Wenn wir über das Artensterben sprechen, denken wir häufig an exotische Wildtiere wie Tiger, Pandas oder Nashörner – aber was ist mit dem Sachsenhuhn, dem Bunten Bentheimer Schwein oder dem Rottaler Pferd? Auch viele alte Haustierrassen sind vom Aussterben bedroht – und das hat weitreichende Folgen.
Haustierrassen sind in Bezug auf das Artensterben ein Sonderfall, denn sie gelten nicht als eigenständige Arten, sondern als vom Menschen gezüchtete Varianten einer Art. Über Jahrhunderte wurden sie an regionale Bedingungen und spezifische Nutzungsformen angepasst. Diese Vielfalt ist jedoch bedroht, da moderne Hochleistungszuchten die traditionellen Rassen verdrängen. Das führt nicht nur zu einem Verlust an genetischer Diversität, sondern gefährdet auch alte landwirtschaftliche Strukturen und nachhaltige Zuchtmethoden. Die Frage ist also nicht nur, ob wir diese Rassen bewahren sollten, sondern wie wir es schaffen, ihre Existenz langfristig zu sichern.
Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) setzt sich aktiv für den Schutz bedrohter Rassen ein. Sie arbeitet direkt mit Züchtern zusammen, erstellt eine eigene Rote Liste gefährdeter Haustierrassen und fördert den praktischen Erhalt durch Vernetzung, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Rote Liste der GEH gewährt einen praxisnahen Überblick über den Gefährdungsstatus verschiedener Haustierrassen gibt.1 In der Liste sind neben Rindern, Schafen, Schweinen, Pferden, Ziegen, Eseln und Hühnern auch Kaninchen, Enten, Gänse, Puten, Tauben – und sogar Hunde und Bienen verzeichnet.
Warum sterben Haustierrassen aus?
Ein entscheidender Grund für das Verschwinden vieler traditioneller Rassen ist die Industrialisierung der Landwirtschaft. Während früher regional angepasste Nutztiere mit vielfältigen Eigenschaften gezüchtet wurden, dominieren heute Hochleistungsrassen den Markt. Wirtschaftlich optimierte Hybridzuchten liefern höhere Erträge, wachsen schneller und verdrängen traditionelle Rassen. So wurde das robuste Sachsenhuhn zunehmend durch moderne Hybrid-Hühner ersetzt, die mehr Eier legen und wirtschaftlicher zu mästen sind.
Ein weiterer entscheidender Faktor ist das Konsumverhalten. Die hohe Nachfrage nach preisgünstigen tierischen Produkten aus der Massentierhaltung beschleunigt das Verschwinden alter Haustierrassen. Da diese Rassen langsamer wachsen, weniger Fleisch ansetzen oder eine geringere Eierproduktion aufweisen als moderne Hochleistungszuchten, gelten sie in der industriellen Landwirtschaft als unrentabel und werden zunehmend verdrängt. Wer konventionelle Produkte aus intensiver Tierhaltung kauft, trägt somit indirekt zu ihrem Rückgang bei. Gleichzeitig können bewusste Konsumentscheidungen einen positiven Beitrag leisten: Wer nachhaltige und ethische Alternativen bevorzugt, kann den Erhalt alter Rassen unterstützen – sei es durch die Förderung tierfreundlicher Landwirtschaftsprojekte, die Unterstützung von Schutzprogrammen oder die Beteiligung an ökologischen Kreislaufsystemen, in denen diese Tiere eine sinnvolle Rolle spielen.
Zudem führt der Wandel in der Landwirtschaft dazu, dass viele alte Rassen nicht mehr in das System der Massentierhaltung passen. Ähnlich wie Wildtiere durch den Verlust natürlicher Lebensräume verdrängt werden, finden auch traditionelle Nutztierrassen kaum noch Platz in der modernen Agrarindustrie. Ihre angeborene Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit werden zugunsten maximaler Produktivität geopfert, wodurch wertvolle genetische Vielfalt und bewährte Zuchtlinien zunehmend verloren gehen.
Der Verlust alter Haustierrassen weist zahlreiche Parallelen zum allgemeinen Artensterben auf: Ähnlich wie invasive Arten in der Natur dazu führen können, dass einheimische Arten aussterben, verdrängen wirtschaftlich optimierte Züchtungen traditionelle Rassen. Und während Wildtiere durch die Zerstörung natürlicher Habitate verschwinden, verdrängt die moderne Massentierhaltung mit ihrer Fokussierung auf wenige Hochleistungsrassen alte Nutztierrassen.
Warum sind alte Haustierrassen so wertvoll?
Der Schutz alter Haustierrassen ist nicht nur eine Frage der Biodiversität, sondern hat weitreichende Konsequenzen für die Landwirtschaft und unsere Ernährungssicherheit. Während moderne Hochleistungszuchten zwar effizient sind, sind sie oft anfällig für Krankheiten und benötigen intensive Pflege und medizinische Versorgung. Traditionelle Rassen hingegen verfügen über eine natürliche Widerstandskraft gegenüber lokalen Krankheiten und Umweltbedingungen. Diese genetische Vielfalt ist in Zeiten des Klimawandels und sich verändernder Anbaubedingungen von unschätzbarem Wert, da sie zur Entwicklung robusterer und widerstandsfähigerer Nutztiere beitragen kann.

(© Doreen Fräßdorf, 2024)
Zusätzlich sind alte Haustierrassen genetische Reservoirs: Jede dieser Rassen trägt einzigartige Eigenschaften, die verloren gehen, wenn sie aussterben. Ähnlich wie bedrohte Wildtierarten sind auch traditionelle Nutztierrassen essenziell für die langfristige Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft. Ihr Verschwinden würde eine deutliche Verarmung der genetischen Basis bedeuten.
Der Klimawandel verstärkt diese Problematik zusätzlich. Während moderne Hochleistungszuchten auf stabile Haltungsbedingungen angewiesen sind, sind viele alte Rassen von Natur aus an extreme Wetterbedingungen, Futtermangel oder regionale Besonderheiten angepasst. Diese Anpassungsfähigkeit könnte in Zukunft entscheidend sein, um widerstandsfähigere Züchtungen zu entwickeln, die sich den veränderten Umweltbedingungen anpassen können.
Nicht zuletzt sind alte Haustierrassen auch ein kulturelles Erbe. Viele von ihnen sind eng mit der Geschichte und den Traditionen bestimmter Regionen verknüpft. Ihr Verschwinden würde nicht nur die genetische Vielfalt verringern, sondern auch das Ende jahrhundertealter landwirtschaftlicher Praktiken und lokaler Identitäten bedeuten.
Die Bedeutung von Haustierrassen für den Naturschutz
Neben ihrer genetischen Bedeutung spielen alte Nutztierrassen auch eine Schlüsselrolle im Naturschutz, denn sie können aktiv zur Erhaltung von Ökosystemen beitragen. Wie auch beim Schutz bedrohter Wildtiere gibt es Programme zur Erhaltung alter Haustierrassen. Die GEH spielt hier eine zentrale Rolle, indem sie gefährdete Rassen fördert und deren Zucht koordiniert. Manche dieser Rassen sind nicht nur für die Landwirtschaft von Bedeutung, sondern auch für den Naturschutz. Robuste alte Rinder- oder Schafrassen wie das Alpine Steinschaf werden gezielt in der extensiven Landschaftspflege eingesetzt, um Heidelandschaften oder Almweiden zu erhalten. In einem geplanten Almweideprojekt in Oberbayern soll das Alpine Steinschaf unter natürlichen Bedingungen erhalten werden, während gleichzeitig ein Zuchtindex für seine „Almtüchtigkeit“ entwickelt wird.

(© Andreas Filz, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)
Neben Schafen und Rindern kommen auch alte Pferderassen wie das Konik oder das Exmoor-Pony in Naturschutzprojekten zum Einsatz. Sie eignen sich besonders für die Offenhaltung von Landschaften, verhindern die Verbuschung und schaffen wichtige Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten. Besonders in Moor- und Feuchtgebieten tragen diese Tiere dazu bei, seltene Biotope zu erhalten. Auch das Bunte Bentheimer Schwein wird in einigen Naturschutzgebieten zur Landschaftspflege eingesetzt: Durch das Wühlen im Boden fördern sie die Keimung seltener Pflanzenarten und tragen so zur Biodiversität bei.
Solche naturnahen Beweidungskonzepte bieten nicht nur ökologische Vorteile, sondern auch eine nachhaltige Alternative zur konventionellen Landschaftspflege mit Maschinen. Durch den gezielten Einsatz alter Nutztierrassen in Naturschutzprojekten wird nicht nur ihre Population gesichert, sondern auch ein wertvoller Beitrag zur Erhaltung von Kulturlandschaften geleistet.
Wie lassen sich gefährdete Haustierrassen erhalten?
Je mehr Menschen sich der Problematik bewusst sind, desto größer wird der gesellschaftliche und politische Druck, gefährdete Rassen zu schützen. Wer tierische Produkte konsumiert, kann gezielt auf nachhaltige Quellen setzen, etwa Eier von bedrohten Hühnerrassen. Doch der Erhalt dieser Tiere ist nicht nur für Konsumenten relevant – auch Menschen, die keine tierischen Produkte nutzen, können einen wichtigen Beitrag leisten. Sie können nachhaltige Landwirtschaftsprojekte unterstützen, sich für artgerechte Haltung einsetzen oder Konzepte fördern, in denen diese Tiere eine ökologische Rolle spielen, etwa in der Landschaftspflege oder der Wiederherstellung natürlicher Lebensräume.
Wer sich besonders stark engagieren möchte, kann selbst aktiv werden: Menschen mit geeigneten Flächen oder Haltungsbedingungen können sich an Zuchtprogrammen beteiligen oder alte Rassen gezielt zur Pflege von Naturflächen einsetzen.
Auch für diejenigen, die kommerzielle Viehzucht ablehnen, ist der Schutz dieser Tiere von Bedeutung. Viele dieser Rassen sind ein wichtiger Teil unserer biologischen Vielfalt und ein kulturelles Erbe, das es zu bewahren gilt. Ihre Erhaltung bedeutet nicht zwangsläufig, sie wirtschaftlich zu nutzen – vielmehr können sie in nachhaltige Kreislaufsysteme integriert werden, in denen sie zur Förderung der Biodiversität und zur Regeneration von Ökosystemen beitragen. Ihr Fortbestand sichert zudem eine unabhängige genetische Vielfalt, die langfristig für eine nachhaltigere Landwirtschaft von Bedeutung sein kann.
Besonders gefährdete Haustierrassen – ein Blick in die Rote Liste
Die Rote Liste der GEH dokumentiert, welche Haustierrassen in Deutschland als gefährdet gelten. Dazu gehören unter anderem:
Sachsenhuhn

(© Doreen Fräßdorf, fotografiert im Tierpark Riesa, 2025)
Das Sachsenhuhn ist eine um 1880 entstandene äußerst widerstandsfähige und anpassungsfähige Hühnerrasse, die ursprünglich für das raue Klima des Erzgebirges gezüchtet wurde. Es zeichnet sich durch eine hohe Kälteunempfindlichkeit aus, da es eine kleinere Kammgröße besitzt, wodurch Erfrierungen vermieden werden. Mit einer Legeleistung von etwa 180 Eiern pro Jahr gilt das Sachsenhuhn als verlässliches Wirtschaftshuhn. Trotz dieser Stärken wurden Sachsenhühner zunehmend von Hochleistungsrassen verdrängt, da diese in der industriellen Landwirtschaft wirtschaftlicher sind. Heute gilt es als stark gefährdet und steht in der zweithöchsten Gefährdungskategorie der GEH-Roten Liste. Initiativen wie das Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft setzen sich aktiv für die Erhaltung dieser Rasse ein, indem sie Züchter fördern und Tiere gezielt an interessierte Züchter abgeben.
Das Sachsenhuhn ist es ein ausgezeichneter Futtersucher, der große Teile seiner Nahrung selbstständig auf Wiesen und Höfen findet, wodurch es sich hervorragend für die extensive und ökologische Landwirtschaft eignet. Seine robuste Konstitution macht es weniger anfällig für Krankheiten, was den Bedarf an medizinischer Versorgung und intensiver Betreuung verringert. Darüber hinaus trägt das Sachsenhuhn zur Biodiversität bei, indem es Lebensräume auf natürliche Weise pflegt und zur Schädlingskontrolle beiträgt. Sein Erhalt ist nicht nur aus landwirtschaftlicher, sondern auch aus ökologischer und kultureller Sicht von großer Bedeutung.
Rottaler Pferd

(© Schnittwerk, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
Das Rottaler Pferd ist eine der ältesten deutschen Pferderassen und wurde seit dem 9. Jahrhundert im niederbayerischen Rottal gezüchtet. Ursprünglich wurde es als vielseitiges Arbeitspferd für Landwirtschaft, Militär und Kutschfahrten genutzt. Im 20. Jahrhundert wurde das Rottaler Pferd zunehmend vom Bayerischen Warmblut verdrängt. Heute gilt es als extrem selten, mit nur wenigen Dutzend Tieren in der Zucht. Hobbyzüchter in Bayern bemühen sich um den Erhalt, unterstützt durch Förderprogramme des Landes. Dennoch bleibt der Bestand mit nur 29 Zuchtstuten und 3 Zuchthengsten (Stand 2019) kritisch und das Rottaler Pferd zählt zu den seltensten Pferderassen Europas.
Abseits seiner historischen Bedeutung hat das Rottaler Pferd wertvolle Eigenschaften: Es ist besonders robust, ausdauernd und genügsam. Seine Vielseitigkeit macht es nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die ökologische Landschaftspflege interessant. In extensiven Beweidungsprojekten kann es zur Offenhaltung von Landschaften beitragen, Verbuschung verhindern und wertvolle Lebensräume für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten erhalten. Durch seine hohe Fruchtbarkeit und Langlebigkeit ist das Rottaler Pferd zudem ein genetischer Schatz, der in einer nachhaltig ausgerichteten Pferdezucht von großer Bedeutung sein könnte.
Aylesburyente

(© Irid Escent, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons)
Die Aylesburyente ist eine alte englische Entenrasse, die seit dem 18. Jahrhundert in der Grafschaft Buckinghamshire gezüchtet wurde. Sie wurde als Fleischente geschätzt und galt lange Zeit als Delikatesse auf den Märkten Londons. Die Rasse zeichnet sich durch ihr reinweißes Gefieder, den charakteristischen rosafarbenen Schnabel und eine kräftige Körperstruktur aus. Aufgrund der Konkurrenz durch die schnellwüchsigere Pekingente verlor die Aylesburyente ab dem 19. Jahrhundert an Bedeutung. Heute ist sie weltweit stark gefährdet und zählt zu den seltensten Entenrassen. In Deutschland wurde sie von der GEH als „extrem gefährdet“ (Kategorie I) in die Rote Liste aufgenommen, mit nur noch wenigen Zuchtbeständen.
Die Aylesburyente besitzt wertvolle Eigenschaften für naturnahe Haltungskonzepte. Durch ihre Bodenaktivität und ihr Fressverhalten kann sie in Feuchtgebieten zur Förderung der Biodiversität beitragen, indem sie das Wachstum bestimmter Pflanzen reguliert und unerwünschte Insektenpopulationen in Schach hält. Ihr sanftes Wesen macht sie außerdem für den Einsatz in tiergestützten Therapieprogrammen geeignet.
Warum der Schutz von Haustierrassen unverzichtbar ist
Das Verschwinden alter Haustierrassen ist ein oft unterschätztes Problem, das jedoch weitreichende Konsequenzen für die Biodiversität, die Landwirtschaft und unser kulturelles Erbe hat. Ohne unser Eingreifen werden wertvolle genetische Ressourcen, traditionsreiche Nutztierrassen und ihre widerstandsfähigen Eigenschaften unwiederbringlich verloren gehen. Doch jeder kann dazu beitragen, dieses unbemerkte Artensterben zu verhindern – sei es durch die Unterstützung von Erhaltungsprojekten, bewusste Kaufentscheidungen oder einfach durch das Teilen dieses Wissens. Besonders die Förderung nachhaltiger und regionaler Landwirtschaft kann helfen, alten Rassen wieder eine wirtschaftliche Grundlage zu geben und ihr Überleben zu sichern.
Doch es gibt noch Hoffnung: Durch gezielte Zuchtprogramme, nachhaltige Nutzung und den Einsatz in Naturschutzprojekten können viele dieser einzigartigen Rassen erhalten bleiben. Der Schutz alter Haustierrassen ist mehr als eine Frage der Tradition – er ist eine Investition in die Zukunft unserer Umwelt, unserer landwirtschaftlichen Vielfalt und eines bewussteren Umgangs mit den Ressourcen unseres Planeten.
- Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) führt ebenfalls eine Rote Liste einheimischer Nutztierrassen. Dabei stellt der Fachbeirat Tiergenetische Ressourcen gemeinsam mit der BLE unter Berücksichtigung von Bestandszahlen den Gefährdungsstatus der einheimischen Nutztierrassen fest. Ergänzend dazu dokumentiert die Zentrale Dokumentation Tiergenetischer Ressourcen in Deutschland (TGRDEU) umfassend Informationen über die genetische Vielfalt der Nutztiere in Deutschland. ↩︎
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