viele Schutzgebiete in ihrer heutigen Form nicht optimal auf die Bedürfnisse von Bestäubern ausgerichtet sind.

Die Forschenden betonen: Die Erkenntnisse lassen sich auf viele Regionen Mitteleuropas übertragen. Sie fordern, Schutzgebiete wie Natura 2000 gezielt für bestäubende Insekten zu optimieren – und urbane Brachen endlich als das zu erkennen, was sie sein können: unverzichtbare Mosaiksteine für den Schutz der Artenvielfalt.

Was jetzt zu tun ist: Studie liefert Handlungsimpulse

Die Ergebnisse der Studie zeigen klare Handlungsempfehlungen für Politik, Städte und Gesellschaft:

  • Städtische Brachflächen erhalten und schützen. Kommunen sollten bestehende Brachen erfassen, ökologisch bewerten und gezielt vor Bebauung oder Versiegelung bewahren. Auch informelle Grünräume verdienen Schutzstatus.
  • Natura 2000 weiterentwickeln. Schutzgebiete müssen gezielter auf die Bedürfnisse von Bestäubern abgestimmt werden – etwa durch mehr Blühflächen, strukturreiche Habitate und insektenfreundliches Management.
  • Urbane Natur in Biodiversitätsstrategien integrieren. Stadtökologie darf kein Randthema bleiben: Stadtbrachen sollten in kommunalen und nationalen Naturschutzplänen als Lebensräume anerkannt und gefördert werden.
  • Wissen erweitern und Monitoring stärken. Mehr Langzeitdaten aus urbanen Räumen sind nötig, um Trends zu erkennen und Schutzmaßnahmen wirksam steuern zu können.
  • Öffentlichkeit einbinden. Auch Bürger können helfen – etwa durch Patenschaften für Brachen, Wildbienen-Nisthilfen oder die Beteiligung an Citizen-Science-Projekten.

Der Schutz der Insektenvielfalt beginnt oft dort, wo wir ihn am wenigsten erwarten: mitten in der Stadt.

Quelle

  • Theodorou, P., Osterman, W. H. A., Mrozek, J. H., Wild, B. S., Beckmann, M., Osterman, J., & Paxton, R. J. (2025). Protected areas do not outperform urban wastelands in supporting insect pollinators and pollination in central Germany. Basic and Applied Ecology, 84, 29–39. https://doi.org/10.1016/j.baae.2025.02.001
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