Forscher entdeckten kürzlich im hinteren Teil eines Schranks im Melbourne Museum einen seit über 110 Jahren unbeachteten Eimer. Darin befand sich ein gut erhaltener, in Ethanol konservierter Kopf des ausgestorbenen Beutelwolfs, auch bekannt als Tasmanischer Tiger.
Der Anblick sei „ziemlich grässlich“ gewesen, so Andrew Pask, Leiter des Tigrr-Labors (Thylacine Integrated Genetic Restoration Research) an der Universität Melbourne, gegenüber The Guardian. „Es war ein wirklich furchtbares Bild, man hatte große Stücke vom Kopf abgehackt.“ Trotz seines verwesenden Zustands barg das Exemplar wertvolle genetische Informationen, die nun helfen, das Beutelwolf-Genom zu rekonstruieren.
Der Beutelwolf, einst Australiens größtes fleischfressendes Beuteltier, wurde vor allem durch intensive Jagd während der europäischen Besiedlung ausgerottet. Das letzte bekannte Exemplar starb 1936 in einem Zoo in Hobart, Tasmanien.
RNA als Schlüssel zur Wiederbelebung
Der Fund eines gut erhaltenen Beutelwolfkopfes im Melbourne Museum bringt nicht nur DNA, sondern auch seltene RNA-Moleküle zutage. Das Gewebe, bestehend aus Haut und Muskeln, enthielt überraschend lange RNA-Stränge, die wertvolle Einblicke in die Genaktivität des Beutelwolfs bieten. Da RNA viel instabiler ist als DNA und sich schnell zersetzt, ist dies eine außergewöhnliche Entdeckung. Diese genetischen Informationen ermöglichen es den Wissenschaftlern, tiefer in die Biologie des ausgestorbenen Tieres einzutauchen und zu verstehen, wie es geschmeckt, gerochen und gesehen hat. Der Fund wird als ein entscheidender Schritt zur Rekonstruktion des Beutelwolf-Genoms betrachtet.
Laut Colossal Biosciences wurde das Genom des Beutelwolfs mittlerweile zu 99,9 Prozent entschlüsselt, auch wenn noch 45 Lücken verbleiben. Diese sollen bald mit Hilfe modernster Sequenzierungstechniken und zusätzlicher DNA, unter anderem aus einem 120 Jahre alten Zahn, geschlossen werden. Allerdings wurden bisher keine Beweise für diese Behauptung vorgelegt.
Das Projekt zur Wiederbelebung des Beutelwolfs wird maßgeblich von Colossal Biosciences vorangetrieben, einem Unternehmen, das sich auf die „Wiederauferstehung“ ausgestorbener Arten spezialisiert hat. Neben dem Beutelwolf hat Colossal auch das Wollhaarmammut, den Dodo und neuerdings auch den Elfenbeinspecht im Fokus. Die Firma konnte bereits 235 Millionen US-Dollar an Forschungsunterstützung sammeln, auch von prominenten Namen wie Peter Jackson, Paris Hilton und Chris Hemsworth. Das Biotech-Unternehmen unterstützt 13 Labore weltweit, darunter das Tigrr-Labor an der Universität Melbourne.
Rückkehr des Beutelwolfs in greifbarer Nähe
Obwohl das Beutelwolf-Genom fast vollständig entschlüsselt ist, gibt es derzeit keine Methode, lebende Zellen mit diesem Genom zu erzeugen. Stattdessen planen die Wissenschaftler, das Genom der verwandten, viel kleineren Dickschwänzigen Schmalfußbeutelmaus (Sminthopsis crassicaudata) genetisch zu modifizieren, um den Beutelwolf nachzubilden. Sie wollen Stammzellen der Beutelmaus so verändern, dass sie möglichst ähnliche Zellen wie die des Beutelwolfs produzieren und so den genetischen Code des Tieres nachbilden.
Das Team um Andrew Pask ist zuversichtlich, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren ein Wesen entstehen könnte, das dem Beutelwolf äußerlich stark ähnelt – wenn auch noch kein echter Beutelwolf ist. Während Merkmale wie Schädel, Beine und die charakteristischen Streifen des Fells bereits rekonstruiert werden können, gibt es noch viele Herausforderungen, wie die Nachbildung der Verhaltensweisen und des Gehirns des Tieres.
Dass Museumsstücke für die Forschung auch heute noch wertvoll sind, zeigte sich im vergangenen Jahr. Für eine schwedische Studie gelang es nämlich, RNA aus einem jahrzehntealten Museumsexemplar des Beutelwolfs zu isolieren. Diese „transkriptionellen Profile“ geben Auskunft darüber, welche Gene in den Zellen des Tieres aktiv waren und welche Proteine sie produzierten, was entscheidende Einblicke in die Biologie des Beutelwolfs bietet.
Auch kritische Stimmen melden sich
Die Idee, den Tasmanischen Tiger zurückzubringen, stößt auf weltweites Interesse, aber auch auf Skepsis. Einige Experten stellen infrage, ob der enorme finanzielle und technische Aufwand gerechtfertigt ist, während zahlreiche noch lebende Arten akut vom Aussterben bedroht sind.
Euan Ritchie, Professor für Wildtierökologie und Naturschutz an der Deakin Universität, erkennt zwar das Potenzial des Projekts, um bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, warnt jedoch vor erheblichen ökologischen Fragen. Er äußerte Bedenken hinsichtlich des Verhaltens der wieder erschaffenen Tiere in der Wildnis: „Wie werden sie sich in der Wildnis verhalten und welche Auswirkungen könnten sie auf die Ökosysteme haben? Wir haben keine Ahnung, wie sie sich verhalten werden, weil es keine lebenden Beutelwölfe mehr gibt. Und wenn man ein Beutelwolf-ähnliches Wesen zurückbringt, hat es keine anderen Beutelwölfe, von denen es lernen könnte.“
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