Eine Anfang Oktober veröffentlichte Studie im Fachjournal Science legt nahe, dass durch Menschen verursachter Artenverlust weitreichendere Auswirkungen hat als bislang angenommen. Die Wissenschaftler beleuchten die Tatsache, dass das Aussterben von Vogelarten nicht nur ökologische Rollen, sondern auch Milliarden Jahre einzigartiger evolutionärer Geschichte ausgelöscht hat.
Insbesondere bei Vögeln führt das Aussterben nicht nur zum Verlust von Artenvielfalt, sondern auch zur Zerstörung wichtiger ökologischer Funktionen, die diese Tiere in ihren Lebensräumen erfüllen. Dies betrifft vor allem Inselökosysteme, wo der Rückgang besonders dramatisch ist.
In den letzten 130.000 Jahren starben mehr als 610 Vogelarten aus

Im Verlauf der letzten 130.000 Jahre, seit der Mensch begann, sich weltweit auszubreiten, sind mindestens 610 Vogelarten ausgestorben. Diese Zahl ist beunruhigend, doch sie erzählt nur einen Teil der Geschichte. Was oft übersehen wird, ist die Rolle, die diese Tiere in ihren jeweiligen Ökosystemen spielen. Vögel übernehmen zahlreiche wichtige Funktionen: Einige kontrollieren Schädlinge, indem sie Insekten fressen, andere recyceln totes Material oder bestäuben Pflanzen. Wenn diese Arten aussterben, gehen diese essenziellen Aufgaben verloren. Der Verlust der sogenannten funktionellen Diversität – also der verschiedenen ökologischen Rollen, die Vögel übernehmen – hat weitreichende Konsequenzen für die Stabilität und das Gleichgewicht von Ökosystemen.
Tom Matthews, britischer Klimawissenschaftler und Hauptautor der Studie, erklärt gegenüber EurekAlert!: „Neben der funktionellen Vielfalt trägt jede Art auch ein gewisses Maß an Evolutionsgeschichte in sich. Wenn diese Art ausstirbt, ist das im Grunde so, als würde man einen Zweig des Lebensbaums abhacken, und die gesamte damit verbundene phylogenetische Vielfalt geht ebenfalls verloren.“ Die Studie zeigt, dass die Auswirkungen des Artensterbens weit über die bloße Reduktion der Artenzahl hinausgehen. Tatsächlich hat der Mensch durch das Aussterben von Vogelarten seit dem späten Pleistozän etwa sieben Prozent der globalen funktionellen Diversität der Vögel und etwa drei Milliarden Jahre an evolutionärer Geschichte zerstört.
Artensterben auf Inseln besonders groß
Der Verlust von Vogelarten ist auf Inseln besonders gravierend. Dort, wo Tiere oft isoliert und in einzigartigen Nischen leben, führen Lebensraumverlust und die Einführung von Raubtieren wie Ratten und Katzen zu besonders dramatischen Aussterbewellen. Ein Beispiel hierfür ist die Insel Mauritius, Heimat des berühmten Dodos. Innerhalb weniger Jahrzehnte, nachdem Menschen die Insel besiedelt hatten, wurde der flugunfähige Vogel ausgerottet. Ähnlich erging es einer Menge anderer Vogelarten wie beispielsweise der hawaiianische Schuppenkehlmoho, einem Singvogel, der im Jahr 2023 offiziell für ausgestorben erklärt wurde.
Inselarten sind oft besonders anfällig, da sie auf kleinen Flächen leben und sich an das Fehlen von Raubtieren angepasst haben. Viele dieser Vögel sind flugunfähig geworden, was sie bei der Einführung neuer Raubtiere durch den Menschen schutzlos machte. „Frugivorie (das Fressen von Früchten) ist eine wichtige Funktion, denn wenn die Vögel die Früchte fressen und dann weiterziehen, verbreiten sie die Samen der Pflanzen, zu denen die Früchte gehören.“, sagt Matthews. Durch das Fressen und Ausbreiten von Samen helfen Vögel, die Vermehrung vieler Pflanzenarten zu sichern. Das Aussterben solcher Vögel führt zu einem Dominoeffekt, bei dem auch Pflanzenarten bedroht sind, die auf die Samenverbreitung angewiesen sind.
Langfristige Auswirkungen auf die Biodiversität
Die Folgen dieses Verlusts sind nicht nur lokal zu spüren. Da Vögel eine Schlüsselrolle in vielen Ökosystemen weltweit spielen, haben diese Aussterbewellen globale Auswirkungen. Studien zeigen, dass das Aussterben der Vogelarten auch zur Verkleinerung der globalen Avifauna führt, also zu einem Rückgang der Größe und Vielfalt der Vogelwelt. Dies wiederum wirkt sich auf andere Tiere, Pflanzen und sogar das Klima aus. Die Fähigkeit vieler Pflanzen, sich an den Klimawandel anzupassen, hängt von der Verbreitung ihrer Samen durch Vögel ab. Je weniger Vögel vorhanden sind, desto schwieriger wird es für diese Pflanzen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen.
Zukünftige Prognosen sehen noch düsterer aus: In den nächsten zwei Jahrhunderten könnten mehr als 1.000 Vogelarten vollständig aussterben, was den Verlust der funktionellen und phylogenetischen Diversität weiter verschärfen wird. Besonders betroffen werden erneut Inselökosysteme sein, in denen der Druck auf Arten durch menschliche Aktivitäten am stärksten ist.
Funktionalität und Stabilität von Ökosystemen wiederherstellen
Matthews und sein Team machen deutlich, dass etwas gegen die anhaltende Biodiversitätskrise getan werden muss. Ihre Ergebnisse zeigen, dass es nicht nur um den Schutz einzelner Arten geht, sondern darum, die gesamte Funktionalität und Stabilität von Ökosystemen zu bewahren. Dies erfordert gezielte Naturschutzmaßnahmen, insbesondere in den empfindlichsten Regionen, wie den Inseln. Hier könnten Wiederansiedlungsprojekte und die gezielte Wiederherstellung zerstörter Lebensräume einen bedeutenden Unterschied machen.
„Diese Ergebnisse erinnern uns rechtzeitig daran, dass es bei der aktuellen Ausrottungskrise nicht nur um die Anzahl der Arten geht“, warnt Matthews. Wir müssen verstehen, welche ökologischen Funktionen durch das Aussterben verloren gehen und wie wir zukünftige Verluste verhindern können. Um die erwarteten zukünftigen Aussterbewellen abzumildern, müssen globale Naturschutzstrategien entwickelt und umgesetzt werden. Dazu gehören nicht nur der Schutz gefährdeter Vogelarten, sondern auch die Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme und die Bekämpfung invasiver Arten.
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