Über ein Jahrhundert lang galt er als verschollen, doch nun ist er zurück: Alsodes vittatus, eine endemische Amphibienart aus Chile, wurde in der Región de La Araucanía wiederentdeckt. Seit rund 130 Jahren gab es keine bestätigten Sichtungen dieser seltenen Froschart. Ihre Wiederentdeckung könnte nicht nur zu einer Neubewertung des Artenschutzstatus führen, sondern wirft auch neue Fragen zur genetischen Vielfalt und taxonomischen Einordnung auf.
Ein vergessener Frosch und sein umstrittener Entdecker
Die Geschichte von A. vittatus beginnt mit einer Expedition im Jahr 1893. Der französische Entomologe Philibert Germain, eigentlich auf Insekten spezialisiert, sammelte während einer Forschungsreise in den chilenischen Anden auch Amphibien und andere Wildtiere. Auf der Hacienda San Ignacio de Pemehue nahm er Proben entlang eines Flusses, darunter drei Frösche, die später von dem deutschen Naturforscher Rudolph Philippi als neue Art beschrieben wurden.
Philippi, der eine Schlüsselrolle in der Taxonomie chilenischer Amphibien spielte, benannte die Art 1902 zunächst als Cyclorhamphus vittatus. Spätere Revisionen führten sie in die Gattung Alsodes über. Doch Philippis wissenschaftliches Erbe ist nicht unumstritten: Viele der von ihm beschriebenen Amphibienarten wurden später infrage gestellt oder für ungültig erklärt. Die Wiederentdeckung von A. vittatus zeigt jedoch, dass seine Arbeiten bis heute wertvolle Hinweise für die Forschung liefern.
Warum blieb die Art so lange unentdeckt?

(© Correa, Riveros-Riffo & Donoso 2025, ZooKeys)
Nach ihrer Erstbeschreibung geriet A. vittatus in Vergessenheit. Trotz gezielter Suchaktionen in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren konnte die Spezies nicht erneut nachgewiesen werden. Erst Jahrzehnte später wurde klar, dass die früheren Expeditionen wahrscheinlich an der falschen Stelle suchten.
Ein Team unter Leitung der Herpetologen Claudio Correa, Edvin Riveros-Riffo und Juan Donoso von der Universität Concepción nahm sich der Herausforderung erneut an. Anhand historischer Aufzeichnungen rekonstruierten die Wissenschaftler Germains Route von 1893. Dabei stellten sie fest, dass frühere Suchaktionen auf der falschen Seite des Anwesens begonnen hatten – ein möglicher Grund, warum die Art so lange unentdeckt blieb. Wahrscheinlich hatten Umweltveränderungen oder ungenaue historische Angaben die Orientierung erschwert.
Der Durchbruch: Eine gezielte Suche führt zum Erfolg
Mit dieser neuen Erkenntnis durchkämmte das Team 2023 und 2024 systematisch die richtige Region – mit Erfolg. Mehrere Populationen von A. vittatus wurden nachgewiesen. Die Frösche wurden an drei nahe beieinander liegenden Standorten entlang von Fließgewässern in der Anden-Vorbergzone entdeckt, genauer gesagt an den Quellgebieten der Flüsse Lolco und Portales.
Besonders bemerkenswert war die Variabilität in Farbgebung und Musterung: Während einige Tiere einen markanten hellen Rückenstreifen aufwiesen, war dieser bei anderen nur schwach ausgeprägt oder fehlte ganz. Diese Vielfalt warf neue Fragen zur innerartlichen Diversität auf.

(© Correa, Riveros-Riffo & Donoso 2025, ZooKeys)
DNA-Analyse: Handelt es sich wirklich um A. vittatus – oder eine neue Art?
Moderne DNA-Analysen bestätigten zwar die Identität der Funde, doch es ergab sich ein überraschender Widerspruch: Während Philippi die ursprünglichen Exemplare als „intensiv schwarz“ beschrieben hatte, weisen die nun wiederentdeckten Frösche eine breite Farbpalette von olivgrün bis braun auf. Dies könnte darauf hindeuten, dass A. vittatus eine größere genetische Vielfalt besitzt als bisher angenommen – oder dass es sich möglicherweise um eine bislang unbekannte, nahe verwandte Art handelt.
Eine Analyse der mitochondrialen DNA ergab zudem, dass die neu entdeckten Populationen von A. vittatus paraphyletisch in Bezug auf A. neuquensis sind. Das bedeutet, dass sie genetisch nicht eindeutig von dieser argentinischen Art zu unterscheiden sind. Eine zentrale Frage für die Forschung lautet daher: Handelt es sich um eine einzige Art, die sich auf beiden Seiten der Anden unterschiedlich entwickelt hat, oder existieren hier zwei getrennte Arten? Weitere Untersuchungen sind nötig, um diese taxonomische Unsicherheit zu klären.
Lebensraum und Bedrohungen

(© Correa, Riveros-Riffo & Donoso 2025, ZooKeys)
Die wiederentdeckten Populationen von A. vittatus bewohnen die temperierten Wälder der Andenausläufer in der Region La Araucanía. Sie wurden in der Nähe von Fließgewässern in Gebieten mit Nothofagus– und Araukarien-Wäldern gefunden.
Doch der Lebensraum dieser Art ist bedroht. Intensive Landnutzung – insbesondere Viehzucht, Abholzung und die Ausbreitung invasiver Arten wie eingeschleppter Forellen – setzt den Populationen zu. Forellen jagen Kaulquappen und könnten den Fortpflanzungserfolg der Frösche drastisch reduzieren.
Eine weitere Bedrohung stellt die Ausweitung von Kiefernplantagen dar. Diese Monokulturen verändern den Wasserhaushalt und können durch Versauerung der Böden sowie veränderte Mikroklimata die natürlichen Lebensräume von A. vittatus verdrängen.
Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels: Rückläufige Schneemengen und veränderte Niederschlagsmuster könnten die sensiblen Wasserökosysteme beeinträchtigen, die für die Fortpflanzung und das Überleben von A. vittatus essenziell sind. Sollte die Art tatsächlich eine bislang unerkannte Vielfalt an genetischen Linien enthalten, könnten einige Populationen besser an diese Umweltveränderungen angepasst sein als andere – eine weitere Frage, die künftige Forschungen klären müssen.
Bedeutung für den Artenschutz
Bislang wurde A. vittatus von der IUCN als „unzureichend bekannt“ (Data Deficient) eingestuft. Die aktuelle Entdeckung könnte nun eine Neubewertung seines Gefährdungsstatus nach sich ziehen. Angesichts der Bedrohungen durch menschliche Eingriffe, invasive Arten und den Klimawandel schlagen die Forscher vor, die Art als „gefährdet“ (Endangered) einzustufen.
Besonders besorgniserregend ist, dass A. vittatus nicht aus bestehenden Schutzgebieten bekannt ist. Das bedeutet, dass sein Überleben vollständig von ungeschützten, potenziell gefährdeten Lebensräumen abhängt. Die Wissenschaftler fordern deshalb die Ausweisung neuer Schutzgebiete sowie verstärkte Anstrengungen zum Erhalt der sensiblen Ökosysteme, in denen diese seltene Amphibienart überlebt.
Wissenschaftliche Veröffentlichung zur Wiederentdeckung
Die Ergebnisse der Wiederentdeckung von Alsodes vittatus wurden in einer wissenschaftlichen Studie veröffentlicht. Die Forschenden Claudio Correa, Edvin Riveros-Riffo und Juan Donoso präsentierten ihre Erkenntnisse im Fachjournal ZooKeys (2025). Ihre Publikation beschreibt nicht nur die Fundorte und genetischen Analysen, sondern diskutiert auch offene Fragen zur Artvalidität und zur taxonomischen Einordnung der neu entdeckten Populationen.
Die Wiederentdeckung von Alsodes vittatus ist nicht nur ein bedeutender Fund, sondern wirft auch grundlegende Fragen zur Identität und genetischen Vielfalt der Art auf. Ob es sich tatsächlich um Philippis verlorene Spezies handelt oder ob die Wissenschaft hier eine bisher unbekannte Art vor sich hat, wird erst die zukünftige Forschung zeigen.
Quelle
- Correa, C., Riveros-Riffo, E., & Donoso, J. (2025). Rediscovery of Alsodes vittatus after 130 years: Phylogenetic implications and conservation status update. ZooKeys, 1230, 1–20. https://doi.org/10.3897/zookeys.1230.135523
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