Bei einer Expedition in den Molleturo-Wald der ecuadorianischen Anden im Jahr 2022 machte der Biologe Juan Sánchez-Nivicela mit seinem Team eine bemerkenswerte Entdeckung: Zwei winzige Frösche, die zunächst nicht identifiziert werden konnten. Wie die Forscher nun im Fachjournal Zoosystematics and Evolution berichten, handelt es sich bei den Fröschen um die Art Pristimantis ruidus, eine Regenfrosch-Art, die seit einem Jahrhundert als verschollen galt.
Die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) hatte Pristimantis ruidus als „möglicherweise ausgestorben“ eingestuft, da seit ihrer Entdeckung im Jahr 1922 durch den amerikanischen Zoologen und Botaniker George Tate kein weiteres Exemplar in freier Wildbahn gesichtet wurde. Zu den Bedrohungen der Froschart zählt die massive Abholzung am einzigen bekannten Standort der Art, wo große Flächen in Weideland umgewandelt wurden.
Die ursprüngliche Beschreibung von Pristimantis ruidus stammt vom US-amerikanischen Herpetologen John D. Lynch aus dem Jahr 1979, basierend auf konservierten Exemplaren, die Tate fast 50 Jahre zuvor gesammelt hatte. Lynch suchte in den 1970er-Jahren im Süden Ecuadors nach weiteren Exemplaren, konnte die Art jedoch nie aufspüren.
Sánchez-Nivicela und sein Team verglichen die 2022 entdeckten Frösche im Labor an der Universidad San Francisco in Quito mit Lynchs Beschreibungen. Die beiden Frösche entsprachen exakt den Zeichnungen: raue Haut, zahlreiche Erhebungen und markante W-förmige Falten auf dem Rücken. Auch das Fehlen der herausragenden Trommelfelle, wie bei anderen Fröschen üblich, bestätigte die Übereinstimmung.
Um die Identifizierung zweifelsfrei zu bestätigen, untersuchten die Forscher das DNA-Material der beiden Frösche, zwei Weibchen, und verglichen es mit den genetischen Daten von 35 anderen Arten der Gattung Pristimantis aus einer Genbank. Das Ergebnis: Der genetische Code passte zu keiner anderen Art, was die Wiederentdeckung des seit rund 100 Jahren verschollenen Regenfroschs Pristimantis ruidus endgültig bestätigte.
Amphibien in Ecuador: Wiederentdeckungen stärken den Naturschutz
„Diese Entdeckung erfüllt uns mit Hoffnung“, sagt die Biologin María del Carmen Vizcaíno, Direktorin der Alianza Jambato, gegenüber National Geographic. Die Koalition aus über 26 Institutionen setzt sich für den Schutz der Amphibien in Ecuador ein. Vizcaíno ist überzeugt, dass die Wiederentdeckung von Pristimantis ruidus ein starkes Symbol im Kampf um den Schutz der südlichen Anden werden könnte – das am stärksten durch Bergbau und illegalen Holzeinschlag bedrohte Ökosystem des Landes.
In Ecuador nutzen Herpetologen und Naturschützer Wiederentdeckungen verschollener Amphibienarten, um auf die wachsenden Bedrohungen für die Artenvielfalt des Landes aufmerksam zu machen. Ein bekanntes Beispiel ist die Langnasenstummelkröte (Atelopus longirostris), die 2015 nach 30 Jahren wiederentdeckt wurde, ebenso wie der Jambato-Harlekinfrosch (Atelopus ignescens), der nach 28 Jahren wiedergefunden wurde. Diese Arten wurden zum Symbol im Widerstand gegen den Bergbau im Intag-Tal. Wissenschaftler und Aktivisten reichten eine Klage gegen zwei große Bergbauunternehmen ein, die im Jahr 2024 mit einem Urteil zugunsten der Naturschützer endete. Das Gericht widerrief die Lizenz für das Llurimagua-Bergbauprojekt.
Trotz dieses juristischen Erfolgs bleibt die Lage kritisch. Die Wälder der westlichen Anden, darunter auch der Molleturo-Wald, haben in den letzten zwei Jahrzehnten rund 70 Prozent ihrer ursprünglichen Fläche durch Abholzung und Bergbau verloren. Juan Sánchez-Nivicela, Hauptautor der Studie zur Wiederentdeckung von Pristimantis ruidus, ist überzeugt, dass jede neu entdeckte Art den Schutz dieser bedrohten Regionen stärkt. Die Entdeckung dieses Regenfrosches ist ein wichtiger Schritt im Naturschutz – und gibt Hoffnung, dass auch andere verschollene Arten wieder ans Licht kommen könnten. Auch Neuentdeckungen spielen eine wichtige Rolle: So entdeckte Sánchez-Nivicela 2023 eine neue Froschart im Südosten Ecuadors, den Tolkien-Frosch (Hyloscirtus tolkieni).
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