Ohne sie würden viele Pflanzen nicht dort wachsen, wo wir sie heute finden: Fruchtfressende Vögel spielen eine zentrale Rolle für die Regeneration und Dynamik natürlicher Ökosysteme – nicht nur in tropischen Regenwäldern, sondern auch in Savannen, Bergwäldern, auf Inseln und selbst in mitteleuropäischen Landschaften. Sie verschlucken Früchte mitsamt Samen und transportieren sie über weite Strecken – etwa zu Lichtungen, Berghängen, Flussufern oder Sekundärwäldern. Dort ausgeschieden, tragen die Samen zur Ausbreitung von Bäumen, Sträuchern und krautigen Pflanzen bei. Doch was passiert, wenn diese tierischen Samenverbreiter verschwinden?
Eine aktuelle Studie geht dieser Frage am Beispiel der südamerikanischen Anden nach und zeigt, welche Folgen das Verschwinden großer fruchtfressender Vögel für die Pflanzenwelt haben kann. In den Bergwäldern dieser Region übernehmen Arten wie Tukane, Guane, Tauben und der Andenfelsenhahn eine Schlüsselrolle in der Samenverbreitung – insbesondere bei Bäumen mit großen Früchten, die kleinere Vögel gar nicht bewältigen können. Doch genau diese Arten sind durch Lebensraumverlust, Jagd, invasive Arten und den Klimawandel zunehmend bedroht. Was bedeutet ihr Rückgang für die ökologische Zukunft der Andenwälder? Und können andere Arten ihre Funktion im Ökosystem übernehmen?
Große Vögel unter Druck

(© Bill Bouton from San Luis Obispo, CA, USA, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons)
Viele fruchtfressende Vögel, die für die Samenverbreitung eine Schlüsselrolle spielen, sind heute bedroht. Besonders stark betroffen sind die Arten in den tropischen Bergwäldern der Anden. Dort schrumpfen ihre Lebensräume zunehmend durch Abholzung, Landwirtschaft, Viehzucht, Siedlungsbau und Rohstoffabbau. Hinzu kommen neue Gefahren wie Kollisionen mit Stromleitungen, Gebäuden und Windkraftanlagen – und nicht zuletzt der Klimawandel, der Höhenlagen und Mikroklimata verändert.
Vor allem größere frugivore Arten geraten dadurch unter Druck: darunter Tukane (Ramphastidae), Guane wie der Andenguan (Penelope montagnii) und der Ortonguan (Penelope ortoni) sowie der Andenfelsenhahn (Rupicola peruvianus) mit seinem auffälligen Federkamm.
Diese Vögel sind auf Bäume mit großen, energiereichen Früchten angewiesen und zugleich auf weitläufige, zusammenhängende Wälder. Umgekehrt sind auch viele dieser Pflanzen auf die Vögel angewiesen: Große Vögel verschlucken die Früchte mitsamt Samen und tragen sie oft über mehrere Kilometer hinweg, bevor sie die unverdauten Samen in geeigneten Habitaten wieder ausscheiden. Auf diese Weise fördern sie nicht nur die lokale Verjüngung von Wäldern, sondern auch die Besiedlung neuer Standorte – ein Prozess, der für genetische Vielfalt, Populationsdynamik und die Widerstandskraft der Wälder gegenüber Umweltveränderungen von zentraler Bedeutung ist.
Was passiert, wenn Fruchtfresser verschwinden?

(© Chrissy McClarren and Andy Reago, CC0, via Wikimedia Commons)
Das haben die Ökologen Binod Borah und Noelle Beckman von der Utah State University untersucht. In ihrer im Fachjournal OIKOS veröffentlichten Studie analysierten sie, wie sich der Verlust großer fruchtfressender Vögel auf die Samenverbreitung in den Anden auswirkt und ob andere Arten ihre ökologische Funktion übernehmen können. Im Mittelpunkt stand dabei das Konzept des „Interaction Rewiring“ – also der Umbildung ökologischer Netzwerke durch neue oder veränderte Wechselwirkungen zwischen den verbliebenen Arten.
Die Idee: Wenn eine Schlüsselart ausfällt, könnte eine andere mit ähnlichen Merkmalen ihre Rolle übernehmen – etwa, indem sie dieselben Pflanzen frisst und deren Samen verbreitet. Ob das funktioniert, hängt jedoch stark von biologischen Voraussetzungen ab.
Für ihre Analyse betrachteten die Forschenden acht Vogel-Pflanzen-Netzwerke in der Andenregion. Sie simulierten den Verlust großer Vögel und prüften, ob andere Arten die entstandenen Lücken schließen könnten – basierend auf drei Kriterien:
- Bisher beobachtete Interaktionen (Kann ein Vogel die Pflanze überhaupt nutzen? Hat der Vogel diese Pflanze bereits gefressen?)
- Merkmalsübereinstimmung (zum Beispiel Schnabelgröße vs. Fruchtgröße)
- Ähnlichkeit der Körpergröße zwischen Vögeln (relevant für Verdauungszeit und Flugreichweite)
Anschließend berechneten sie, wie sich diese potenzielle Umverteilung auf die Fähigkeit zur langstreckigen Samenverbreitung auswirken würde – getrennt nach Pflanzen mit kleinen und solchen mit großen Früchten.
Warum große Vögel unersetzlich sind
Die Studie zeigt deutlich: Wenn große fruchtfressende Vögel aus einem Ökosystem verschwinden und keine Umverteilung der ökologischen Rollen stattfindet, bricht die langstreckige Samenverbreitung massiv ein – um 20 bis 40 Prozent bei Pflanzen mit kleinen Früchten und sogar um 40 bis 80 Prozent bei Pflanzen mit großen Früchten, die auf große fruchtfressende Vögel angewiesen sind.
Kommt es hingegen zum sogenannten Interaction Rewiring, also einer Umverteilung der Pflanzen-Vogel-Interaktionen auf verbleibende Arten, kann der Rückgang immerhin abgemildert werden:
- Bei kleinfrüchtigen Pflanzen auf rund 4 %,
- bei großfrüchtigen Pflanzen auf 4 bis 10 %.
Doch auch unter diesen günstigeren Bedingungen bleibt ein funktioneller Verlust bestehen. Denn große Vögel verfügen über Eigenschaften, die sie zu besonders effizienten Samenverbreitern machen: Sie besitzen kräftige Schnäbel, mit denen sie große Früchte aufnehmen können, längere Verdauungszeiten, die eine spätere Samenabgabe ermöglichen, sowie große Flugreichweiten, mit denen sie Samen über weite Distanzen transportieren – oft weit entfernt vom Ursprungsbaum.
Kleinere Vogelarten dagegen stoßen schnell an ihre Grenzen: Sie können große Früchte oder Samen oft nicht aufnehmen oder nicht weit genug fliegen, um eine effektive Verbreitung zu gewährleisten. Zwar können sie einzelne Funktionen teilweise übernehmen, doch die Rolle großer Fruchtfresser bleibt ökologisch nur eingeschränkt ersetzbar. Der Schutz großer Vögel ist daher nicht nur eine Frage der Artenvielfalt, sondern eine Voraussetzung für die Stabilität ganzer Ökosysteme.
Fruchtfresser als Klimaschützer: Was der Atlantische Regenwald zeigt
Dass fruchtfressende Vögel mehr sind als bloße Samenverbreiter, zeigt eine 2024 in Nature Climate Change veröffentlichte Studie aus dem Atlantischen Regenwald Brasiliens. Ein Forschungsteam des Crowther Lab an der ETH Zürich konnte belegen, dass Wildvögel nicht nur für die Artenvielfalt tropischer Wälder entscheidend sind, sondern auch für deren Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern.
Das Prinzip ist einfach: Große frugivore Arten wie Riesentukane (Ramphastos toco) oder Krauskopf-Blauraben (Cyanocorax cristatellus) verbreiten die Samen von Baumarten mit besonders hohem Kohlenstoffspeicherpotenzial. In weitgehend intakten Landschaften können sie sich frei zwischen Waldfragmenten bewegen und so zur Regeneration und Vernetzung der Vegetation beitragen. In stark fragmentierten Gebieten hingegen – also dort, wo der Waldanteil unter 40 Prozent liegt oder einzelne Waldstücke mehr als 130 Meter voneinander entfernt sind – funktioniert diese natürliche Wiederherstellung nicht mehr zuverlässig.
Die Folge: Bis zu 38 Prozent weniger Kohlenstoff wird in diesen gestörten Landschaften gespeichert, allein durch die fehlende Bewegung großer Vögel. Der Erhalt fruchtfressender Wildvögel ist damit auch ein zentraler Hebel für den Klimaschutz. Besonders relevant ist dies für Regionen wie die Mata Atlântica, in denen auf Millionen Hektar eine Wiederherstellung der Wälder geplant ist.
Die Studie zeigt zudem, dass kleine Vogelarten vor allem kleinere Samen transportieren – oft von Pflanzen mit geringerem Speicherpotenzial. Große Arten hingegen besiedeln neue Flächen mit „klimastarken“ Baumarten – eine Funktion, die durch kleinere Arten kaum zu ersetzen ist. Der Schutz und die Bewegungsfreiheit fruchtfressender Vögel ist also nicht nur ökologisch, sondern auch klimatisch von zentraler Bedeutung.
Auch anderswo: Wenn Samenverbreiter verschwinden
Nicht nur in den Anden, auch andernorts zeigt sich, wie empfindlich Ökosysteme auf den Verlust spezialisierter Samenverbreiter reagieren.

(© Abu Shawka, CC0, via Wikimedia Commons)
Ein bekanntes historisches Beispiel ist der Dodo von Mauritius, der im 17. Jahrhundert ausstarb – und mit ihm möglicherweise ein wichtiger Samenverbreiter der endemischen Inselpflanzen. Besonders häufig genannt wird der Calvariabaum (Sideroxylon grandiflorum), dessen großfrüchtige Samen laut einer Theorie des US-Ökologen Stanley Temple erst nach dem Durchgang durch den Verdauungstrakt des Dodos keimfähig wurden. Temple stützte seine These in den 1970er-Jahren auf ein Experiment mit Truthähnen, bei dem die Keimrate der Calvaria-Samen nach der Passage durch den Magen deutlich anstieg.
Zwar gilt die Theorie heute als überholt, da spätere Studien den Einfluss des Verdauungstrakts relativierten, doch sie hat ein bis heute gültiges Bewusstsein geschaffen: Die enge Abhängigkeit zwischen Pflanzen mit großen Früchten und ihren tierischen Samenverbreitern. Tatsächlich sind Pflanzen wie der Calvariabaum – ebenso wie andere großfrüchtige Arten – nachweislich stärker zurückgegangen als der Durchschnitt der ohnehin bedrohten Flora von Mauritius. Vermutlich spielt neben der massiven Entwaldung auch der Verlust mehrerer Fruchtfresser eine Rolle, darunter ausgestorbene Riesenschildkröten der Gattung Cylindraspis wie die Mauritius-Sattelrücken-Riesenschildkröte.
Es müssen also nicht immer nur Vögel sein, die die Rolle frugivorer Samenverbreiter übernehmen. Auch andere Wirbeltiere wie Reptilien oder Säugetiere können entscheidend zur Pflanzenverbreitung beitragen, wenn sie entsprechende Früchte fressen und deren Samen ausbringen. So übernehmen auf Inseln häufig Riesenschildkröten diese Funktion – etwa auf den Seychellen oder Galápagos. In tropischen Regenwäldern sind zudem zahlreiche Säugetierarten an der Samenverbreitung beteiligt: Affen wie Klammeraffen und Kapuzineraffen, Flughunde mit ihren weiten Flugradien, aber auch Bären, Nagetiere und sogar Elefanten tragen Früchte über große Distanzen hinweg durch die Landschaft und scheiden deren Samen an neuen Keimplätzen wieder aus.
Die Zahntaube – ein spezialisierter Samenverbreiter

(© John Gould, Public domain, via Wikimedia Commons)
Ein lebendes Beispiel für die Bedrohung spezialisierter Fruchtfresser ist die Zahntaube (Didunculus strigirostris) aus Samoa, eine Verwandte des Dodos. Sie kommt nur noch in wenigen Restbeständen auf den Inseln Savaiʻi, Upolu und Nuʻulua vor und gilt laut IUCN als vom Aussterben bedroht.
Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig: Lebensraumverlust, invasive Arten wie Ratten, Katzen und Schweine, gelegentliche Zyklone und anhaltender Jagddruck. Dabei erfüllt die Zahntaube im Ökosystem eine wichtige Funktion: Sie ernährt sich vermutlich bevorzugt von den Früchten heimischer Baumarten wie Dysoxylum (Mahagonigewächse) und trägt dadurch zur Verbreitung großsamiger Pflanzen bei. Ihr Verschwinden gefährdet nicht nur die Vogelart selbst und das Artengefüge, sondern könnte langfristig auch die natürliche Regeneration der samoanischen Wälder behindern. Da viele Details zur Fortpflanzung und Ökologie der Zahntaube unbekannt sind, besteht dringender Forschungs- und Schutzbedarf – nicht zuletzt, um ihre Rolle als funktionellen Samenverbreiter zu erhalten.
Hoffnung auf Rückkehr: Socorrotaube und Hawaiikrähe
Es gibt jedoch auch Beispiele, die Hoffnung machen. Die Socorrotaube (Zenaida graysoni) und die Hawaiikrähe (Corvus hawaiiensis) galten lange als funktionell ausgestorben, kehren jedoch durch aufwändige Wiederansiedlungsprojekte langsam zurück. Beide Arten spielen eine wichtige Rolle in der Samenverbreitung auf Inseln, deren Ökosysteme besonders anfällig auf den Verlust einzelner Arten reagieren.
Auf der mexikanischen Insel Socorro soll die Socorrotaube künftig wieder zur natürlichen Regeneration der Vegetation beitragen, indem sie Samen endemischer Pflanzen verbreitet. Ähnliches gilt für die Hawaiikrähe, die auf der Insel Maui ausgewildert wurde. Ihre Fähigkeit, Samen über weite Distanzen zu transportieren, macht sie zu einem Schlüsselfaktor für die Wiederherstellung der einheimischen Flora.
Diese Beispiele verdeutlichen: Der Verlust spezialisierter Samenverbreiter kann weitreichende Folgen für Pflanzenvielfalt und Waldstruktur haben. Ihre Rückkehr hingegen bietet eine Chance, gestörte Ökosysteme wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Fruchtfresser schützen, Wälder erhalten
Samenverbreitung durch Vögel ist kein Nebeneffekt, sondern eine tragende Säule ökologischer Erneuerung. Geht diese Funktion verloren, geraten viele Pflanzenarten, ganze Wälder – und letztlich auch wir Menschen – aus dem Gleichgewicht. Die Forschung zeigt: Frugivore Vögel sind ökologisch kaum ersetzbar – vor allem dann, wenn es um große Arten geht, die große Früchte über weite Strecken verbreiten. Ihr Schutz ist deshalb nicht nur Artenschutz, sondern eine Voraussetzung für die Zukunft unserer Wälder.
Und auch für das Klima: Denn große Samenverbreiter wie Tukane tragen dazu bei, dass sich Baumarten mit hohem Kohlenstoffspeicherpotenzial in der Landschaft ausbreiten können. Studien belegen: In tropischen Regionen wie dem Atlantischen Regenwald Brasiliens kann das Kohlenstoffpotenzial regenerierender Wälder um bis zu 38 Prozent steigen, wenn fruchtfressende Vögel sich frei zwischen den Waldgebieten bewegen können. Fruchtfressern Schutz zu bieten, bedeutet also auch, der Natur zu helfen, mehr CO₂ aus der Atmosphäre zu binden.
Quellen
- Bello, C., Crowther, T. W., Ramos, D. L., et al. (2024). Frugivores enhance potential carbon recovery in fragmented landscapes. Nature Climate Change. https://doi.org/10.1038/s41558-024-01989-1
- Borah, B., & Beckman, N. G. (2025). Interaction rewiring can buffer the reduction of long‐distance dispersal of seeds when large birds go extinct. OIKOS. https://doi.org/10.1111/oik.10946
- Muffoletto, M.-A. (2025, 18. Juli). Interaction Rewiring: USU Biologists Explore Ecological Effects of Loss of Big Birds. Utah State Today. Utah State University. https://www.usu.edu/today/story/interaction-rewiring-usu-biologists-explore-ecological-effects-of-loss-of-big-birds
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