Ein Erdbeben im Jahr 1999 könnte die taiwanesische Schwalbenschwanz-Unterart Papilio machaon sylvina für immer ausgelöscht haben. Laut einer aktuellen Studie im Fachjournal PLOS handelt es sich möglicherweise um den ersten dokumentierten Fall, in dem ein Erdbeben das Aussterben eines Schmetterlings verursacht hat.
Der Schwalbenschwanz (Papilio machaon), einer der größten und beeindruckendsten Tagfalter Europas, ist im paläarktischen Raum weit verbreitet und kommt in zahlreichen Unterarten vor. In Taiwan existierten zwei bekannte Unterarten: P. m. schantungensis, die auf den Matsu-Inseln nahe der chinesischen Küste lebt, und P. m. sylvina, die auf die Hauptinsel Taiwan beschränkt war.
Die auf Taiwan endemische Unterart, die 1930 von japanischen Lepidopterologen erstmals beschrieben wurde, entwickelte einzigartige genetische und ökologische Merkmale. Ihre Heimat waren die mittleren bis hohen Lagen der zentralen Gebirgskette, in Höhen von 1.000 bis 2.500 Metern. Die Schmetterlingslarven ernährten sich von der Wirtspflanze Peucedanum formosanum und produzierten mindestens drei Generationen pro Jahr. Ihre Spezialisierung auf diese Höhenlagen und Pflanze machte sie aber auch anfällig für plötzliche Umweltveränderungen.
Das Jiji-Erdbeben und seine Folgen
Am 21. September 1999 erschütterte ein Erdbeben, bekannt als „Jiji-Erdbeben“, mit einer Magnitude von 7,7 Zentral-Taiwan. Es war eines der schwersten Erdbeben in der Geschichte der Insel und hatte verheerende Auswirkungen: Über 2.400 Menschen verloren ihr Leben, mehr als 11.000 wurden verletzt und etwa 100.000 Gebäude wurden zerstört.
Zusätzlich verursachte das Erdbeben massive Erdrutsche, die Flüsse blockierten und Dämme bildeten. Große Teile der Landschaft wurden durch Schlamm und Geröll dauerhaft verändert; insbesondere die Bergregionen wurden schwer beschädigt. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten verloren so ihren natürlichen Lebensraum, darunter auch der Schmetterling P. m. sylvina.
Zum Zeitpunkt des Erdbebens befanden sich die Schmetterlinge gerade im Puppenstadium, wobei die Puppen an den Wirtspflanzen befestigt waren, die vollständig unter Schlammlawinen begraben wurden. Seitdem wurde die taiwanesische Schwalbenschwanz-Unterart trotz intensiver Suche nicht mehr gesichtet, obwohl die Wirtspflanze in den betroffenen Gebieten weiterhin existiert. Die Forscher vermuten deshalb, dass die Subspezies ausgestorben ist.
Eine genetisch einzigartige Linie
Um sicherzustellen, dass P. m. sylvina tatsächlich eine eigenständige Unterart ist, führten der kanadische Entomologe Vazrick Nazari und sein Team eine genetische Analyse durch. Sie nutzten die COI-Barcodesequenz eines Exemplars, das 1995 gezüchtet wurde, um seine genetischen Merkmale mit anderen Populationen des Schwalbenschwanzes zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigten eindeutig, dass die Schwalbenschwanz-Unterart auf der Hauptinsel Taiwan eine eigenständige genetische Linie bildet.
Überraschenderweise stellte sich heraus, dass die taiwanesische Unterart genetisch näher mit Populationen aus Nordeurasien, etwa aus der russischen Republik Burjatien und der Halbinsel Kamtschatka, verwandt ist als mit Populationen vom chinesischen Festland. Diese genetische Isolation zeigt, dass P. m. sylvina auf einem eigenständigen evolutionären Weg war, bevor sie vermutlich durch das Jiji-Erdbeben ausgelöscht wurde. Ihre Anpassung an die speziellen Bedingungen der taiwanesischen Berge machte sie einzigartig, aber auch besonders verletzlich.
Wie entstand die Schmetterlingsunterart?
Die Entwicklung der Schwalbenschwanz-Unterart Papilio machaon sylvina ist eng mit der geologischen Geschichte Taiwans verknüpft. Vor etwa vier bis fünf Millionen Jahren formte sich die Insel durch die Subduktion der Philippinischen Seeplatte unter die Eurasische Platte. Etwa 1,55 Millionen Jahre vor heute trennte sich Taiwan endgültig vom asiatischen Festland – ein entscheidender Moment für die Evolution der Unterart.
Die Studie zeigt, dass der letzte gemeinsame Vorfahre von P. m. sylvina und den kontinentalen Populationen des Schwalbenschwanzes vor etwa 1,4 Millionen Jahren lebte. Durch die Isolation in den Hochlagen Taiwans begann eine unabhängige evolutionäre Entwicklung. So entstand eine Unterart, die sich perfekt an die besonderen Bedingungen der Berge Taiwans anpasste – und sich damit von ihren Verwandten auf dem Festland deutlich unterschied.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Ob das Erdbeben allein für das Verschwinden verantwortlich war oder ob andere Faktoren wie Klimawandel, Pestizide oder kommerzielles Sammeln bereits zuvor die Population geschwächt hatten, können die Wissenschaftler nicht vollständig ausschließen. Doch die Wirtspflanze Peucedanum formosanum wächst weiterhin in den ehemaligen Lebensräumen.
Obwohl die Schmetterlingsart seit 1999 nicht mehr gesichtet oder gesammelt wurde, bleibt die Hoffnung, dass sie in abgelegenen Bergregionen des Hochlands von Taiwans noch existiert und eines Tages wiederentdeckt wird. Die Natur hat schon oft Überraschungen geliefert: So wurde die Mesilau-Kröte in Malaysia, die nach einem Erdbeben 2015 als ausgestorben galt, im Jahr 2023 wiederentdeckt.
Das Schicksal von P. m. sylvina ist kein Einzelfall. Auch in der Vergangenheit trugen Naturkatastrophen zum Aussterben von Arten bei. So verloren etwa die Schwaneninsel-Ferkelratte oder die Guadeloupe-Ameive, zwei Tierarten, ihren Lebensraum nach verheerenden Hurrikans und verschwanden für immer. Diese Beispiele zeigen, wie stark extreme Umweltereignisse das Überleben spezialisierter Arten gefährden können.
Quelle
- Nazari V., Yen, S. H., Hsu, Y. F., Shapoval, G., Shapoval, N., et al. (2024). Wiped out by an earthquake? The ‘extinct’ Taiwanese swallowtail butterfly (Lepidoptera, Papilionidae) was morphologically and genetically distinct. PLOS ONE 19(11). e0310318. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0310318
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