Wie reagieren wir als Gesellschaft darauf, wenn eine Tierart endgültig verschwindet? Eine neue Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen Biodiversitätsverlust und öffentlichem Bewusstsein, indem sie analysierte, wie lange das Interesse der Menschen an einer Art nach der Bekanntgabe ihres Aussterbens anhält – mit einem ernüchternden Ergebnis: Das Interesse schwindet rasch.
Die im Fachjournal Animal Conservation veröffentlichte Studie mit dem Titel Trending Extinctions: Online Interest in Recently Extinct Animals untersuchte das Online-Interesse an kürzlich ausgestorbenen Tierarten, um festzustellen, wie sich dieses vor und nach dem offiziellen Aussterben verändert. Dazu analysierten die Forscher Daten von sozialen Medien wie X (ehemals Twitter) und der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Sie ermittelten die tägliche Anzahl der Tweets und Retweets sowie der Seitenaufrufe auf Wikipedia-Artikeln zu den jeweiligen Arten vor und nach deren Aussterben. Zu den acht untersuchten Arten gehörten unter anderem Weihnachtsinsel-Waldskink, die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte, die Oahu-Baumschnecke Achatinella apexfulva oder Rabbs Fransenzehen-Laubfrosch.
Die Wissenschaftler untersuchten nicht nur die Häufigkeit der Erwähnungen, sondern auch die Dauer, über die das öffentliche Interesse anhielt. Durch diese Analyse konnten die Forscher die Faktoren identifizieren, die das Interesse und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit beeinflussen.
Nach dem ersten Hype folgt das Vergessen
Sobald eine Tierart offiziell als ausgestorben gilt, steigt die Anzahl der Tweets darüber sprunghaft an – und das weltweit. Nach dem Aussterben des westlichen Spitzmaulnashorns (Diceros bicornis longipes) im Jahr 2011 wurden beispielsweise bis zu 4.000 Tweets täglich verzeichnet, während vor dieser Meldung nur vereinzelte Tweets erschienen. Doch dieser „Hype“ ist kurzlebig.
Die Analyse zeigt, dass das Interesse der Öffentlichkeit rasch nachlässt: Der Anstieg hält nur wenige Tage bis Wochen an, bevor die Erwähnungen deutlich abnehmen. Nach wenigen Monaten kehrt das Interesse auf das niedrige Ausgangsniveau vor der Aussterbemeldung zurück.
Wikipedia als digitale Gedenkstätte
Ein weiterer Befund der Studie: Während auf X die Erwähnungen nach einem Aussterbeereignis schnell ihren Höhepunkt erreichen und ebenso schnell abflachen, zeigt Wikipedia ein länger anhaltendes Interesse. Social Media funktioniert wie eine Trauerfeier, die den unmittelbaren Verlust betont, während Wikipedia eher als dauerhafte Gedenkstätte fungiert – ein Ort, den Menschen später immer wieder besuchen, um sich zu erinnern oder mehr über die ausgestorbene Art zu erfahren. IUCN-Berichte hingegen führten laut der Studie meist nicht zu einem spürbaren Anstieg der Aufmerksamkeit.
Ein entscheidender Einflussfaktor für das Interesse am Aussterben einer Art ist ihr „Charisma“: Ihre visuelle Anziehungskraft oder symbolische Bedeutung. Große und ikonische Tiere wie das westliche Spitzmaulnashorn rufen deutlich mehr Reaktionen hervor als kleinere, weniger bekannte Arten wie die 2016 ausgestorbene Schnecke Partula faba.
Wie lässt sich ein langfristiges Interesse am Artenschutz wecken?
Kevin Healy, einer der Studienautoren, betont in einem Artikel auf The Conversation, dass das kurzlebige Interesse am Aussterben von Arten ernsthafte Folgen für den Naturschutz haben kann. Zwar sei es positiv, dass solche Ereignisse kurzfristige Aufmerksamkeit erregen, doch um wirksame Schutzmaßnahmen zu fördern und weitere Aussterben zu verhindern, müsse langfristiges Interesse und Engagement geweckt werden.
Die Studie regt an, darüber nachzudenken, wie das öffentliche Interesse an bedrohten und ausgestorbenen Arten nachhaltig aufrechterhalten werden kann. Nur wenn das Aussterben als Teil eines größeren, kontinuierlich thematisierten Problems betrachtet wird, kann es zu einem echten Bewusstseinswandel kommen.
Das flüchtige Interesse zeigt, dass emotionale Reaktionen allein nicht ausreichen, um langfristige Verhaltensänderungen zu bewirken. Stattdessen braucht es kontinuierliche Kommunikation, die den Artenschutz regelmäßig ins Bewusstsein rückt. Geschichten über erfolgreiche Wiederansiedlungsprogramme oder Arten, die sich von der Ausrottung erholt haben, könnten das Interesse fesseln und zu positiven Handlungen anregen.
Wie Social Media das Interesse am Artenschutz prägen kann
Die Untersuchung zeigt, dass eine kleine Gruppe einflussreicher X-Nutzer – darunter Content-Creator, Medienorganisationen und umweltorientierte Akteure – eine entscheidende Rolle in Naturschutzdiskussionen spielt und die öffentliche Wahrnehmung stark beeinflusst. Ein Drittel der meistgeteilten Beiträge stammt von diesen Nutzern, die damit das Bewusstsein für Naturschutzthemen effektiv stärken.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Naturschutzorganisationen wie der IUCN und diesen einflussreichen Akteuren. Durch gezielte Kooperation mit Content-Creatorn und Medien kann das öffentliche Interesse an Naturschutzthemen, besonders bei weniger bekannten Arten, nachhaltig gefördert werden. Solche Partnerschaften sind entscheidend, um ein dauerhaftes Bewusstsein für die Bedrohung der Artenvielfalt zu schaffen und den Artenschutz wirksam zu unterstützen.
Kurzfristiges Interesse in dauerhafte Unterstützung verwandeln
Die Studie zeigt, dass menschliche Aufmerksamkeit oft flüchtig ist – besonders bei Umweltproblemen, die uns nicht unmittelbar betreffen. Dennoch existiert ein kurzfristiges Bewusstsein für die Problematik, das es zu nutzen gilt. Die Herausforderung liegt darin, die Menschen über diesen ersten emotionalen Impuls hinaus zu motivieren, sich aktiv für den Schutz bedrohter Arten – auch weniger charismatischer – einzusetzen.
Wie Kevin Healy treffend betont, braucht es neue Strategien, um das öffentliche Bewusstsein dauerhaft zu steigern. Dazu gehören Bildungsinitiativen, gezielte Kampagnen und eine klare Vermittlung der Folgen des Artensterbens für das Ökosystem – und letztlich für uns selbst.
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