Socorrotaube - ausgestorben in der Wildnis
Seit den 1970er-Jahren ist die Socorrotaube auf ihrer Heimatinsel Socorro ausgestorben. Ihr Bestand beläuft sich aktuell auf nicht einmal 200 Individuen in menschlicher Obhut. Ltshears, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Die Socorrotaube und das Rennen um eine Wiederansiedlung auf Socorro

Ursprünglich war die Socorrotaube auf der abgelegenen vulkanischen Pazifikinsel Socorro, die zu den Revillagigedo-Inseln gehört, weit verbreitet. Doch durch menschliche Einflüsse wie eingeführte Raubtiere und die Zerstörung ihres Lebensraums wurde sie in der Wildnis ausgerottet. Heute existieren nur noch etwa 189 Individuen weltweit, die in Zoos und Schutzprogrammen gehalten werden. Diese Zuchtbemühungen sind die letzte Hoffnung für die Wiederansiedlung dieser Art.

Ihr Lebensraum bestand hauptsächlich aus dicht bewaldeten Gebieten oberhalb von 500 Metern Höhe, die Nahrung und Nistmöglichkeiten boten. Als überwiegend terrestrischer Fruchtfresser bewohnte sie offenes Buschland und die Ränder der tropischen Nebelwälder, wo sie Samen, Beeren und andere pflanzliche Nahrung fand.

Socorrotaube – Steckbrief

alternative NamenSocorro-Taube, Graysontaube, Graysons Taube
wissenschaftliche NamenZenaida graysoni, Zenaida macroura graysoni
englische NamenSocorro dove, Socorro ground dove, Grayson’s dove
ursprüngliches VerbreitungsgebietSocorro (Pazifik)
Bedrohungenauf Insel eingeschleppte Tiere, Bejagung, Lebensraumverlust
IUCN-Statusin der Wildnis ausgestorben

Die Socorrotaube gehört taxonomisch zur Gattung der Trauertauben (Zenaida) und damit zu den Eigentlichen Tauben (Columbinae). Ihre genaue Einordnung wurde in der Vergangenheit jedoch gelegentlich diskutiert. Manche ältere Quellen sehen Verwandtschaften zu den bodenbewohnenden Amerikanischen Erdtauben oder Wachteltauben (Geotrygon), was jedoch von der modernen Taxonomie nicht unterstützt wird.

Vom Verschwinden der Socorrotaube

Revillagigedo-Inseln
Die Revillagigedo-Inseln im Pazifik liegen etwa 400 Kilometer südwestlich der Halbinsel Niederkalifornien. Socorro ist die größte der vier Inseln. Bis auf eine Marinebasis auf Socorro mit 45 Besatzungsmitgliedern sind die Inseln unbewohnt.
Hobe / Holger Behr, Public domain, via Wikimedia Commons)

Der Lebensraum der Socorrotaube war über Jahrtausende nahezu unberührt, bis menschliche Eingriffe das ökologische Gleichgewicht der Insel nachhaltig störten. Das Verschwinden der Taube setzte mit dem Bau einer mexikanischen Militärbasis ab 1957 ein. Damit einher ging ab den frühen 1970er-Jahren die vermehrte Einschleppung verwilderter Katzen, die den Tauben nachstellten. Aufgrund ihrer Zahmheit war die Socorrotaube den eingeführten Katzen nahezu schutzlos ausgeliefert. Auch Schweine, die auf die Insel gebracht wurden, zerstörten die Vegetation und die Nistplätze der Vögel.

Weitere Faktoren, wie menschliche Bejagung, das intensive Weiden durch Schafe, die ab 1869 eingeführt wurden, und wiederkehrende Schwärme der Wanderheuschrecke Schistocerca piceifrons, trugen zum drastischen Rückgang bei.

Noch in den Jahren 1957 und 1958 gab es keine Hinweise auf eine sinkende Population, doch nur wenige Jahre später brachen die Bestände ein. Laut eines Artikels (1996) von Juan Martinez-Gómez und Luis F. Baptista wurde die Socorrotaube 1972 zum letzten Mal in freier Wildbahn gesichtet – knapp 100 Jahre nach ihrer wissenschaftlichen Erstbeschreibung durch den amerikanischen Amateur-Ornithologen George Newbold Lawrence. Nach umfassenden Suchaktionen erklärte man sie 1983 offiziell für „in der Wildnis ausgestorben“. Die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) bestätigt, dass alle potenziellen Lebensräume auf der Insel seither ohne Erfolg durchsucht wurden.

Das Leben in Zoos und Schwierigkeiten bei der Zucht

Während einer Expedition im Jahr 1925 wurden mehrere Socorrotauben eingefangen und in den USA in Zuchtprogrammen ab 1926 gezüchtet. Einige dieser Vögel gelangten nach Europa. Es ist wahrscheinlich, dass nur dadurch das endgültige Aussterben der Art verhindert werden konnte. Die Zuchtprogramme sind entscheidend, um die genetische Vielfalt der Socorrotauben-Population zu erhalten und eine erfolgreiche Wiederansiedlung zu ermöglichen. Doch die Praxis zeigt, dass die Nachzucht nicht immer reibungslos verläuft.

Socorrotaube im Burgers Zoo in Arnheim
Eine Socorrotaube im Burgers‘ Zoo in Arnhem, Niederlande.
Zenaida_graysoni.jpg: Magalhãesderivative work: Berichard, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons)

So gelten Socorrotauben als aggressiv gegenüber Artgenossen, was die Vergesellschaftung in Volieren erschwert. Hinzu kommt ein Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung, da oftmals ein Überschuss an Männchen vorhanden ist. In Burgers‘ Zoo in Arnhem (Niederlande) etwa lebt daher nur ein einzelnes Zuchtpaar in einer separaten Voliere, während die Jungvögel in der sogenannten „Desert“-Abteilung frei fliegen können, um Konflikte zu vermeiden.

Ein weiteres Problem ist die Hybridisierung mit nah verwandten Taubenarten, insbesondere mit der Carolinataube (Zenaida macroura). In den USA und Mexiko kommt es laut verschiedener Berichte häufig zu Kreuzungen, sodass fast alle privat gehaltenen Vögel sowie mehrere Individuen aus Zuchtprogrammen als Hybridtiere gelten oder zumindest stark im Verdacht stehen, welche zu sein. Da die Socorrotaube über einzigartige Anpassungen verfügt, sind solche Hybriden von der Wiederansiedlung ausgeschlossen, um keine verfälschte Genbasis auszusetzen.

In seinem Buch Letzte Zuflucht Zoo (1993) zweifelt der Biologe Colin Tudge zudem daran, dass eine Superart aus Socorro- und Carolinatauben das Überleben der reinen Socorrotaube sichern kann. Hybride Linien ersetzen demnach nicht die spezielle genetische Identität und ökologische Funktion der Socorrotaube, sondern könnten langfristig eher dazu führen, dass für die Wiederansiedlung unverzichtbare Merkmale verloren gehen.

All diese Faktoren erschweren den Aufbau einer stabilen Reservepopulation. Dennoch engagieren sich Zoos und Einrichtungen weltweit, um den Bestand und die genetische Vielfalt zu bewahren. Heute wird die Socorrotaube in 46 Einrichtungen weltweit gehalten, wobei seit 1994 insgesamt mindestens 70 Institutionen an der Zucht beteiligt waren. Das europäische Zuchtprogramm, das 1995 als European Endangered Species Programme (EEP) anerkannt wurde, wird von Zoos wie Köln und Frankfurt und einer privaten Interessengruppe für Wildtauben unterstützt. Moderne Zuchtbuchsoftware wird eingesetzt, um die genetische und demografische Verwaltung der Population zu optimieren.

Die gesamte Population in menschlicher Obhut beläuft sich aktuell auf 189 Individuen (Stand der zuletzt veröffentlichten Zahlen). Um eine genetisch unabhängige Reservepopulation näher am ursprünglichen Lebensraum aufzubauen, wurden 2006 zwölf Vögel in den Albuquerque Biological Park in New Mexico überführt. In den Jahren 2013 und 2014 folgte eine weitere Verbringung von Socorrotauben nach Mexiko, wo eine nationale Zuchtgruppe etabliert werden sollte. Auch im Vogelpark Marlow (Deutschland) existiert eine spezielle Zuchtstation für diese Art. Gelingt es, diese Bestände sorgfältig zu managen und von hybriden Linien zu trennen, könnte eine spätere Auswilderung – zumindest in theoretischer Hinsicht – vorbereitet werden.

Neue Entwicklungen

Einer Meldung auf der Website des Londoner Zoos zufolge wurden Ende 2024 drei Socorrotauben vom Lagos Zoo (Portugal) in den Londoner Zoo gebracht, während zwei weitere Tauben in den Chester Zoo zogen. Dieses Ereignis wird als bedeutender Meilenstein für das internationale Socorro Dove Project gesehen, eine globale Partnerschaft, die plant, die Socorrotaube bis 2030 wieder auf Socorro anzusiedeln.

Nach ihrer Ankunft im Londoner Zoo wurden die Tauben zunächst in Quarantäne gehalten und dann behutsam potenziellen Partnern vorgestellt. Zur Brut setzt man neben direkten Paarungen auch Ersatzeltern ein (etwa Europäische Turteltauben), die sich als erfolgreicher beim Ausbrüten erweisen. Ziel ist es, stabile Zuchtpaare zu bilden, die genügend Nachkommen für eine spätere Auswilderung hervorbringen.

Socorro: Maßnahmen zur Regeneration des Lebensraums

Damit die Socorrotaube irgendwann in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren kann, sind umfangreiche Maßnahmen zur Wiederherstellung ihres Lebensraums notwendig. Die IUCN hat die bisherigen Maßnahmen zusammengefasst: Ein erster wichtiger Schritt war die Ausweisung der Revillagigedo-Inseln als Biosphärenreservat im Jahr 1994. Im Zuge dessen machte man sich gezielt daran, invasive Tierarten zu entfernen, die auf Socorro das ökologische Gleichgewicht und damit auch die Taubenpopulation bedrohten. Zwischen 2009 und 2012 wurden über 1.700 verwilderte Schafe von der Insel entfernt, sodass Schafe dort seit 2012 als vollständig ausgerottet gelten. Dank dieser Maßnahme konnte sich die Vegetation rasch erholen und wichtige Brut- sowie Nahrungsflächen für die Socorrotaube wiederhergestellt werden.

Socorro Insel
Socorro – die Heimat der Socorrotaube.
México en Fotos, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons)

Ein weiteres Problem stellten – und stellen nach wie vor – verwilderte Katzen dar. Zwar konnte die Katzenpopulation zwischen 2011 und 2016 erheblich reduziert werden, ganz verschwunden sind sie allerdings nicht. Gleiches gilt für eingeschleppte Mäuse, die Taubenküken erbeuten können und ebenfalls das Überleben einer künftigen freien Population gefährden. Um den Lebensraum zusätzlich zu stärken, wurden seit 2016 mehr als 100 Setzlinge von vier endemischen Baumarten gepflanzt. Diese Wiederaufforstung bildet die Grundlage für den Erhalt der einheimischen Flora und bietet der Socorrotaube sowie anderen Arten neue Rückzugs- und Nahrungsräume.

Die Socorrotaube spielt für das ökologische Gleichgewicht eine entscheidende Rolle, da sie als Samenverbreiter für eine natürliche Verjüngung der Vegetation sorgt. Genau diese Funktion wird sie im wiederhergestellten Ökosystem übernehmen und so zur langfristigen Stabilisierung der Insel beitragen. Aber auch andere endemische Arten wie der Socorrospottdrossel (Mimus graysoni) kommt die Renaturierung zugute. Begleitende Studien zur Genetik, Krankheitsanfälligkeit und möglichen Hybridisierung sollen zudem helfen, Risiken für die verbleibende Taubenpopulation in menschlicher Obhut und künftige Auswilderungen zu minimieren. Die bisherigen Fortschritte sind vielversprechend, doch die Socorrotaube benötigt weiterhin umfassenden Schutz, um ein Schicksal wie das der ausgestorbenen Wandertaube oder des Karolinasittichs zu vermeiden.

Plan zur Wiederansiedlung der Socorrotaube

Ziel ist es, Zuchttiere schrittweise auszuwildern, sobald die Insel weitgehend von invasiven Räubern und Pflanzenfressern befreit ist und ausreichend Vegetation, Nistmöglichkeiten und Nahrung bietet. Erste Rückführungen aus dem europäischen Zuchtprogramm waren bereits für 2005 geplant, scheiterten jedoch an Import- und Genehmigungsproblemen.

Um gegen eventuelle Rückschläge gewappnet zu sein, wurde 2008 eine Reservepopulation in den USA eingerichtet, die bei Bedarf wieder nach Mexiko transferiert werden kann. Aktuell kooperieren Institutionen weltweit im Rahmen des Socorro Dove Project, um die logistischen, rechtlichen und ökologischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Auswilderung zu schaffen.

Kann eine Neuansiedlung gelingen?

Socorrotaube im Zoo Frankfurt
Die Größe der Socorrotaube wird von verschiedenen Quellen von 20 bis 25 oder von 25 bis 34 Zentimetern angegeben. Klar ist, dass sie kleiner als unsere Haustaube ist.
NasserHalaweh, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Obwohl die Socorrotaube seit den 1970er-Jahren in freier Wildbahn verschwunden ist und somit vor enormen Herausforderungen steht, gibt es koordinierte Anstrengungen, die eine mögliche Wiederansiedlung vorbereiten. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei auf der Wiederherstellung des Ökosystems, die bereits begonnen hat: Invasive Schafe und Katzen werden – so weit möglich – entfernt, und durch gezielte Wiederaufforstung entsteht wieder ein Lebensraum, in dem die Tauben langfristig überleben könnten.

Gleichzeitig steht die Zucht in menschlicher Obhut im Zentrum der Bemühungen. Trotz der geringen Bestandsgröße verfügt die Socorrotaube noch über eine ausreichend diverse genetische Basis, um eine kleine, stabile Population zu ermöglichen. Zudem machen Erfahrungen aus anderen Projekten Mut: In der Naturschutzpraxis gab und gibt es Beispiele, in denen Vogelarten nach erfolgreicher Räuber-Entfernung oder Lebensraum-Restauration wieder angesiedelt werden konnten – zum Beispiel verschiedene Rallen-Arten auf kleinen Pazifikinseln.

Allerdings kommen auch kritische Stimmen zu Wort. Einige halten eine Neuansiedelung auf Socorro für unmöglich, weil die Insel inzwischen von Columbiatauben besiedelt sei und Mäuse, verwilderte Katzen sowie Schweine nach wie vor eine Bedrohung für die Socorrotaube darstellten. Fakt ist, dass eine solche Rückführung nur gelingen kann, wenn invasive Räuber konsequent entfernt oder zumindest kontrolliert werden und sich gleichzeitig ein ausreichender Bestand reiner Socorrotauben in menschlicher Obhut halten lässt.

Manchen Fachleuten erscheint eine Rückkehr daher noch unwahrscheinlich, doch die intensiven Zuchtbemühungen und die laufende Habitatrestaurierung nähren eine vorsichtige Zuversicht. Das Beispiel der Socorrotaube macht deutlich, wie wichtig konsequente und langfristige Artenschutzmaßnahmen sind, um das Aussterben weiterer Arten zu verhindern. Mit ausreichend Geduld, Ressourcen und politischem Willen könnte sie eines Tages wirklich wieder Teil des Inselökosystems werden.

Bisherige Seitenaufrufe: 35

Unterstütze diesen Blog! Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, ziehe bitte eine kleine Spende in Betracht. Jeder Beitrag, egal wie klein, macht einen Unterschied. Deine Spende ermöglicht es mir, den Blog werbefrei zu halten und auf Bezahlschranken zu verzichten, damit alle Leser freien Zugang zu den Inhalten haben. Du kannst ganz einfach über den Spendenbutton spenden oder mir ein Buch aus meiner Amazon Wunschliste schenken. Jeder Betrag zählt und wird sehr geschätzt! Vielen Dank für deine Unterstützung!