Die Erde hat sich seit Ende des 19. Jahrhunderts um etwa 1,3 Grad Celsius erwärmt. Diese scheinbar kleine Veränderung hat bereits tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben auf unserem Planeten. Einige Arten konnten sich anpassen: Vögel sind kleiner geworden, Eidechsen und Insekten haben ihre Farben verändert, und viele Tiere haben neue Lebensräume erschlossen. Diese Anpassungen helfen ihnen, in einer sich wandelnden Umwelt zu überleben.
Doch es gibt auch viele Arten, die diese Anpassung nicht schnell genug schaffen. Durch den Klimawandel verursachte steigende Temperaturen führen zu vermehrten Bränden in Regionen wie dem Amazonas oder Australien, die Tierpopulationen zerstören. Der steigende Meeresspiegel lässt Inseln zunehmend verschwinden und vernichtet die Lebensräume der dort lebenden Tiere. So ist die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte vor über zehn Jahren durch den Anstieg des Meeresspiegels ausgestorben.
Auch im Meer zeigen sich die Folgen. Höhere Temperaturen verringern die Planktonproduktion – eine wichtige Nahrungsquelle für viele Meeresfische. Der Galápagos-Riffbarsch verlor dadurch seine Lebensgrundlage und starb aus. Auf Hawaii bringt der Klimawandel Vogelmalaria-übertragende Mücken in höhere Lagen, die zuvor als sichere Rückzugsgebiete für verbliebene heimische Vogelarten galten.
Amphibien sind ebenfalls stark betroffen. Die durch den Klimawandel geförderte Pilzinfektion Chytridiomykose hat bereits mehrere Arten ausgelöscht. Selbst Pflanzen bleiben nicht verschont: Der Key-Largo-Baumkaktus, einst in den USA beheimatet, ist durch den steigenden Meeresspiegel lokal ausgestorben. Die Beispiele zeigen: Der Klimawandel bedroht die Artenvielfalt weltweit auf vielfältige Weise – von veränderten Lebensbedingungen bis hin zur direkten Auslöschung.
Bereits 160.000 Arten durch Klimawandel bedroht
Der Klimawandel hat das Aussterberisiko für viele Tier- und Pflanzenarten enorm erhöht. Mark C. Urban, Leiter des Center of Biological Risk an der University of Connecticut, hat in einer aktuellen Studie, veröffentlicht im Fachjournal Science, untersucht, wie groß diese Bedrohung tatsächlich ist. Dafür wertete er 131 Studien aus, die Prognosen für das Schicksal zahlreicher Arten erstellten – eine sogenannte Meta-Analyse.
Im Fokus standen biologische Mechanismen, die beeinflussen, wie gut Arten mit veränderten Bedingungen wie steigenden Temperaturen zurechtkommen. Dazu zählen etwa ihre Fähigkeit, neue Lebensräume zu besiedeln, oder ihre Widerstandskraft gegenüber Umweltveränderungen. Urbans Analyse zeigt, welche Arten besonders gefährdet sind und wie sich die Risiken über die Zeit entwickeln. Diese Ergebnisse sind entscheidend, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität besser zu verstehen und gezielte Maßnahmen zu planen.
Prognosen für das Artensterben
Schon heute, bei einer Erwärmung von 1,3 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Zeiten, sind etwa 1,6 Prozent aller bekannten Arten vom Aussterben bedroht – das entspricht rund 160.000 Arten. Doch das ist nur der Anfang. Urbans Modellierungen zeigen, wie sich das Risiko bei weiter steigenden Temperaturen entwickelt:
- 1,3 °C (aktuelle Erwärmung): 1,6 % der Arten bedroht
- 1,5 °C (Ziel des Pariser Abkommens): 1,8 %
- 2 °C (offizielles Ziel des Pariser Abkommens): 2,7 %
- 2,7 °C (derzeitige Klimapolitik): 5 %
- 4,3 °C (höheres Emissionsszenario): 14,9 %
- 5,4 °C (Worst-Case-Szenario): 29,7 %
Urban schätzt, dass ohne konsequente Klimapolitik bis zu 500.000 Arten aussterben könnten – eine halbe Million Tiere und Pflanzen wären damit unwiederbringlich verloren. Jede Art erfüllt eine wichtige Rolle in ihrem Ökosystem und trägt oft zum Wohlstand und zur Gesundheit des Menschen bei. Selbst kleine Prozentzahlen stehen für massive Verluste, die das Gleichgewicht in der Natur und letztlich auch unsere Lebensgrundlagen gefährden könnten.
Besonders gefährdete Lebensräume
Das Risiko, dass Arten durch den Klimawandel aussterben, unterscheidet sich stark je nach Region. Australien und Neuseeland weisen mit 15,7 Prozent das höchste Risiko auf, gefolgt von Südamerika mit 12,8 Prozent. In Asien (5,5 %) und der Arktis (3,8 %) ist das Risiko deutlich geringer, während Nordafrika mit 17,4 Prozent hoch liegt. Für die Ozeane wurde ein moderates Risiko von 6,1 Prozent ermittelt.
Die hohe Gefährdung in Australien und Neuseeland liegt daran, dass viele Arten dort durch geografische Barrieren wie das Meer in ihrer Anpassungsfähigkeit eingeschränkt sind. In Südamerika bedroht der Verlust von Biodiversitäts-Hotspots zahlreiche Arten mit kleinen Verbreitungsgebieten und spezialisierten Lebensräumen, die keine Alternativen bieten.
In der Arktis profitieren viele Arten von ihren großen Verbreitungsgebieten und können sich in neue, wärmere Regionen ausbreiten. Dies schützt jedoch nicht die nördlichsten Arten, die auf das schwindende Meereis angewiesen sind. In der südlichen Hemisphäre schränken die schmaler werdenden Landmassen die Anpassungsfähigkeit der Arten weiter ein. Auch Regionen mit geringem Durchschnittsrisiko wie Asien oder die Arktis haben gefährdete Arten, was zeigt, dass niedrigere Durchschnittswerte keine Entwarnung bedeuten.
Nicht alle Arten und Ökosysteme sind gleich stark betroffen
Urbans Studie zeigt, dass die Bedrohung von Arten durch den Klimawandel von ihrer taxonomischen Zugehörigkeit und ihrem Lebensraum abhängt. Innerhalb jeder Gruppe können jedoch auch einzelne Arten besonders gefährdet sein.
Amphibien haben mit zehn Prozent ein überdurchschnittlich hohes Aussterberisiko. Ihre Abhängigkeit von spezifischen Lebensräumen, wie Süßwasser, macht sie besonders anfällig. Zudem sind sie durch Wetterextreme und Krankheiten wie die Chytridpilzinfektion stark bedroht, die durch den Klimawandel weiter begünstigt wird.
Vögel sind mit 5,5 Prozent insgesamt weniger gefährdet, da ihre Mobilität ihnen oft ermöglicht, neue Lebensräume zu erschließen. Dennoch gibt es auch unter ihnen hochbedrohte Arten, vor allem auf Inseln, wo begrenzte Flächen und invasive Arten die Anpassung erschweren. Pauschale Aussagen sollten daher vermieden werden, da die Risiken je nach Art stark variieren.
Der Fahrstuhl ins Aussterben
Die meisten dieser Aussterben betrafen Arten in Insel-, Gebirgs- und Süßwasserökosystemen – Gebiete, die bereits als besonders gefährdet gelten. Allerdings spielte der Klimawandel meist eine unterstützende, nicht alleinige Rolle; traditionelle Bedrohungen wie Lebensraumverlust und invasive Arten waren oft ebenfalls ausschlaggebend.
In Gebirgen, wo das Aussterberisiko bei 14,8 Prozent liegt, stoßen Arten schnell an geografische Grenzen. Mit steigenden Temperaturen weichen viele Arten in höhere Lagen aus, bis sie schließlich den Gipfel erreichen – bis ihnen der Platz ausgeht. Dieses Phänomen bezeichnen Wissenschaftler als „Fahrstuhl ins Aussterben“.
Inselarten sind mit einem Risiko von zwölf Prozent ebenfalls stark betroffen. Ihre kleinen Populationen und die begrenzten Flächen machen sie besonders anfällig. Dazu kommen invasive Arten, die den ohnehin knappen Lebensraum weiter beeinträchtigen, und Herausforderungen wie der steigende Meeresspiegel, die durch den Klimawandel verschärft werden.
Auch Süßwasser-Ökosysteme sind stark gefährdet, mit einem Aussterberisiko von 10,5 Prozent. Die dort lebenden Arten leiden unter Verschmutzung, Wasserentnahme, invasiven Arten und ihrer begrenzten Mobilität. Diese Kombination macht sie besonders anfällig für die rapide Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt.
Klimaschutz als Schlüssel zum Erhalt der Artenvielfalt
Urbans Studie zeigt deutlich, dass der Klimawandel das Risiko des Artensterbens erheblich steigert. Viele unbekannte oder seltene Arten wurden dabei jedoch nicht berücksichtigt, was darauf hinweist, dass die tatsächlichen Risiken vermutlich noch höher liegen.
Die Ergebnisse unterstreichen dennoch die Dringlichkeit politischer Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung. Während bei einer Erwärmung von 5,4 Grad Celsius fast 30 Prozent der Arten aussterben könnten, würde eine Reduktion auf 4,5 Grad Celsius dieses Risiko auf fünf Prozent senken. Noch besser wäre das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels, das das Risiko auf unter zwei Prozent begrenzen könnte.
Urban macht klar, dass selbst der Verlust von fünf Prozent der Arten katastrophale Folgen für Ökosysteme und die Menschen hätte, die von ihnen abhängig sind. Besonders gefährdet sind Amphibien sowie Arten in Süßwasser-, Insel- und Gebirgsregionen, vor allem in Südamerika, Australien und Neuseeland.
Die Studie liefert eine solide Grundlage, um Klimaschutzmaßnahmen zu priorisieren und gezielte Strategien zum Schutz bedrohter Arten und Regionen zu entwickeln. Entscheidend ist, den Klimawandel einzudämmen, um langfristige Schäden an der Biodiversität zu vermeiden. Der Bericht ruft dazu auf, den Verlust von Arten zu stoppen – nicht nur im Interesse der Natur, sondern auch für künftige Generationen, die von einer vielfältigen Umwelt profitieren sollen.
Quelle
- Mark C. Urban, Climate change extinctions. Science 386,1123-1128 (2024). DOI: 10.1126/science.adp4461
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