Nur ein einziges Exemplar ist geblieben
Ernst Dieffenbach, ein deutscher Arzt, Geologe und Naturforscher, der besondere Bekanntheit durch seine naturwissenschaftliche Erforschung Neuseelands erwarb, kam mit dem Segelschiff Cuba Mitte Mai 1840 auf den Chathaminseln an und verbrachte dort zweieinhalb Monate. Während dieses Aufenthalts fing er eine Rallenart, die der Wissenschaft bis dahin unbekannt war, und übergab das Exemplar 1842 dem British Museum. Auf welcher der elf Chatham-Inseln Dieffenbach den Vogel fing, ist nicht genau bekannt. Er war der erste und letzte, der einem lebenden Vogel dieser Art aus der Familie der Rallen (Rallidae) begegnete.
Die erste wissenschaftliche Erwähnung des Vogels, den wir heute als Dieffenbach-Ralle kennen, findet sich im zweiten Band von Dieffenbachs Werk Travels in New Zealand aus dem Jahr 1843. Der britische Zoologe George Robert Gray beschrieb die Dieffenbach-Ralle darin erstmals wissenschaftlich als Rallus dieffenbachii im Kapitel Fauna of New Zealand:
„Rücken olivbraun; (…) hinterer Teil des Halses sowie Brust rostgelb, quer mit Schwarz gebändert; Schwungfedern, Schulterfedern und Unterschwanzdecken tief rostfarben, mit Schwarz gebändert; unterer Teil der Brust, Bauch, Flanken und Kehle schwarz, mit Weiß gebändert; Oberseite und Hinterkopf, Wangen und ein Streifen unter dem Auge olivbraun (…); ein Band von den Nasenlöchern bis zur Mitte über dem Auge weiß, die Fortsetzung dieses Bandes hinter dem Auge und an der Kehle grau, aber unter dem Schnabel weiß; Schwanz dunkelbraun mit länglichen rostfarbenen Streifen nahe der Basis. Gesamtlänge 32,4 cm, Schnabel 3,8 cm, Flügel 12,7 cm, Schwanz 8,9 cm, Tarsen 3,8 cm.“
Travels in New Zealand; with Contributions to the Geography, Geology, Botany, and Natural History of that Country, Volume 2. 1843. S. 197. G. R. Gray in E. Dieffenbach
Der einzige erhaltene Balg, der Holotyp der Dieffenbach-Ralle, wird heute im Natural History Museum in Tring, England, aufbewahrt (NHM 1842.9.29.12). Angaben, nach denen ein weiteres Exemplar im Übersee-Museum in Bremen zu finden sei, haben sich als Irrtum erwiesen. Subfossile Überreste von Dieffenbachs Ralle befinden sich in London und Neuseeland.
Dieffenbach-Ralle – Steckbrief
alternative Namen | Dieffenbachs Ralle, Dieffenbachralle, Meriki, Mehoriki und Moeriki (Moriori), Popotai (Maori) |
wissenschaftliche Namen | Hypotaenidia dieffenbachii, Gallirallus dieffenbachii, Rallus dieffenbachii, Ocydromus dieffenbachii, Hypotaenidia dieffenbachi, Rallus dieffenbachi, Cabalus dieffenbachii, Nesolimnas dieffenbachii, Rallus philippensis dieffenbachii |
englische Namen | Dieffenbach’s rail, Chatham Islands banded rail, Chatham Island banded rail |
ursprüngliches Verbreitungsgebiet | Chatham Island, Mangere Island und Pitt Island (Chathaminseln, Neuseeland) |
Zeitpunkt des Aussterbens | frühestens 1840 |
Ursachen für das Aussterben | auf Inseln eingeschleppte Raubtiere, Bejagung, Lebensraumverlust |
IUCN-Status | ausgestorben |
Dieffenbachs Ralle und ihr Verbreitungsgebiet
Es ist nicht genau bekannt, auf welcher der elf zu Neuseeland gehörenden Chathaminseln Ernst Dieffenbach die Ralle entdeckte. Allerdings lassen subfossile Funde darauf schließen, dass die Dieffenbach-Ralle mindestens auf drei der Inseln verbreitet war: auf der rund 900 Quadratkilometer großen Hauptinsel Chatham Island, der etwa 20 Kilometer entfernten zweitgrößten Insel, Pitt Island, sowie Mangere Island, das circa vier Kilometer westlich von Pitt Island liegt. Die ursprüngliche Ankunft der Dieffenbach-Ralle auf den Chatham-Inseln lässt sich vermutlich durch fliegende Vorfahren erklären, die die Inseln besiedelten. Die Besiedlung der nahegelegenen Inseln innerhalb der Inselgruppe könnte dann durch Schwimmen erfolgt sein.
Der neuseeländische Ornithologe Robert Falla berichtete 1960 von Knochenfunden, die 1957 auf Pitt Island gemacht wurden und auf die Anwesenheit der Dieffenbach-Ralle hinweisen sollen. In seinem Bericht erwähnte er mehrere identifizierte Arten, darunter den Königsalbatros (Diomedea epomophora), ein „ausgestorbenes Waldhuhn (Gallirallus minor)“ und eine „kleine Ralle (Rallus dieffenbachi)“, deren Knochen in Größe und Form zu den bekannten Überresten der Dieffenbach-Ralle passen könnten. Die Entdeckung umfasste Schädel, Schnabelteile, Schienbeine und Mittelfußknochen.
Storrs L. Olson, ein US-amerikanischer Paläontologe, nahm in seiner 1975 veröffentlichten Arbeit A Review of the Extinct Rails of the New Zealand Region Bezug auf diese Funde. Er stellte fest, dass die von Falla berichteten Knochenmaße der größeren Ralle exakt denen der subfossilen Funde von Dieffenbach-Rallen auf Chatham Island entsprechen. Olson hielt es für äußerst unwahrscheinlich, dass Gallirallus minor (= Wekaralle G. australis), eine Ralle, die nur von der Südinsel Neuseelands bekannt ist, auch auf Pitt Island vorkam. Die Chathaminseln liegen immerhin rund 800 Kilometer östlich der Südinsel, was eine natürliche Verbreitung dieser Art eher unwahrscheinlich macht.
Olson erwähnte auch, dass er im National Museum of New Zealand weitere auf Pitt Island gefundene Überreste untersucht hatte, von denen einige nicht von den Knochen der Dieffenbach-Ralle zu unterscheiden waren. Er wies darauf hin, dass auch die kleineren erwähnten Knochen tatsächlich, wie von Falla vermutet, zur Dieffenbach-Ralle gehören könnten, da die Art in ihrer Größe variabel war. Es sei jedoch auch möglich, dass die Knochen von der kleineren, auch ausgestorbenen Chathamralle (Cabalus modestus) stammen, die auf Pitt Island ebenfalls vorkam.
Zusätzlich führte der neuseeländische Ornithologe Alan J. D. Tennyson zwischen Oktober 1987 und März 1988 Ausgrabungen auf Mangere Island durch, bei denen subfossile Vogelknochen entdeckt wurden. Seine 1994 veröffentlichte Studie dokumentierte das Aussterben von 22 Vogelarten auf der Insel, darunter auch die Dieffenbach-Ralle. Die Funde bestätigten, dass die Art einst auch auf Mangere Island lebte.
Die Biologe der Dieffenbach-Ralle
Über das Verhalten und die Lebensweise von Dieffenbachs Ralle ist so gut wie nichts bekannt, da kein Wissenschaftler die Möglichkeit hatte, die Art eingehend zu studieren. Laut Julian P. Hume (2017) existieren allerdings zwei historische Berichte, die sich auf diese Rallenart beziehen könnten. Der erste stammt aus den späten 1830er-Jahren und berichtet über Vögel auf Pitt Island, bei denen es sich der Beschreibung nach (dunkelbraun, so groß wie ein Huhn) um Dieffenbachs Ralle handeln könnte. Diese Vögel waren flugunfähig und flohen nicht, wenn Menschen sich näherten:
„Beim Sammeln von Nahrung (…) war das Tier, das seinem Verfolger am wenigsten Mühe bereitete, das dunkelbraune Wasserhuhn von der Größe eines Haushuhns, das die Waldränder bewohnte und sich am Strand ernährte. Es war flugunfähig und machte keine Anstalten zu fliehen, wenn man sich ihm näherte.“
Extinct Birds. 2017. S. 103. J. Hume
Der zweite Bericht bezieht sich wahrscheinlich auf die Dieffenbach-Ralle, da bekannt ist, dass die Ureinwohner der Chathaminseln, den Vogel „Mehoriki“, „Moeriki“ oder „Meriki“ nannten. Taylor White notierte über ausgestorbene Vogelarten auf den Chathaminseln im Jahr 1896 folgendes:
„Der Mehoriki war ein sehr zahmer Vogel, wurde aber nur zu bestimmten Jahreszeiten gefangen, während er zu anderen streng geschützt war. Die Eier wurden niemals gegessen, wenn sie auch nur im Geringsten bewegt worden waren (d. h. bebrütet wurden); Kinder wurden immer ermahnt, dies nicht zu tun. Die Vögel wurden gefangen, indem man große Fallen mit breiten Flügeln vorbereitete, zwischen die sie schnell getrieben wurden. Diese Vögel lebten im Unterholz des Busches, das ihnen Schutz bot. (Es war ziemlich schwierig, sie an einem solchen Ort zusammenzutreiben.) Das Fleisch soll sehr zart gewesen sein und wurde von kranken Personen sehr geschätzt. Der Mehoriki war ein sehr wachsamer Vogel. Kein Fremder konnte sich nähern, ohne dass er seinen Warnruf ausstieß. (Dies ist ein ungewöhnliches Verhalten für einen sehr zahmen Vogel.) Seine Farbe war hellstrohfarben und gesprenkelt wie die Schwarzrücken-Zwergdrommel, aber nicht so stumpf grau wie diese. Die Eier waren gesprenkelt und etwa so groß wie ein mittelgroßes oder kleines Hühnerei.“
On the Poua and Other Extinct Birds of the Chatham Islands. Transactions and Proceedings of the New Zealand Institute 29. 1896. S. 162-168. T. White
Beide Berichte beschreiben die Vögel als relativ zahm und leicht zu fangen. Auch die Beschreibung der Lebensräume weist Übereinstimmungen auf: Die Tiere wurden in der Nähe von Waldrändern oder im Unterholz des Busches gesichtet, was darauf hindeutet, dass sie dichte Vegetation als Deckung bevorzugten. Greenway nimmt in Extinct and Vanishing Birds of the World (1967) an, dass die Dieffenbach-Ralle wie auch die Bindenralle (Hypotaenidia philippensis) Süß- und Salzwassermarsche oder -sümpfe bewohnte.
Interessanterweise variieren die Beschreibungen zur Gefiederfärbung. Im ersten Bericht werden die Vögel als dunkelbraun beschrieben, während White die Farbe der Spezies als hellstrohfarben mit gesprenkeltem Muster angibt. Grays Erstbeschreibung des einzigen erhaltenen Balgs der Dieffenbach-Ralle liefert allerdings eine dritte Farbvariante, die weder vollständig mit der dunkelbraunen noch mit der hellstrohfarbenen Beschreibung übereinstimmt: olivbrauner Rücken, rostgelbe Brust mit schwarzen Querbändern und tief rostfarbene, schwarz gebänderte Flügel und Unterschwanzdecken.
Sollten sich die beiden Berichte tatsächlich auf die Dieffenbach-Ralle beziehen, könnten die Unterschiede auf individuelle oder saisonale Farbvariationen zurückzuführen sein oder darauf hindeuten, dass sich die Beschreibungen auf verschiedene Entwicklungsstadien (Jung- oder Altvögel) beziehen. Nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, dass die Berichte andere Rallenarten der Chathaminseln beschreiben, wie etwa die kleinere Chathamralle oder die Hawkins-Ralle (Diaphorapteryx hawkinsi), die mit einer Höhe von 40 Zentimetern besonders groß war. Weitere Rallenarten sind von den Inseln bislang nicht beschrieben.
Der erste Bericht deutet darauf hin, dass die Dieffenbach-Ralle auch an Stränden zu finden war, wo sie vermutlich sowohl pflanzliche als auch tierische Kost, möglicherweise Insekten, kleine Krebstiere oder Strandpflanzen, zu sich nahm. Auch die Bindenralle, als vermuteter Vorfahre der Dieffenbach-Ralle, weist ein breites Nahrungsspektrum auf, was die Vermutung nahelegt, dass die Dieffenbach-Ralle ebenfalls ein Allesfresser war.
Ein weiteres interessantes Detail findet sich in Whites Bericht: Dieffenbachs Ralle soll einen Warnruf ausgestoßen haben, sobald Fremde in ihre Nähe kamen, obwohl sie ansonsten zahm war. Dies könnte darauf hindeuten, dass sie territorial war oder zumindest ein Revier verteidigte. Möglicherweise lebte sie in kleinen Gruppen oder besetzte feste Territorien.
Warum ist die Dieffenbach-Ralle ausgestorben?
Die ersten Polynesier besiedelten die Chathaminseln bereits vor rund 400 Jahren und veränderten das Ökosystem nachhaltig. Neben der Hauptinsel nutzten sie auch die kleineren Inseln wie Mangere und Pitt regelmäßig für Jagd und Nahrungsbeschaffung. Mit der Ankunft europäischer Walfänger und Robbenjäger, besonders ab den 1820er-Jahren, verstärkten sich diese Eingriffe.
Begegnungen mit Raubtieren
Nachdem der britische Kapitän William R. Broughton die Chathaminseln 1791 entdeckt und nach seinem Schiff HMS Chatham benannt hatte, nahmen die Besuche europäischer Schiffe stark zu. Die Eroberung der Chatham-Inseln durch die Maori im Jahr 1835 und die fortschreitende europäische Besiedlung führten zur Einführung neuer Tierarten, Pflanzen und Krankheiten. Ernst Dieffenbach weist 1841 in An Account of the Chatham Islands sowohl auf invasive Arten als auch auf die Bejagung der Dieffenbach-Ralle hin:
„Eine neue Art von Ralle war früher sehr häufig; aber seit Katzen und Hunde eingeführt wurden, ist sie sehr selten geworden. Die Einheimischen nennen diesen Vogel Meriki und fangen ihn mit Schlingen. Ich hörte oft seine kurzen, schrillen Rufe im Busch und bekam nach viel Mühe ein lebendes Exemplar.“
An Account of the Chatham Islands. Journal of the Royal Geographical Society of London 11. 1841. S. 195-215. E. Dieffenbach
Neben Hunden und Katzen stellten auch Ratten auf den Chathaminseln eine Bedrohung für die flugunfähige, bodenbrütende Dieffenbach-Ralle und andere Vögel dar; darauf weist unter anderem Greenway (1967) hin. Die Pazifische Ratte (Rattus exulans) gelangte vermutlich bereits im 14. Jahrhundert zusammen mit den Kanus der ersten polynesischen Siedler, den Moriori, auf die Chathaminseln. Die Norwegische Ratte (Rattus norvegicus) wurde wahrscheinlich erst im 19. Jahrhundert durch europäische Schiffe auf die Chathaminseln eingeschleppt. Ratten fraßen Eier und Jungvögel direkt aus den am Boden liegenden Nestern, während Katzen mit ihrem ausgeprägten Jagdinstinkt möglicherweise auch erwachsene Vögel leicht erbeuteten. Hunde trugen zusätzlich zur Bedrohung bei, indem sie Nester zerstörten und Vögel töteten.
Vor der Ankunft des Menschen waren die Chathaminseln frei von Raubtieren, was es der Dieffenbach-Ralle ermöglichte, ihre Flugunfähigkeit zu entwickeln – eine Anpassung, die durch das Fehlen natürlicher Feinde evolutionär begünstigt wurde.
Auf Mangere Island können Raubtiere beim Aussterben der Dieffenbach-Ralle keine Rolle gespielt haben. Der neuseeländische Ornithologe Colin M. Miskelly erklärt auf New Zealand Birds Online, dass vor den 1890er-Jahren keine Raubtiere auf der Insel lebten, abgesehen vom Menschen. Er vermutet, dass die zwangsläufig kleine Population der Dieffenbach-Ralle auf Mangere Island durch direkte Bejagung oder ein klimatisches Ereignis ausgerottet wurde.
Bejagung der Vogelart
Ernst Dieffenbachs Hinweis aus dem Jahr 1841, dass die Einheimischen, sowohl die Moriori als auch später die Maori, die Dieffenbach-Ralle mit Schlingen fingen, weist darauf hin, dass die Art aktiv bejagt wurde. Taylor White konkretisierte dies 1896, als er schrieb: „Das Fleisch soll sehr zart gewesen sein und wurde von kranken Personen sehr geschätzt.“. Alles spricht dafür, dass Dieffenbachs Ralle ein relativ leicht zu fangender Vogel war, der als Nahrungsquelle diente.
Trotz gewisser Schutzmaßnahmen, wie der Einschränkung des Eiersammelns, auf die Dieffenbach 1841 hinwies, konnte die Jagd die Bestände erheblich verringern. Diese Regeln galten vermutlich nur unter den Moriori, während sie für die später zugewanderten Maori und europäischen Siedler keine Bedeutung hatten. Auch die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) verweist darauf, dass die Bejagung der Dieffenbach-Ralle zur Nahrungsbeschaffung beitrug.
Lebensraumverlust als Aussterbeursache
Die Besiedlung der Chathaminseln durch die Maori und später die Europäer, besonders auf Chatham und Pitt Island, führte ab den 1830er-Jahren zu massiven Veränderungen im Lebensraum der Dieffenbach-Ralle. Rodungen und die Einführung von Weidetieren wie Schafen und Ziegen verursachten Bodenerosion und veränderten das natürliche Pflanzenwachstum. Eingeführte, oft invasive Pflanzenarten verdrängten die einheimische Flora, während wiederkehrende Buschbrände, die teilweise gezielt zur Schaffung landwirtschaftlicher Flächen gelegt wurden, die Vegetation weiter schädigten.
Insbesondere ab den 1890er-Jahren wurde auch die kleine, ursprünglich bewaldete Insel Mangere intensiv genutzt: Wälder wurden abgebrannt, um Weideland für Schafe zu schaffen, und zuvor waren dort bereits kommerzielle Vogelsammler aktiv. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Schafe, Ziegen und Kaninchen eingeführt, was die karge Vegetation weiter zerstörte. Um die Kaninchenpopulation zu kontrollieren, wurden schließlich auch Katzen auf Mangere Island freigelassen, die jedoch ebenso eine Bedrohung für die Vogelwelt darstellten.
Henry Travers, ein neuseeländischer Naturforscher, besuchte die Chathaminseln 1871 und 1872, um die dortige Vogelwelt zu dokumentieren. Ein 1872 veröffentlichter Reisebericht, niedergeschrieben von seinem Vater, William Travers, enthält Hinweise darauf, dass Mangere Island bereits damals nicht mehr ihren ursprünglichen Zustand bewahrte: „Die Oberfläche ist steinig, aber fast vollständig mit niedrigem, steifem Gebüsch bedeckt.“ Travers erwähnte keinen Wald, was darauf schließen lässt, dass auch die nur 1,13 Quadratkilometer große und daher recht überschaubare Insel bereits vor den 1870er-Jahren durch Rodungen oder Brände stark verändert war.
Die Zerstörung der Vegetation und die Einführung von Nutztieren ab den 1890er-Jahren verschlechterten die Situation vermutlich weiter – doch zu diesem Zeitpunkt war die Dieffenbach-Ralle bereits verschwunden. Die IUCN führt den Verlust des Lebensraums durch Feuer und eingeschleppte Raubtiere als Hauptursachen für das Aussterben der Dieffenbach-Ralle an.
Wann ist die Dieffenbach-Ralle ausgestorben?
Als Henry Travers 1871 und 1872 die Vogelwelt der Chathaminseln erforschte, ging er von 38 Arten aus, die er auf den Inseln erwartete, basierend auf Huttons Catalogue of the Birds of New Zealand (1871). Fünf Arten jedoch, darunter die Dieffenbach-Ralle, konnte er nicht nachweisen. Stattdessen entdeckte er zwei neue Spezies: die Chathamralle und den Chathamschnäpper (Petroica traversii), die später von Hutton beziehungsweise Buller wissenschaftlich beschrieben wurden. Travers bemerkte, dass der Chatham-Glockenhonigfresser, der Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben ist, bei seinem Besuch auf Mangere Island „in großer Zahl“ vorhanden war.
Zum Zeitpunkt der Entdeckung durch Ernst Dieffenbach im Mai oder Juni 1840 scheint die Dieffenbach-Ralle bereits äußerst selten gewesen zu sein, denn Dieffenbach war der letzte, der einen lebenden Vogel dieser Art dokumentierte. Im Jahr 1863 schrieb ein Korrespondent namens Roiri von den Chathaminseln an Walter Buller:
„Dieser Vogel, der Moeriki, verschwand im dritten Jahr nach der Besiedlung der Insel durch die Maori. Falls der Vogel noch lebt, werde ich Ihnen ein paar fangen. Es war ein wunderschöner Vogel. Ich erinnere mich, ihn gesehen zu haben, als ich ein Junge war.“
A History of the Birds of New Zealand. 1888. S. 122. W. Buller
Das „dritte Jahr nach der Besiedlung“ der Inseln kann mit 1838 vermutet werden, denn ab November 1835 gelangten kriegerische Maori-Stämme aus Neuseeland auf die Chathaminseln, um sich dort eine neue Lebensgrundlage zu schaffen. Trotz angebotener Belohnung für das Auffinden der Ralle berichtete Roiri, dass er keinen lebenden Vogel mehr finden konnte. Hutton vermerkte 1872 in Notes on some Birds from the Chatham Islands, collected, dass die Dieffenbach-Ralle seit 1840 nicht mehr dokumentiert worden sei: „Dieser Vogel wurde seit Dieffenbachs Besuch nicht mehr gesehen. Er scheint jetzt völlig ausgestorben zu sein.“
Mangere Island, das später von menschlichen Einflüssen betroffen war als Chatham und Pitt Island, könnte der letzte Rückzugsort der Dieffenbach-Ralle gewesen sein. Da Henry Travers die Art 1871 oder 1872 auch auf Mangere Island nicht mehr fand, dürfte sie dort vor den 1870er-Jahren ausgestorben sein.
Dieffenbach-Ralle, Chathamralle oder Bindenralle?
Historisch gab es einige Verwirrung über die Einordnung und den Status der Dieffenbach-Ralle als eigenständige Art. Im Laufe der Zeit wurde sie unter zahlreichen Synonymen beschrieben und verschiedenen Gattungen zugeordnet, darunter Rallus, Ocydromus, Cabalus, Nesolimnas, Gallirallus und Hypotaenidia. Seit 2014 wird sie gemäß der HBW and BirdLife International Illustrated Checklist of the Birds of the World (Volume 1) in die Gattung Hypotaenidia eingeordnet.
Chathamralle und Dieffenbach-Ralle: Eine Art oder zwei?
Frederick Wollaston Hutton beschrieb 1872 von der Insel Mangere die heute ebenfalls ausgestorbene, flugunfähige Chathamralle. Obwohl sich das Gefieder dieser Art deutlich von dem der Dieffenbach-Ralle unterschied, vermuteten Walter Buller (1873), Henry Ogg Forbes (1892) und Richard Bowdler Sharpe (1894) zunächst, dass es sich bei C. modestus um das Jugendkleid der Dieffenbach-Ralle handeln könnte.
Nachdem Forbes 1893 eine Serie von Bälgen der Chathamralle von Mangere Island erhielt – sowohl von Jungvögeln als auch von adulten Exemplaren – stellte er fest, dass alle Vögel dasselbe Gefieder aufwiesen. Er widerrief daraufhin seine frühere Annahme und betrachtete die Chathamralle und die Dieffenbach-Ralle fortan als zwei unterschiedliche Arten.
Später analysierte der britische Paläontologe Charles Williams Andrews eine Sammlung von Knochen, die auf den Chathaminseln entdeckt worden waren. Basierend auf dem besser entwickelten Brustbein, dem kürzeren Schnabel und den Unterschieden im Gefieder trennte Andrews die Dieffenbach-Ralle aus der Gattung Cabalus, wo Sharpe sie 1875 eingeordnet hatte, und stellte sie 1896 in seinem Werk On the extinct birds of the Chatham Islands in die neu geschaffene monotypische Gattung Nesolimnas.
Dieffenbach-Ralle vs. Bindenralle: Unterart oder eng verwandte Art?
Illustrationen der Dieffenbach-Ralle, veröffentlicht von Walter Buller und Walter Rothschild, zeigen eine auffällige Ähnlichkeit dieser ausgestorbenen Art zur heute noch in Neuseeland, auf den Philippinen und in Australien verbreiteten Bindenralle. Die hauptsächlichen Unterschiede bestehen in der Dieffenbach-Ralle, deren schwarz-weiße Bänderung auf der Unterseite bis zur Kehle hinaufreicht, einem breiteren, schwarz gebänderten Brustband und dem Fehlen der typischen weißen Flecken auf dem Rücken.
Olson stellte 1973 in A Classification of the Rallidae fest, dass die Unterschiede im Gefieder von Dieffenbachs Ralle im Wesentlichen Merkmale des Jugendkleids der Bindenralle widerspiegeln könnten. Olson argumentierte, dass diese Merkmale, zusammen mit dem längeren und stärker gekrümmten Schnabel und dem reduzierten Flugapparat der Dieffenbach-Ralle, nicht ausreichend sind, um eine eigene Gattung (Nesolimnas) zu rechtfertigen. Stattdessen sieht er in der Dieffenbach-Ralle einen direkten Abkömmling der Bindenralle.
Der Ornithologe Jean Théodore Delacour wies bereits 1949 in Notes of the Birds of Northern Melanesia darauf hin, dass die Dieffenbach- und Bindenralle eng verwandt sind und derselben Gattung (Gallirallus oder Hypotaenidia) angehören. Sydney Dillon Ripley klassifizierte die Dieffenbach-Ralle in seiner Monographie Rails of the World (1977) als Unterart der Bindenralle (Rallus philippensis dieffenbachii), eine Ansicht, die Errol Fuller in Extinct Birds (2000) teilt.
Bringen DNA-Analysen endgültige Klarheit?
DNA-Analysen des neuseeländischen Evolutionsbiologen Steven A. Trewick lieferten 1997 erste Hinweise darauf, dass die flugunfähige Dieffenbach-Ralle trotz äußerlicher Ähnlichkeiten genetisch deutlich von der flugfähigen Bindenralle abweicht und daher nicht, wie von Ripley und Fuller angenommen, als Unterart der Bindenralle eingestuft werden kann. Die Analysen legen zudem eine enge Verwandtschaft der Dieffenbach-Ralle mit der ausgestorbenen Chathamralle nahe.
Eine neuere genetische Untersuchung durch den Evolutionsbiologen Juan C. Garcia-R. aus dem Jahr 2014 kam hingegen zu einem anderen Ergebnis: Die DNA-Analyse zeigt, dass die Dieffenbach-Ralle enger mit der Hypotaenidia-Gruppe verwandt ist, zu der auch die Bindenralle gehört. Die Chathamralle hingegen steht in einer basaleren Position innerhalb der Rallen, näher am gemeinsamen Ursprung der Gruppe. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich die Dieffenbach-Ralle und die Chathamralle unabhängig voneinander entwickelt haben und keine engen Verwandten sind.
Auch die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgestorbene Tongatapu-Ralle, deren einziges Exemplar heute verschollen ist, wurde erst 1867 als eigenständige Art anerkannt. Zuvor wurde sie als Varietät der Bindenralle oder der Krickralle (Rallus pectoralis) betrachtet.
Evolution und Flugunfähigkeit der Rallen auf den Chathaminseln
In seiner Studie Sympatric Flightless Rails Gallirallus dieffenbachii and G. modestus on the Chatham Islands (1997) untersuchte Steven A. Trewick die Entwicklung der Dieffenbach-Ralle und der Chathamralle, die – wie Fossilfunde nahelegen – auf mindestens drei der Chathaminseln gemeinsam vorkamen. Trewick kam zu dem Schluss, dass beide Arten ihre Flugunfähigkeit durch parallele Evolution unabhängig voneinander entwickelten, vermutlich ausgehend von einem gemeinsamen flugfähigen Vorfahren, der Bindenralle. Da es auf den Chathaminseln keine natürlichen Fressfeinde gab, ging die Flugfähigkeit im Laufe der Evolution verloren – ein Phänomen, das oft bei Vögeln auf isolierten Inseln ohne Raubtiere zu beobachten ist. Flugunfähigkeit kann energetische Vorteile bieten, da keine Energie für die Ausbildung großer Brustmuskeln oder kräftiger Flügel nötig ist.
Bereits 1975 hatte Storrs L. Olson angemerkt, dass Inselrallen häufig zur Flugunfähigkeit neigen und dabei oft ähnliche morphologische Anpassungen zeigen, auch wenn sie unabhängig voneinander entstanden. Olson sieht dies ebenfalls als Folge paralleler Evolution, die sich insbesondere bei isolierten Inselarten beobachten lässt.
Trewick stellte fest, dass die Dieffenbach-Ralle in ihrer Körperform der Wekaralle (Gallirallus australis) ähnelte, jedoch deutlich kleiner war. Die Dieffenbach-Ralle war robust gebaut und vermutlich ein Generalist, der sich in verschiedenen Lebensräumen bewegen und vielfältige Nahrungsquellen nutzen konnte. Dieser Generalismus könnte eine Anpassung an die begrenzten ökologischen Nischen auf den Inseln gewesen sein. Die kleinere Chathamralle hingegen entwickelte sich als spezialisierter Nahrungssucher mit einem längeren Schnabel, was auf besondere Ernährungsgewohnheiten hinweist. Dieser Spezialisierungsprozess könnte durch Konkurrenzdruck mit der bereits ansässigen Dieffenbach-Ralle begünstigt worden sein. Olson weist ebenfalls auf die einzigartigen Anpassungen der Chathamrallen hin, die durch ökologischen Konkurrenzdruck bei gleichzeitiger Isolation entstanden sind.
Mit einer morphometrischen Analyse der Flügelproportionen und anderer Körpermerkmale zeigte Trewick, dass beide Arten deutliche Veränderungen in ihrer Körperform durchliefen, die typisch für flugunfähige Inselvögel sind. Die Dieffenbach-Ralle entwickelte eine robuste Struktur mit kürzeren Flügeln, die auf eine langanhaltende Anpassung an das Leben am Boden hinweist. Diese Anpassungen sowie die generalistische Lebensweise der Dieffenbach-Ralle ermöglichten laut Trewick eine langfristige Koexistenz mit der spezialisierteren Chathamralle.
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