Dünnschnabel-Brachvogel (Numenius tenuirostris)
Seit den 1980er-Jahren schrumpften die Bestände des Dünnschnabel-Brachvogels – zuletzt wurde er 1995 zweifelsfrei gesichtet. Numenius tenuirostris, via Wikimedia Commons)

Dünnschnabel-Brachvogel: Erstes Vogel-Aussterben auf dem europäischen Festland in der Neuzeit

Eine am 18. November 2024 erschienene Studie im Fachjournal IBIS bestätigt das Aussterben des Dünnschnabel-Brachvogels (Numenius tenuirostris). Dieser wandernde Watvogel ist die erste kontinentale Vogelart Europas, die in der Neuzeit durch menschlichen Einfluss ausgestorben ist. Bislang galten nur zwei weitere europäische Vogelarten, der Riesenalk und der Kanaren-Austernfischer, als ausgestorben – beide jedoch waren auf Inseln heimisch.

Der Dünnschnabel-Brachvogel aus der Familie der Schnepfenvögel brütete in den Mooren Westsibiriens und zog im Winter in die Küstenregionen rund um das Mittelmeer und Nordafrika. Historisch war sein Verbreitungsgebiet groß: Aufzeichnungen zeigen Sichtungen von Zentralasien bis hin zu europäischen Ländern wie den Niederlanden und Frankreich. Die letzte zweifelsfreie Beobachtung stammt aus dem Jahr 1995, als ein Exemplar in Merja Zerga, Marokko, dokumentiert wurde.

Wie wurde das Aussterben festgestellt?

Die Studie, eine Zusammenarbeit zwischen der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), BirdLife International, dem Naturalis Biodiversity Center in Leiden und dem Natural History Museum in London, verwendete ein breites Spektrum wissenschaftlicher Methoden. Analysiert wurden historische Sichtungen, Museumsexemplare, Suchaktionen sowie bekannte Bedrohungsfaktoren wie Lebensraumverlust und Jagd. Ein IUCN-Modell zur Einschätzung von Aussterbewahrscheinlichkeiten bestätigte, dass der Dünnschnabel-Brachvogel mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 Prozent ausgestorben ist. Das Jahr 1995 markiert dabei vermutlich den endgültigen Zeitpunkt seines Verschwindens.

Die Ursachen für den Rückgang

Dünnschnabelbrachvogel im Naturalis Biodiversity Center in Leiden, Niederlande
Ein 1889 gesammeltes Exemplar des Dünnschnabel-Brachvogels. (© Huub Veldhuijzen van Zanten/Naturalis Biodiversity Center, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Die genauen Gründe für das Aussterben des Dünnschnabel-Brachvogels bleiben unklar, doch verschiedene Faktoren haben seinen Niedergang wahrscheinlich beschleunigt. Eine der Hauptursachen war die großflächige Trockenlegung von Mooren in Westsibirien, die ehemals als Brutgebiete dienten, zugunsten landwirtschaftlicher Nutzung. Hinzu kam der Verlust von Küstenfeuchtgebieten, die essenzielle Überwinterungs- und Nahrungsplätze waren. Besonders kritisch war die Jagd, die sich in den letzten Jahrzehnten auf eine ohnehin dezimierte und fragmentierte Population konzentrierte.

Weitere potenzielle Einflüsse wie Umweltverschmutzung, Krankheiten und der Klimawandel sind nicht abschließend geklärt. Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass die Kombination dieser Faktoren die Art schlussendlich an den Rand des Aussterbens gebracht hat.

Vergebliche Suche nach dem Dünnschnabel-Brachvogel

Nach 1995 wurden umfangreiche Suchaktionen gestartet, um den Vogel in seinen möglichen Brut- und Überwinterungsgebieten aufzuspüren. Dabei wurden Hunderttausende Quadratkilometer in Regionen wie Russland, Kasachstan und Nordafrika durchkämmt – ohne Erfolg. Alex Bond, leitender Kurator für Vögel am Natural History Museum, betont BirdLife International gegenüber, dass solche Szenarien in Zeiten des Klimawandels zunehmend zur Normalität werden könnten: „Mit dem Fortschreiten des Klimawandels wird dies zum Normalzustand. Es wird nicht besser für Vögel.“ Er warnt, dass der Schutz von Lebensräumen, die Bekämpfung des Klimawandels und die Eindämmung von Verschmutzung extrem wichtig sind, um das Überleben gefährdeter Vogelarten zu sichern – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.

Es besteht Handlungsbedarf: 16 weitere Watvogelarten bedroht

Das Verschwinden des Dünnschnabel-Brachvogels verdeutlicht die Dringlichkeit von Naturschutzmaßnahmen. Die Nachricht über das Aussterben dieser Spezies kommt nur kurz nach dem Update der IUCN Roten Liste Ende Oktober, bei dem 16 weitere wandernde Watvogel-Arten aufgrund von Bestandsrückgängen in höhere Gefährdungskategorien der Roten Liste eingestuft wurden.

Alex Berryman, Rote-Liste-Beauftragter bei BirdLife International, sieht das Schicksal des Dünnschnabel-Brachvogels als Mahnung: „Kein Vogel ist vor dem Aussterben sicher. Ohne entschlossene Maßnahmen wird eine neue Welle von Artenverlusten die Kontinente erfassen.“ Seit 1500 sind weltweit mehr als 150 Vogelarten verschwunden, wobei invasive Arten auf Inseln die Hauptursache waren – 90 Prozent der Vogel-Aussterbungen betrafen dortige Populationen. Doch während die Verluste auf Inseln abnehmen, nimmt die Bedrohung auf den Kontinenten zu. Dies liegt vor allem an der Zerstörung von Lebensräumen, der Übernutzung von Ressourcen und anderen anthropogenen Gefahren.

Das Aussterben des Dünnschnabel-Brachvogels zeigt, wie anfällig auch weit verbreitete Arten auf dem Festland sind. Die fortschreitende Zerstörung von Lebensräumen und das Versäumnis, rechtzeitig Schutzmaßnahmen zu ergreifen, führten dazu, dass diese Art unwiederbringlich verloren ging. Nun gilt es, die Lektionen aus diesem Verlust zu ziehen und andere gefährdete Arten durch gezielte, koordinierte Naturschutzmaßnahmen zu bewahren. Nur so können wir verhindern, dass sich das Schicksal des Dünnschnabel-Brachvogels wiederholt.

Zusätzlich zum Dünnschnabel-Brachvogel wurden durch die IUCN im Jahr 2024 insgesamt 19 Tierarten als weltweit ausgestorben eingestuft. Erstmals wurden dabei auch zwei in Deutschland heimische Arten für ausgestorben erklärt: die Chiemsee-Renke und die Starnberger Renke. Diese beiden Fischarten waren endemisch im Chiemsee und im Starnberger See.

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