Wie stark beeinträchtigt intensive Landwirtschaft die Insektenvielfalt wirklich? Eine neue Studie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B, liefert Antworten – und stellt eine neue Methode vor, die Biodiversitätsverluste präziser messbar machen soll.
Die große Frage: Was treibt das Insektensterben im Anthropozän?
Der weltweite Rückgang der Insektenpopulationen sorgt seit Jahren für Schlagzeilen. Studien aus verschiedenen Regionen zeigen teils drastische Verluste: Eine Untersuchung aus deutschen Schutzgebieten (Hallmann et al., 2017) dokumentierte einen Rückgang der Insektenbiomasse um 75 Prozent innerhalb von 27 Jahren. Auch internationale Erhebungen belegen, dass Klimawandel, Habitatverlust und intensive Landwirtschaft die Lebensräume von Bestäubern wie Hummeln, Schmetterlingen und anderen Insektengruppen stark beeinträchtigen.
Eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse der Binghamton University hat über 500 Einflussfaktoren identifiziert, die das Insektensterben weltweit antreiben – von Pestiziden und Monokulturen bis zu Lichtverschmutzung und Extremwetter. Die Studie macht deutlich: Das Insektensterben ist kein linearer Prozess mit einer klaren Ursache, sondern ein vielschichtiges Zusammenspiel menschlicher Einflüsse – mit der intensiven Landwirtschaft als zentralem Knotenpunkt.
Doch so eindeutig die Warnsignale sind, so schwierig ist ihre vergleichende Bewertung: Je nachdem, ob man Biomasse, Artenzahl oder Häufigkeit betrachtet – und welche Lebensräume oder Artengruppen untersucht werden –, ergeben sich unterschiedliche Befunde. Genau hier setzt die neue Studie der Universität Würzburg an: Sie bietet ein standardisiertes, wissenschaftlich fundiertes Verfahren, das Unterschiede bei Probenumfang und Artenvielfalt fair vergleichbar machen soll – und sie zeigt, wie stark die Landwirtschaft die Insektenvielfalt tatsächlich reduziert.
Die Studie: Eine riesige Datenbasis – und ein neues Werkzeug
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Jörg Müller und Mareike Kortmann analysierte mithilfe moderner DNA-Technologien Insektenproben aus über 400 Familien, gesammelt in unterschiedlichsten Lebensräumen Bayerns – von naturnahen Wäldern bis hin zu intensiv bewirtschafteten Agrarflächen.
Dabei kamen rund 39.000 sogenannte OTUs (operational taxonomic units) zusammen – das sind DNA-basiert definierte Gruppen, die einer Art entsprechen können. Eine der größten Insekten-Datensammlungen dieser Art in Mitteleuropa.
Was ist Metabarcoding?
Statt jedes einzelne Insekt unter dem Mikroskop zu bestimmen, untersuchten die Forschenden die gesamte DNA der Proben. Mithilfe spezieller kurzer DNA-Abschnitte – Barcodes – lassen sich die enthaltenen Arten identifizieren. Man kann sich das wie einen DNA-Scanner vorstellen, der erkennt, was alles in der Probe steckt – selbst dann, wenn die Tiere winzig oder beschädigt sind. Das Verfahren ist besonders hilfreich bei schwer bestimmbaren Gruppen wie Insekten.

(© Hallmann et al., CC BY 2.5, via Wikimedia Commons)
Metabarcoding ähnelt der Umwelt-DNA (eDNA)-Analyse. Während eDNA meist DNA-Spuren aus Wasser, Luft oder Boden nutzt, untersucht Metabarcoding ganze Organismengemeinschaften – etwa eine Insektenfalle – und liefert einen Überblick über alle enthaltenen Arten.
Bisherige Studien mit Metabarcoding konzentrieren sich oft auf die Frage, wie viele Arten vorkommen – weniger darauf, wie häufig sie vertreten sind. Doch für ein umfassendes Verständnis von Artenvielfalt ist laut den Studienautoren gerade diese Verteilung entscheidend. Die neue Methode will hier ansetzen, indem sie auch berücksichtigt, wie stark häufige und seltene Arten vertreten sind.
Die Forschenden möchten außerdem zeigen, dass sogenannte Metabarcoding-Reads – also die Häufigkeit, mit der eine bestimmte DNA-Sequenz im Labor erscheint – als Näherungswert für die tatsächliche Häufigkeit genutzt werden können, sofern innerhalb einzelner Proben standardisiert wird. Durch Größensortierung der Insekten und Kontrolle der Sequenzqualität soll verhindert werden, dass dominante Arten systematisch überrepräsentiert sind.
Ein neuer Weg zu vergleichbaren Ergebnissen
Die Forschenden entwickelten zusätzlich einen neuen Workflow, der eine Standardisierung der Stichprobentiefe ermöglicht – also die Frage, wie vollständig eine Insektengemeinschaft in einer Probe tatsächlich erfasst wurde.

Hintergrund ist ein bekanntes methodisches Problem: In eher homogenen Lebensräumen wie Ackerflächen lassen sich Insektengemeinschaften oft leichter vollständig erfassen als in strukturreichen, artenreichen Habitaten wie Wäldern. Dadurch kann es zu Verzerrungen kommen, wenn unterschiedliche Lebensräume direkt miteinander verglichen werden.
Die Studie zeigt, dass in landwirtschaftlich genutzten und urbanen Gebieten ein besonders hoher Erfassungsgrad vorlag – vermutlich, weil die Insektengemeinschaften dort bereits stärker vereinfacht sind. In naturnahen Wäldern hingegen bleibt häufig ein größerer Anteil der vorhandenen Arten unentdeckt. Ohne eine statistische Korrektur dieses Effekts könnten daher Unterschiede in der biologischen Vielfalt unterschätzt werden.
Der neue Ansatz trägt dazu bei, Unterschiede in der Erfassungsgenauigkeit zwischen verschiedenen Lebensräumen besser zu berücksichtigen. Ergänzend nutzten die Forschenden einen eigens entwickelten Stammbaum, um auch die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Insektenarten in die Analyse einzubeziehen. Auf diese Weise konnten sie nicht nur die Artenzahl erfassen, sondern auch untersuchen, wie vielfältig die evolutionsgeschichtliche Zusammensetzung der Insektengemeinschaften ist – und ob sich die Rückgänge eher bei seltenen oder häufigen Arten zeigen.
Weil derzeit keine umfassende Datengrundlage zu den ökologischen Eigenschaften aller Insektenfamilien existiert, verwendeten die Forschenden die genetische Verwandtschaft als praktikable Näherung für die funktionelle Vielfalt. Der Gedanke dahinter: Arten, die eng miteinander verwandt sind, übernehmen oft ähnliche Rollen im Ökosystem.
Die Ergebnisse: Rückgänge bei Arten – und in ihrer evolutionären Vielfalt
Die Analyse der Insektenproben entlang verschiedener Landnutzungsformen ergab deutliche Rückgänge:
- In Agrarflächen wurden 27 bis 44 % weniger Arten gefunden als in naturnahen Wäldern.
- Die Verwandtschaftsvielfalt war dort um 13 bis 29 % reduziert – also auch die Vielfalt unterschiedlicher evolutionärer Linien.
- Besonders betroffen waren seltene Arten, die oft ganz eigene evolutionäre Entwicklungen repräsentieren.
Interessanterweise zeigte sich: Auch häufige und weit verbreitete Arten reagierten empfindlich auf intensive Landnutzung, etwa in Ackerflächen oder Siedlungen. Ihre Rückgänge fielen in manchen Fällen sogar stärker aus als bei seltenen Arten. Das stellt frühere Annahmen infrage, wonach vor allem seltene Arten besonders gefährdet seien – und unterstreicht, wie wichtig es ist, auch weit verbreitete Arten im Blick zu behalten.
Warum der Verlust seltener Arten besonders ins Gewicht fällt
Seltene Arten tragen besonders stark zum Verlust an evolutionärer Vielfalt bei. Denn wenn sie verschwinden, gehen oft ganze Verwandtschaftszweige verloren – also Gruppen von Arten, die sich vor langer Zeit voneinander abgespalten haben. Diese Arten erfüllen häufig spezielle Aufgaben im Ökosystem und tragen zur Stabilität des Gesamtgefüges bei.
Häufige oder dominante Arten gingen zwar ebenfalls zurück, doch meist nur in ihrer Anzahl – nicht in ihrer genetischen Vielfalt. Für das Ökosystem ist das weniger dramatisch, weil nahe verwandte Arten ähnliche Funktionen übernehmen können.
Besonders auffällig ist, dass nicht nur sehr spezielle, sondern auch jüngere Verwandtschaftsgruppen wie ganze Gattungen betroffen sind. Diese gezielten Verluste deuten darauf hin, dass bestimmte ökologische Funktionen und Anpassungen im Lebensraum zunehmend verloren gehen – mit möglicherweise langfristigen Folgen für die Stabilität des Systems.
Landnutzung im Fokus – unabhängig vom Klima
Die Untersuchung basiert auf dem bayerischen LandKlif-Projekt, das gezielt darauf ausgelegt ist, Einflüsse von Klima und Landnutzung getrennt zu erfassen. Dafür wurden Insektenproben aus fünf unterschiedlichen Klimaräumen Bayerns sowie aus verschiedenen Landschaftstypen gesammelt – darunter Wälder, Wiesen, Ackerflächen und Siedlungen. Auch auf regionaler Ebene wurden Unterschiede berücksichtigt, etwa zwischen naturnahen, landwirtschaftlich geprägten und städtischen Gebieten.
Ein besonderer Vorteil dieses Studiendesigns liegt darin, dass sowohl langfristige Klimaverhältnisse als auch kurzfristige Wettereinflüsse gezielt mit einbezogen und statistisch kontrolliert wurden. Dadurch konnten die Forschenden den Einfluss der Landnutzung isoliert betrachten – ohne dass die Ergebnisse durch Wetterextreme oder regionale Klimaschwankungen verzerrt werden.
Das zentrale Ergebnis: Die deutlich verringerten Insektenzahlen und die geringere Vielfalt in landwirtschaftlich genutzten und urbanen Flächen lassen sich nicht allein durch Wetter oder Klima erklären. Vielmehr zeigt sich: Wie wir unsere Flächen nutzen – ob intensiv oder naturnah – hat einen entscheidenden Einfluss auf die biologische Vielfalt.
Zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn auch mit unterschiedlicher Methodik und Datengrundlage, kommt auch eine aktuelle Studie von Hallmann et al. (2025), veröffentlicht in Nature: Demnach reichen Wetteranomalien allein nicht aus, um den Insektenrückgang zu erklären – vielmehr stehen Veränderungen in der Landnutzung im Mittelpunkt der Entwicklung.
Diese Erkenntnis bedeutet nicht, dass Klimaeffekte unbedeutend wären. Doch sie unterstreicht, dass maßvolle, biodiversitätsfreundliche Landnutzung eine zentrale Stellschraube für den Schutz der Insekten ist – unabhängig davon, wie sich das Klima künftig entwickelt.
Warum das wichtig ist – auch für uns
Der Rückgang der Insektenvielfalt ist kein isoliertes Naturschutzthema, sondern betrifft zahlreiche Bereiche unseres Lebens. Insekten übernehmen zentrale Aufgaben in Ökosystemen: Sie bestäuben Nutz- und Wildpflanzen, sorgen für die Zersetzung von organischem Material, halten Schädlinge im Zaum und tragen zur Bildung fruchtbarer Böden bei. Gleichzeitig sind sie eine wichtige Nahrungsquelle für viele Vogel-, Amphibien- und Säugetierarten.

(© Joshua Tree National Park, Public domain, via Wikimedia Commons)
Geht die Vielfalt der Insekten zurück, geraten auch diese ökologischen Funktionen unter Druck. Weniger Bestäuber bedeuten potenziell geringere Erträge in der Landwirtschaft, und der Ausfall von Zersetzerarten kann Nährstoffkreisläufe aus dem Gleichgewicht bringen. Die Folgen betreffen nicht nur die Natur, sondern auch die Ernährungssicherheit, die Wasserqualität und das Funktionieren ganzer Landschaften.
Die in der Studie vorgestellte neue Methode ermöglicht es, Veränderungen in Insektengemeinschaften präzise und vergleichbar zu erfassen – unabhängig davon, in welchem Lebensraum sie vorkommen oder wie vollständig die Proben sind. Damit bieten sie eine wertvolle Grundlage für das ökologische Monitoring, für Schutzgebietsmanagement und für eine evidenzbasierte Bewertung von Landnutzungskonzepten.
Besonders in Zeiten wachsender Anforderungen an Landwirtschaft, Siedlungsentwicklung und Klimaanpassung wird es entscheidend sein, Biodiversität systematisch mitzudenken. Die Studienergebnisse zeigen, dass biodiversitätsfreundliche Flächennutzung nicht nur dem Artenschutz dient, sondern langfristig auch zur Stabilität und Leistungsfähigkeit von Ökosystemen beiträgt – und damit zu unserer eigenen Zukunftssicherheit.
Neue Einblicke in einen vielschichtigen Rückgang
Die Studie der Universität Würzburg liefert wichtige Hinweise darauf, wie stark sich unterschiedliche Formen der Landnutzung auf die Zusammensetzung und Vielfalt von Insektengemeinschaften auswirken können – sowohl im Hinblick auf die Artenzahl als auch auf deren evolutionäre Herkunft. Mithilfe eines neuen methodischen Ansatzes lassen sich Veränderungen genau analysieren und vergleichen, auch zwischen komplexen und vereinfachten Lebensräumen.
Die Ergebnisse zeigen, dass Rückgänge in der Insektenvielfalt nicht allein durch methodische Unterschiede oder regionale Klimaeffekte erklärt werden können. Vielmehr deuten die Daten auf tiefgreifende ökologische Veränderungen hin, insbesondere in intensiv genutzten Agrar- und Siedlungsflächen.
Langfristig könnten Verluste an Verwandtschaftsvielfalt die Stabilität ökologischer Prozesse beeinträchtigen – etwa bei der Bestäubung, der Zersetzung organischer Substanz oder der natürlichen Schädlingsregulation. Die vorgestellte Methode kann dabei helfen, solche Entwicklungen künftig systematisch zu beobachten und frühzeitig zu erkennen.
Die Studie leistet damit einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des Insektenrückgangs – und bietet zugleich eine Grundlage für biodiversitätssensibles Flächenmanagement und eine Weiterentwicklung von Monitoringprogrammen.
Quelle
- Kortmann, M., Hochrein, S., Lückmann, J., Müller, J., & Hof, C. (2025). A shortcut to sample coverage standardization in metabarcoding data provides new insights into land-use effects on insect diversity. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 292(2025), 20242927. https://doi.org/10.1098/rspb.2024.2927
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