Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und das Rote-Liste-Zentrum (RLZ) haben nach zwölf Jahren eine neue Rote Liste der Meeresfische und Neunaugen Deutschlands veröffentlicht. Sie dokumentiert den aktuellen Gefährdungsstatus aller 105 in Nord- und Ostsee beheimateten Fischarten und zeigt: Fast ein Viertel dieser Arten ist gefährdet oder extrem selten. Der Gewöhnliche Stechrochen gilt nun sogar offiziell als in Deutschland ausgestorben.
23,8 % der Meeresfische gefährdet oder extrem selten
Von den 105 untersuchten Arten in deutschen Meeresgebieten gelten laut neuer Roter Liste:
- 10 Arten (9,5 %) als bestandsgefährdet,
- 15 Arten (14,3 %) als extrem selten,
- 1 Art (der Gewöhnliche Stechrochen) als in Deutschland ausgestorben,
- 67 Arten (63,8 %) gelten als ungefährdet,
- 12 Arten wurden in die Vorwarnliste aufgenommen,
- Für 15 Arten war die Datenlage unzureichend für eine belastbare Bewertung.
Vom Aussterben bedroht: Hundshai und Kleiner Scheibenbauch
Besorgniserregend ist der Zustand des Hundshais (Galeorhinus galeus), der nun in Deutschland als vom Aussterben bedroht gilt. Hauptbedrohungen sind vor allem Beifang in der Schleppnetz- und Langleinenfischerei, die Belastung durch den geplanten Offshore-Ausbau sowie seine geringe Reproduktionsrate. Auch der Kleine Scheibenbauch (Arnoglossus laterna) wird in diese höchste Gefährdungskategorie eingeordnet, da erstmals eine sehr starke Abnahme im kurzfristigen Bestandstrend festgestellt werden konnte. Eine mögliche Gefährdungsursache ist der Beifang in der Krabbenfischerei, insbesondere im Küstenmeer.
Weitere stark gefährdete Arten sind:

(© AshlieJMcivor, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
- Dornhai (Squalus acanthias): Er galt lange als eine der am stärksten befischten Haiarten im Nordatlantik und ist besonders durch gezielte Fischerei sowie Beifang stark unter Druck geraten – vor allem große Weibchen sind wegen ihrer Größe begehrt. Trotz eines stabilen Bestandstrends in der Nordsee gilt die Art weiterhin als stark gefährdet, da sie sehr langsam wächst, spät geschlechtsreif wird und besonders empfindlich auf Übernutzung reagiert.
- Europäischer Aal (Anguilla anguilla): Er ist aufgrund seines komplexen Lebenszyklus und der Vielzahl von Belastungen – darunter Fischerei, Lebensraumverlust, Wasserkraftnutzung, Schadstoffe und Klimawandel – in einem schlechten Zustand. Trotz internationaler Schutzmaßnahmen bleibt der Bestand extrem niedrig, weshalb die Art laut IUCN weltweit als vom Aussterben bedroht gilt.
- Finte (Alosa fallax): Ihre Bestände sind in der deutschen Nordsee seit 2002 stark zurückgegangen. Hauptursachen sind Gewässerausbau, Baggerarbeiten und klimabedingte Veränderungen, die zur Verschlechterung und Verkleinerung ihrer Laich- und Aufwuchsgebiete führen – besonders im sensiblen Elbeästuar.

(© Hans Hillewaert)
- Heringskönig (Regalecus glesne): Er ist in Deutschland stark rückläufig und wird regelmäßig als Beifang in der Grundschleppnetzfischerei erfasst. Aufgrund fehlender Langzeitdaten lässt sich der langfristige Bestandstrend nicht sicher beurteilen, und auch weltweit gilt die Art laut IUCN als datenmangelhaft (Data Deficient).
- Seehecht (Merluccius merluccius): Er zeigt in den deutschen Meeresgebieten der Nordsee einen stark rückläufigen Bestandstrend, obwohl sich die Gesamtpopulation im Nordostatlantik seit 2005 positiv entwickelt. In deutschen Gewässern kommt die Art nur am Rand ihres Verbreitungsgebiets vor, meist mit juvenilen Tieren, während sie in der Ostsee nur unregelmäßig nachgewiesen wird.
- Zwergdorsch (Trisopterus minutus): Seine Nachweise sind in den deutschen Nordseegebieten seit 2012 deutlich zurückgegangen. Die Art hat dort nur noch eine Randverbreitung und ist vor allem durch indirekte Auswirkungen der Fischerei bedroht, etwa als Beifang oder durch Lebensraumveränderungen infolge der Fischereipraxis.
Ausgestorben: Gewöhnlicher Stechrochen
Der Gewöhnliche Stechrochen (Dasyatis pastinaca) wird in der neuen Roten Liste der Meeresfische und Neunaugen erstmals für Deutschland in die Kategorie „Ausgestorben oder verschollen“ eingestuft. Seit 1980 liegt kein bestätigter Nachweis mehr aus deutschen Meeresgebieten der Nord- oder Ostsee vor. In der vorherigen Roten Liste galt die Art noch als stark gefährdet.
Der Stechrochen lebt bevorzugt in flachen Küstengewässern, was ihn besonders anfällig für den Beifang in der Schleppnetzfischerei macht. Auch Langleinen, Stellnetze und die Freizeitfischerei stellen bedeutende Gefährdungen dar. Diese indirekten Auswirkungen der Fischerei sind weltweit eine der Hauptursachen für den Rückgang der Art, die von der IUCN derzeit global als gefährdet eingestuft wird.
Die aktuellen Verbreitungskarten zeigen, dass es in der eigentlichen Nordsee kaum noch Nachweise gibt, und in deutschen Gewässern gar keine. Eine Rückkehr des Gewöhnlichen Stechrochens durch den Klimawandel zwar theoretisch denkbar, da steigende Wassertemperaturen eine Verschiebung der Arealgrenze nach Norden begünstigen könnten. Solange jedoch belastbare Funde fehlen, ist eine eindeutige Arealzuordnung für deutsche Gewässer derzeit nicht möglich.
Positive Entwicklungen: Rückkehr und Erholung einzelner Arten
Trotz der insgesamt angespannten Situation gibt es auch erfreuliche Entwicklungen:

(© Hans Hillewaert)
- Der Nagelrochen (Raja clavata), ehemals vom Aussterben bedroht, konnte sich erholen und steht nun auf der Vorwarnliste. Er war einst die häufigste Rochenart der deutschen Nordsee, wurde aber durch intensive Befischung stark dezimiert. Seit 2005 erholt sich der Bestand langsam und einzelne Tiere wurden zuletzt sogar wieder in Flussmündungen nachgewiesen. Trotz dieser positiven Entwicklung steht die Art nun auf der Vorwarnliste, da der heutige Bestand weiterhin deutlich unter dem historischen Niveau liegt und der Nagelrochen seine ökologische Rolle im Ökosystem noch nicht wieder ausfüllt.
- Das Kurzschnäuzige Seepferdchen (Hippocampus hippocampus) wird seit 2020 häufiger an der deutschen Nordseeküste beobachtet, bleibt jedoch insgesamt sehr selten. Die Ursachen für die Zunahme der Nachweise sind bislang unklar, und es fehlen belastbare Daten zur Bestandsentwicklung. Eine Bewertung des Trends ist daher nicht möglich – die Art wird in der Roten Liste als „Daten unzureichend“ eingestuft. In der deutschen Ostsee kommt sie nicht vor.
Deutschlands Verantwortung für bedrohte Arten
Deutschland trägt laut der neuen Roten Liste für sieben Meeresfischarten eine besondere Verantwortung, da sie in den deutschen Meeresgebieten entweder historisch weit verbreitet waren oder dort heute noch bedeutende Bestände aufweisen. Damit kommt Deutschland eine zentrale Rolle beim weltweiten Schutz dieser Arten zu. Zu diesen zählen:
- Europäischer Aal (Anguilla anguilla): Er wird weltweit als vom Aussterben bedroht eingestuft (IUCN), da seine Bestände in allen Teilen des Verbreitungsgebiets massiv zurückgegangen sind. Die deutschen Nord- und Ostseegewässer liegen im Hauptareal der Art.

(© Harka, Akos, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)
- Gewöhnlicher Glattrochen (Dipturus batis): Er wird von der IUCN weltweit als vom Aussterben bedroht eingestuft. Historisch war er im gesamten Nordostatlantik und im Mittelmeer verbreitet; somit liegen die deutschen Meeresgebiete im Hauptareal der Art.
- Großer Glattrochen (Dipturus intermedius): Er gilt laut IUCN weltweit als vom Aussterben bedroht und war historisch im gesamten Nordostatlantik und Mittelmeer verbreitet – einschließlich der heutigen deutschen Meeresgebiete. Modellierungen deuten darauf hin, dass besonders in der südlichen Nordsee, auch in deutschen Gewässern, eine hohe Vorkommenswahrscheinlichkeit besteht. In der Vergangenheit wurde der Große Glattrochen auch kommerziell gefischt – etwa unter dem Namen „Theeben“ in Schleswig-Holstein.
- Hundshai (Galeorhinus galeus): Die IUCN listet den Hundshai als global vom Aussterben bedroht. Obwohl sein Verbreitungsgebiet weite Teile der borealen und gemäßigten Zonen beider Hemisphären umfasst, liegen die deutschen Meeresgebiete im zentralen Verbreitungsareal des Ostatlantiks.
- Meerengel (Squatina squatina): Er gilt weltweit als vom Aussterben bedroht (IUCN) und war früher im gesamten Nordostatlantik sowie im Mittelmeer und Schwarzen Meer verbreitet, einschließlich der südlichen Nordsee und des Kattegats. In den deutschen Meeresgebieten, die am nordöstlichen Rand seines historischen Areals liegen, gilt die Art heute als ausgestorben oder verschollen. Deutschland trägt aufgrund seiner Lage im ursprünglichen Verbreitungsgebiet eine besonders hohe Verantwortung für den globalen Erhalt der Art.
- Riesenhai (Cetorhinus maximus): Er wird von der IUCN als weltweit stark gefährdet eingestuft und kommt im Ostatlantik von Island bis nach Westafrika, einschließlich Nordsee und Mittelmeer, vor. Die deutschen Meeresgebiete der Nordsee liegen damit im Hauptverbreitungsgebiet der Art.

(© Green Fire Productions, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)
- Holzmakrele (Nomeus gronovii): Ihr Verbreitungsgebiet reicht vom Mittelmeer bis entlang der atlantischen Küsten Europas und Afrikas – einschließlich der deutschen Meeresgebiete, die im Hauptareal der Art liegen. Für diese Art besteht eine hohe, wenn auch nicht „besonders hohe“, nationale Verantwortlichkeit
Gefährdungsursachen für Meeresfische und Neunaugen
Die neue Rote Liste für Meeresfische und Neunaugen bestätigt: Meeresfische in Nord- und Ostsee sind zahlreichen Bedrohungen ausgesetzt. Viele davon wirken gleichzeitig und teils über den gesamten Lebenszyklus hinweg.
Zu den zentralen Gefährdungsursachen zählen:

(© Pavel Kacl, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)
- Fischerei: Neben gezieltem Fang belasten Beifang, Schleppnetze und überfischte Bestände viele Arten direkt oder indirekt.
- Habitatveränderungen: Küstenschutzbauten, Sedimentablagerungen, Offshore-Bauwerke und Schiffsverkehr beeinträchtigen Lebensräume – besonders Laich- und Aufwuchsgebiete.
- Klimawandel: Steigende Wassertemperaturen verschieben Artengrenzen und verändern das Artenspektrum. Der Atlantische Kabeljau (Gadus morhua) – eine kälteliebende Art – ist in der Nordsee stark rückläufig. Der Europäische Wolfsbarsch (Dicentrarchus labrax) – eine wärmeliebende Art – nimmt dagegen deutlich zu. Solche Veränderungen können tiefgreifende Auswirkungen auf marine Nahrungsnetze und Fischereiwirtschaft hab
- Schadstoffeinträge: Nährstoffe, Mikroplastik und langlebige Chemikalien gelangen ins Meer und wirken sich negativ auf Fortpflanzung, Gesundheit und Nahrungsketten aus.
- Aquakultur-Einflüsse: Entkommene Zuchtfische, Krankheitsübertragung und lokale Umweltbelastungen spielen eine wachsende Rolle.
Diese Belastungen betreffen nicht nur offene Meeresgebiete, sondern auch Übergangsgewässer wie Flussmündungen und Bodden. Sie sind wichtige Aufwuchshabitate, etwa für Heringe, Dorsche oder Wittlinge. Auch wandernde Arten wie Europäischer Aal und Finte nutzen diese Zonen und sind zusätzlich auf freie Wanderwege in den Binnengewässern angewiesen.
In Flüssen kommen weitere Gefährdungen hinzu: Querbauwerke wie Wehre und Wasserkraftwerke unterbrechen Wanderwege, Schadstoff- und Sedimenteinträge sowie Gewässerausbau verschlechtern wichtige Laichhabitate.
Die Rote Liste weist aber auch darauf hin, dass nicht jede Veränderung per se negativ wirkt: künstliche Riffe oder Windkraftfundamente können kleinräumig als Rückzugsräume dienen – vor allem dort, wo keine Fischerei stattfindet.
Schutzmaßnahmen für Meeresfische und Neunaugen
Der Schutz bedrohter Meeresfische und Neunaugen erfordert ein Zusammenspiel aus marinem Naturschutz, fischereilicher Regulierung und ökologischer Gewässerentwicklung – national und international.
1. Meeresschutzgebiete ausweiten und effektiv managen
In den marinen Natura-2000-Gebieten der Nord- und Ostsee (etwa Doggerbank, Borkum Riffgrund, Kadetrinne) wurden Fischereiverbote für Schleppnetze und Stellnetze eingeführt, um empfindliche Lebensräume und Arten zu schützen. Weitere Managementpläne sind in Vorbereitung.
2. Zielgerichteter Artenschutz
Für empfindliche Arten wie Nagel- und Sternrochen sind gebietsspezifische Schutzkonzepte nötig – idealerweise abgestimmt mit Nachbarstaaten, da viele Arten weite Wanderungen unternehmen.
3. Nachhaltiges Fischereimanagement
Empfohlene Maßnahmen sind unter anderem No-Take-Zonen, Schonzeiten, Fangverbote (zum Beispiel beim Aal) und die Einführung von Fangmengenbegrenzungen für besonders bedrohte Arten wie den Hundshai.
4. Flüsse und Ästuare ökologisch aufwerten
Wanderarten wie Aal und Finte brauchen freie Wanderwege und intakte Laichhabitate. Notwendig sind:
- Durchgängigkeit von Flüssen wiederherstellen
- Laich- und Flachwasserzonen schützen
- Schadstoffeinträge reduzieren
- Besatzmaßnahmen nur mit wissenschaftlicher Begleitung
5. Internationale Kooperation stärken
Da viele Arten länderübergreifend vorkommen, sind abgestimmte Maßnahmen entscheidend – etwa im Rahmen von ICES, OSPAR, HELCOM oder der EU-Meeresstrategie.
Schutzgebiete allein reichen nicht. Nur wenn auch Fischerei, Flüsse und internationale Zusammenarbeit einbezogen werden, können sich bedrohte Fischarten langfristig erholen. Auch im Süßwasser zeigen sich bereits Verluste: Seit dem Update der Roten Liste der IUCN im Oktober 2024 gelten mit der Chiemsee-Renke und der Starnberger Renke erstmals zwei Fischarten aus Deutschland als global ausgestorben.
Erfolge erkennbar – aber keine Entwarnung
Die neue Rote Liste zeigt: Einzelne Arten wie der Nagelrochen oder das Seepferdchen geben Hoffnung, doch fast jede vierte Meeresfischart in Deutschland ist nach wie vor gefährdet oder extrem selten. Besonders gravierend ist das Aussterben des Gewöhnlichen Stechrochens.
Um den Trend zu stoppen, braucht es konsequente Schutzmaßnahmen, flächendeckende Rückzugsgebiete und ein ökosystembasiertes Fischereimanagement. Auch der Einfluss des Klimawandels auf marine Arten muss stärker in Schutzstrategien einbezogen werden.
Rote Listen als Frühwarnsystem für die biologische Vielfalt
Die Roten Listen sind ein zentrales Instrument zum Schutz der Artenvielfalt. Sie werden vom BfN herausgegeben, vom Rote-Liste-Zentrum koordiniert und in enger Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus Forschung und Artenschutz erstellt – im Fall der Meeresfische unter der Leitung des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB).
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren nicht nur den Gefährdungsgrad bedrohter Arten, sondern bewerten systematisch alle vorkommenden Arten einer Gruppe – in diesem Fall die 105 etablierten Meeresfischarten in deutschen Gewässern.
Quellen
- Bundesamt für Naturschutz (BfN). (2025, Juni). Rote Liste der Meeresfische – Hundshai in deutschen Meeresgewässern vom Aussterben bedroht. Pressemitteilung. https://www.bfn.de/pressemitteilungen/rote-liste-der-meeresfische-hundshai-deutschen-meeresgewaessern-vom-aussterben
- Thiel, R., Winkler, H. M., Sarrazin, V., Böttcher, U., Dänhardt, A., Dorow, M. u. a. (2025). Rote Liste und Gesamtartenliste der Fische und Neunaugen (Elasmobranchii, Actinopterygii & Petromyzontida) der marinen Gewässer Deutschlands (NaBiV 170/9). Bundesamt für Naturschutz. https://doi.org/10.19217/rl1709
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