Genom des Nördlichen Breitmaulnashorns entschlüsselt
Angalifu, der 2014 verstorbene Bulle, lebt in der Forschung weiter: Aus seinen Hautzellen wurde 2025 das erste vollständige Genom des Nördlichen Breitmaulnashorns entschlüsselt. Ist das der Schlüssel zur Rettung der Unterart? Sheep81, Public domain, via Wikimedia Commons)

Hoffnung aus dem Labor: Genom des Nördlichen Breitmaulnashorns entschlüsselt

Das Nördliche Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum cottoni) ist funktionell ausgestorbenSeit dem Tod des letzten bekannten Männchens Sudan im Jahr 2018 leben weltweit nur noch zwei Weibchen – Najin und Fatu – im Ol Pejeta Conservancy in Kenia. Beide sind nicht mehr in der Lage, Nachwuchs auszutragen. Doch eine internationale Forschungsgruppe hat nun einen bedeutenden Fortschritt erzielt: Sie hat das vollständige Genom dieser Unterart entschlüsselt.

Was das Genom für die Rettung bedeutet

Im Mai 2025 veröffentlichte ein internationales Forschungsteam im Fachjournal PNAS das erste vollständige und hochauflösende Referenzgenom des Nördlichen Breitmaulnashorns. Die genetischen Informationen stammen aus tiefgefrorenen Hautzellen des 2014 verstorbenen Bullen Angalifu, der im San Diego Zoo lebte. Mit modernsten Sequenziertechniken – darunter Langlesesequenzierung, optische Kartierung und Hi‑C‑Mapping – konnte das Erbgut nahezu lückenlos entschlüsselt werden.

Diese genetische Karte bildet die Grundlage für gezielte, qualitativ gesicherte Erhaltungsmaßnahmen – sowohl für das Nördliche Breitmaulnashorn als auch für andere bedrohte Arten.

1. Präzision bei Stammzelltechnologien

Forschende versuchen seit Jahren, aus Hautzellen sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) zu gewinnen – Zellen, die sich im Labor zu Spermien oder Eizellen entwickeln können. Das neue Referenzgenom hilft dabei, Fehler in diesen Zellen frühzeitig zu erkennen, etwa genetische Schäden oder Mutationen. Nur gesunde, stabile Zelllinien sollen für die Fortpflanzung weiterverwendet werden.

2. Vergleich und Qualitätssicherung

Das Genom dient als Maßstab: Alle anderen Zelllinien, iPS-Zellen oder Embryonen können damit verglichen werden. Abweichungen werden sichtbar, defekte Linien können aussortiert, vielversprechende gezielt gefördert werden. Das erhöht die Erfolgschancen bei Verfahren wie der In-vitro-Fertilisation (IVF) oder Stammzellgewinnung.

3. Genetische Vielfalt bewahren

Die Studie zeigt überraschenderweise, dass das Nördliche Breitmaulnashorn trotz seines drastischen Bestandsrückgangs eine gewisse genetische Vielfalt erhalten hat. Zugleich ergab der Vergleich mit dem Südlichen Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum simum), dass die genetischen Unterschiede zwischen den Unterarten relativ gering sind. Das erleichtert es, südliche Weibchen als Leihmütter einzusetzen und langfristig stabile Populationen aufzubauen.

4. Gesundheit und Fruchtbarkeit gezielt verbessern

Im Genom wurden gezielt Abschnitte identifiziert, die mit Fruchtbarkeit, Immunabwehr oder Zellteilung zusammenhängen. Diese Marker helfen künftig dabei, Embryonen mit guten Überlebens- und Fortpflanzungschancen auszuwählen – ein großer Vorteil in einem Projekt, bei dem jeder Embryo zählt.

5. Vorbild für andere bedrohte Arten

Die Veröffentlichung ist nicht nur für das Nördliche Breitmaulnashorn bedeutsam. Solche Methoden könnten künftig auch für andere stark bedrohte Arten relevant werden – etwa das Sumatra-Nashorn (Dicerorhinus sumatrensis) oder den extrem seltenen Nördlichen Haarnasenwombat (Lasiorhinus krefftii), dessen Population auf wenige Dutzend Tiere begrenzt ist. Das Genomprojekt wird damit zu einem Modellfall moderner Artenschutzbiotechnologie.

Nördliche Breitmaulnashörner im   ZOO Dvůr Králové, Tschechien (2008)
Nördliche Breitmaulnashörner im Zoo Dvůr Králové (Tschechien), 2008. Einige dieser Tiere wurden später nach Kenia umgesiedelt – ein letzter Versuch, die Fortpflanzung in naturnaher Umgebung zu ermöglichen.
Mistvan, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Biotechnologie als letzte Rettung?

Die Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns gilt als eines der ambitioniertesten Projekte im Bereich des technologiebasierten Artenschutzes. Angesichts der Tatsache, dass es keine fortpflanzungsfähigen Tiere mehr gibt, setzen Wissenschaftler ihre ganze Hoffnung auf biotechnologische Verfahren – insbesondere auf In-vitro-Fertilisation (IVF) und Stammzelltechnologien.

Embryonen aus dem Labor

Aus Eizellen von Fatu und eingefrorenem Sperma verstorbener Bullen wurden bereits mehr als 30 Embryonen erzeugt. Diese befinden sich tiefgefroren in spezialisierten Einrichtungen und warten darauf, in geeignete Leihmütter eingesetzt zu werden. Als Ersatzmütter dienen Kühe der nahe verwandten Unterart Südliches Breitmaulnashorn. Erste Implantationsversuche verliefen vielversprechend, eine Austragung bis zur Geburt steht jedoch noch aus.

Keimzellen aus Stammzellen

Forschende in Japan und Europa arbeiten daran, aus Hautzellen iPS-Zellen zu erzeugen, aus denen wiederum Eizellen und Spermien gezüchtet werden können. Ziel ist es, auch das genetische Erbe jener Tiere wieder nutzbar zu machen, von denen keine befruchtungsfähigen Zellen mehr erhalten sind. Die Kombination aus IVF und Stammzelltechnik könnte damit nicht nur das Nördliche Breitmaulnashorn retten, sondern auch ein Modell für andere hochbedrohte Tierarten werden.

Timeline: Der Rettungsversuch des Nördlichen Breitmaulnashorns

  • 2009: Vier der letzten acht lebenden Tiere werden vom Zoo Dvůr Králové in das Ol Pejeta Conservancy (Kenia) gebracht – darunter der letzte fortpflanzungsfähige Bulle Sudan.
  • 2014: Der letzte Zuchtbulle (Angalifu) außerhalb Afrikas stirbt im San Diego Zoo Safari Park. Aus seiner Haut werden Zellen eingefroren – entscheidend für spätere Genomforschung.
  • 2018: Das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn (Sudan) stirbt im Ol Pejeta Conservancy. Die Unterart gilt seither als „funktionell ausgestorben“. Das internationale Forschungsprojekt BioRescue beginnt mit der Entwicklung alternativer Reproduktionstechnologien.
  • 2019–2022: Die letzten fruchtbaren Eizellen von Fatu werden regelmäßig unter Vollnarkose entnommen. Die Eizellen werden mit Sperma verstorbener Bullen befruchtet. Entstehung der ersten Embryonen.
  • Dezember 2022: Mehr als 30 Embryonen wurden erzeugt, die tiefgefroren auf eine spätere Implantation warten.
  • Januar 2023: Erster Embryotransfer in eine südliche Leihmutter. Die Implantation verläuft technisch erfolgreich, jedoch endet sie aufgrund einer Infektion mit einer Fehlgeburt.
  • Februar 2025: Inzwischen existieren 36 lebensfähige Embryonen, die für eine Übertragung bereitstehen.
  • Mai 2025: Veröffentlichung des vollständigen Genoms in PNAS.

Herausforderungen und ethische Fragen

Trotz aller technologischen Fortschritte auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin und Stammzellforschung bleibt die Wiederherstellung einer ausgestorbenen Tierart mit erheblichen Herausforderungen verbunden:

  • Fortpflanzung: Die beiden letzten Weibchen – Najin und ihre Tochter Fatu – sind nicht mehr in der Lage, selbst Nachwuchs auszutragen. Damit entfällt die Möglichkeit einer natürlichen Fortpflanzung. Alle weiteren Maßnahmen müssen daher auf künstlicher Befruchtung und der Nutzung von Ersatzmüttern beruhen.
  • Technik: Die vielversprechende Methode, aus Hautzellen sogenannte iPS-Zellen zu erzeugen und daraus funktionsfähige Eizellen und Spermien zu entwickeln, ist technisch anspruchsvoll. Bisherige Versuche sind mit hohen Fehlerquoten verbunden. Fehler können die Lebensfähigkeit der Embryonen beeinträchtigen.
  • Ethik: Darf der Mensch eine Art „zurückholen“, die durch menschliches Versagen ausgelöscht wurde? Werden diese Tiere nur zu Symbolen technischer Machbarkeit oder kann ihnen ein artgerechtes Leben ermöglicht werden? Und: Stehen Aufwand und Ressourcen in einem vertretbaren Verhältnis zu den Erfolgswahrscheinlichkeiten – vor allem angesichts der Vielzahl bedrohter Arten, die heute noch eine echte Chance auf Erhalt hätten?
  • Lebensraum: Selbst wenn es gelänge, wieder eine kleine Population des Nördlichen Breitmaulnashorns aufzubauen – wohin mit den Tieren? Die ursprünglichen Lebensräume in Zentralafrika sind durch politische Instabilität, Wilderei und Flächenverlust stark beeinträchtigt. Ein sicheres, großflächiges und langfristig geschütztes Habitat ist jedoch Voraussetzung für jede erfolgreiche Wiederansiedlung. Ohne diese Grundlage bliebe das Überleben einer wiedererschaffenen Art auch künftig ungewiss.

Diese Fragen zeigen: Der wissenschaftliche Fortschritt allein reicht nicht aus. Die Rückkehr einer ausgestorbenen Art stellt uns vor komplexe Abwägungen zwischen Technik, Ethik und Ökologie.

Hoffnung trifft Realität

Die Sequenzierung des Genoms ist ein wissenschaftlicher Durchbruch. Sie zeigt, wie weit die Biotechnologie im Artenschutz inzwischen gekommen ist, aber auch, wie groß die Lücken bleiben. Technik allein wird das Nördliche Breitmaulnashorn nicht retten. Dafür braucht es auch politische Entschlossenheit, gesellschaftliche Debatten sowie den festen Willen, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Quellen

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