Kurzschnabel-Nektarjala: eine von 500 Vogelarten, die bis 2100 aussterben könnte
Der Kurzschnabel-Nektarjala ist ein funktionell einzigartiger Vogel, der ausschließlich in den Bergregenwäldern Madagaskars lebt. Laut der neuen Studie könnte der Verlust solcher spezialisierten Arten einen überproportionalen Rückgang ökologischer Funktionen bedeuten – selbst wenn sie nur einen kleinen Teil der Artenvielfalt ausmachen. Sein Aussterben würde also mehr kosten als nur eine Art. (© Dubi Shapiro, Neodrepanis hypoxantha, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Neue Studie: 500 Vogelarten könnten innerhalb eines Jahrhunderts aussterben

Eine neue, im Fachjournal Nature Ecology & Evolution veröffentlichte Studie der University of Reading warnt: Über 500 Vogelarten könnten bis zum Jahr 2100 aussterben – dreimal so viele wie im gesamten Zeitraum seit 1500. Die Analyse basiert auf Daten von rund 10.000 bekannten Vogelarten und deren Gefährdungsstatus in der IUCN Roten Liste. Das Ergebnis: Selbst bei einem sofortigen Stopp aller Bedrohungen wären laut Modellrechnungen etwa 250 Arten nicht mehr zu retten. Viele Arten sind bereits so stark gefährdet, dass nur noch gezielte Erhaltungsmaßnahmen helfen können.

Hauptursache für das massenhafte Vogelsterben ist laut Studie der fortschreitende Lebensraumverlust – angetrieben insbesondere durch die immer intensivere Nutzung von Land für Landwirtschaft.

Was bedroht 500 Vogelarten – und warum sind sie besonders gefährdet?

Besonders gefährdet sind Arten mit bestimmten körperlichen Merkmalen, da diese mit spezifischen ökologischen Funktionen und Verwundbarkeiten verknüpft sind. Die Studie zeigt dabei fünf besonders betroffene „Funktionsräume“:

Königsamazone: anfällig für Bejagung, invasive Arten & Krankheiten
Die seltene Königsamazone ist laut Studie besonders anfällig für Jagd, invasive Arten und Krankheiten – typische Risiken für Arten mit langen Schwänzen und kurzen Schnäbeln.
The original uploader was Beralpo at Russian Wikipedia., CC BY 2.5, via Wikimedia Commons)
  • Große Vogelarten sind häufiger Ziel von Bejagung und besonders anfällig für den Klimawandel.
    Beispiele: Andenkondor (Vultur gryphus), Afrikanischer Strauß (Struthio camelus), Königsalbatros (Diomedea epomophora), Sundamarabu (Leptoptilos javanicus)
  • Vögel mit breiten Flügeln benötigen große, zusammenhängende Lebensräume zum Fliegen und Gleiten, weshalb sie stark unter Habitatverlust und -fragmentierung leiden.
    Beispiele: Albatrosse, Fregattvögel wie der Adlerfregattvogel (Fregata aquila), Seevögel wie der Humboldt-Pinguin (Spheniscus humboldti)
  • Vögel mit langen Schwänzen und kurzen Schnäbeln sind besonders anfällig für Jagd, invasive Arten und Krankheiten.
    Beispiele: Nacktkehl-Schirmvogel (Cephalopterus glabricollis), Königsamazone (Amazona guildingii)
  • Vögel mit kurzen Schwänzen und langen Schnäbeln – eine Merkmalskombination, die mit Thermoregulation und spezialisierten Futterstrategien verknüpft ist – sind besonders anfällig für Klimaveränderungen.
    Beispiele: Geckoweih (Eutriorchis astur), Kurzschnabel-Nektarjala (Neodrepanis hypoxantha)
  • Inselspezialisten mit kleinem Verbreitungsgebiet (oft flugunfähig) sind gegenüber sämtlichen Bedrohungen anfällig, vor allem aber gegenüber invasiven Arten.
    Beispiele: Vierfarben-Mistelfresser (Dicaeum quadricolor) – nur noch 60 bis 70 Individuen, Suluhornvogel (Anthracoceros montani), Stirnhaubentapaculo (Merulaxis stresemanni)

Nicht nur das Aussterben an sich, sondern auch der Verlust einzigartiger Merkmale (etwa Körpergröße, Schnabelformen) ist problematisch. Selbst wenige Artenverluste können zu einem überproportionalen Rückgang der ökologischen Funktionen führen.

Schutz alleine reicht nicht

Nicht jede Bedrohung betrifft alle Arten gleichermaßen: Lebensraumdegradierung bedroht am meisten Arten, während Jagd oder Störungen oft funktional einzigartige Arten treffen. Diese Bedrohungen zu bekämpfen, schützt also besonders effektiv die funktionelle Vielfalt.

Die Forschenden betonen, dass selbst ambitionierte Schutzmaßnahmen nur etwa die Hälfte der prognostizierten Artenverluste aufhalten können. Rund 250 bis 350 Vogelarten benötigen zusätzliche Maßnahmen. Zu den wirksamsten Strategien gehören sogenannte „targeted recovery programmes“, also gezielte Programme zur Bestandsstützung:

  • Nachzucht in menschlicher Obhut mit anschließender Wiederansiedlung
  • Renaturierung zerstörter Lebensräume
  • Umsiedlung in geeignetere Gebiete
  • Schutz vor invasiven Arten und ergänzende Maßnahmen wie künstliche Fütterung
Erfolgsgeschichte im Artenschutz: Kalifornischer Kondor
Der Kalifornische Kondor gilt als Paradebeispiel erfolgreicher Arterhaltung: Durch Nachzuchtprogramme konnte er vom Aussterben bewahrt und wieder ausgewildert werden.
William H. Majoros, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Ein besonderer Fokus sollte auf funktional einzigartigen Arten liegen, die vor allem in tropischen Regenwäldern Südamerikas, auf pazifischen Inseln oder in Südostasien vorkommen – Regionen, die ohnehin stark unter Druck stehen. Diese funktional einzigartigen Arten machen nur etwa ein Prozent der Vogelarten aus, tragen aber überproportional zur funktionellen Vielfalt von Ökosystemen bei.

Die gezielte Rettung der 100 funktional einzigartigsten bedrohten Vogelarten hätte laut Modell den größten Effekt: Bereits der erfolgreiche Schutz von rund 37 dieser Arten würde ausreichen, um 68 Prozent der funktionellen Diversität zu bewahren.

Diese Priorisierung ist effektiv, aber auch ethisch heikel. Denn sie stellt die Frage, welche Arten wir retten sollten – und welche nicht. Die Forschenden fordern daher, ethische Abwägungen systematisch in Schutzstrategien einzubeziehen, um blinde Flecken zu vermeiden.

Blinde Flecken entstehen, wenn Schutzmaßnahmen sich ausschließlich auf funktional besonders wertvolle Arten konzentrieren und dabei andere gefährdete Arten, kulturell bedeutsame Spezies oder wenig erforschte ökologische Rollen unbeachtet bleiben. Eine ganzheitliche Naturschutzstrategie sollte daher sowohl ökologische Wirksamkeit als auch Gerechtigkeit, Vielfalt der Perspektiven und Vorsorgeprinzipien berücksichtigen.

Zwei Erfolgsgeschichten: Kalifornischer Kondor & Rohrdommel

Erfolgreiche Naturschutzprojekte aus der Vergangenheit zeigen, dass es möglich ist, Arten anhand gezielter Programme vor dem Aussterben zu bewahren:

  • Der Kalifornische Kondor (Gymnogyps californianus), der seit 1987 als in der Wildnis ausgestorben galt, konnte mithilfe eines aufwändigen Zuchtprogramms wieder in seinem Lebensraum angesiedelt werden. Heute existieren wieder mehr als 300 Tiere in der freien Natur.
  • In Großbritannien kehrte die Rohrdommel (Botaurus stellaris) als Brutvogel zurück, nachdem zuvor trockengelegte Feuchtgebiete gezielt renaturiert wurden. Ihre Population ist heute so groß wie seit über 200 Jahren nicht mehr.

Arten schützen, Vielfalt erhalten

Die Studie kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Wenn menschliches Verhalten sich nicht ändert, könnten bis 2100 mehr Vogelarten aussterben als in den letzten 500 Jahren zusammen. Um das zu verhindern, braucht es:

  • eine ambitionierte Reduktion der Hauptbedrohungen, insbesondere Lebensraumverlust,
  • gezielte Programme für besonders gefährdete und funktional wichtige Arten,
  • und eine Naturschutzstrategie, die funktionelle Vielfalt systematisch berücksichtigt.

Die Autoren der Studie liefern damit nicht nur eine Warnung, sondern auch einen klaren Handlungsplan. Entscheidend ist ein konsequentes Umdenken im Naturschutz: Weg von reiner Schadensbegrenzung, hin zu aktiven Wiederherstellungsprogrammen. Der Schutz der biologischen Vielfalt erfordert ein koordiniertes Zusammenspiel aus internationaler Zusammenarbeit, politischem Willen, ausreichender Finanzierung, lokaler Expertise und wissenschaftlich fundierten Maßnahmen.

Quelle

  • Stewart, K., Venditti, C., & Carmona, C. P. et al. (2025). Threat reduction must be coupled with targeted recovery programmes to conserve global bird diversity. Nature Ecology & Evolution. https://doi.org/10.1038/s41559-025-02746-z

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