76 Prozent weniger fliegende Insekten in weniger als drei Jahrzehnten – dieses besorgniserregende Ergebnis lieferte die Krefelder Studie bereits 2017. Doch über die Ursachen des Insektensterbens wird bis heute gestritten. Eine Studie der Universität Würzburg von 2023 machte vor allem das Wetter verantwortlich und stellte extreme Witterungslagen als Haupttreiber dar. Die Landwirtschaft geriet dadurch aus der Schusslinie – was in manchen Fachmedien als Entlastung gefeiert wurde.
Nun widerspricht ein internationales Forschungsteam dieser Interpretation deutlich. In einer aktuellen Studie, veröffentlicht im Fachjournal Nature, zeigen die Wissenschaftler, Wetterbedingungen erklären lediglich kurzfristige Schwankungen – nicht aber den langfristigen Rückgang der Insekten. Hauptursache bleibt die vom Menschen verursachte Zerstörung und Verschlechterung der Lebensräume.
Wetter erklärt nur einen Bruchteil des Insektenschwunds
Die Fachleute der neuen Nature-Untersuchung bewerten die Würzburger Studie als wissenschaftlich nicht haltbar. Sie kritisieren vor allem die Methodik und Standortauswahl: Die Proben wurden überwiegend in künstlich angelegten Waldrändern entnommen – Lebensräume, die von Natur aus artenreicher sind als offene Landschaften. Diese Vorgehensweise verfälscht die Ergebnisse und lässt keine Rückschlüsse auf die generelle Entwicklung der Insektenpopulationen zu.
Die Analyse zeigt, dass die Würzburger Studie Wetter und Lebensraumqualität nicht klar voneinander trennte. Witterungseinflüsse erklären demnach lediglich 20 Prozent der beobachteten Schwankungen – nicht 75 Prozent, wie dort behauptet.
Ein weiterer Kritikpunkt: Während die Krefelder Studie über 27 Jahre hinweg mit identischen Fallen an 96 festen Standorten arbeitete, nutzte die Würzburger Studie wechselnde Methoden und Standorte. Auch das trägt dazu bei, dass ihre Ergebnisse nicht vergleichbar sind und die Schlussfolgerungen als nicht haltbar gelten.
Insektensterben ist menschengemacht

(© Jeff Vanuga / Photo courtesy of USDA Natural Resources Conservation Service)
Das Insektensterben ist kein regionales Phänomen, sondern ein weltweites Problem. Verschiedene Studien belegen einen massiven Rückgang sowohl der Insektenbiomasse als auch der Artenvielfalt. So zeigen aktuelle Untersuchungen, dass Tagfalterpopulationen in den USA um 22 Prozent zurückgegangen sind. Auch in Mitteleuropa verschwinden immer mehr Schmetterlingsarten.
Bereits die Krefelder Studie von 2017 hatte das Ausmaß des Rückgangs deutlich gemacht: Innerhalb von 28 Jahren sank die Insektenbiomasse in deutschen Schutzgebieten um 76 Prozent. Auch drei unabhängige Datensätze aus Deutschland bestätigen diesen Trend: Die Insektenbiomasse erholt sich nicht – im Gegenteil, teils geht sie weiter zurück. Besonders betroffen sind ausgerechnet Naturschutzgebiete.
Der langfristige Abwärtstrend ist nicht die Folge einzelner extremer Wetterjahre. Zwar führen Witterung und Klima kurzfristig zu Schwankungen, der anhaltende Rückgang der Insekten wird jedoch klar von menschengemachten Faktoren bestimmt. Zitat der Studie: „Wetter erklärt jährliche Schwankungen, aber nicht den langfristigen Rückgang.“
Hauptursache ist die Zerstörung und Verschlechterung der Lebensräume – allen voran durch die intensive Landwirtschaft mit hohem Pestizid- und Düngemitteleinsatz, Monokulturen und die Zerschneidung der Landschaft. Hinzu kommen Stickstoffeinträge, Lichtverschmutzung, invasive Arten und eingeschleppte Krankheiten. Der Klimawandel verschärft die Situation zusätzlich, ist aber nicht die treibende Kraft.
Selbst Schutzgebiete bieten keinen sicheren Rückzugsraum mehr. Oft sind sie von intensiv genutzten Agrarflächen umgeben – mit dem Effekt, dass auch dort die Insektenbestände weiter zurückgehen.
Der Insektenschwund bedroht nicht nur einzelne Arten, sondern ganze Ökosysteme. Für den Menschen hat das weitreichende Folgen: Insekten sind unverzichtbare Bestäuber, sichern Ernten und sind eine zentrale Nahrungsquelle für viele Tiere. Die Forschenden betonen: Es ist die Summe all dieser Belastungen, die Bienen, Käfer, Schmetterlinge und Heuschrecken immer stärker unter Druck setzt – und nicht das Wetter allein.
Forschung ist wichtig, aber Handeln noch wichtiger
Forschung bleibt wichtig, um Ursachen besser zu verstehen. Doch ohne ein grundlegendes Umdenken in Landwirtschaft und Flächennutzung wird sich der Insektenschwund nicht stoppen lassen. Gefragt sind jetzt vor allem entschlossenes politisches Handeln und konkrete Veränderungen.

(© Jörg Fuhrmann (Intermerker), CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
Die Nature-Studie zieht ein klares Fazit: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Rückgang der Insektenbiomasse in Deutschland vor allem auf die Zerstörung von Lebensräumen zurückzuführen ist – nicht auf das Wetter.“ Die Forschenden fordern daher, den Blick weg von kurzfristigen Klimaeffekten hin zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensräume und einer Reform der Landwirtschaft zu richten.
Wetterextreme als Hauptursache zu benennen, mag kurzfristig entlastend wirken – ändert aber nichts an der Verantwortung. Denn der Rückgang der Insekten gefährdet nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Landwirtschaft und unsere Ernährungssicherheit. Viele Pflanzen sind auf Bestäubung angewiesen.
Die Kritik an der Würzburger Studie macht deutlich: Ohne eine konsequente Neuausrichtung der Landwirtschaft werden Schutzbemühungen ins Leere laufen. Gleichzeitig bleibt es wichtig, die komplexen Zusammenhänge zwischen Insektensterben, Klima und Landnutzung weiter zu erforschen.
Was jede*r tun kann
Bereits einfache Maßnahmen zeigen Wirkung: Wer heimische Blühpflanzen, Wildblumen und Kräuter anbaut, sorgt für wichtige Nahrungsquellen und Rückzugsorte. Statt akkurater Rasenflächen bieten naturnahe Ecken mit Wildwuchs wertvollen Lebensraum. Auf chemische Pestizide und Dünger sollte konsequent verzichtet werden – sie schaden nicht nur Schädlingen, sondern auch vielen Nützlingen.
Auch Nisthilfen, Trockenmauern und Totholzbereiche fördern die Artenvielfalt und helfen, Insekten das Überleben zu sichern. Selbst ein kleiner Balkon oder ein Blumentopf kann so zum Lebensraum werden.
Doch Insektenschutz endet nicht im eigenen Garten: Politisches Engagement ist ebenso wichtig. Wer sich für eine nachhaltige Landwirtschaft, den Erhalt von artenreichen Lebensräumen und strengere Regeln beim Einsatz von Pestiziden einsetzt, stärkt den Schutz der Insekten langfristig. Denn ohne gesellschaftlichen und politischen Druck werden sich die Rahmenbedingungen für Insekten nicht grundlegend ändern.
Quellen
- Hallmann, C. A., Jongejans, E., Hörren, T., Siepel, H., Hofland, N., Schwan, H., & de Kroon, H. (2025). Weather anomalies cannot explain insect decline. Nature, 639, E7–E11. https://doi.org/10.1038/s41586-024-08528-0
- Müller, J., Hothorn, T., Yuan, Y., Raithel, C., Roschanski, A. M., Grez, A. A., … & Steffan-Dewenter, I. (2024). Weather explains the decline and rise of insect biomass over 34 years. Nature, 628, 349–354. https://doi.org/10.1038/s41586-023-06402-z
- Hallmann, C. A., Sorg, M., Jongejans, E., Siepel, H., Hofland, N., Schwan, H., & de Kroon, H. (2017). More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLOS ONE, 12(10), e0185809. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809
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