In Augusta County, Virginia, USA, wurde eine interessante Entdeckung gemacht: Appalachia hebardi, eine zur Familie der Feldheuschrecken (Acrididae) gehörende Art, die über Jahrzehnte als ausgestorben galt, konnte erneut nachgewiesen werden. Die letzte bestätigte Sichtung dieser seltenen Spezies reicht – je nach Quelle – entweder bis in die 1960er-Jahre oder bis zum Jahr 1983 zurück.
Warum galt Appalachia hebardi als ausgestorben?
Der drastische Rückgang der Populationen von A. hebardi ist eng mit dem großflächigen Einsatz von Insektiziden, insbesondere Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT), im 20. Jahrhundert verbunden. DDT wurde bis in die 1970er-Jahre in weiten Teilen der Vereinigten Staaten zur Bekämpfung invasiver Schwammspinner-Raupen (Lymantria dispar) eingesetzt. Der Schwammspinner, ein aus Europa und Asien stammendes Insekt, wurde in den späten 1860er-Jahren in der Nähe von Boston nach Nordamerika eingeschleppt und hat sich seither ausgebreitet. Besonders während Massenvermehrungen entlauben seine Raupen ganze Wälder und bevorzugen Laubbäume wie Eichen, Birken, Pappeln und Ahorn.

(© thingsnotobservedbygray, CC BY-NC, via iNaturalist)
Der massive Einsatz von DDT zur Bekämpfung des Schwammspinners führte nachweislich zu schwerwiegenden ökologischen Schäden. Es ist anzunehmen, dass auch die Populationen von A. hebardi durch die bioziden Effekte des Pestizids erheblich dezimiert wurden. Neben den direkten toxischen Auswirkungen trugen auch der Verlust geeigneter Lebensräume durch forstwirtschaftliche Maßnahmen und die zunehmende Fragmentierung der Landschaft zum Rückgang der Art bei.
Hinzu kommt, dass A. hebardi eine univoltine Art ist, sich also nur einmal pro Jahr fortpflanzt. Eine Studie aus dem Jahr 1987 wies darauf hin, dass diese Fortpflanzungsweise die Erholung der Population stark verlangsamt. Da A. hebardi zudem nur eine geringe Anzahl an Eiern legt, kann sie sich nur langsam regenerieren – ein Faktor, der ihre Verwundbarkeit gegenüber Umweltveränderungen und Pestizideinflüssen weiter erhöht. All diese Umstände könnten erklären, warum die Art über Jahrzehnte als verschollen galt.
Wiederentdeckung durch Citizen Science
Aufgrund mangelnder systematischer Untersuchungen nach den 1970er-Jahren galt A. hebardi lange als ausgestorben – bis zum Jahr 2021. Die Wiederentdeckung begann nicht mit gezielten Feldstudien, sondern mit einer zufälligen Beobachtung durch einen Hobbynaturforscher. Die Art wurde erstmals auf der Plattform iNaturalist dokumentiert – einer weltweit genutzten Datenbank für Biodiversitätsbeobachtungen. Diese und weitere Funde in Pennsylvania und West Virginia weckten das Interesse von Entomologen, darunter der Biologe Andrew Rapp, der daraufhin gezielt nach der Art suchte.

(© Ted Weber, CC BY-NC, via iNaturalist)
Im darauffolgenden Jahr intensivierte Rapp seine Nachforschungen und konnte im September 2022 in Augusta County, Virginia, schließlich ein Exemplar von A. hebardi nachweisen. Die Entdeckung erfolgte durch gezielte Habitatuntersuchungen, insbesondere in Heidelbeersträuchern und auf Schotterhaufen, die als potenzielle Mikrohabitate identifiziert wurden. Gegenüber WVTF Public Radio beschrieb Rapp den Moment der Wiederentdeckung mit den Worten: „Ich sah ihr direkt in die Augen und dachte: ‚Oh! Ich glaube, das ist sie!'“
Lebensraum, Fortpflanzung und Gründe für die lange Abwesenheit
Appalachia hebardi ist eine bodenbewohnende, flugunfähige Art, die in frühen Sukzessionsstadien bewaldeter Habitate mit dichter Strauch- und Grasvegetation lebt. Sie bevorzugt Höhenlagen zwischen 550 und 1.220 Metern und ist für ihr ausgeprägtes Fluchtverhalten bekannt – bei Störungen springt sie große Distanzen, um sich zu schützen.
Eine Studie aus dem Jahr 1987 legt nahe, dass die lange Abwesenheit von A. hebardi teilweise auf ihre langsame Fortpflanzung zurückzuführen ist. Die Art durchläuft fünf Larvenstadien, bevor sie ihre adulte Form erreicht. Weibchen legen durchschnittlich zwei Gelege pro Saison mit jeweils bis zu 14 Eiern, sodass eine einzelne Heuschrecke in ihrem Leben maximal etwa 42 Eier produziert. Im Vergleich zu anderen Feldheuschrecken ist dies eine relativ niedrige Fortpflanzungsrate. In Kombination mit Lebensraumverlust und dem Einsatz von Insektiziden könnte dies dazu beigetragen haben, dass die Art über Jahrzehnte als verschollen galt.
Ein weiterer Faktor ist ihre begrenzte saisonale Aktivität. Laut historischen Daten aus der Erstbeschreibung von 1936 tritt A. hebardi frühestens in der ersten Juliwoche auf und bleibt bis Anfang September aktiv. Neuere Beobachtungen zeigen jedoch, dass sie bis Mitte Oktober vorkommt. Dabei fiel auf, dass einige Weibchen bereits im September mit der Eiablage begannen, während andere zu diesem Zeitpunkt noch keine entwickelten Eier hatten. Dies wirft die Frage auf, ob die Art an kühlere Temperaturen und alternde Vegetation angepasst ist oder ob bestimmte Weibchen aufgrund einer verkürzten Wachstumsperiode gar nicht erst zur Fortpflanzung kommen.
Folgen für den Artenschutz
Die Wiederentdeckung von Appalachia hebardi verdeutlicht, wie wenig über die langfristige Beständigkeit vieler Insektenpopulationen bekannt ist. Trotz jahrzehntelanger Unsichtbarkeit hat die Art überlebt – ein starkes Argument dafür, wie wichtig der Schutz natürlicher Lebensräume ist. Die erhöhte Aufmerksamkeit für diese seltene Heuschrecke könnte dazu beitragen, die verbliebenen Populationen gezielt zu erfassen und langfristig zu sichern.
Gleichzeitig zeigt dieser Fund, wie essenziell es ist, unzureichend erforschte Spezies systematisch zu überwachen, um effektive Schutzmaßnahmen zu entwickeln. Ein weiteres Beispiel für eine Wiederentdeckung ist die einer Zikadenart, die 2024 nach 100 Jahren dank Citizen Science wiedergefunden wurde.
Quellen
- Bellinger, R. G., Pienkowski, R. L. (1987). Life history observations on the grasshopper Appalachia hebardi Rehn and Rehn (Orthoptera: Acrididae: Melanoplinae)Appalachia hebardiLife history observations on the grasshopper Appalachia hebardi Rehn and Rehn (Orthoptera: Acrididae: Melanoplinae). Proceedings of the Entomological Society of Washington 89(1): 43-46.
- Rehn, J. A. G., Rehn, J. W. H. (1936). On new or redefined genera of nearctic Melanopli (Orthoptera: Acrididae, Cyrtacanthacridinae). Trans. Am. Entomol. Soc. 62(1): 1-56.
- WVTF Public Radio. (2025). Appalachian grasshopper, thought to be extinct, rediscovered in Augusta County.
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