Pilze vom Aussterben bedroht: Bridgeoporus nobilissimus
Riesenporling (Bridgeoporus nobilissimus): Einer der größten bekannten Porlinge der Welt – und extrem selten. Er wächst fast ausschließlich an alten Edeltannen in den Bergwäldern des westlichen US-Bundesstaats Oregon. Weil diese Urwälder fast vollständig abgeholzt wurden und kaum neue Wirtsbäume nachwachsen, ist die Art vom Aussterben bedroht. Ryane Snow, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Neue Rote Liste der IUCN: Über 400 Pilzarten bedroht – ein Warnsignal für die Biodiversität

Pilze sind Meister des Verborgenen. Sie leben größtenteils im Unsichtbaren – im Boden, im Totholz, als winzige Sporen in der Luft oder in enger Partnerschaft mit Pflanzen. Gerade weil sie sich so unauffällig verhalten, werden sie im Artenschutz häufig übersehen. Dabei sind sie für das Funktionieren unserer Ökosysteme unverzichtbar. Nun warnt die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN): Immer mehr Pilzarten sind akut vom Aussterben bedroht – mit weitreichenden Folgen für das Leben über der Erde.

1.300 Pilzarten auf der Roten Liste – über 400 bedroht

Butyriboletus loyo - stark gefährdete Pilzart
Der Chilenische Königsröhrling (Butyriboletus loyo) ist als Speisepilz mit einem Durchmesser von bis zu 30 Zentimetern stark gefährdet. Die Art leidet unter Übernutzung: Sie wird oft unreif und mitsamt Myzel geerntet. Zusätzlich schwindet ihr Lebensraum in den südamerikanischen Südbuchenwäldern.
Hector Montero, some rights reserved (CC BY), CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)

Mit der aktuellen Aktualisierung ihrer Roten Liste überschreitet die IUCN erstmals die Marke von 1.000 erfassten Pilzarten. Insgesamt sind nun 1.300 Arten gelistet – darunter 129 als gefährdet, 234 als stark gefährdet und 48 als vom Aussterben bedroht. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt: Weltweit sind bisher lediglich rund 155.000 Pilzarten wissenschaftlich beschrieben, Schätzungen zufolge existieren aber bis zu 2,5 Millionen Arten. Die tatsächliche Zahl der bedrohten Pilze dürfte also um ein Vielfaches höher liegen.

Die Ursachen für den Rückgang sind vielfältig – und menschengemacht: Die Zerstörung von Wäldern für Landwirtschaft, Siedlungsbau und Holzeinschlag vernichtet wertvolle Lebensräume. Hinzu kommen Luftverschmutzung durch Stickstoff und Ammoniak aus Düngemitteln und Abgasen, intensive Landwirtschaft, der Klimawandel sowie veränderte Feuerregime. All diese Faktoren belasten die empfindlichen, oft unsichtbaren Netzwerke der Pilze – und bringen das ökologische Gleichgewicht ins Wanken.

Gefährdete Arten: Vom Riesenritterling bis zum Saftling

Feuerschuppiger Saftling - gefährdeter Pilz
Der Feuerschuppige Saftling ist ein farbenfroher Wiesenpilz, der auf nährstoffarmen, extensiv genutzten Wiesen wächst – und durch Düngung und intensive Landwirtschaft zunehmend bedroht ist.
Lukas from London, England, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons)

Der Rückgang betrifft längst nicht nur unbekannte Mikropilze – auch in Europa verschwinden Arten, die einst zur typischen Kulturlandschaft gehörten. Einer davon ist der Feuerschuppige Saftling (Hygrocybe intermedia), heute als gefährdet eingestuft – mit abnehmender Tendenz. Sein Lebensraum: nährstoffarme, halbnatürliche Wiesen. Doch genau diese Wiesen werden immer seltener. Durch intensive Landwirtschaft, Düngung und Pestizideinsatz verschwinden sie zunehmend. Der Saftling reagiert empfindlich auf Stickstoff und ist auf extensiv genutzte Flächen angewiesen – also Wiesen, die regelmäßig gemäht oder beweidet, aber nicht gedüngt werden. Bleibt diese traditionelle Nutzung aus, verschwindet die charakteristische Vielfalt der Wiesenpilze – der Feuerschuppige Saftling ist nur einer von vielen, die darunter leiden.

Der imposante Riesenritterling (Tricholoma colossus) steht ebenfalls unter Druck. In den Niederlanden gilt er bereits als ausgestorben. Der Grund: Die weitreichende Abholzung alter Kiefernwälder, vor allem in Finnland, Schweden und Russland. Seit 1975 sind dort rund 30 Prozent der Altbestände verschwunden. Der Riesenritterling ist eng an diese naturnahen Wälder gebunden und kehrt nach Kahlschlag kaum zurück – aufgeforstete Nutzwälder bieten ihm keinen geeigneten Lebensraum. Zusätzlich wird sein Vorkommen durch den Ausbau von Städten, Straßen und militärischen Flächen weiter eingeschränkt. Laut IUCN könnten in den kommenden 50 Jahren etwa ein Drittel seines potenziellen Lebensraums verloren gehen.

Auch der Klimawandel fordert seine Opfer: In den USA sind mehr als 50 Pilzarten durch veränderte Feuerregime bedroht. Ein Beispiel ist Gastroboletus citrinobrunneus, eine seltene Art, die ausschließlich in bestimmten Waldgebieten der Sierra Nevada vorkommt. Diese Wälder haben sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Langanhaltende Dürren, Insektenbefall und Jahrzehnte der Feuerunterdrückung haben dazu geführt, dass einst lichte Nadelwälder zu dichten Tannenbeständen wurden. Die Folge: Großflächige, intensive Brände, die den Lebensraum dieser spezialisierten Pilzart zerstören. Die lichten Wälder, die Gastroboletus citrinobrunneus braucht, werden immer seltener – mit ihnen verschwindet auch die Art.

​Die Wiederentdeckung des Big Puma Fungus (Austroomphaliaster nahuelbutensis) im Jahr 2023 in Chile, einer Art, die seit den 1980er-Jahren als verschollen galt, verdeutlicht, dass es trotz besorgniserregender Trends auch positive Entwicklungen gibt.

Warum Pilze unersetzlich sind

Lärchenschwamm Pilz
Lärchenschwamm (Fomitopsis officinalis): Ein seltener Heilpilz, der an alten Lärchen in naturbelassenen Bergwäldern wächst. In Deutschland ist er fast verschwunden, seine letzten Vorkommen finden sich vor allem in Südosteuropa und Nordamerika. Abholzung und der Verlust alter Wirtsbäume gefährden sein Überleben.
Steph Jarvis, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Pilze sind weder Pflanzen noch Tiere – sie bilden ihr ganz eigenes biologisches Reich. Mit geschätzt 2,5 Millionen Arten sind sie nach den Tieren das zweitgrößte auf der Erde. Und sie sind weit mehr als nur ein „Beifang“ der Biodiversität: Ohne Pilze wäre Leben, wie wir es kennen, nicht möglich.

Fast alle Pflanzen gehen Symbiosen mit Mykorrhizapilzen, die eine Partnerschaft mit den Wurzeln von Pflanzen eingehen, ein. Sie helfen ihnen, Wasser und Nährstoffe aus dem Boden aufzunehmen. Pilze zersetzen abgestorbenes Material, speichern Kohlenstoff, stärken Pflanzen gegen Krankheiten und Trockenstress und stabilisieren ganze Lebensgemeinschaften. Sie sind unverzichtbar für gesunde Böden – und damit auch für unsere Ernährung, unser Klima und unsere Zukunft. Darüber hinaus kommen Pilze in der Lebensmittelproduktion, in der Medizin und in der Reinigung belasteter Böden zum Einsatz.

Der schwedische Mykologe Anders Dahlberg, der die Pilzbewertung für die IUCN koordiniert, zieht einen eindrücklichen Vergleich: Pilze seien wie das Mikrobiom im menschlichen Körper – unsichtbar, aber lebenswichtig. Ihr Verlust schwächt nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Widerstandskraft ganzer Ökosysteme.

Pilze schützen heißt Zukunft sichern

Igel-Stachelbart
Der Igel-Stachelbart (Hericium erinaceus) ist ein streng geschützter Pilz, der auf altem Buchen-Totholz wächst. In Deutschland gilt er als gefährdet. Auch in vielen anderen europäischen Ländern ist er selten oder vom Aussterben bedroht – vor allem wegen des Verlusts alter Laubbäume durch Forstwirtschaft.
Властарьderivative work: Xth-Floor (brightness, contrast), CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Die IUCN fordert, dem oft übersehenen „Königreich der Pilze“ endlich die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Denn der Schutz der Pilze ist entscheidend für stabile Ökosysteme und eine gesunde Umwelt. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen:

  • der Erhalt alter Wälder mit reichem Totholzanteil,
  • eine pilzfreundliche Forstwirtschaft, die Totholz belässt und Lebensräume erhält,
  • die Reduktion von Schadstoffeinträgen durch Landwirtschaft und Verkehr
  • sowie der Ausbau der Forschung, um bislang unbekannte oder unerkannte gefährdete Pilzarten zu identifizieren.

Viele dieser Maßnahmen können auf lokaler Ebene umgesetzt werden – etwa durch angepasstes Flächenmanagement oder Schutzgebiete. Doch sie brauchen Rückhalt aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Denn der Schutz von Pilzen ist keine Randnotiz, sondern Teil der Antwort auf größere Herausforderungen: Artensterben, Klimakrise und Bodenverlust. Pilze sind (stille) Mitgestalter unserer natürlichen Welt – gehen sie verloren, verlieren viele Arten ihre Lebensgrundlage.

Beim Sammeln gilt: Rücksicht auf das Myzel

Ein weiterer, oft unterschätzter Aspekt ist das verantwortungsvolle Sammeln von Wildpilzen. Wer beim Ernten den gesamten Fruchtkörper samt Myzel aus dem Boden reißt, schadet dem Pilz dauerhaft – denn ohne Myzel kann er nicht überleben oder sich erneuern. Nachhaltig sammelt, wer die Fruchtkörper vorsichtig mit einem Messer abschneidet und das feine Pilzgeflecht im Boden unangetastet lässt. Nur so bleibt die unsichtbare Lebensader der Pilze erhalten.

Auch Weihrauchbäume und Löwen stehen unter Druck

Die Aktualisierung der Roten Liste beleuchtet nicht nur den weltweiten Rückgang von Pilzarten – sie lenkt auch den Blick auf zwei sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen bedrohte Arten: den Weihrauchbaum und den Löwen.

Asiatischer Löwe
Asiatische Löwen (Panthera leo persica) leben heute nur noch im Gir-Nationalpark in Indien. Mit weniger als 700 Tieren gelten sie als stark gefährdet – ihr Überleben ist durch Lebensraumverlust und genetische Verarmung bedroht.
Tanmay Haldar, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Auf der jemenitischen Insel Sokotra sind mehrere Arten des legendären Weihrauchbaums (Boswellia) inzwischen stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht. Hauptursachen sind Überweidung durch Ziegen, anhaltende Dürreperioden und zunehmend extreme Wetterereignisse wie Zyklone und Sturzfluten. Zwar gehören Ziegen seit Jahrhunderten zur lokalen Kultur, doch ohne kontrollierte Weidewirtschaft geraten junge Bäume zunehmend unter Druck. Hoffnung geben lokale Schutzmaßnahmen wie das Einzäunen von Jungbäumen oder die nachhaltige Nutzung des Harzes – etwa für die Herstellung von Weihrauchhonig. Sie zeigen: Frühzeitiges und gemeinschaftlich getragenes Handeln kann wirken.

Für den Löwen bringt die Green-Status-Bewertung, die angibt, wie gut sich eine Art erholt hat, wichtige Erkenntnisse: Zwar wird die Art nach wie vor als gefährdet geführt, doch ihr ökologischer Zustand gilt inzwischen als „weitgehend geschwächt“. In Nordafrika und Südwestasien ist der Löwe bereits ausgestorben. Gleichzeitig zeigt die Bewertung aber auch: In Teilen Afrikas und in Indien konnten gezielte Schutzmaßnahmen lokale Auslöschungen verhindern. Das macht Hoffnung – verdeutlicht aber ebenso, wie dringend ein verstärkter Einsatz nötig ist, um das Verschwinden der Art in weiteren Regionen zu stoppen.

Beide Fälle zeigen: Die Rote Liste ist mehr als eine Aufzählung bedrohter Arten – sie liefert konkrete Hinweise darauf, was funktioniert, wo es Fortschritte gibt und wo dringend gehandelt werden muss, um die biologische Vielfalt dieser Welt zu bewahren.

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