Mit weltweit über 12.000 beschriebenen Arten bilden Reptilien die artenreichste Gruppe der Landwirbeltiere. Etwa 85 Prozent dieser Arten wurden inzwischen hinsichtlich ihres Aussterberisikos bewertet. Mehr als ein Fünftel gilt als als potenziell gefährdet, gefährdet, stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht.
Zu den gravierendsten menschengemachten Bedrohungen für Schlangen, Eidechsen & Co. zählen Lebensraumverlust durch Landwirtschaft, Siedlungsbau und Holzeinschlag, die Ausbreitung invasiver Arten sowie Jagd für Handel und Konsum. Hinzu kommt der Klimawandel als globale Gefahr: Viele Reptilienarten könnten infolge steigender Temperaturen im Laufe des 21. Jahrhunderts aussterben.
Reptilienvielfalt in Südafrika: Hoch, aber gefährdet
Südafrika beherbergt 402 landlebende Reptilienarten – mehr als die Hälfte davon ist endemisch, also nur dort heimisch. Zwei Arten gelten als vermutlich ausgestorben. Trotz intensiver herpetologischer Forschung bestehen weiterhin große Wissenslücken, etwa durch unzureichende geografische Erfassung, unvollständige taxonomische Erhebungen oder beides.
Ein Forschungsteam um Krystal Tolley (South African National Biodiversity Institute) und Oliver Cowan (Endangered Wildlife Trust) will genau diese Lücken schließen. In ihrer im Journal for Nature Conservation veröffentlichten Studie sowie einem begleitenden Artikel auf The Conversation betonen die Autoren die zentrale Rolle gezielter, artenspezifischer Feldforschung für eine adäquate Einschätzung des Aussterberisikos.
Lost Species: Wenn Arten aus dem Blick geraten

(© Marius Burger, CC0, via Wikimedia Commons)
Viele Reptilien verschwinden nicht sofort aus der Natur, sondern zunächst aus unserem Blickfeld. Weltweit gelten über 1.300 Reptilienarten als „verschollen“: Sie wurden seit mindestens zehn Jahren nicht mehr dokumentiert. Auch in Südafrika betrifft das zahlreiche Arten.
Aktuell gelten rund 6,5 Prozent der südafrikanischen Reptilien als vom Aussterben bedroht, 5,8 Prozent als potenziell gefährdet und 1,5 Prozent als „ungenügend bekannt“ (Data Deficient). Letztere Kategorie ist besonders kritisch: Weil aktuelle Nachweise fehlen, fallen diese Arten häufig durch das Raster gesetzlicher Schutzmaßnahmen. Dabei kann die fehlende Datengrundlage viele Ursachen haben – von echter Seltenheit über drastische Rückgänge bis hin zu unzureichender Erfassung.
Wie weltweit gilt auch in Südafrika die Lebensraumzerstörung als Hauptbedrohung. 64 Prozent aller bedrohten oder potenziell gefährdeten Reptilienarten sind von einem Rückgang der Fläche und Qualität ihrer Lebensräume betroffen.
Zielgerichtete Feldarbeit statt Zufallsfunde
Um dem Verlust biologischer Vielfalt gezielt entgegenzuwirken, konzentrierte sich das Forschungsteam auf zwei Regionen Südafrikas mit historisch belegten, jedoch seit Langem nicht mehr bestätigten Reptilienarten: die Provinzen Limpopo und Western Cape.
Die Ergebnisse der Reptiliensuche: In Limpopo gelangen 163 neue Nachweise für 40 Arten – darunter sowohl Schlangen als auch Eidechsen. Im Westkap wurden 245 Vorkommen von 34 Arten dokumentiert, überwiegend Eidechsen, darunter auch fossoriale Arten, die ausschließlich unterirdisch leben.
Alle untersuchten Arten kommen oder kamen in Landschaften vor, die stark von Habitatverlusten betroffen sind. Da in beiden Regionen zuvor keine systematischen Erhebungen stattgefunden hatten, war unklar, ob das Fehlen von Nachweisen auf tatsächliche Seltenheit oder schlicht auf fehlende Daten zurückzuführen war. Um diese Wissenslücken zu schließen, suchten die Forschenden gezielt an jenen Orten, an denen die Arten zuletzt beobachtet wurden – mit dem Ziel, mögliche Restbestände zu identifizieren oder ein fundiertes Aussterberisiko abzuleiten.
Solche systematischen Suchen schaffen die Basis für verlässliche Neubewertungen, das Schließen von Schutzlücken und wirksame Schutzmaßnahmenplanung – im Gegensatz zu zufälligen Einzelbeobachtungen, die kaum Aussagekraft für den Artenschutz haben.
Die Ergebnisse der Reptiliensuche
Wiederentdeckt: Die Orangefarbene Sandveld-Eidechse

(© Botswanabugs, CC0, via Wikimedia Commons)
Die Orangefarbene Sandveld-Eidechse (Nucras aurantiaca) galt als verschollen: Lediglich zwei Sichtungen aus den Jahren 2005 und 2011 waren dokumentiert. Erst im Rahmen gezielter Erhebungen im Jahr 2022 gelang dem Forschungsteam die Wiederentdeckung: Innerhalb weniger Tage gingen drei Exemplare an der sandigen Westküste Südafrikas in Lebendfallen; ein weiteres Tier konnte beobachtet werden, wie es in ein Erdloch flüchtete.
Alle Nachweise stammen von einem einzigen Standort in unmittelbarer Nähe des letzten historischen Fundorts. Obwohl weitere elf Fallen in einem deutlich größeren Areal ausgelegt wurden, blieb der Fundort die einzige Fundstelle – ein Hinweis darauf, dass die Art ein extrem kleines Verbreitungsgebiet hat. Genau dieses Gebiet ist jedoch aktuell durch ein geplantes Phosphatabbauprojekt bedroht.
Dank der Wiederentdeckung und der neuen Daten konnten die Forschenden das Aussterberisiko erstmals fundiert einschätzen und empfehlen eine Hochstufung der Orangefarbenen Sandveld-Echse in die IUCN-Kategorie „gefährdet“. Bisher wird die Art noch als „ungenügend bekannt“ (Data Deficient) geführt. Sobald die neue Einstufung offiziell erfolgt, wären geplante Eingriffe wie Bergbau in ihrem Lebensraum an eine Umweltverträglichkeitsprüfung gebunden – und könnten gegebenenfalls gestoppt werden.
Neu bewertet: Methuens Zwerggecko
Auch Methuens Zwerggecko (Lygodactylus methueni) war lange nicht mehr nachgewiesen worden. Im Zuge der Feldforschung in der Limpopo-Provinz gelangen dem Team zehn aktuelle Nachweise. Diese reichen aus, um die IUCN-Kategorie neu zu bewerten: Die Art wurde von „Data Deficient“ auf „gefährdet“ hochgestuft.
Damit erhält sie nicht nur mehr Aufmerksamkeit im Naturschutzrecht, sondern es liegen erstmals belastbare Daten für gezielte Schutzmaßnahmen vor.
Als ausgestorben bestätigt: Eastwood-Geißelschildechse

(© Ryan van Huyssteen, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
Eine traurige Bilanz betrifft die Eastwood-Geißelschildechse (Tetradactylus eastwoodae), die zuletzt 1928 dokumentiert wurde. Die hochspezialisierte Echse mit extrem langem Körper und Schwanz sowie winzigen Gliedmaßen bewegte sich vermutlich wie ein Fisch durchs Gras, weshalb sie auch als „Gras-Schwimmerin“ bezeichnet wird.
Trotz gezielter Suche in kleinen, verbliebenen Grasinseln innerhalb von Holzplantagen blieb die Art unauffindbar. Nach mehreren Wochen intensiver Suche ohne jeden Nachweis gehen die Forschenden davon aus, dass die Art tatsächlich ausgestorben ist. Die wenigen noch vorhandenen Grasflächen sind heute zu klein und zu stark fragmentiert, um stabile Eidechsenpopulationen zu tragen.
Neben Wiederentdeckungen und Neubewertungen dokumentierte das Team auch seltene oder bislang unzureichend erfasste Arten, darunter:
- Acontias rieppeli – ein beinloser, teils unterirdisch lebender Skink, der von der IUCN als „stark gefährdet“ gelistet wird
- Burchells Wüstenrenner (Pedioplanis burchelli) – eine tagaktive, blitzschnelle Eidechse, die bislang kaum systematisch erfasst wurde
- Großschuppiger Gürtelschweif (Cordylus macropholis) – eine laut IUCN potenziell gefährdete stachelschuppige Echse mit sehr engem Verbreitungsgebiet
Inventar verschollener Arten als Grundlage für zukünftigen Schutz
Im Rahmen der Studie erstellten die Wissenschaftler ein Inventar von mehr als 40 Reptilienarten Südafrikas, die seit über einem Jahrzehnt nicht mehr dokumentiert wurden. Diese Liste soll als Ausgangspunkt für zukünftige, gezielte Feldstudien dienen – mit dem Ziel, den Wissensstand über gefährdete Arten zu verbessern und Schutzmaßnahmen datenbasiert auszurichten.
Zu den gelisteten Arten gehören unter anderem:
- Scelotes guentheri (Günther’s Dwarf Burrowing Skink): Zuletzt 1887 nachgewiesen und daher von der IUCN als ausgestorben eingestuft. Als Hauptursachen für ihr Verschwinden gelten die Umwandlung ihres Lebensraums durch Landwirtschaft und menschliche Besiedlung. Eine Studie (2021) von Lynn Raw stellt diese Einschätzung jedoch infrage: Demnach könnten Populationen, die bislang als Scelotes bourquini galten, tatsächlich S. guentheri entsprechen. Sollte sich dies bestätigen, wäre die Art nicht ausgestorben, sondern im südlichen KwaZulu-Natal noch existent – wenngleich weiterhin selten und gefährdet.
- Eastwood-Geißelschildechse: Seit 1928 ohne Nachweis.
- Bibrons Erdviper (Typhlops bibronii): Eine blinde, unterirdisch lebende Schlange, für die es keine aktuellen Beobachtungen gibt. Die IUCN stuft sie indes „als weit verbreitete und häufige Art“ in die Kategorie „nicht gefährdet“ ein – vermutlich ein Fall von Diskrepanz zwischen Datenlage und Realität.
- Nucras holubi (Holub’s Sandveld Lizard): Eine Sandveld-Eidechse mit unbekanntem Verbreitungsgebiet, die seit mehr als zehn Jahren nicht mehr dokumentiert wurde.
Solche systematischen Inventare verschollener Arten sind ein essenzielles Instrument, um gezielte Wiederentdeckungsprojekte zu planen, Ressourcen effektiv einzusetzen und den Artenschutz dort zu stärken, wo er am nötigsten ist.
Warum Wissenslücken gefährlich sind

(© Mahomed Desai, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)
Das Fehlen verlässlicher Daten kann viele Gründe haben: Unterirdisch lebende (fossoriale) Arten entziehen sich der Beobachtung, scheue oder sehr schnelle Tiere werden leicht übersehen, und morphologisch ähnliche Arten (kryptische Arten) lassen sich kaum unterscheiden.
Solche Wissenslücken haben weitreichende Folgen – insbesondere bei Entscheidungen zur Landnutzung. Werden potenziell bedrohte Arten übersehen, weil aktuelle Nachweise fehlen, drohen ihnen zusätzliche Gefahren durch Eingriffe in ihren Lebensraum. Konkret betrifft das:
- Umweltverträglichkeitsprüfungen: Bleibt eine Art unerkannt, wird ihr Lebensraum bei der Bewertung möglicher Eingriffe oft nicht berücksichtigt.
- Planung von Schutzgebieten: Unvollständige Daten erschweren es, Rückzugsräume für gefährdete Arten sinnvoll auszuweisen.
- Gesetzliche Schutzregelungen: In Südafrika dürfen bei Vorprüfungen nur Nachweise der letzten 20 Jahre herangezogen werden. Arten mit der Einstufung „Data Deficient“ werden häufig nicht gelistet, selbst wenn sie faktisch bedroht sind.
So können Arten unbemerkt Lebensraum verlieren – mit potenziell irreversiblen Folgen für ihren Fortbestand.
Reptilienschutz braucht Daten – und Menschen
Gezielte Arterfassungen bilden die Grundlage für Schutzbewertungen, Umweltprüfungen und wirksame Naturschutzmaßnahmen. Sie helfen, Wissenslücken zu schließen, bedrohte Arten sichtbar zu machen und ihre Lebensräume zu sichern. Die Studie von Cowan et al. zeigt, wie schon mit vergleichsweise geringem Aufwand wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden können. Systematische Feldforschung ist unerlässlich, um Artenverluste frühzeitig zu erkennen und im besten Fall zu verhindern.
Jeder kann einen wichtigen Beitrag leisten: Mit Smartphone-Apps wie iNaturalist lassen sich Tierbeobachtungen samt Fundort dokumentieren und für Forschung und Artenschutz nutzbar machen. Manchmal genügt ein einziges Foto, um eine lange vermisste Art wieder auf die wissenschaftliche Landkarte zu bringen.
Ein Beispiel außerhalb Afrikas zeigt, wie erfolgreich solche Nachsuchen sein können: 2025 wurde auf Barbados die kleinste bekannte Schlange der Welt – die Barbados-Fadenschlange – dank gezielter Feldforschung wiederentdeckt, nachdem sie jahrzehntelang als verschollen galt.
Quellen
- Cowan, O. S., Conradie, W., Keates, C., et al. (2025). Lost lizards: The importance of targeted surveys in filling knowledge gaps for reptile conservation in South Africa. Journal for Nature Conservation, 77, 126790. https://doi.org/10.1016/j.jnc.2024.126790
- Tolley, K. A. (2025, 23. Juli). Surprise results in search for South African lizard species that have been missing for decades. The Conversation. https://theconversation.com/surprise-results-in-search-for-south-african-lizard-species-that-have-been-missing-for-decades-259311
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