Lichtverschmutzung über der Stadt
Lichtverschmutzung: Über Städten entsteht eine Lichtglocke, die selbst aus der Ferne sichtbar ist – sie lässt Sterne verschwinden und verdrängt die natürliche Dunkelheit.

Wenn die Nacht verschwindet: Warum Lichtverschmutzung zum Artensterben beiträgt

Wenn es Nacht wird, beginnt für viele Tiere der Tag: Fledermäuse gehen auf Insektenjagd, Frösche stimmen ihre Paarungsrufe an – und Nachtfalter übernehmen eine oft übersehene Rolle im Ökosystem. Sie bestäuben Blüten, die eigens auf nachtaktive Bestäuber ausgerichtet sind: Diese Pflanzen öffnen sich erst am Abend und locken gezielt mit intensiven Düften und hellen Farben.

Doch dieses fein abgestimmte Zusammenspiel gerät zunehmend aus dem Takt. Künstliches Licht in der Nacht stört nicht nur die Orientierung der Nachtfalter, sondern wirkt sich auf zahlreiche nachtaktive Tiere aus: Fledermäuse meiden beleuchtete Bereiche, Amphibien stellen ihr Balzverhalten ein, Zugvögel werden fehlgeleitet. Auch Pflanzen können betroffen sein – etwa durch verschobene Blühzeiten oder die gestörte Aktivität ihrer nächtlichen Bestäuber. Lichtverschmutzung verändert Lebensrhythmen, stört ökologische Netzwerke – und gefährdet so ganze Arten.

Während Luftverschmutzung längst im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen ist, bleibt Lichtverschmutzung oft unbeachtet – dabei zählt sie heute zu den unterschätzten, aber einflussreichen Treibern des Artensterbens. Jede neue Straßenlaterne, jede leuchtende Werbetafel, jede dauerhaft beleuchtete Terrasse verdrängt die letzten dunklen Rückzugsräume für nachtaktive Tiere. Glühwürmchen sind vielerorts kaum noch zu sehen – auch meine letzte Begegnung mit ihnen liegt weit zurück.

Was ist Lichtverschmutzung?

Eigentlich gehört die Dunkelheit genauso selbstverständlich zur Erde wie das Tageslicht. Doch in unserer modernen Welt wird es vielerorts nachts nicht mehr richtig dunkel. Stattdessen breitet sich ein Schleier aus künstlichem Licht über Städte, Dörfer und Landschaften.

Glühwürmchen
Glühwürmchen verlieren in lichtverschmutzten Landschaften ihre Leuchtkraft. Künstliches Licht überstrahlt ihre Signale – und erschwert die Partnersuche erheblich.
Pchelovek1205, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Lichtverschmutzung bedeutet, dass künstliches Licht zur falschen Zeit oder am falschen Ort auftritt und die natürliche Dunkelheit überlagert. Dabei gibt es verschiedene Formen:

  • Himmelsaufhellung (Skyglow): Über Städten und Siedlungen entsteht eine leuchtende Lichtglocke, die Sterne verschwinden lässt.
  • Lichtimmission (Light Trespass): Licht dringt in eigentlich dunkle Bereiche ein, etwa in Schlafzimmer, Schutzgebiete oder Gärten.
  • Blendung (Glare): Grelle, falsch gerichtete Beleuchtung stört die Sicht und kann die Orientierung beeinträchtigen.
  • Lichtüberfluss (Clutter): Unzählige Lichtquellen wie Leuchtreklamen und Dekobeleuchtungen konkurrieren um Aufmerksamkeit.

Die Hauptquellen dieser nächtlichen Aufhellung sind Straßenbeleuchtungen, Industrieanlagen, Wohnhäuser, Flutlichtanlagen und Reklamewände. Viel Licht geht dabei ungenutzt nach oben oder seitlich verloren – wo es stört, aber keinen Nutzen bringt.

Lichtverschmutzung ist heute eine Form der Umweltverschmutzung, die den natürlichen Rhythmus der Erde verändert. Anders als Luft- oder Wasserverschmutzung wäre sie theoretisch sofort reversibel: Man müsste nur das unnötige Licht abschalten. Lichtverschmutzung ist allgegenwärtig, wird aber kaum bewusst wahrgenommen.

Die Erde wird nachts immer heller – ein globales Problem

Wenn die Sonne untergeht, sollte die Dunkelheit die Welt einhüllen. Doch vielerorts bleibt es auch nachts hell. Eine internationale Forschungsgruppe um Christopher Kyba zeigte 2017, dass die künstliche Beleuchtung der Erde in der Nacht weiter zunimmt – sowohl in ihrer Helligkeit als auch in ihrer räumlichen Ausbreitung.

Lichtverschmutzung in Europa
Die Karte zeigt das Ausmaß künstlicher nächtlicher Helligkeit in Europa im Verhältnis zur natürlichen Dunkelheit (schwarz, grau). Besonders in Mitteleuropa verdrängen helle Städte den Sternenhimmel fast vollständig.
The original uploader was Albester at English Wikipedia., Attribution, via Wikimedia Commons)

Zwischen 2012 und 2016 stieg die von Satelliten gemessene Lichtintensität jährlich um etwa 2,2 Prozent – und ebenso die beleuchtete Fläche. Besonders in wirtschaftlich boomenden Regionen wuchs die Lichtintensität sogar um mehr als 10 Prozent pro Jahr. In Europa hingegen bleibt die beleuchtete Fläche weitgehend konstant, doch der Austausch alter Lampen durch moderne, blauhaltige LEDs führt trotzdem zu einem deutlich helleren Nachthimmel.

Dabei unterschätzen die Satellitenmessungen die tatsächliche Lichtzunahme: Sensoren wie VIIRS erfassen das intensive blaue Licht von LEDs nur unzureichend. Die tatsächliche globale Zunahme könnte daher noch deutlich höher ausfallen. Nur wenige Länder – etwa Jemen oder Syrien – verzeichneten aufgrund politischer Krisen einen Rückgang der Lichtverschmutzung.

Eine umfassende Erhebung von 2016 bestätigt diesen Trend: Über 80 Prozent der Weltbevölkerung leben heute unter einem lichtverschmutzten Himmel – in Europa und den USA sogar mehr als 99 Prozent. Für über ein Drittel der Menschheit ist die Milchstraße nicht mehr sichtbar – in Nordamerika sind es fast 80 Prozent der Bevölkerung.

Etwa 23 Prozent der Landfläche zwischen 75° Nord und 60° Süd erleben bereits eine deutliche nächtliche Lichtverschmutzung. Besonders besorgniserregend: Der zunehmende Einsatz von weißen LEDs kann die Helligkeit des Nachthimmels im blauen Spektralbereich auf das Zwei- bis Dreifache steigern – genau in dem Bereich, der für viele Tiere am störendsten ist.

Warum ist Lichtverschmutzung ein Problem für die Artenvielfalt?

Für viele Lebewesen ist die Dunkelheit der Nacht lebenswichtig. Der natürliche Wechsel von Licht und Dunkel bestimmt Nahrungssuche, Fortpflanzung, Orientierung und Wanderbewegungen. Doch künstliches Licht stört diese Abläufe – mit gravierenden Folgen für ganze Ökosysteme:

Straßenlaterne und Insekten
Straßenlaternen ziehen in der Nacht unzählige Insekten an – viele von ihnen verenden durch Erschöpfung oder werden leichte Beute. So wirkt künstliches Licht wie eine tödliche Falle und stört das ökologische Gleichgewicht.
  • Insekten werden massenhaft von Lichtquellen angezogen, erschöpfen sich oder werden leichte Beute. Besonders betroffen sind Nachtfalter, Leuchtkäfer oder Glühwürmchen, Zweiflügler (Mücken, Fliegen) und Hautflügler (etwa nachtaktive Wespen).
  • Zugvögel verlieren ihre Orientierung an den Sternen, werden durch Licht fehlgeleitet und prallen oft gegen beleuchtete Gebäude.
  • Amphibien wie Frösche und Kröten rufen unter Kunstlicht seltener oder gar nicht – was die Fortpflanzung massiv beeinträchtigt.
  • Fledermäuse reagieren unterschiedlich: Lichtscheue Arten meiden erhellte Flächen und verlieren wichtige Jagdgebiete, während lichttolerantere Arten sich ausbreiten.
  • Pflanzen erleben durch Dauerbeleuchtung verschobene Blühzeiten, verlängerte Photosynthese oder gestörte Blattabwurfrhythmen.

Darüber hinaus gerät bei vielen Arten die biologische Uhr – der zirkadiane Rhythmus – aus dem Gleichgewicht. Nicht nur Einzeltiere, sondern ganze ökologische Netzwerke werden destabilisiert.

Einige von Lichtverschmutzung betroffene Arten

Diese Beispiele zeigen, wie vielfältig die Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf verschiedene Tierarten sein können:

Ozelots & Pumas

Katzen wie Ozelots (Leopardus pardalis) und Pumas (Puma concolor) sind perfekt an nächtliche Lebensweisen angepasst: Mit drehbaren Ohren, lichtverstärkenden Augen und feinem Geruchssinn sind sie hoch spezialisierte Jäger. Doch künstliches Licht bringt ihre Fähigkeiten aus dem Gleichgewicht.

Ozelot bei Nacht
Dank ihrer lichtverstärkenden Netzhautschicht, dem Tapetum lucidum, können Ozelots auch bei minimalem Mondlicht sicher jagen – eine Fähigkeit, die sie in lichtverschmutzten Lebensräumen zunehmend verlieren könnten.
Alex Satsukawa, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Eine Untersuchung (2022) aus Panama zeigte: Ozelots meiden beleuchtete Gebiete und ihre Aktivitätsmuster und sind in der Nähe menschlicher Siedlungen nachts deutlich weniger aktiv. Je größer die Entfernung zu menschlichen Lichtquellen, desto häufiger wurden Ozelots nachts beobachtet. In stark besiedelten Gebieten verlagerten einige Tiere ihre Aktivität sogar teilweise auf den Tag – ein Hinweis auf gestörte innere Uhren.

Auch Pumas in den USA weichen laut einer Studie (2023) stark beleuchteten Gebieten aus, was ihre Streifgebiete einschränkt und die genetische Durchmischung gefährden kann. In Südkalifornien zeigte sich, dass vor allem Lichter im Umkreis von etwa 500 Metern die Raumnutzung von Pumas stark beeinflussen.

Für nachtaktive Jäger bedeutet Licht nicht nur eine höhere Sichtbarkeit für Beutetiere, sondern auch eine verstärkte Konkurrenz und ein erhöhtes Risiko, selbst entdeckt zu werden. Zudem kann künstliches Licht die Paarungsaktivität stören und das Revierverhalten verändern. Besonders problematisch: In zerschnittenen Landschaften schaffen Straßen und Siedlungen beleuchtete Barrieren, die wichtige Lebensräume voneinander trennen. Der Schutz dunkler Korridore ist essenziell.

Mittelamerikanischer Tapir

Baird-Tapir
Bei nächtlicher Beleuchtung bleiben Tapire oft regungslos stehen – eine natürliche Schutzreaktion, die sie jedoch für Wilderei mit Taschenlampen besonders verwundbar macht.
Rhododendrites, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Der Mittelamerikanische Tapir (Tapirus bairdii) ist das größte Landsäugetier Mittelamerikas und ein Schlüsselorganismus tropischer Wälder: Er verbreitet Samen und prägt die Vegetation nachhaltig.

Tapire benötigen große, ungestörte Gebiete. Lichtverschmutzung gefährdet sie gleich mehrfach: In Mexiko zeigte eine Studie (2020), dass Tapire vor allem in dunklen Nächten und während der dunkelsten Stunden aktiv sind – besonders in Gebieten mit menschlicher Präsenz. Bei Beleuchtung oder heller Mondphase bleiben sie länger verborgen.

Moderne LED-Taschenlampen verschärfen das Problem: Da Tapire bei plötzlicher Blendung verharren, erleichtert ihnen dieses Verhalten Wilderei erheblich. Eine Untersuchung (2020) zeigt, dass die Wilderei in einigen Regionen durch leistungsstarke Taschenlampen zunehmend in die Nacht verlagert wurde – mit dramatischen Folgen für die Bestände.

Mopsfledermaus

Mopsfledermaus: Betroffen von Lichtverschmutzung
Die Mopsfledermaus fliegt nur dort lautlos durch die Nacht, wo echte Dunkelheit herrscht. Als Spezialistin für schattige Wälder reagiert sie besonders empfindlich auf jede Form künstlicher Beleuchtung.
JeanRoulin, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Die Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus) gehört zu den lichtempfindlichsten Fledermausarten Europas. Sie bewohnt bevorzugt alte, strukturreiche Wälder – Lebensräume, die durch Forstwirtschaft und Lichtverschmutzung zunehmend verschwinden.

In einer Studie (2021) wurden Tiere mit Radiotrackern ausgestattet, um ihre Schlafquartiere genauer zu untersuchen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Mopsfledermäuse suchten gezielt nach dunklen Verstecken – entweder unter loser Baumrinde oder in Spalten dunkler, unbeleuchteter Scheunen.
Selbst an Gebäuden wählten sie bevorzugt die lichtabgewandten Seiten. Schon schwache Beleuchtung wirkt wie eine unsichtbare Barriere und kann Jagdgebiete und Wanderkorridore unpassierbar machen. Für den Erhalt dieser Art sind vernetzte, lichtarme Landschaften entscheidend.

Erdkröte

Erdkröte
Künstliches Licht bringt die nächtlichen Abläufe der Erdkröte durcheinander – sie wird träger, ruft seltener und steht unter messbarem Stress. Besonders in der Paarungszeit kann das den Fortpflanzungserfolg beeinträchtigen.
George Chernilevsky, Public domain, via Wikimedia Commons)

Auch Amphibien wie die Erdkröte (Bufo bufo) sind auf nächtliche Dunkelheit angewiesen – künstliches Licht bringt ihre inneren Rhythmen aus dem Gleichgewicht. In einer experimentellen Studie (2019) verringerte schon geringe Lichtintensität (5–20 Lux) die nächtliche Aktivität der Männchen während der Fortpflanzungszeit um bis zu 73 Prozent.

Dabei blieb die Gesamtenergieaufnahme stabil, doch die Energieverteilung veränderte sich: Der Grundumsatz stieg, ein Hinweis auf physiologischen Stress – vermutlich durch erhöhte Corticosteronspiegel. Solche Störungen können die Reproduktionschancen massiv mindern, insbesondere da Erdkröten nur ein kurzes Zeitfenster für die Paarung haben.

Waldkauz

Waldkauz
Waldkäuze meiden beleuchtete Bereiche konsequent – künstliches Licht in Städten verringert ihre Jagdchancen und schränkt ihre Verbreitung ein.
Michael Gäbler, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Der Waldkauz (Strix aluco) ist eine der häufigsten Eulenarten Mitteleuropas – doch selbst er leidet unter Lichtverschmutzung. Als nachtaktiver Jäger mit lichtempfindlichen Augen meidet er künstlich beleuchtete Bereiche, was seine Jagdmöglichkeiten in urban geprägten Landschaften stark einschränkt.

Eine Studie aus Italien (2023) untersuchte den Einfluss städtischer Faktoren wie Verkehrslärm, Bebauung und künstlicher nächtlicher Beleuchtung (ALAN) auf das Vorkommen des Waldkauzes. Das Ergebnis: Nicht Lärm oder die Bebauungsdichte, sondern Lichtverschmutzung war der stärkste Prädiktor für das Ausbleiben der Tiere – selbst in Gegenden mit geeigneten Lebensräumen.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass künstliches Licht ein zentraler Störfaktor für die Verbreitung dieser Vogelart ist. Seine Abwesenheit in beleuchteten Stadtbereichen verdeutlicht, wie stark nachtaktive Arten durch ALAN in ihrer Lebensraumnutzung eingeschränkt werden – mit potenziellen Folgen für ihr Überleben in urbanen Ökosystemen.

Zwergpinguin

Der Zwergpinguin (Eudyptula minor) ist der kleinste Vertreter seiner Familie und einzigartig unter den 18 Pinguinarten: Er ist vorwiegend nachtaktiv. Nachts kehrt er von der Nahrungssuche zurück an Land, nutzt individuelle Rufe zur Partnerfindung und wandert auf festen „Pinguinpfaden“ zu den Nestern.

Zwergpinguin und Lichtverschmutzung
Zwergpinguine meiden künstliches Licht – es kann ihre nächtliche Rückkehr und den Bruterfolg stören.
Coada dragos, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Doch diese Anpassung macht die Zwergpinguine besonders anfällig für Lichtverschmutzung. Untersuchungen zeigen, dass künstliches Licht auf den Brutinseln das Rückkehrverhalten verändert: Zwergpinguine kehren später an Land zurück, zeigen weniger Lautäußerungen und sind seltener zu beobachten – besonders, wenn grelles weißes Licht von Taschenlampen oder Smartphones verwendet wird. In einer Langzeitbeobachtung auf Granite Island (Südaustralien) korrelierte nächtliche Beleuchtung mit einer geringeren Präsenz der Tiere an Land. Der Effekt war besonders ausgeprägt in Kombination mit weiteren Störfaktoren wie Hunden oder lauten Veranstaltungen.

Da die Tiere nachts brüten und ihre Jungen versorgen, kann eine verspätete Rückkehr ins Nest negative Folgen für den Bruterfolg haben. Eine Studie (2023) zeigt außerdem, dass chronische Störungen durch Licht und menschliche Aktivitäten langfristig zu Stress, Energieverlust und einem Rückgang der Koloniegröße führen können. Der Schutz dunkler Brutgebiete, klare Regeln für Besucher und bewusstes Lichtmanagement sind wichtig für das Überleben des Zwergpinguins.

Lichtverschmutzung im Wasser: Ein oft übersehenes Problem

Nicht nur an Land, auch unter Wasser hat künstliches Licht gravierende Folgen. Eine Studie von Maja Grubisic et al. (2018) zeigte, dass LED-Beleuchtung entlang von Entwässerungsgräben die Aktivität und Zusammensetzung von Algen verändert. Algen stehen am Anfang vieler Nahrungsketten – werden sie in ihrer Entwicklung gestört, kann das weitreichende Folgen für das gesamte Gewässerökosystem haben. Auch nachtaktive Fische, Krebstiere und Insekten reagieren sensibel: Licht stört ihre Orientierung, verändert Wanderbewegungen und erschwert die Nahrungssuche.

Eine weitere Untersuchung von Matthew Garratt et al. (2019) belegte: In beleuchteten Küstenzonen sinkt die Zahl kleiner Wirbelloser wie Flohkrebse oder Borstenwürmer. Diese sind jedoch essenzielle Nahrung für Watvögel wie Strandläufer oder Regenpfeifer. Fehlen diese Beutetiere, verschlechtert sich die Kondition der Vögel – mit Folgen für ihre Zugfähigkeit, ihr Überleben und ihre Fortpflanzung.

Welche Auswirkungen hat Kunstlicht in der Nacht auf Insekten?

Eine Überblicksstudie von Avalon C. S. Owens und Sara M. Lewis (2018) analysierte über 150 Forschungsarbeiten zum Einfluss künstlichen Lichts auf nachtaktive Insekten. Das Ergebnis: Lichtverschmutzung ist ein ernstzunehmender Umweltstressfaktor – mit vielfältigen Folgen. Die Auswirkungen lassen sich in vier Hauptkategorien zusammenfassen:

1. Verhaltensänderungen

Viele Insekten werden von Lichtquellen angezogen und kreisen dort stundenlang, statt Nahrung zu suchen oder sich fortzupflanzen.
Andere meiden beleuchtete Bereiche vollständig, was ihre Verbreitung und Aktivität einschränkt.
Viele verlieren durch Licht ihren natürlichen Rhythmus und verpassen ökologische „Zeitfenster“ – etwa für die Fortpflanzung.

2. Störungen bei Fortpflanzung und Kommunikation

Glühwürmchen, die Lichtsignale zur Partnersuche einsetzen, finden sich im Lichtermeer moderner Städte nicht mehr.
Auch Duftstoffe (Pheromone) werden unter Lichtstress schlechter wahrgenommen oder produziert.

3. Physiologische Auswirkungen

Künstliches Licht beeinflusst den zirkadianen Rhythmus von Insekten.
Nächtliche Beleuchtung kann zu verzögerter Entwicklung, veränderter Hormonproduktion oder erhöhter Sterblichkeit führen. Auch die Fähigkeit zur Temperaturregulierung wird beeinträchtigt.

4. Ökologische Konsequenzen

Prädatoren wie Fledermäuse oder Vögel verlieren Beutetiere, oder die Zusammensetzung der Insektenarten verschiebt sich.
Pflanzen, die auf nachtaktive Bestäuber angewiesen sind, produzieren weniger Früchte oder Samen.

Lichtverschmutzung betrifft nicht nur nachtaktive, sondern auch tagaktive Insekten: Eine Studie (2024) zeigt, dass ständiges Kunstlicht den natürlichen Schlafrhythmus von Honigbienen stört, zu verringerter Schlafdauer und vermehrten Störungen im Sozialverhalten führt. Da gesunder Schlaf bei Bienen essenziell für Lern- und Orientierungsprozesse sowie die Kommunikation im Stock ist, könnten solche Störungen langfristig die Effizienz der Nahrungssuche und die Bestäubungsleistung ganzer Bienenvölker beeinträchtigen – mit potenziellen Auswirkungen auf die gesamte Pflanzenwelt.

Lichtverschmutzung – eine Gefahr nicht nur für Tiere und Pflanzen

Lichtverschmutzung ist nicht nur ein ökologisches Problem, sondern betrifft auch unsere Energie- und Gesundheitsbilanz. Sie erhöht den CO₂-Ausstoß, stört den menschlichen Schlaf und wird mit einem erhöhten Risiko für verschiedene Krebserkrankungen in Verbindung gebracht.

Eine weltweite Analyse (2016) zeigte deutliche Zusammenhänge zwischen der Intensität nächtlicher Beleuchtung und der Häufigkeit von Brust-, Lungen-, Darm- und Prostatakrebs. Besonders in stark beleuchteten Regionen war das Krebsrisiko deutlich erhöht. Vermutet wird, dass die Unterdrückung des Schlafhormons Melatonin und die Störung des natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus dabei eine Rolle spielen.

Eine aktuelle Studie (2025) untersuchte zudem die Wirkung auf Kinder: Babys, die bereits vor oder kurz nach der Geburt starker Lichtbelastung ausgesetzt waren – etwa durch Straßenbeleuchtung in Wohngegenden –, könnten ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs im Kindesalter haben. Besonders empfindlich scheint dabei die frühe Entwicklungsphase zu sein, wenn Körper und Organe sehr anfällig für Störungen sind.

Diese Erkenntnisse zeigen, dass Lichtverschmutzung nicht nur Flora und Fauna bedroht, sondern auch die menschliche Gesundheit beeinflussen kann – besonders die von Kindern. Daher kann es nicht schaden, Lichtemissionen gezielt zu reduzieren – für den Schutz der Natur und der öffentlichen Gesundheit.

Was können wir tun?

Technische und gestalterische Maßnahmen

Napoleon-Brücke in Lille
Die Napoléon-Brücke in Lille mit neuem, umweltfreundlichem Beleuchtungskonzept: Weißes LED-Licht in der Geländermitte sorgt für Sicht ohne zu blenden. Die Lichtfarbe und -richtung wurden bewusst gewählt, um Insekten, Fledermäuse und Wasserlebewesen möglichst wenig zu stören.
Lamiot, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
  • Warmweißes Licht mit niedrigem Blauanteil (<3.000 Kelvin) verwenden – blauhaltiges Licht wirkt besonders störend auf Insekten und den menschlichen Schlaf-Wach-Rhythmus.
  • Leuchten so gestalten, dass sie ihr Licht ausschließlich nach unten abgeben, um Streulicht zu vermeiden.
  • Bewegungsmelder und Zeitschaltuhren installieren, um unnötige Dauerbeleuchtung zu reduzieren.
  • In der Nähe von Gewässern oder Naturräumen Leuchtmittel möglichst niedrig anbringen, um die Lichtausbreitung zu minimieren.

Politische Maßnahmen

  • Kommunale Lichtkonzepte und Lichtmanagementpläne entwickeln, die sowohl die Verkehrssicherheit als auch den Schutz der Nacht berücksichtigen.
  • Bei Bauprojekten und Infrastrukturmaßnahmen gezielt die Auswirkungen auf nachtaktive Tiere einplanen.
  • Schutzgebiete nicht nur tagsüber, sondern auch nachts vor Lichtverschmutzung bewahren.

Private Initiativen

  • Auf unnötige Beleuchtung verzichten – insbesondere auf Solarleuchten, Lichterketten und Dauerbeleuchtung im Garten.
  • Weniger mähen und natürliche Vegetation zulassen – das unterstützt Glühwürmchen ebenso wie Igel, Fledermäuse und Eulen.
  • Bei Citizen-Science-Projekten wie dem Firefly Atlas mitmachen und Sichtungen von Leuchtkäfern melden, um wichtige Daten für den Naturschutz zu liefern.

Lichtverschmutzung ist eine stille, oft übersehene Gefahr für viele Arten. Doch anders als bei anderen Umweltproblemen sind die Lösungen schnell und einfach umsetzen – wenn der Wille da ist. Es braucht intelligente, umweltgerechte Beleuchtung und ein neues Bewusstsein für die Bedeutung der Nacht. Denn nur wer die Dunkelheit kennt, weiß das Licht wirklich zu schätzen.

Erwähnte Studien

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  • Barrientos, R., Vickers, W., & Longcore, T. (2023). Nearby night lighting, rather than sky glow, is associated with habitat selection by a top predator in human-dominated landscapes. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 378(1883), 20220370. https://doi.org/10.1098/rstb.2022.0370
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  • Touzot, M., Voituron, Y., & Secondi, J. (2019). Artificial light at night disturbs the activity and energy allocation of the common toad during the breeding period. Conservation Physiology, 7(1), coz002. https://doi.org/10.1093/conphys/coz002

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