Vom Aussterben bedrohte Süßwasserarten: Mekong-Riesenwels
Der Mekong-Riesenwels (Pangasianodon gigas) kämpft ums Überleben: Überfischung, zerstörte Laichgründe und blockierte Wanderrouten durch Dammbauten haben den Bestand dieser Spezies um mehr als 80 % reduziert. Weniger als 2.500 Tiere verbleiben in freier Wildbahn, weshalb der Süßwasserfisch als "vom Aussterben bedroht" gilt. Tambe, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

IUCN: Fast ein Viertel aller Süßwassertiere vom Aussterben bedroht

Süßwasserökosysteme zählen zu den artenreichsten und ökologisch bedeutendsten Lebensräumen der Erde. Sie sind unverzichtbar für unsere Lebensgrundlagen und die wirtschaftliche Entwicklung, stehen jedoch weltweit unter massivem Druck. Eine kürzlich im Fachjournal Nature veröffentlichte Studie unter der Leitung der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) zeigt erstmals in globalem Maßstab das Ausmaß der Bedrohung von Süßwasserarten: 24 Prozent der untersuchten Arten – darunter Fische, Krustentiere und Libellen – gelten als vom Aussterben bedroht. Insgesamt wurden knapp 23.500 Süßwasserarten analysiert, die in der Roten Liste der IUCN erfasst sind. Diese Ergebnisse ergänzen die kürzlich erschienenen Erkenntnisse über marine Arten wie Haie, Rochen und Seekatzen, von denen ein Drittel als gefährdet eingestuft wurde.

Caridina loehae
Die orangefarbene Matanogarnele (Caridina loehae) aus Sulawesi ist durch Verschmutzung, Bergbau und eingeschleppte Fische vom Aussterben bedroht.
Planetinverts, via Wikimedia Commons)

Besonders stark betroffen sind Zehnfußkrebse, zu denen Krabben, Krebse und Garnelen gehören – hier gelten 30 Prozent der Arten als gefährdet. Bei Süßwasserfischen liegt der Anteil bedrohter Arten bei 26 Prozent, während es bei Libellen und ihren Verwandten (Odonaten) 16 Prozent sind. Die Hauptbedrohungen umfassen Umweltverschmutzung (54 %), den Bau von Staudämmen und die Wasserentnahme (39 %), intensive landwirtschaftliche Nutzung (37 %) sowie Krankheiten und invasive Arten (28 %). Seit 1970 sind über ein Drittel der Süßwasserlebensräume – darunter Flüsse, Seen, Sümpfe und Moore – weltweit verloren gegangen.

Die Studie verdeutlicht, dass bisherige Naturschutzansätze oft nicht ausreichen, um die spezifischen Bedürfnisse von Süßwasserarten zu adressieren. Sie unterstreicht die Dringlichkeit gezielter Schutzmaßnahmen für aquatische Lebensräume, um den fortschreitenden Verlust der Biodiversität in diesen sensiblen Ökosystemen zu stoppen.

Fallbeispiele: Besonders bedrohte Süßwasserlebensräume

Die Studie identifiziert Regionen, in denen Süßwasserarten besonders stark bedroht sind. Zu den Hotspots zählen der Viktoriasee (Kenia, Tansania und Uganda), der Titicacasee (Bolivien und Peru), die feuchten Zonen Sri Lankas und die Westghats in Indien. In Regionen wie dem Titicacasee, dem Biobío-Gebiet in Chile und den Azoren ist der Anteil bedrohter Arten im Verhältnis zur Gesamtartenvielfalt besonders hoch.

Der Viktoriasee in Afrika

Der Viktoriasee, Afrikas größter Süßwassersee, ist ein drastisches Beispiel für die Auswirkungen menschlicher Eingriffe auf ein Ökosystem. Einst ein Biodiversitäts-Hotspot mit über 500 endemischen Buntbarscharten (Furu), hat der See durch invasive Arten, Umweltverschmutzung und Überfischung einen Großteil seiner ökologischen Vielfalt eingebüßt. Insbesondere der Nilbarsch (Lates niloticus), der in den 1950er-Jahren von britischen Kolonialbeamten eingeführt wurde, hat das Ökosystem stark verändert. Als gefräßiger Raubfisch soll er innerhalb weniger Jahrzehnte bis zu 400 Fischarten verdrängt oder ausgelöscht haben. Dazu gehört auch die 2008 beschriebene Buntbarschart Haplochromis vonlinnei, die inzwischen vermutlich ausgestorben ist.

Bedrohung von Süßwasserarten im Viktoriasee
Verschmutzung am Viktoriasee: Abfälle und Schadstoffe aus umliegenden Siedlungen und Industrien gefährden eines der artenreichsten Süßwasserökosysteme der Welt.
MDK-MUSO, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Neben dem Nilbarsch spielt die Eutrophierung eine zentrale Rolle bei der Verschlechterung der Lebensbedingungen. Der Eintrag von Nährstoffen aus der Landwirtschaft, Entwaldung und saurem Regen hat zu massiven Algenblüten geführt, die weite Bereiche des Sees sauerstofffrei gemacht haben. Die invasive Wasserhyazinthe (Pontederia crassipes) verschärft die Situation zusätzlich, indem sie große Flächen des Sees überwuchert und den Zugang zu Licht und Sauerstoff blockiert.

Auch die zunehmende Besiedlung entlang der Ufer des Viktoriasees trägt erheblich zur Verschmutzung bei. Haushalts- und Industrieabfälle verschlechtern die Wasserqualität weiter und setzen die verbleibenden Arten unter zusätzlichen Stress. Diese Faktoren führten dazu, dass der Viktoriasee 2005 vom Global Nature Fund zum „Bedrohten See des Jahres“ erklärt wurde.

Der Titicacasee in Südamerika

Der Titicacasee in den Anden, der größte Süßwassersee Südamerikas, ist ein Hotspot der Artenviefalt und beherbergt zahlreiche endemische Arten, darunter die Andenkärpflinge (Orestias). Von den etwa 45 bekannten Arten leben 23 ausschließlich in diesem See. Eine von ihnen, der Raubkärpfling (Orestias cuvieri), gilt heute als ausgestorben. Sein Verschwinden wird vor allem auf die Einführung invasiver Arten wie der Amerikanischen Seeforelle (Salvelinus namaycush) zurückgeführt. Diese invasive Art, die in den 1940er-Jahren zur Förderung der Fischerei eingebracht wurde, verdrängte einheimische Fische durch Nahrungskonkurrenz, Bejagung und die Einschleppung von Krankheiten, gegen die die endemischen Arten keine Abwehrmechanismen hatten.

Zusätzlich belasten Verschmutzung und der Klimawandel das empfindliche Ökosystem des Titicacasees. Abwässer aus der Stadt Puno, giftige Schwermetalle aus illegalem Bergbau und Chemikalien aus der Landwirtschaft verschlechtern die Wasserqualität zunehmend. Der Klimawandel führt zu einem sinkenden Wasserstand, da die Regenzeit kürzer wird und die Gletscher der umliegenden Anden, die den See speisen, stark abschmelzen. Übermäßiger Nährstoffeintrag hat zudem in Teilen des Sees zu Eutrophierung und Sauerstoffmangel geführt, was das Überleben vieler Arten zusätzlich gefährdet.

Westliches Indien und Sri Lanka

Die Westghats in Indien und die feuchten Zonen Sri Lankas sind bekannte Hotspots der Biodiversität. Diese Regionen beherbergen eine beeindruckende Vielfalt an Süßwasserarten, darunter Fische, Amphibien, Krebstiere und Insekten, von denen viele endemisch sind. Doch diese einzigartige Artenvielfalt ist durch menschliche Aktivitäten wie intensive Landwirtschaft und Abholzung stark bedroht.

In den Westghats, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, führen die Ausdehnung von Plantagen für Tee, Kaffee, Kardamom und Pfeffer sowie der Anbau von Reis und Zuckerrohr zu einem enormen Verlust an Lebensräumen. Bewässerungsmaßnahmen für diese Kulturen entziehen Flüssen und Feuchtgebieten lebenswichtige Wasserressourcen und gefährden damit zahlreiche Arten, die auf diese Ökosysteme angewiesen sind. Gleichzeitig belasten Pestizide und Düngemittel die Wasserqualität und schädigen die empfindliche aquatische Fauna.

Auch Sri Lankas feuchte Zonen, darunter Regenwälder und Feuchtgebiete, sind durch Abholzung und die Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftliche Flächen stark gefährdet. Holzgewinnung, Siedlungsausbau und landwirtschaftliche Expansion haben weite Teile der ursprünglichen Lebensräume zerstört. Dies beeinträchtigt insbesondere endemische Fisch- und Amphibienarten. Darüber hinaus führt der Verlust der umliegenden Vegetation zu erhöhter Sedimentation in Flüssen und Seen, was die Wasserqualität verschlechtert und die aquatischen Lebensräume weiter schrumpfen lässt.

Vom Aussterben bedrohte Süßwasserart: die Libelle Megalagrion oceanicum
Die Libellenart Megalagrion oceanicum ist endemisch auf Oʻahu, Hawaii, und bewohnt Flüsse in den Waiʻanae- und Koʻolau-Gebirgen. Sie ist durch Habitatverlust, eingeschleppte Fischarten und die Zerstörung der Wassereinzugsgebiete durch verwilderte Huftiere bedroht.
U.S. Fish & Wildlife Service – Pacific Region’s, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)

Warum Süßwasserökosysteme wichtig sind

Süßwasserlebensräume bedecken zwar nur etwa ein Prozent der Erdoberfläche, beherbergen jedoch über zehn Prozent der bekannten Artenvielfalt und sind für die Biodiversität und das menschliche Leben von unschätzbarem Wert. Ihre Bedeutung reicht weit über den Erhalt der Artenvielfalt hinaus, da sie eine Vielzahl essenzieller Ökosystemleistungen bereitstellen.

Feuchtgebiete wie Moore spielen eine zentrale Rolle bei der Kohlenstoffspeicherung und tragen entscheidend zur Regulierung des Klimas bei. Flüsse, Seen und andere Süßwasserressourcen sichern durch die Fischerei die Ernährung von Millionen Menschen, während Pflanzen wie Schilfrohr als Baumaterial und andere Rohstoffe genutzt werden. Darüber hinaus prägen Süßwasserökosysteme kulturelle Traditionen, Rituale und die ästhetische Wahrnehmung vieler Gesellschaften.

Der wirtschaftliche Wert dieser Leistungen wird auf etwa 50 Billionen US-Dollar jährlich geschätzt, was die große Bedeutung gesunder Süßwasserressourcen für das Wohlergehen der Menschheit und die globale Wirtschaft verdeutlicht. Der Schutz dieser Lebensräume ist daher nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein wirtschaftliches und soziales Anliegen.

Süßwassertiere: Zahlen & Daten der IUCN

Riesenbarbe: vom Aussterben bedrohtes Süßwassertier
Die Riesenbarbe (Catlocarpio siamensis), die mehr als zwei Meter lang und über 200 Kilogramm schwer werden kann, ist der größte Karpfenfisch der Welt. Sie ist durch Überfischung und den Verlust von Lebensräumen in den Flusssystemen Südostasiens stark bedroht.
User:Lerdsuwa, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Die neue Studie zeigt, dass seit dem Jahr 1500 insgesamt 89 Süßwasserarten (0,4 % der bewerteten Arten) als ausgestorben gelten, darunter 82 Fische, sechs Zehnfußkrebse und eine Libelle. Der Großteil dieser Arten stammt aus den USA (22 Arten), Mexiko (15 Arten) und den Philippinen (15 Arten, alle endemisch im Lanao-See). Zusätzlich gelten elf weitere Arten, allesamt Fische, als in der Wildnis ausgestorben und existieren nur noch in menschlicher Obhut – acht davon stammen aus Mexiko. Die tatsächliche Zahl der ausgestorbenen Arten dürfte jedoch höher liegen, da Langzeitstudien und umfassende Forschungen zur Süßwasserbiodiversität oft fehlen. Außerdem sind viele ausgestorbene, unbeschriebene Arten nicht in der Roten Liste der IUCN erfasst.

Von den als „kritisch gefährdet“ eingestuften Arten (949) gelten 20 Prozent als möglicherweise bereits ausgestorben. Dies betrifft 149 Fische, 19 Zehnfußkrebse und 19 Libellen. Die größte Konzentration solcher Arten findet sich im Gebiet des Viktoriasees in Ostafrika, wo 46 Arten betroffen sind.

Zusätzlich sind rund 23 Prozent der Süßwasserarten als „datenarm“ klassifiziert, da für eine vollständige Bewertung ihres Gefährdungsstatus ausreichende Informationen fehlen. Dieser Mangel an Daten verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, Forschung und Monitoring auszubauen. Nur durch umfassendere Erkenntnisse können der Zustand der Süßwasserbiodiversität besser verstanden und gezielte Schutzmaßnahmen entwickelt werden, um den fortschreitenden Verlust der Artenvielfalt aufzuhalten.

Perspektiven für den Schutz der Süßwasserbiodiversität

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die Dringlichkeit, den weltweiten Schutz der Süßwasserbiodiversität voranzutreiben. Die Forscher betonen, dass systemische Ansätze notwendig sind, um zentrale Bedrohungen wie Umweltverschmutzung, Staudämme, Wasserentnahme und invasive Arten gezielt zu bekämpfen. Sie empfehlen ein integriertes Wassermanagement, das sowohl die ökologischen Anforderungen als auch die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt. Naturbasierte Lösungen, die die biologische Vielfalt fördern und gleichzeitig das menschliche Wohl stärken, werden dabei als entscheidend angesehen.

Zudem fordern die Autoren verstärkte Investitionen in Forschung und Monitoring. Technologien wie Umwelt-DNA (eDNA) und Citizen-Science-Initiativen können dazu beitragen, Wissenslücken zu schließen, insbesondere bei datenarmen Arten. Die durch die Studie erweiterte IUCN-Datenbank zur Süßwasserbiodiversität bietet eine solide Grundlage, um Schutzmaßnahmen effektiver zu planen, Lücken in bestehenden Ansätzen zu identifizieren und Fortschritte messbar zu machen.

Ein zentraler Appell der Forscher ist die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit auf lokaler, nationaler und globaler Ebene. Sie schlagen vor, den Schutz der Süßwasserbiodiversität stärker in globale Initiativen wie die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und nationale Biodiversitätsstrategien zu integrieren. Nur durch ein koordiniertes Vorgehen und gezielte Maßnahmen kann der Verlust dieser einzigartigen Lebensräume gestoppt und eine nachhaltige Zukunft für die Süßwasserökosysteme sowie die Menschen, die von ihnen abhängig sind, gesichert werden.

Quelle

  • Sayer, C.A., Fernando, E., Jimenez, R.R. et al. One-quarter of freshwater fauna threatened with extinction. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-024-08375-z
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