Die Kurznasen-Maräne, ein Süßwasserfisch aus der Familie der Lachsfische, galt seit 1985 als ausgestorben. Nach fast 40 Jahren wurde sie nun überraschend in einer Region entdeckt, in der sie niemand vermutet hatte: im Oberen See (Lake Superior), dem größten der fünf Großen Seen Nordamerikas.
Einst war die Kurznasen-Maräne (Coregonus reighardi) in den Großen Seen weit verbreitet, doch eine Kombination aus kommerzieller Überfischung, der Konkurrenz durch invasive Arten wie das Meerneunauge, Zebra- und Quaggamuscheln sowie der Verschlechterung von Wasserqualität und Lebensräumen führte zu ihrem Verschwinden. Diese Faktoren beeinträchtigten sowohl ihre Überlebensfähigkeit als auch ihre Fortpflanzung, bis sie seit den 1980er-Jahren aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet als ausgerottet galt.
Obwohl in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Fischereierhebungen in potenziellen Lebensräumen stattfanden, blieb die Kurznasen-Maräne unauffindbar. Ihre letzten bestätigten Sichtungen datieren auf 1964 im Ontariosee, 1982 im Michigansee und 1985 im Huronsee. Ohne neue Funde geriet die Art in Vergessenheit, während sich Wissenschaftler anderen Herausforderungen im Management der Fischpopulationen widmeten.
Die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) führt die Kurznasen-Maräne seit 1996 als „vom Aussterben bedroht (vermutlich ausgestorben)“. Der U.S. Fish and Wildlife Service (USFWS) und das Ministry of Natural Resources von Ontario erklärten die Art aufgrund fehlender Nachweise seit 1985 offiziell für ausgestorben. Die überraschende Wiederentdeckung im Oberen See weckt nun jedoch neue Hoffnung – nicht nur für die Kurznasen-Maräne, sondern auch für die Ökosysteme der Großen Seen.
Eine Überraschung aus der Tiefe des Oberen Sees
Im Juli 2022 gelang Wissenschaftlern des United States Geological Survey (USGS) eine Entdeckung: Während einer Fischereibestandsaufnahme nahe der Keweenaw-Halbinsel im Oberen See stießen sie unerwartet auf drei junge Kurznasen-Maränen. Ein besonderer Fund, denn die Art war in diesem See bislang nicht nachgewiesen worden – kein moderner Wissenschaftler hatte je Kurznasen-Maränen im Oberen See dokumentiert. Mithilfe moderner Fang- und Analysetechniken wurde diese Entdeckung möglich. Weitere Untersuchungen brachten schließlich auch adulte Exemplare zutage, was darauf hinweist, dass sich eine kleine, stabile Population in diesem unerwarteten Lebensraum etabliert haben könnte.
Diese Wiederentdeckung löste nicht nur Freude in der wissenschaftlichen Gemeinschaft aus, sondern rehabilitierte auch Walter Koelz, einen US-amerikanischen Naturforscher, der die Kurznasen-Maräne 1924 erstmals beschrieben hatte. In seinem 1929 erschienenen Werk Coregonid Fishes of the Great Lakes ordnete Koelz die Art dem Oberen See zu. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass er sich geirrt hatte, da nachfolgende Forscher keine Kurznasen-Maränen in diesem See fanden. Doch fast 100 Jahre später hat sich gezeigt, dass Koelz recht hatte. Die jüngsten Fänge wurden sowohl morphologisch als auch genetisch untersucht und als Kurznasen-Maränen identifiziert.
Bedeutung der Wiederentdeckung der Kurznasen-Maräne
Die Wiederentdeckung der ausgestorben geglaubten Kurznasen-Maräne ist ein Zeichen dafür, dass sich Ökosysteme – selbst nach jahrzehntelangen Belastungen durch menschliche Eingriffe und invasive Arten – erholen können. Diese Art, die eine zentrale Rolle im Nahrungsnetz der Großen Seen spielt, ist wichtig für die Stabilität des Ökosystems. Eine gesunde Population heimischer Fische könnte langfristig helfen, die durch invasive Arten verursachten Schäden abzumildern.
Gezielte Naturschutzmaßnahmen zeigen, dass Wiederansiedlungsprogramme entscheidend sind, um bedrohte Arten zu erhalten. Seit 2018 sammelt das Michigan Department of Natural Resources (DNR) befruchtete Eier von verbliebenen Wildpopulationen, etwa in der Nähe der Drummond-Insel im Huronsee, und zieht diese in einer Fischzuchtstation auf. Jährlich werden etwa eine Million Jungfische in die Saginaw Bay entlassen – eine Region, in der Maränen einst zahlreich vorkamen, bevor sie verschwanden. Parallel überwachen Wissenschaftler, ob die Fische nicht nur überleben, sondern sich auch erfolgreich fortpflanzen. Solche Programme, wie die geplante Wiederansiedlung von Maränen in den New Yorker Gewässern des Eriesees, verdeutlichen, wie gezielte Förderung heimischer Arten zur Widerstandsfähigkeit des gesamten Ökosystems beitragen kann.
Während die Kurznasen-Maräne wieder da ist, sind andere Fischarten aus den Großen Seen wahrscheinlich unwiederbringlich verloren – wie zum Beispiel der Blaue Glasaugenbarsch. Dieser war einst im Erie- und Ontariosee endemisch, bevor er durch Überfischung und invasive Arten um 1965 endgültig verschwand.
Quelle
- Matheny, K. (2024). Great Lakes fish thought extinct for decades rediscovered – in an unexpected place. Detroit Free Press.
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